Bruchstelle: Nina Kraviz – Eine kritische Betrachtung

Bruchstelle: Nina Kraviz – Eine kritische Betrachtung

Features. 28. Dezember 2018 | 4,8 / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

Was ist nur los in der Techno-Szene.

Alles ist im Wachstum, die Szene boomt und trotzdem war das letzte Jahr gespickt mit Skandalen, Unmut und Umbruch. Mit strunzdummen Kommentaren über Frauen manövrierte Konstantin mit dem quasi ersten und einzigen Interview sein Label Giegling ins Abseits, Johannes Heil beschwert sich mit ebenfalls strunzdummer Wortwahl über die "Verweichlichung" des Technos und Radio Slave haute bei Facebook mal so richtig auf den Tisch. Der Kapitalismus streckt seine bösen Finger nach der Szene aus, alles scheint dominiert vom Marketing. Deshalb beerdigte Resident Advisor auch zum Jahreswechsel ihren wohl größten Klickmagneten, das Ende der RA Polls. Unter anderem taten sie dies auch aufgrund der Gender- und Race-Debatte, die auch den Techno seit 2017 vollends erreicht hat. Wie kann das nur sein? Techno, das ist doch Freiheit, Respekt und kollektives Glück auf den Tanzflächen der Welt. Ach, was ist nur passiert? Raven, das ist einfach nicht mehr wie früher.

Eine geht zwischen all dem Sturm allerdings ruhig ihren Weg. Seit Jahren beglückt Nina Kraviz die Szene mit ihrer Attitüde und Kreativität und scheint von Jahr zu Jahr erfolgreicher zu werden. Sieht man sich ihren Werdegang, die lang anhaltende Kritik an ihrer Person und ihren derzeitigen Einfluss auf neue DJs an, so kommt man zu dem Schluss, Kraviz ist trotz ihrer bereits langen Karriere nach wie vor ein Prototyp „Zukunfts-DJ“: Von Irkutsk über Moskau nach Berlin, Kraviz mauserte sich zur „Queen of Techno“ und zählt mittlerweile zu den bekanntesten Techno-Artists der Welt.

Doch auf dem Weg dahin musste Kraviz sich immer wieder großer Kritik stellen, die zumeist mit ihrer Person und weniger mit ihrer Musik zu tun hat. Seit Beginn ihrer Kariere sieht sich Kraviz mit Kritik konfrontiert, dessen Argumentationsstruktur stets denselben Mustern folgt und auch viele andere Künstlerinnen trifft. Da wäre zunächst der Vorwurf der Inszenierung. Ihr Auftreten sei „fake“ und aufgesetzt, ihre Bühnenshow zu selbstdarstellerisch. Natürlich besitzt Kraviz auf der Bühne eine körperliche Präsenz, welche bei ihren Shows auch durchaus zum Tragen kommt, schließlich ist der DJ-Auftritt wie jede andere öffentliche Kunstform an eine Stage Persona gekoppelt. Einem tanzenden Villalobos oder einem Konstantin Sibold mit freiem Oberkörper wird ein solches Auftreten erlaubt, beziehungsweise wird an dieser Stelle eine gewisse Inszenierung nicht hinterfragt. Bei Kraviz wiederum setzt man voraus, sie würde bewusst ihre „weiblichen Reize" einsetzen, um so Aufmerksamkeit zu generieren.

Den Höhepunkt erreichte diese Art von Kritik, als sie sich in ihrem Kurzporträt von Resident Advisor erst am Strand und später noch in einer Badewanne filmen ließ. Die Stimmen wurden prompt lauter, Kraviz wurde als Sell-out verschrien und DJ-Kollege Maceo Plex sprach ihr mit seinem sarkastischen Statement “I’m so happy blatant uses of sexuality and superficiality can take the place of hustling vinyl and spending countless hours in the studio” mal eben sämtliches künstlerisches Talent ab. Die Bubble-Bath-Posse zeigt deutlich, wie kontrovers das Thema Weiblichkeit in elektronischer Musik aufgenommenen wird. Allein die Tatsache, dass eine nahezu komplett verhüllte Nina Kraviz – in einer Szene, in dessen Clubs es durchaus freizügiger zugeht – als Provokation wahrgenommen wird, erscheint mehr als absurd. Auch wird die Inszenierung des weiblichen Körpers fast schon reflexartig als Marketing stigmatisiert.

© Paola Kudacki

Dieser Beißreflex führt schließlich zum zweiten Argument welches in jeder Debatte um Kraviz fällt: Sie ist nur so erfolgreich, weil sie so gut aussieht. Sätze wie diese sind keine Seltenheit und werden meist kritiklos abgenickt. Doch solche Argumente zeigen viel mehr, dass es für viele scheinbar unmöglich ist, Künstlerin und Körper voneinander zu trennen, als dass sie eine legitime Aussage über Kraviz' (oder die ihrer DJ-Kolleginnen) Kunst darstellen. Weiter entkräftet wird diese Argumentation durch die Einseitigkeit, mit der sie geführt wird. Es ist stets die Inszenierung von Weiblichkeit, die als reine Form der Selbstvermarktung dargestellt wird, eine Inszenierung von Männlichkeit gibt es im öffentlichen Diskurs gar nicht. Hier gelten harte Arbeit, Schweiß und Talent, um nach ganz oben zu kommen. Das z.B. ein Ben Klock, der uns mit seinen blauen Augen freundlich vom Groove-Cover aus grüßt, von höchstwahrscheinlich vielen Frauen und Männern als tierisch heiß empfunden wird, wird selbstverständlich weder negativ angemerkt, noch thematisiert.

All dieser Kritik zum Trotz gilt Nina Kraviz mittlerweile als einer der meist geschätzten Artists der Szene. Das liegt vor allem daran, dass der vermeintliche „sexy Blickfang“ mit einer Vielseitigkeit und einem Know-how aufwartet, die in der Szene ihresgleichen suchen. Vom anfänglich poppigen Minimalismus ihres Debütalbums entwickelte sie sich mit Trip Records zur Chefin eines der interessantesten und innovativsten Techno-Labels. Neben ihrer eigenen Musik wird Kraviz vor allem für ihre DJ-Sets verehrt. Von Breakbeat zu kitschigem Trance, von minimalistischem Techno zu 150-bpm-Acid. Statt ihre Sets wie viele andere DJs dem eigenen Musiker-Dasein zu unterwerfen und einer klarer Sound-Ästhetik zu folgen, gräbt sie sich hemmungslos durch die Geschichte der elektronischen Musik.

Ihr Stil aus Risikobereitschaft und einem fast schon pädagogischen Ansatz prägt deutlich den Sound vieler Newcomer. Trance flutet mehr und mehr die Sets, das Suchen nach alten Underground-Hits wird zum Sport. Mit Amelie Lens oder Charlotte de Witte stehen neue Künstlerinnen bereit, um den Weg, den Nina Kraviz ebnete, zu betreten, denn der von ihr geprägte Techno findet immer mehr Anklang. Es dürfte also mehr als wahrscheinlich sein, dass es in Zukunft nicht ruhiger um Nina Kraviz wird, denn ihr Einfluss wird noch lange in DJ-Sets zu hören sein und ihre Attitüde viele Künstlerinnen in der Szene bestärken. Zu Recht.

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