Bruchstelle: Lo-Fi – Memes wurden zu Musik wurden zu Memes
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Bruchstelle: Lo-Fi – Memes wurden zu Musik wurden zu Memes

Features. 21. Oktober 2018 | / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

Sie gaben sich absurde Namen und eroberten das Internet mit ihrem eigenwilligen, krachenden Sounds. Um 2016 herum befand sich der Lo-Fi House auf seinem Peak. Zu dieser Zeit wussten viele nicht, was genau sie damit anfangen sollten und vor allem, ob diese Art der Musik überhaupt in irgendeiner Weise Qualität besitzt. Die allgemeine Verwirrung um Lo-Fi House tat ihrer Beliebtheit allerdings keinen Abbruch, eher im Gegenteil. Rund um Szene-Stars wie Ross From Friends oder DJ Boring generierten die Tracks Millionen an Klicks auf YouTube und immer mehr neue KünstlerInnen erblickten im Zuge dieser Bewegung das Licht der Welt. Mittlerweile ist die ganz große Flut an Lo-Fi Tracks wieder abgeebbt und es scheint, als würde das Genre nach und nach zerfallen. Nur kurz brannte der Hype, dafür aber intensiv. Ehrlicherweise ist das jetzige Ende auch nicht weiter tragisch, denn schnell war klar, viel Neues wird dieses Genre mit der Zeit nicht zu erzählen haben. Und doch war die Lo-Fi-Bewegung ein wichtiger Fingerzeig für die House- und Techno-Szene, war sie doch in ihrer Ästhetik, Produktionsweise und Art der Verbreitung ein herrlicher Gegenentwurf zum teils elitären und durchgeplanten Profigeschäft.

Anti-Ästhetik und emotionale Überfrachtung

Eines der Paradebeispiele für Lo-Fi House stellt der Track ‘U’ von DJ Seinfeld dar. In diesen sechs Minuten kulminiert nahezu alles, was das Genre ausmacht. Es ist die volle Ladung Kitsch, krachend übersteuerter Sound und alles wirkt ein wenig billig. Das kaputte Piano, die MIDI-Synth-Chöre und das „herzzerreißende“ Interview-Sample von Bob Geldof. U ist ein völlig überladener und überemotionalisierter Track, dessen vermeintlich oberflächliche Naivität kaum zu toppen ist. Doch so, und hier sind wir bei der Lo-Fi-Formel angelangt, funktioniert das Ganze. Der billige, zerbrochene Sound legitimiert eben diese emotionale Überfrachtung und stellt einen Kontrapunkt zum Perfekten und dem Kitsch der Arrangements.

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Das ist nun wahrlich kein neues künstlerisches Stilmittel, erinnert man sich beispielsweise an das filmische Werk David Lynchs, der regelmäßig Kitsch und Perfektion durch verstörende Elemente demontiert hat. Beim Lo-Fi House ist das verstörende Element demnach eben jener krachende und polternde Sound, der vor allem in einer Zeit, in der perfekt produzierter Deep- und Techhouse die Clubs dominierte, für Irritation sorgte. Zusätzlich dazu legitimiert sich die völlige Übertreibung aber auch aus sich selbst heraus, zeigt sie doch ein nicht zu übersehendes ironisches Augenzwinkern. Lo-Fi House war also eine Anti-Ästhetik zum vorherrschenden Clubsound, der emotionale Kitsch und der billige Klang gehen völlig konträr zu den düsteren und perfekt produzierten Tracks der restlichen House- und Techno-Szene. So viel zur „Lo-Fi-Formel“, nun wird aber nicht aus jeder Anti-Ästhetik ein eigener Trend. Es scheint also noch etwas anderes zu geben, das den Lo-Fi House so beliebt machte. Und hier rückt ein weiterer Punkt des Genres in den Mittelpunkt: der Community-Effekt.

Das konservierte Kinderzimmergefühl

YouTube sei Dank können wir mittlerweile in einschlägigen Videos, unter anderem von Electronic Beats oder FACT Magazin, die Studios und Produktionsweisen vieler verschiedener KünstlerInnen der House- und Techno-Szene begutachten. Ob nun Touren durch Studios oder das mehr oder weniger beliebte Against the Clock – nirgendwo sonst wird so hart geurteilt und mittlerweile wurde auch die Kommentarfunktion gesperrt. Durch diese Videos bekommen wir einen kleinen Einblick wie eben jener Sound produziert wird zu dem wir tagelang feiern und von dem wir uns so gerne brachial laut beschallen lassen. Was uns hier oftmals präsentiert wird, kann man allerdings am ehesten als HD-Gear-Porn bezeichnen: Modularschränke, riesige Synthie-Racks und Mischpulte, die wie das Cockpit eines Raumschiffs aussehen. Natürlich ist das Ganze kein repräsentativer Querschnitt für die gesamte House- und Techno-Szene und die verschiedenen Arbeitsweisen der KünstlerInnen, in gewisser Hinsicht stehen diese Videos aber sinnbildlich für einen Sound, der sich im Perfektionismus ergießt. Es sind die passenden Bilder für die Stars auf den großen Bühnen, für Bigroom-Produktionen à la Drumcode und Hochglanz-Innervision-Tracks. Im Kontrast dazu steht das jüngst veröffentlichte Against the Clock mit DJ Boring. Schreibtisch, Laptop, eine Ableton Push 2 und eine TR-8; Hardware im Wert von höchstens 2000 EUR. Es sind kleine Bilder, mit denen DJ Boring hier den Lo-Fi House präsentiert und es sind Bilder, die deutlich näher an der Realität vieler Nachwuchs- und Hobby-MusikerInnen sind.

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Sowohl der Sound als auch das Image des Lo-Fi House konservierte das Gefühl heimischer Kinderzimmerproduktionen und öffnete sich damit einer großen Masse, die an dem Amateurcharakter des Genres teilhaben konnten. Keine gepflegten Social-Media-Kanäle, kein Gemauschel um DJ Slots und keine Tracks, die erst nach sechs Monaten Vorlauf und unzähligen ID-Fragen veröffentlicht werden. Stattdessen: Track fertig machen, Cover aus dem Internet ziehen und irgendein YouTube-Kanal lädt es dann hoch. Eine große Mitmach-Fete, bei der alle eingeladen sind.

Aus den Tiefen des Internets und wieder zurück

Nun kommt es aber wie es kommen muss im Internet. Die Halbwertszeit eines jeden Trends gleicht dem einer Stubenfliege und wie nahezu alles, was den Untiefen des World Wide Webs entspringt, verabschiedet sich auch der Lo-Fi House wieder dorthin zurück. Schnell erreicht man die Spirale der Reproduktion und damit auch das Ende eines Hypes. Memes wurden zu Musik wurden zu Memes und schlussendlich  (wie jedes Meme) ein alter Hut. Was aber bleibt, war zumindest eine kurze Zeit teils infantilen, teils klugen Spaßes und eine Erinnerung daran, dass es in der House- und Techno-Szene eben nicht immer professionell zugehen muss. Sound ist nicht alles, Erfolg sowieso nicht planbar, und manchmal reicht auch eben ein Witz, über den die Szene gemeinsam lachen kann, um etwas Neues zu schaffen.

Darüber hinaus brachte uns der Lo-Fi House durchaus veritable KünstlerInnen, die auch in den kommenden Jahren noch gehört werden. Ross From Friends veröffentlichte erst kürzlich sein Debütalbum auf Brainfeeder, dem Label von Flying Lotus. DJ Seinfeld durfte die letzte DJ Kicks zusammenstellen und Musiker wie Mall Grab, Raär, nthng oder Baltra finden mittlerweile auch außerhalb des Lo-Fi-Kosmos ihren Weg in die Szene. Was wieder rum auch daran liegt, dass sie sich vom Amateur Charakter der Lo-Fi Szene sowohl im Sound als auch im Marketingbereich abwandten und nicht - wie die unzähligen DJ Randoms - mittlerweile als professionelle Musiker gesehen werden.

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