Porträt: Iron Curtis – Als würde man eine verschollene Perle des US-House entdecken
© Kai von Kotze

Porträt: Iron Curtis – Als würde man eine verschollene Perle des US-House entdecken

Features. 28. Oktober 2018 | / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

2008 erschien Johannes Paluka zum ersten Mal auf der Bildfläche: Unter dem AKA Iron Curtis veröffentlichte er auf auf dem Hamburger Label Mirau seine erste EP. Damals war noch nicht klar, dass dieser Iron Curtis sich in den folgenden zehn Jahren zu einer festen Größe der Szene entwickeln wird. Auffällig war aber bereits die große Vielfalt, die auf der 'Solgerhood' EP zu hören war. Der Opener 'Pumping Velvet' und der darauf folgende Track 'The Ship Sank' konservieren den Deep House vergangener Tage. 'Hands in The Air' verstört mit schleppenden Rhythmen und ungewöhnlichen Drum Samples während der Titeltrack 'Solgerhood' sich in einem melancholischen Synthie-Gewebe verliert. Ein Einstand nach Maß für Iron Curtis, der diese Vielseitigkeit in den folgenden zehn Jahren mit weit über 30 Veröffentlichungen nicht nur bestätigte, sondern gleich noch ausbaute. Eine Definition seiner Musik? Iron Curtis klingt immer so, als würde man eine verschollene Perle des US-House entdecken, bei der man sich wundert, wie frisch sie noch klingt.

Ich war und bin es glaube ich immer noch – auf der Suche nach einer gewissen Melancholie und Rohheit im Sound.

Mit Blick auf seine Vorbilder wird auch schnell deutlich, warum das so ist. “Die Quadratur Kenny Dixon/TheoParrish, Larry Heard, Blaze und Kerri Chandler ist unglaublich prägend für mich gewesen. Für mich war das Spannungsfeld zwischen Westcoast, Detroit, Chicago und NYC/New Jersey enorm inspirierend. Gepaart mit anderen Labels wie Playhouse, Needs, Ladomat, Compost/SonarKollektiv und Versatile hat sich dann bei mir Anfang der 2000er eine gewisse Richtung herauskristallisiert, die sich, glaube ich, auch in meinen ersten Veröffentlichungen nachvollziehen lässt. Gleichzeitig waren auch Techno, Broken Beats oder experimenteller HipHop enorm wichtig für mich.“ Ein riesiger Pool an Sounds, Stilen und Emotionen, auf die Paluka also zurückgreifen kann und dies auch mit großer Spielfreude tut. Erst kürzlich zeigte sich eben jene Freude am Genre-Hopping auf seinem zweiten Album 'Upstream Color', seinem bisher reifsten Werk.

© Kai von Kotze

House LPs und die Energie des „Einfach-Weitermachens“

Es ist ja immer so eine Sache mit den House- oder Techno-LPs. Es stellen sich unweigerlich die Fragen, braucht es das überhaupt und wie umgeht man den Status der Funktionsmusik, um Techno oder House in einem schlüssigen Albumformat unterzubringen? Auch Paluka stellt sich diese Frage, Antworten hat er darauf aber bereits. Etwa wenn er von Isoleés zweitem Album 'We Are Monster' spricht: „Da sind keine Ambient-Takes drauf, das bollert konstant durch, ist trotzdem feingliedrig und stringent aber nie langweilig. Auf Albumlänge wirkt Musik schon ein bisschen stärker als nur auf EP. Ich finde nur, dass ein Album erst gemacht werden sollte, wenn es sich auch wirklich danach anfühlt. Dass es als „Promotion Tool“ für Musiker attraktiv ist, ist klar. Das lässt sich einfach besser verwerten als die fünfzigste EP. Durch diese Herangehensweise kommt dann aber halt auch der echte Mist zustande, der die Plattenläden verstopft.“

Ein Album soll also nur gemacht werden wenn es sich auch danach anfühlt. Das war auch die Prämisse, unter der 'Upstream Color' entstanden ist. „Eine grundsätzliche Idee gab es nicht, eher ein Gefühl, das ich gesucht habe. Bei 'Soft Wide Waist Band' (Iron Curtis' Debütalbum) war es eine Sammlung an Stücken, die ich über einen Zeitraum von ein paar Jahren zusammengetragen und dann für das Album bearbeitet hatte. Bei 'Upstream Color' ist alles innerhalb von ein paar Monaten entstanden und es gab keine Skizzen oder Ideen aus vor dieser Zeit, die hätten angepasst werden müssen, um zu den neueren Stücken zu passen.“

Das Gefühl von Upstream Color lässt sich am ehesten mit einer grenzenlosen Ruhe beschreiben. Das Understatement, das Spielen mit kleinsten Sounds und Fragmenten und die träumerische Melancholie waren stets die Stärken von Paluka, auf seiner zweiten Langspielplatte aber führt er diese Stärken auf ein neues Level. Es scheint fast so, als hätte sich die Figur Iron Curtis endlich gefunden, als hätte er sich von seinen Vorbildern getrennt oder sie zumindest tief in sich verinnerlicht zu haben, um sich seinen eigenen Stil zu erschaffen. Wahrscheinlich auch, ob er es hören mag oder nicht, um selbst einmal Vorbild zu werden.

© Kai von Kotze

Mit seinem neuesten Album fügt Paluka nun also ein weiteres Werk seiner Diskographie hinzu, die trotz immensen Outputs immer irgendwie locker und selbstverständlich klingt. Als würden ihm sämtliche Ideen einfach so aus dem Nichts zufliegen. Ganz so einfach ist das Thema Energie dann allerdings nicht, doch für Paluka gibt es eine klare Strategie. „Was mir hilft ist Routine: Ich versuche, so oft wie möglich im Studio zu sein. Auch wenn die Zeit zunehmend knapper wird, hilft mir das, die üblichen Schreibblockaden zu umgehen. Einfach weitermachen und dann schauen was passiert. Das hat sich als probates Gegenmittel bewiesen.“

Umso erstaunlicher ist es allerdings, was aus den „üblichen Schreibblockaden“ dann letztendlich wird: „Bei 'Upstream Color' war es auch eine dieser Phasen, von der ich zunächst dachte, dass das eine Durststrecke wird, die ich aushalten muss und in der musikalisch sowieso nicht viel passieren wird. Aber dann habe ich gemerkt, dass sich da doch etwas zusammenfügt und stärker wird.“ Angesichts des Endprodukts ist man nun fast geneigt ihm so viele Durststrecken und Schreibblockaden wie möglich zu wünschen. Denn dann können wir uns auf weitere verschollene Perlen und Instant Classics freuen.

 

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