Kaum ein anderes Medium strahlt die Gesamtgeschichte der elektronischen Musik so sehr aus wie die Schallplatte. Dabei ist nicht nur für Club-DJs das tapfere Klammern an dem plattgedrückten Polyvinylchlorid mit ökonomischen und durchaus auch ökologischen Problemen verknüpft. Spätestens mit der Digitalisierung wurde die Schallplatte durch mangelnde Praktikabilität beinahe aus dem Alltag der MusikliebhaberInnen verbannt. Doch liegt für viele genau darin der Reiz, gewollte Unbequemlichkeit als Wertschätzung von Material und Inhalt. Viktor Talking Machine setzen hier an: Als Vinyl-only-DJs propagieren sie entschieden den Tod der Nullen und Einsen. Das Duo aus Halle an der Saale liebt die warme Authentizität der runden Scheiben, sie selbst konnten sich erstmals 2015 mit einer 12-Inch über Monaberry auf Vinyl verewigen, seitdem sind sie fester Bestandteil des Labels von Super Flu. Neben diverser Sets und Remixarbeiten spielen sich die beiden seitdem von Gig zu Gig durch Clubs wie dem Sisyphos und Kater Blau in Berlin, dem Odonien in Köln oder die Rote Sonne in München und Festivals wie das Amsterdam Dance Event, manchmal bis zu sechs Stunden am Stück. Eine schweißtreibende Angelegenheit, schließlich müssen dabei auch kiloweise Platten von einer Location zur anderen transportiert werden. Diese freiwillige Extraarbeit buchen VeranstalterInnen immer wieder gerne, auch weil konsequenter Idealismus immer seltener wird. Wie tief die Liebe für das schwarze Gold aber wirklich geht, haben Falko und Lars in unserem speziellen Vinyl-Only-Interview selbst verraten:
Warum ist Vinyl wichtig?
Falko: Vinyl ist die beste Art Musik zu würdigen.
Lars: Besser hätte ich es nicht ausdrücken können.
Warum ist Vinyl für euch persönlich wichtig?
Falko: Musik ist für mich Kunst und einer der wichtigsten Teile in meinem Leben. Daher ist die Schallplatte die materialisierte Wertschätzung gegenüber der Musik und macht sie zu etwas Greifbarem und Beständigem. Vinyl schafft durch ihre Haptik und Optik eine bessere Verbindung und für mich Orientierung im ganzen Musikdschungel. An der Herstellung einer Platte sind so viele Leute beteiligt die Handwerk betreiben und den Wert des darauf befindlichen Tracks widerspiegeln. Auch ist die Schallplatte mehr als je zuvor ein guter Filter, da niemand einfach so eine Platte presst, ohne sicher zu sein, dass es einen Markt dafür gibt und die Musik darauf ihre Daseinsberechtigung hat.
Lars: Musik ist die Sache in meinem Leben die mich am längsten begleitet. Vinyl spielte da schon sehr früh eine Rolle, damals vor allem die Plattensammlung meines Vaters. Zu den vielen Geschichten und Liedern für uns Kinder gab es auch oft ein paar musikalische Auszüge aus der Jugend meiner Eltern. Nachdem ich dann wusste, wie ich den Plattenspieler und den Verstärker zum Laufen brachte, habe ich auch schon den ersten Antriebsriemen zum Reißen gebracht. Kurz gesagt speichern sich in meinem Kopf aus jeder Phase meines Lebens einfach tolle Erinnerungen mit diesem Medium ab. Dazu waren andere Medien bisher nicht in der Lage.
Lasst uns zunächst über Problematiken sprechen. Vorwiegend spielt ihr in euren Sets Musik, die digital erzeugt wurde, um sie dann analog aufzulegen. “Digital is death” ist euer Claim. Steht das nicht in einem ideologischen Widerspruch?
Falko: Auf keinen Fall. Auch ist der Claim sehr reißerisch und provokativ gewählt und mit einem zwinkernden Auge zu sehen. Dennoch: Der Sound für den Großteil unserer Musik, die wir in Sets spielen, stammt aus echten Geräten und von KünstlerInnen, die diese auch beherrschen. Dass die einzelnen Spuren oder Samples in einer digitalen DAW zusammengefügt und finalisiert wurden, hat ja nur den Grund, dass es viel einfacher und bequemer für die meisten KünstlerInnen ist. Letztendlich bringt aber ein Saphir den Ton auf die Platte und schafft so Täler, die nicht durch 0 und 1 dargestellt werden können. “Digital is death” verstehe ich auch mehr als eine dystopische Zukunftsvision, da alle digitale Musik irgendwann verschwinden wird, sei es, weil einem die Festplatte abschmiert oder Spotify pleitegeht.
Lars: Auch als Vinyl-Sets noch die Regel in den Clubs waren, stand in den meisten Studios ein Computer rum, um zu recorden oder um das finale Arrangement zu machen. Zumal vielen KünstlerInnen Vinyl auch als Sample-Quelle dient. Für mich ist ein eher organischer und mitunter auch rauerer Sound das Tolle daran. Dadurch, dass nicht jeder Track auf das gleiche Level gepitcht und komprimiert ist, heben sie sich automatisch viel mehr voneinander ab und erzeugen dadurch Wärme und eine gewisse Abwechslung.
Ist die grenzenlose Freiheit, die Digitalisierung birgt, nicht erst mal etwas Schönes? Als Vinyl-only-DJ ist man im Clubkontext ja starken Limitierungen ausgesetzt.
Falko: Ich habe schon lange festgestellt, dass Limitierung in der Musik etwas Wunderbares ist. Alle Möglichkeiten zu haben ist für mich eher hinderlich, da ich mich in unendlich vielen Details verliere. Ein Synthesizer, ein Sampler, eine Drummachine und ein Effektgerät und fertig ist das ideale Setup. Die pseudo-grenzenlose Freiheit der Digitalisierung ist für mich nichts Schönes. Ich behaupte sogar, dass es einfach nur mehr schlechte Musik gibt und die Menge an relevanter Musik konstant geblieben ist.
Lars: Statt sich mit einigen wenigen Geräten sehr gut auszukennen und das maximale herauszuholen, wird man heute ständig mit neuen Controllern, Plug-ins, Hardware, Software und deren ungeahnten Möglichkeiten überhäuft. Das macht die Musik aber nicht unbedingt mitreißender oder innovativer. Letztlich bedient man sich heute trotzdem sehr oft der immer gleichen und altbewährten Mittel. Der immense Techniküberschuss hat vergleichsweise wenig Neues in der elektronischen Musik hervorgebracht. Kurz gesagt: Weniger ist manchmal mehr.
Dem sogenannten Vinyl-Revival jubelt man ja bereits seit über zehn Jahren zu. Mittlerweile verkommt die Schallplatte jedoch mehr und mehr zu einem Spekulationsobjekt. Reselling ist ein störendes Problem, künstliche Knappheit ein modernes Marketing-Tool. Musik als Anlageobjekt – seht ihr da keine Gefahren für kulturelle Fehlentwicklung?
Falko: Bei dem Wort Vinyl-Revival stellen sich mir immer die Nackenhaare auf. Die Platte war nie weg und dank kleiner Labels und KünstlerInnen wie uns, war die Platte immer am Leben. Es gab nur nicht die großen Umsätze und Gewinne. Auch mussten die Presswerke sehr vernünftig wirtschaften und hatten Probleme, Ersatzteile und Fachkräfte zu finden. Durch die Entscheidung der Konsumenten wieder mehr Vinyl zu kaufen und so den verlorenen Bezug zur Musik wieder herzustellen, entstehen natürlich nicht nur Probleme. Es werden neue Maschinen produziert, man denkt über neue Materialien nach, ein Presswerk rentiert sich wieder und man kann investieren. Gibt es mehr Hörer, wird die ganze Infrastruktur rund um die Platte preiswerter und es entsteht ein neuer Konkurrenzdruck durch Anbieter, die in den verschlafenen Markt drängen. Das größte Problem ist allerdings, dass durch die sinnlose Pressung einer Helene-Fischer-Platte die Presswerke verstopft sind und wertvolle Ressourcen verschwendet werden. Aber für mich war die Platte noch nie ein Anlageobjekt, auch kaufe ich solche Platten einfach nicht oder fertige mir Dubplates an. Ich bin auch der Meinung, dass solche spekulativen Platten keine Rolle für die kulturelle Entwicklung spielen, sondern einfach nur ein unbedeutender Teil der Marktwirtschaft sind.
Lars: Es ist schön zu sehen, dass in dieses Musikmedium nun wieder neu investiert wird. Allerdings hat die House- und Technoszene in den Anfangsjahren dieses sogenannten Revivals eher weniger profitiert. Es waren ja diese Subkulturen, die all das in den Jahren davor am Leben erhalten haben. Nur waren sie dann die ersten, die sich im Presswerk plötzlich hinten anstellen mussten, weil die Auflagen im Vergleich zu den Bestellungen der Majorlabels eher gering waren. Als Anlageobjekt könnte ich Vinyl auf jeden Fall nicht betrachten. Ich wäre dann so vorsichtig damit, dass es mich bei einem Gig viel zu sehr einschränken würde. Auch wenn ich wohl der Ordentlichere von uns beiden bin, habe ich wohl den Wiederverkaufswert von einigen Platten im Club und vor allem auf Open Airs erheblich gemindert. Es geht eben dort selten so sauber zu wie zu Hause. Da bewegen wir uns höchstens noch bei »Good (G)« um es in der Sprache der Discogs-User auszudrücken.
Frauen scheinen digitale Musik zu bevorzugen. 45% aller Online-Streamer von kostenfreien Angeboten sind weiblich. Dagegen sind 83% aller Vinyl-Heads männlich (Jahresbericht Bundesverband Musikindustrie, 2017). Was sind mögliche Gründe dafür und was müssen Szenen, VeranstalterInnen und vor allem die Industrie jetzt tun, um dieses Ungleichgewicht auszubalancieren?
Falko: Die elektronische Musikszene wurde von Anfang an von Männern dominiert. Und da rede ich nicht nur von den DJs. Promoter, Booker, Clubbesitzer … über Jahre eine Machowelt, in der Frauen oft nur schmückendes Beiwerk waren. Das heißt, DJs waren hauptsächlich männlich, Plattenladenbesitzer waren männlich, selbst die Leute, die die Charts in Szenemagazinen gesetzt haben, waren Männer. Dadurch hat sich ein gewisses Ungleichgewicht entwickelt und Frauen hatten kaum die Chance, sich in die Szene zu integrieren. Wir müssen alle, die zum elektronischen Musikkosmos gehören, für die Problematik des Männerüberschusses sensibilisieren und notfalls mit Zwang einen Zustand schaffen, der für Frauen und Männer zufriedenstellend ist. Wir brauchen weibliche Booker und Promoter und wenn sich dann bei einem Lineup die Leute gestört fühlen, weil es keine Frauen gibt, dann ist der erste Schritt in die richtige Richtung getan.
Lars: Ich bin irgendwie damit aufgewachsen, dass Platten- bzw. Musiksammlungen eher den Vätern als den Müttern meiner Freunde gehörten. Dieses Ungleichgewicht fing also wahrscheinlich schon viel früher an. So ein typischer Unsinn von Rollenverteilung aus der Vergangenheit, der seine Spuren hinterlassen hat. Das könnte auch der Grund sein, weshalb der Anteil von Männern hinter den Plattentellern von Anfang an größer war. Wie die Zukunft aussehen sollte und wird, wissen wir ja bereits. Das Schöne ist, dass der Umbruch schon längst begonnen hat. Allerdings spielt sich das nun im überwiegend digitalen Zeitalter ab. Deswegen glaube ich, dass sich am Geschlechterverhältnis in den Verkaufszahlen wohl nicht mehr so viel ändern wird.
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Ich erinnere mich an eine Diskussion der Berliner Amplified Kitchen. Es ging um den ökologischen Fußabdruck der Schallplatte, wobei der Satz fiel, die Vinyl sei “eine riesige Umweltsauerei”. Könnt ihr euch Lösungsansätze vorstellen?
Falko: Der ganze Aufwand, um eine Platte zu pressen ist schon enorm, aber am Ende hat man kein Wegwerfprodukt, sondern ein Stück Kultur in den Händen. Ich würde mir aber wünschen, dass es in naher Zukunft ökologischere Wege gibt, um eine Platte zu pressen. Ich denke da an hochaufgelöste Laser, die die Rille direkt schneiden können, oder sogar 3D-Drucker. Dann fallen viele Produktionsprozesse weg und man hat eine saubere Platte. Man könnte aber einfach schon Kleinigkeiten umsetzen, die keinen komplett neuen Prozess erfordern. Man sollte aufhören, Platten in Klarsichtfolie zu schweißen. Man sollte die Cover aus recyceltem Material herstellen und nur wasserbasierte und umweltfreundliche Druckfarben verwenden. Die Presswerke könnten anfangen CO2-neutral zu arbeiten und ihren Strom und ihre verwendeten Ressourcen aus ökologisch vertretbaren Quellen beziehen. Die Plattenvertriebe sollten ihre Server bei fairen und lokalen Hostern mieten. Wenn so jeder einen kleinen Beitrag leistet, kann man in kurzer Zeit eine Menge schaffen.
Lars: Das Herstellungsverfahren ist ja immer noch das gleiche, das es schon immer war. Das sollte man heute schon etwas effizienter gestalten können. Falko hat da vollkommen Recht. Bis dahin gibt es genug Dinge, die man sofort tun könnte. Wenn wir aber mal zurückblicken, ist es das Medium, das es am längsten gibt. Also haben wir Plastik als Ressource in dem Fall doch ganz nachhaltig eingesetzt. Sollten mal Platten nicht mehr spielbar sein, sind die Möglichkeiten das Material zu nutzen immer noch enorm. Der Kultstatus sorgt also auf irgendeine Art immer für Antrieb. Dann gibt es Menschen wie Antal Heitlager vom Rush Hour in Amsterdam, der mal Folgendes gesagt hat: “Sollten die Leute wieder anfangen ihre Vinyls wegzuschmeißen, bin ich da, um es aufzusammeln.”
Lasst uns jetzt etwas philosophisch werden. Vinyl-Sammlungen werden nicht unlängst als Erinnerungsspeicher begriffen. Wie könnte sich jemand bei der Durchsicht eurer Sammlungen euch und eure Biografien vorstellen?
Falko: Das würde ein sehr spannendes und vermutlich verstörendes Bild von mir geben, da es in meinem Plattenregal auch solche Fächer gibt, die mit “lieber nicht” und “auf gar keinen Fall” beschriftet sind. Würde die Person chronologisch vorgehen, kämen die alten Amiga-Platten meiner Eltern zum Vorschein und würden verraten, dass ich in der ehemaligen DDR geboren und aufgewachsen bin. Dann kommen Ende der 90er die ersten Trance- und Raveplatten, was auf eine musikalische Sozialisierung durch VIVA, MTV und Loveparade schließen lässt. Minimal-, Frickel-, House- und Schranzplatten läuten die musikalische Abkehr vom Mainstream ein und eine Suche nach dem für mich passenden Sound. Irgendwann wird es dann konkret und pendelt sich zwischen House, Deep-House und Italo-Disco ein.
Lars: Fangen wir in meiner frühen Jugend an, bemerkt man schnell die “Sturm und Drang”-Phase. Da kommen meine ganzen alten Industrial Techno- und Schranzplatten. Da sind auch einige übel zugerichtete Exemplare dabei, die das Flair der Veranstaltung perfekt widerspiegeln. Das ganze beruhigt sich dann in den Releasejahren ab 2004, dann standen eher House- und Elektrostücke im Vordergrund. Der Geschmack wurde vielseitiger. Geschwindigkeit und Härte waren nicht mehr das Nummer-Eins-Merkmal. Das ganze entwickelte sich hin zu minimalistischem Techno. Verspieltheit war dann das Stilmittel. Da war es mir aber immer wichtig, Platten von Labels im Koffer zu haben, die nicht jeder kannte. Da gab es solche Minimal- und Househybridplatten auf Labels wie Hartchef, Floppy Funk oder Salon. Das war lange meine Nische. Mittlerweile ist House der unangefochtene Oberbegriff.
Welche Organisationsriten für eure Schätze haben sich etabliert?
Falko: Zu Hause sortiere ich meine Platten immer nach spielbar und hörbar. Die spielbaren werden dann in ganz subjektive Kategorien eingeteilt. Da steht an den Fächern dann “Tool”, “Peak Time”, “House” oder “Italo-Disco”. Dies dient dann dazu, neue Platten einzusortieren und den Plattenkoffer für den nächsten Gig zu packen. Ich packe meine Plattentasche vor jedem Gig neu und stelle alles für den Abend zusammen, sodass ich immer relativ genau wissen muss, was auf der Platte ist. So fordere ich mich aber auch und komme nicht in Versuchung immer die gleichen Scheiben zu spielen. Im Vergleich zu Lars bin ich beim Umgang mit den Platten aber sehr rabiat. Da fliegen die Platten auch schon mal so in die Tasche, weil mich die Papierhüllen mal wieder hart triggern. Aber vor dem nächsten Wochenende fällt mir das wieder auf die Füße, da ich ewig die passende Hülle suche. Also versuche ich mittlerweile alles in antistatische Hüllen zu packen und recycelte Papphüllen zu verwenden, falls es keine feste Hülle dazu gab. Ab und zu werden die Platten auch gewaschen, aber meist ist die Fluktuation so hoch, dass die Platten gar nicht so krass beansprucht werden. Sollte eine Platte mal so verbogen sein, dass sie unspielbar ist, kann man diese auch bei niedriger Temperatur in den Backofen packen. Aber macht das bitte nur ganz vorsichtig und unter Aufsicht. Schrott kommt bei mir in ein Fach und irgendwann werden da Obstschalen oder eine riesige Skulptur daraus gemacht.
Lars: Meine Platten lagern in praktischen Regalen eines berühmten schwedischen Einrichtungshauses. Meine Ordnung ist eine Mischung aus KünstlerInnen, Label und Stil gepaart mit meinen Mixgewohnheiten. Jede Platte sollte eine äußere Papphülle mit innerer Papierhülle sein Zuhause nennen dürfen. Neue Platten habe ich immer erstmal im Koffer zusammen mit ein paar Geheimwaffen, die meistens schon etwas älter sind. Gereinigt habe ich Platten bisher nur mit verschiedenen Bürsten und Tüchern, gewaschen habe ich noch nie. Glücklicherweise kann ich die nicht mehr spielbaren Platten an einer Hand abzählen. Die, die es nicht mehr unter eine Nadel geschafft haben, sind nun Uhren oder auch Schalen für den ganzen Kram, den man gerne dekorativ in Szene setzen möchte. Heute kommt es aber eigentlich nicht mehr zu derartigen Schäden. Die Veranstaltungen sind deutlich professioneller als früher, zur Not hat man noch eigenes Ersatz-Equipment dabei. Eigene Systeme und Slipmats schaffen da schon ausreichend Sicherheit. In den meisten Clubs ist es mittlerweile auch nicht gern gesehen, dass das halbe Getränkesortiment der Bar in der Booth steht.
Welche Nadeln und Tonabnehmer bevorzugt ihr im Club? Welche zu Hause?
Falko: Ich bin sehr großer Fan der Ortofon Nightclub S gewesen, aber da ich mir vor Kurzem neue Systeme kaufen musste, habe ich mich mit der neuen Ortofon Club beschäftigt und mich letztendlich dafür entschieden, da der Klang und die Laufruhe im Club überragend sind. Keine Nadeln kommen an den Druck der Ortofon Club ran und deshalb sind sie die Nummer-Eins-Nadeln für den Club. Zuhause beim Mixen sind es noch die alten Nightclub S, einfach damit die Sets wie im Club klingen.Auf der Couch hingegen gibt es dann Diamant Zafira Nadeln für den Hörgenuss und das warme Knistern.
Lars: Ich nutze immer noch die Ortofon Nightclub S. Das sind wirklich unglaublich solide Systeme mit einem tollen Klang. Es wird allerdings der Tag kommen, an dem ich mir auch was Neues zulegen werde. Vor einer Weile bin ich auf den japanischen Hersteller Taruya aufmerksam geworden. Vinyl-Verfechter wie DJ Harvey, Derrick May und Jazzy Jeff touren mit diesen Systemen um die Welt. Da die drei für mich nicht dafür bekannt sind, ihren Namen für alles Mögliche herzugeben und die Japaner in Sachen Vinyl keine Unbekannten sind, werde ich die Teile wohl früher oder später mal antesten.
Welche musikalischen Guilty Pleasures habt ihr?
Falko: Ich würde die Liebe zum Rave, Schranz und Thunderdome dazuzählen. Obwohl ich davon nichts mehr höre, haben diese Genres doch sehr viel zur musikalischen Entwicklung beigetragen und haben somit ihre volle Berechtigung in meiner Klangwelt. Auch sind die späten Siebziger und die Achtziger das absolut schönste Kapitel der Musikgeschichte, da hier so viele Instrumente entstanden sind, die eine unglaubliche Vielfalt an Klängen und Songs hervorgebracht haben, die man heute vergeblich sucht. Eine 80s-Party wäre definitiv ein Guilty Pleasure von mir.
Lars: Auch wenn meine Partyerfahrungen damit recht überschaubar sind, fasziniert mich die Goa-Szene, wobei Trance das letzte Mal aus Überzeugung in den Neunzigern gehört habe. Vielmehr ist es das Flair der Veranstaltungen. Es hat einfach noch so viel aus der Anfangszeit der Techno- und Ravekultur. Eben genau die Zeit, die ich gern aktiv miterlebt hätte. Ansonsten war Industrial Techno und Schranz ein sehr prägender Bestandteil. Wenn ich heute zufällig auf einen alten Party-Mitschnitt stoße, bekomme ich auf jeden Fall ein bisschen Gänsehaut.
Berlin scheint eine der letzten Bastionen für Plattenläden zu sein. Wo geht ihr außerhalb von Berlin gerne diggen?
Falko: Außerhalb von Berlin sind es die Läden in unserer Nähe. Da wäre das VARY in Leipzig, das durch Qualität und Detailliebe überzeugt. Und dann noch FAT Plastics in Jena, ein Laden, der seit Jahren Anlaufstelle für Schätze und tiefgreifende Gespräche ist.
Lars: Einer meiner Lieblingsplattenläden ist der Kompakt in Köln. Ein wirklich geräumiger Laden mit viel Tageslicht, Platz und vor allem Auswahl. Dort stößt man auf so manches Release, was in Onlineshops meistens nicht mehr zu haben ist. Außerhalb von Deutschland ist mir der Rush Hour in Amsterdam in sehr guter Erinnerung geblieben.
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Und welche Platte habt ihr euch zuletzt gekauft?
Falko: Gerade eben habe ich mir eine Platte aus Weißrussland über Discogs bestellt. Es lief vorhin ein Set von Krystal Klear und da spielt er einen besonderen Track, also musste ich mir die Platte umgehend nachkaufen. So geht mir das bei vielen Platten, die ich bestelle. Der Track catcht mich und dann ist die Suche danach nicht mehr zu stoppen – nicht mal ein Digital-only-Release kann sich dann zwischen mir und dem Track auf schwarzem Gold stellen.
Lars: Russische Discogs-Bekanntschaften sind uns beiden wohl nicht unbekannt. Vor etwa einem Monat habe ich “It Rough” von Headman aus Russland bestellt. Ein Stück mit Erinnerungswert. Ich habe das vor gut 16 Jahren in einer Radiosendung mitgeschnitten. Natürlich auf Kassette. Witzig war, dass ich die Bestellung irgendwann in der zweiten bis dritten Woche vergessen hatte. Als sie dann endlich geliefert wurde, habe ich mich quasi selbst damit überrascht.
Zu guter Letzt: Was beschäftigt euch gerade?
Falko: Neben der Musik beschäftigt mich meine zukünftige Tochter, die bedenkliche politische Entwicklung in Deutschland und Europa, die globale Umweltpolitik und das weitgehend korrupte Finanzsystem. Alles Dinge, die mir tagtäglich im Kopf rumschwirren und sich mal stärker oder schwächer in den Vordergrund drängen. Was ich musikalisch allen mit auf dem Weg gebe ist, dass sie immer härter arbeiten müssen als alle anderen. Nur so kommt man voran und erreicht irgendwann einen Punkt, an dem sich alles fügt und alles einen Sinn ergibt. Ich habe vor kurzem ein paar Interviews mit The Black Madonna und Detroit Swindle gelesen. Da ging es um die Zweifel, die einen als MusikerIn ständig versuchen mürbe zu machen, die man aber einfach ignorieren muss und seinen Weg gehen soll. Solche Geschichten sind es, die uns immer wieder zeigen, dass unser Weg der richtige sein wird. Nächstes Jahr kommen zum Beispiel weitere Releases. Wir werden eine eigene Partyreihe starten und einfach versuchen, immer weiter Musik zu machen, um Menschen zu bewegen. Wir wollen eine gemeinsame Sehnsucht leben und zusammen ein gemeinsames Ziel verfolgen: eine bessere Welt.
Lars: Auch meine Frau und ich haben im vergangenen Jahr Familienzuwachs bekommen. Folglich mussten wir in eine größere Wohnung umziehen. Bis man dann auch mental angekommen ist und den Kopf wieder frei für Kreativität hat, vergeht etwas Zeit. Im Vergleich zur letzten Wohnung sind meine Platten aber nun Bestandteil unseres Wohnzimmers. Jetzt gibt es zum Abendessen immer die eine oder andere Platte zu hören. Meine Sammlung öffnet sich so auch dem Rest der Familie. Ansonsten bin ich gerade auf der Suche nach dem goldenen Mittelweg, dem Spagat zwischen Familienleben und Musik. Beides benötigt viel Zeit und Energie. Es soll aber keines von beidem zu kurz kommen. Die Familie ist das Wichtigste überhaupt. Musik macht aber seit jeher einen Großteil meiner Persönlichkeit aus. Außerdem suche ich das für mich gesündeste Maß an Internetnutzung. Es ist seit Jahren für mich die Quelle Nummer eins, um Neues zu entdecken. Allerdings möchte ich im eigenen Schaffensprozess so wenig wie möglich beeinflusst werden. Auf jeden Fall freue mich auf alles, was wir dieses Jahr so vorhaben und auf die ganzen verrückten, unplanbaren Momente, von denen wir jetzt noch keinen Schimmer haben. Wir werden neue und alte Freunde treffen, jede Menge Spaß haben und an unseren Erlebnissen wachsen.
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