Mit Ben Klock und Fadi Mohem tun sich zwei Generationen von Berghain-Residents zusammen, um das gemeinsame Label LAYER mit einem Kollaborationsalbum einzuweihen, auf dem zwei Generationen von Grime-MCs vertreten sind und in dem Techno eher als Spiegelreflex aufleuchtet. Das ist spannend, und doch ist 'Layer One' ein sonderbares Album.
Der Beginn der Pandemie leitete das stille Ende von Ostgut Ton ein. Im rasenden Stillstand der Jahre 2020 bis 2022 entledigte sich das Berghain sowohl seiner hauseigenen Booking-Agentur als auch des Labels, das zuvor primär als Plattform für die Releases der Residents des Clubs diente. Ein Album von JASSS und eine umfassende Compilation zum 15. Geburtstag des Labels, das mit den auf den Sound der beiden Club-Floors zugeschnittenen Mix-CDs sowie mit Veröffentlichungen von Ben Klock, Marcel Dettmann und Co. ab Ende der Nullerjahre Techno einen bleibenden Stempel aufdrückte, schlossen dieses Kapitel ein für allemal.
Seitdem sind einige der vormaligen Ostgut-Ton-Artists zu anderen Labels gewechselt oder gründeten ihre eigenen. Marcel Dettmann beispielsweise veröffentlichte sein viertes Album auf Dekmantel, Steffi und Virginia hoben Candy Mountain aus der Taufe. Ben Klock, der mit 'Subzero' den prägendsten Track des Berghain-Sounds verantwortete, pflegte derweil sein eigenes Label Klockworks. Fadi Mohem, der erst nach dem Aus von Ostgut Ton als Resident im Berghain anheuerte, gastierte dort häufiger und brachte ebenso einige EPs auf seinem eigenen Label heraus. Nunmehr aber machen die beiden nach einer gemeinsamen EP für Klockworks auch als Labelbetreiber gemeinsame Sache.
LAYER heißt das gemeinsame Label und 'Layer One' die erste Katalognummer, produziert von den beiden im Tandem. Nachdem die 'Klockworks 034' der beiden auf fokussierten, spartanischen Groove-Techno setzte, handelt es sich dabei nun um eine Art Konzeptalbum: Die musikalische Beschreibung einer fast entvölkerten Welt voller Artefakte, die Zeugnis von der Anwesenheit der Menschheit ablegen – von Künstlicher Intelligenz generierte Bilder als letzte Überbleibsel einer natürlichen Intelligenz, die diese erst geschaffen hatte. Mit dem Digitalmüll verblichener Tech-Hype-Cycles kennen sich Klock und Mohem ja aus, kollaborierten sie doch erstmals für eine NFT-Kollektion.
Frotzeleien beiseite: 'Layer One' ist durch und durch als Mission Statement zu verstehen, was sich auch auf die zuerst überraschenden Feature-Auftritte der MCs Flowdan und Coby Sey erstreckt. Ersterer ist vor allem als eine der Stimmen des Grime-Überhits 'Skeng' bekannt, der zuletzt mit Fred Again.. und Skrillex für 'Rumble' einen GRAMMY absahnte. Der gleich auf zwei Stücken vertretene Sey ist im Umfeld von Tirzah und Mica Levi bekannt geworden, bezieht sich ebenfalls auf die Grime-Tradition und steht doch für einen eher avantgardistischen Sound, der wie zuletzt auf seiner Kollaboration mit Akihide Monna und Olivia Salvadori als GAISTER an der Stimme als eigentlicher Klangerzeugerin interessiert scheint.
Dieses intergenerationelle Miteinander zweier Berghain-Residents und zweier Vocal-Artists, die den Referenzrahmen vom schwitzigen Club bis zum White Cube erweitern, ist absolut programmatisch für die zehn Stücke von 'Layer One'. Die sind eigentümlich kurz gehalten – nur ein Stück durchbricht die Fünf-Minuten-Marke – und entfernen sich bisweilen weit vom Dancefloor. Ambient und IDM – 'Rest Assured' ist eine deutliche Verneigung vor den frühen Autechre, immerhin wieder spukt der Geist von Aphex Twin durch die Tracks – sind zwei der zentralen Orientierungspunkte von Klock und Mohem, dazwischen sind, wie das hinsichtlich der Feature-Gäste durchaus Sinn ergibt, Einflüsse aus dem britischen Hardcore Continuum zu hören.
Techno taucht dazwischen nur als Spiegelreflex auf, am deutlichsten auf dem klaustrophobisch-verhetzten 'Escape Velocity' und dem an das letzte Ant-Orange-Album erinnernden 'Nothing'. Das überrascht angesichts des überformten Grundkonzepts des Albums nicht und ergibt auch deshalb Sinn, weil Klock und Mohem jenseits vom Dancefloor-Diktat einige ihrer Kernkompetenzen ausspielen können: Hier der desolate Hochglanz des 'Subzero'-Schöpfers, dort der spröde Gerätepark-Punk des jungen Protegés. Obwohl anderswo jeweils einer der beiden Produzenten die Führung zu übernehmen scheint, ergänzen sie sich auf der 'Selected Ambient Works Volume II'-Hommage 'The Vanishing' in Vollkommenheit.
Es gibt also durchaus einiges, was auf 'Layer One' bestens zusammenpasst: Die intergenerationellen Duos mit ihrem Doppelinteresse an Dancefloor-Kompatibilität und Avantgarde-Anspruch, der dystopische Überbau und die bis zum bittersüßen Closer 'Melatonin' bedrückende Atmosphäre. Doch will sich die Musik als solche nicht wirklich zueinander fügen. So wie die Lyrics der drei Stücke mit Beiträgen von Coby Sey und Flowdan anscheinend nichts mit der eigentlichen Story des Albums zu tun haben, so wenig scheint ein Track mit dem folgenden gemein zu haben. Das wirkt auf Dauer durchaus sonderbar.
'Layer One' steht eindeutig in der Tradition von Alben, die die weit über den Dancefloor hinausgehenden Interessen ihrer Macher:innen unter Beweis stellen sollen. Das hatte schon auf Ostgut Ton Tradition, wo – heutzutage kaum mehr vorstellbar – dereinst selbst ein Kobosil mit introspektivem, spartanisch instrumentiertem Industrial auf Albumlänge debütierte. Doch glänzen Klock und Mohem im Verlauf des Albums eher als gekonnte Handwerker und nicht, wie offensichtlich gewollt, als visionär-weitsichtige Künstler. Diese zehn Tracks bilden keine schlüssige Erzählung, sondern ein Set von Visitenkarten.
Die Kürze dieser abrupt zwischen ungestümen Rumpel-Techno und Modular-Gefiepse changierenden Tracks, das szeneübergreifende Prestige der unerwarteten Feature-Gäste und die auf stilistischer Ebene eher verworrene Gestaltung erwecken eher den Eindruck von forcierter Markenpflege: Seht her, wir können auch anders! Und sie können es ja nicht schlecht, nur machen sie es eben auf Albumlänge nicht konsequent.
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