Meinung: Festivals – Zwischen grenzenloser Freiheit und kommerziellem Ausverkauf
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Meinung: Festivals – Zwischen grenzenloser Freiheit und kommerziellem Ausverkauf

Features. 7. Oktober 2018 | / 5,0

Geschrieben von:
Ina Friebe

Dixi-Klo und Dosenfutter? Das war einmal. Der omnipräsente Kommerz, den wir aus dem Alltag kennen, hat längst in der Welt der Festivals Einzug gehalten: SponsorInnen erobern die Bars und mogeln sich aufs Festivalbändchen, Supermärkte stürmen das Festivalgelände und Luxusangebote machen aus all denjenigen BesucherInnen VIPs, die das nötige Kleingeld dafür aufbringen können. Wo genau lassen sich kommerzielle Tendenzen auf Festivals ausmachen? Wie rechtfertigt sich diese Kommerzialisierung? Ist der Kommerz für große Festivals etwa alternativlos?

 

Die Festivalbranche boomt. Neue Open Airs und Festivals schießen in allen Bundesländern aus dem Boden. Trotz der großen Auswahl und steigender Ticketpreise sind die meisten Festivals ausverkauft – teilweise schon nach wenigen Tagen. Was die BesucherInnen anzieht, ist schwer zu beschreiben. Es ist ein wilder Mix aus Unbeschwertheit, Lebensfreude, Tanzerlebnis und Gemeinschaftserfahrung mit einer unanständigen Prise Verrücktheit. „Die Stimmung“, wie PartygängerInnen es stets so wundervoll zusammenfassen, wenn man ihnen ein Mikrofon unter die Nase hält. Die Mottos und Selbstbeschreibungen vieler Festivals reflektieren das: „Wahnsinn, Liebe und pure Glückseligkeit“ (Parookaville), „grenzenloses Wir-Gefühl“ (Nature One), „inneres Blümchenpflücken“ (SonneMondSterne). Das ist eine ganze Menge Glück auf einem Haufen. Und aus diesem lässt sich erfolgreich Kapital schlagen: Der Festivalboom ist nämlich auch ein Wirtschaftsboom, die Veranstaltungsbranche ist Umsatzträger Nummer 1 auf dem deutschen Entertainment-Markt. Schon 2013 sorgten Musikfestivals allein für eine Gewinnsumme von rund 336 Millionen Euro, seither: Wachstum!

Als FestivalbesucherIn bekommt man von diesen gigantischen Summen nur durch die Preisentwicklung etwas mit. Ein paar Beispiele: Musste man für die Nature One im Jahr 2008 nur 56 Euro bezahlen, stieg der Ticketpreis bis zu diesem Jahr auf 95 Euro an. Im gleichen Zeitraum widerfuhr dem SonneMondSterne-Ticket eine Preiserhöhung von 79 auf 145 Euro. Das Ticket fürs Nachtdigital, das 2012 noch circa 82 Euro kostete, bezahlte man in diesem Jahr mit 141 Euro. Das sind Preissteigerungen, die von einem Jahr zum anderen schon einmal den zweistelligen Prozentbereich knacken. Für die BesucherInnen kommen neben den Ausgaben für das Ticket noch die Kosten für die An- und Abreise und die Verpflegung hinzu. Damit das Partyvolk auf dem Festivalgelände konsumiert, gibt es auf vielen großen Festivals eine abgesperrte Veranstaltungszone, auf die weder Essen noch Trinken mitgenommen werden darf.

Zusätzlich zu den Preissteigerungen erhöhen sich auf vielen Festivals die Ticketkontingente, was wie eine einfache unternehmerische Rechnung zur Gewinnmaximierung erscheint. Gerade die jüngsten elektronischen Festivals fallen durch eine rasante Entwicklung der Besucherzahlen auf, die nicht mit natürlichem Wachstum zu erklären sind. Als das Echelon im Jahr 2009 als Open Air Premiere feierte, war es für 3500 Personen ausgelegt. Bereits im darauffolgenden Jahr kam die doppelte Anzahl an BesucherInnen. Im Jahr 2011 kamen 10.000, im Jahr 2012 17.000, seit 2015 25.000 Leute.

Wie ist das möglich?  Auf dem Echelon gibt es das Konzept der WerbebotschafterInnen: Wer fünf Tickets an seine FreundInnen verkauft, erhält seine Eintrittskarte kostenlos. Bei mehr verkauften Tickets winken Merchandise, Backstage-Pässe und ein persönliches Treffen mit KünstlerInnen. Ein intelligenter Streich, um das Publikum als PromoterIn arbeiten zu lassen und in möglichst kurzer Zeit noch mehr BesucherInnen zu ködern. Das geht zu Lasten aller, wenn sich vor den Bars und Toiletten lange Schlangen bilden und man vor der Bühne seine Ellbogen ausfahren muss, um nicht weggeschubst zu werden.

Glamping statt Camping für VIP-BesucherInnen

Glück und Zufriedenheit für alle, also auch ein Ticketpreis für alle? Weit gefehlt. Anfang des Jahres erregte eine Meldung der MacherInnen des Secret Solstice auf Island für Aufregung. Es ging um ein VIP-Ticket für sage und schreibe eine Millionen US-Dollar – inklusive Privatkonzert, Anreise im Privatjet und Party in einer Gletscherhöhle. Auch hierzulande ist die Idee der VIP-Tickets kein Märchen mehr. Für das Melt! ist ein VIP-Ticket mit 250 Euro fast doppelt so teuer wie ein normales Ticket. KäuferInnen freuen sich über einen VIP-Shuttle zwischen Party und Zeltplatz, separate Sanitäranlagen und einen VIP-Bereich mit bester Sicht auf die Mainstage. In der „Comfort Village“ auf dem Deichbrand kommt man bequem in der Holzhütte, im „Adventure Tipi“ oder im Luxus-Iglu-Zelt mit Spiegel unter. Bettwäsche ist inklusive, das Ticket fürs Festival nicht. Kostenpunkt: Ab 450 Euro. Für das Nature One gibt es Hotelpakete in Zusammenarbeit mit nahegelegenen Unterkünften. Das Berliner Secrets Festival treibt es auf die Spitze: Frei nach dem Motto „Glamping statt Camping“ übernachtet man für schlappe 1000 Euro in der gläsernen „OpenSky Bubble“.

Schlummern auf Federkernmatratzen und morgendliches Detox-Frühstück, während der Rest der Feiergemeinde morgens durch den Matsch zum Toilettenhäuschen watet? Mit solchen Angeboten, die Kommerz mit Komfort rechtfertigen, werden nicht nur ältere BesucherInnen geködert. Sollte sich der Erfolg des VIP-Status ausbreiten, entstünde auf dem Festival ganz zögerlich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Und die dürfte auf lange Sicht das spontane, soziale Zusammengehörigkeitsgefühl angreifen, das so prägend für die perfekte Festivalstimmung ist. Denn wenn man das Festival als Luxuserlebnis verkauft, bei dem die BesucherInnen in einem ewigen schlechten Aftermovie leben und den nervenzehrenden Teil der Veranstaltung nicht mitmachen müssen, läuft man Gefahr, das Stammpublikum zu verschrecken.

Sponsoring auf dem Gelände – Wer profitiert von wem?

Viele Unternehmen finden auf dem Festivalgelände genau ihre Zielgruppe wieder: Junge, hippe Menschen, die bereit sind, ihr Geld in Markenprodukte zu investieren. Sponsoring auf dem Festival ist daher nichts Neues: Schon lange haben Marken versucht, vom Erfolg der Musikveranstaltungen zu profitieren. Traf man früher vereinzelt ZigarettenverkäuferInnen, zeigt sich die exzessive Konsumentenwerbung des öffentlichen Raumes mittlerweile in ihrer ganzen Vielfalt im abgeschotteten Kurzzeit-Universum der Festivals. Viele verlässliche Zahlen gibt es nicht. Man geht davon aus, dass im Jahr 2012 ganze 21 Millionen Euro von Unternehmen in Konzert- und Festivalsponsoring gesteckt wurden. Die Intention der MarkenmanagerInnen ist dabei eine zweifache: Einerseits versuchen sie, sich ein angesagtes Image bei potenziellen KäuferInnen zuzulegen, indem sie ihre Coolness durch pure Anwesenheit auf dem Festival unter Beweis stellen und von der Wirkkraft der Festivalmarke selbst profitieren. Andererseits ist schon die Veranstaltung an sich eine riesige Absatzquelle für konkrete Produkte wie Bier oder Kleidung.

Ein neues Phänomen im Bereich des Sponsorings ist die Präsenz von temporären Supermärkten auf dem Festivalgelände. Penny auf dem Parookaville, Aldi auf dem Deichbrand, Real auf dem SonneMondSterne: Festival-Supermärkte sind eine Win-Win-Situation für BesucherInnen und BetreiberInnen und damit Teil der wenigen kommerziellen Strukturen, von denen die FestivalgängerInnen einen direkten Nutzen haben. Für sie sind die Supermärkte eine willkommene Alternative zu den häufig astronomischen Preisen auf dem Veranstaltungsgelände. Die Geschäftsleitung der Discounter freut sich über die Umsätze, die von geschickt platzierten Produkten wie der eigens für das Parookaville entworfenen Bierdose von Warsteiner angekurbelt werden. Dass Supermarktketten aber anfangen DJ-Wettbewerbe auszurufen, mutet eher befremdlich an.

Wer steckt hinter dem Ausverkauf?

Es geht also um eine Menge Geld. Doch in welche Taschen fließt das? Eine/n FestivalorganisatorIn stellt man sich unwillkürlich als einen musikbegeisterten Workaholic vor, der aufgeregt mit Walkie-Talkie und Schlüsselbund zwischen Stage, Bar und Backstage hin- und herrennt und zwischendurch in der DJ Booth mitfeiert. Dass hinter dieser romantisierten Idee auch ein Wolf im Schafspelz stecken kann, beweist die Existenz der I-Motion-Agentur. Ihr Geschäft: Events und Entertainment im Bereich elektronischer Musik. Von klassischer Werbung über Event-Marketing, Promotion und Social Media zu Merchandising und Booking bietet die Agentur ein Rundum-Sorglos-Paket für Veranstalter an. Die I-Motion veranstaltet neun eigene Festivals in Deutschland, darunter viele für fünfstellige Besuchermassen, etwa das Nature One, die Mayday und Ruhr-in-Love. Bei der Konzeption dieser Mega-Events ist man längst dazu übergegangen, mit den BesucherInnen nicht mehr als eigenständiges Publikum, sondern als vorhersehbare, „definierte Zielgruppe“ mit „Gewohnheiten, Wünschen und Bedürfnissen“ umzugehen.

Was auf den ersten Blick auf der Website der I-Motion-Agentur nicht klar wird: Die Firma ist Teil der US-amerikanischen LiveStyle Inc. Company, die aus der ehemaligen Firma SFX Entertainment hervorgegangen ist. Eigentümer war ein gewisser Robert F.X. Sillerman, der es noch 2005 auf die Forbes 400 Liste der reichsten US-Bürger schaffte. Er hatte EDM als neuen Trend ausgemacht, gab aber noch 2012 in einem Billboard-Interview zu, von dieser Musik keine Ahnung zu haben. Sillerman kaufte mit SFX Entertainment nicht nur viele Firmen und Festivals aus dem EDM-Genre, sondern auch die internationale Musikplattform Beatport. Anfang 2016 ging die Firma insolvent. Mit einem Namenswechsel und einigen Umstrukturierungen kratzte SFX Entertainment gerade noch die Kurve und mischt seitdem weiterhin als Global Player auf dem Festivalmarkt mit. Unter den neuen Managern finden sich hohe Geschäftstiere, die vorher bei milliardenschweren Unternehmen wie Universal Music oder der Anschutz Entertainment Group beschäftigt waren. Warum ist es wichtig, so etwas zu wissen?

Die Website von LifeStyle verkündet großspurig: „For the love of music“. Es bedarf nur wenig kritischen Geistes, um hier eine andere Vermutung zu hegen. Statt detailverliebt, wirken viele Events mittlerweile standardisiert: Fettes Soundsystem, krasse Lasershow, protzige Line-Ups. Sich mit großen Namen zu profilieren scheint ein Lieblingssport der OrganisatorInnen geworden zu sein. Wird das Booking mehrerer Festivals von einer Agentur übernommen, ist die Gefahr groß, dass KünstlerInnen direkt für alle Veranstaltung gebucht werden. Das hat eine Gleichschaltung der Line-Ups und eine Benachteiligung von weniger bekannten KünstlerInnen zur Folge. Natürlich werden längst nicht alle Festivals von großen Agenturen organisiert. Doch Unternehmen wie I-Motion vermitteln, dass Festivals eine gute Geschäftsidee, ja eine Marktnische sind, die sich kommerziell ausreizen und standardisieren lässt.

Die Veranstaltersicht: Rücklagen für Risikokalkulation

Natürlich brauchen FestivalveranstalterInnen ein angemessenes Budget, um Equipment zu leihen, HelferInnen zu entlohnen, Müll zu entsorgen und Sanitäranlagen anzuschaffen. Die Liste der Ausgaben ist lang. Die DJs müssen bezahlt werden, vor allem die HeadlinerInnen sind für das Veranstalterteam kostenintensiv, ziehen aber auch Leute an. Um bekannte DJs entwickelt sich mehr und mehr ein Starkult, der die Gagen in die Höhe treibt. Gerade DJs aus dem EDM- und Electro-House-Bereich wie Steve Aoki (der übrigens zum Börsenstart von SFX Entertainment spielte) streichen in einem Jahr Millionen-Gagen ein. Die Gagen für einen Auftritt reichen bis in den sechsstelligen Bereich. Die sechs Privatjets und 24 Limousinen, die das Sea You Festival dieses Jahr charterte, geben nur einen kleinen Einblick in die Palette der Sonderwünsche, die man den Star-DJs sonst noch erfüllen muss. Welches kleinere Festival kann sich das leisten?

Finanzielle Rücklagen sind besonders im Hinblick auf die Risiken einer Großveranstaltung mit festgelegtem Datum nötig. Jüngstes Beispiel dafür ist das Her Damit, das wegen Waldbrandgefahr zunächst abgesagt werden musste. Nicht nur gegen wetterbedingte Katastrophen, sondern auch gegen sanitäre Notfälle muss man abgesichert sein. In dieser Hinsicht ist es nur verständlich, dass SponsorInnen willkommene GeldgeberInnen sind. Doch dann sollten sich die OrganisatorInnen auch die Frage stellen: Welche Firmen sind als Sponsor (ideologisch) vertretbar? Passen diese Firmen zur Tradition und zum Anspruch des Festivals? Wer ein Festival plant, um sich am Freudentaumel der Anderen die Taschen zu füllen, sollte zudem bedenken, dass sich die kapitalistische Logik „größer = besser“ schlicht und einfach nicht auf die Organisation von Festivals anwenden lässt. Die natürlichen Grenzen der Besucherzahlen werden durch die Location und die Sicherheitsmaßnahmen vorgegeben. Heißt das, dass allen Festivals über kurz oder lang die Kommerzialisierung droht?

Natürlich nicht. Viele der kleineren Festivals sind nicht für die Massen gedacht und legen daher auch keinen Wert auf Profitmaximierung. Anti-kommerzielle Gegenbeispiele gibt es auch auf Großveranstaltungen. Das können Spendenaufrufe sein wie die Sammelaktion der SOS Kinderdörfer, die auf einigen Festivals durchgeführt werden. Oder konsumkritische Workshops, die Feierwütige mit einem alternativen Informationsangebot zum Nachdenken anregen. Oder zusätzliche, gepflegte Sanitäranlagen auf Spendenbasis, die einen Kompromiss zwischen Abriss und Komfort herstellen. Oder einfach ganz normale Veranstaltungen, die ein paar Euro mehr für die Bühnengestaltung und die Organisation und ein paar Euro weniger für große Namen auf dem Line-Up ausgeben. Veranstaltungen, auf denen man nicht das Gefühl hat, dass man als Zielgruppe ausgenutzt wird und die Preise ohne Kommentar angezogen werden, ohne dass sich irgendetwas verändert.

Letztendlich sind es die FestivalbesucherInnen, die KonsumentInnen der Musikbranche, die die schleichende Kommerzialisierung der Events mittragen – obwohl es verständlich wäre, wenn deren festliches Freiheitsgefühl in einem Menschenmeer von mehreren zehntausend Leuten verloren ginge. Kommerzielle Strukturen lassen den individuellen Charakter einer Veranstaltung verschwinden, sodass diese austauschbar wirkt. Dem durchschlagenden Erfolg der Festivals scheint dies jedoch keinen Abbruch zu tun.

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