Buch-Essentials: Die Geschichte der Clubkultur

Buch-Essentials: Die Geschichte der Clubkultur

Features. 30. März 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Ob Standardwerke, Belletristik, Fotobücher oder Oral Histories: Unsere neue Essentials-Serie stellt die wichtigsten Bücher rund um Techno, House und DJing vor. Wir beginnen mit den sechs essenziellen Geschichtsbüchern rund ums Thema Clubkultur. Übrigens: Wir haben in diesem Artikel so oft es geht Affiliate-Links zum Buchhandel Buch7 eingefügt. Buch7 spendet 75% des Gewinns an soziale, kulturelle oder ökologische Einrichtungen und bietet gleichzeitig alle gewohnten Annehmlichkeiten großer Versandhandel wie Amazon und Co. Informationen dazu bekommt ihr hier

 

Techno ist über drei Jahrzehnte alt, House noch älter und getanzt wird schon, seitdem der erste Groove aus einem ausgehöhlten Knochen hervorgetrommelt wurde. Selbst Diskjockeys sind bereits seit über hundert Jahren aktiv, erst im Radio und seit den sechziger und siebziger Jahren zunehmend in Bars und den Räumen, die wir heutzutage als Clubs bezeichnen. Es gibt rund um die Genese der Dance Music also ganz schön viel Geschichte, die gelernt, gekannt und weitervermittelt werden will. Da hilft nur eins: lesen, lesen, lesen. Und zwar die besten Bücher zum Thema DJing, der Eroberung des Dancefloors und schließlich zur Entwicklung der elektronischen Musik in all ihren Farben und Facetten: von Disco zu House, Techno und noch viel weiter.

Die folgenden, chronologisch sortierten Überblickswerke sind die essenziellen Bücher zur Geschichte der Clubkultur, wenn es um die historischen Kontexte sowie maßgebliche regionale und internationale Entwicklungen von Dance Music geht – auf dem Floor, auf den Festivals, im Studio oder der Gesamtgesellschaft, in Detroit, New York und anderswo. Darunter finden sich stattliche Klopper wie Ulf Poschardts 'DJ Culture' oder 'Last Night a DJ Saved My Life' von Bill Brewster und Frank Broughton. Aber auch schlankere Büchlein, die vor allem bestimmte historische Phänomene in den Blick nehmen, sind dabei.

Weiter geht es in den kommenden Folgen unserer neuen Essentials-Serie mit den essenziellen Romanen zum Thema Rave, den wichtigsten Oral Histories der elektronischen Musik (denn klar, 'Der Klang der Familie' haben wir keinesfalls vergessen!), unumgänglichen Autobiografien sowie vielem mehr. Denn ob Flyer-Kunst, theoretische Lektüre oder Anthologien: Es gibt noch viele wichtige Bücher rund um Techno und Clubkultur, die gelesen werden sollten. Wir wollen euch Stück für Stück die wichtigsten aus allen Bereichen vorstellen. Stay tuned!

DJ Culture: Diskjockeys und Popkultur (1995) von Ulf Poschardt

„20 Jahre später kann sich kaum jemand vorstellen, wie neu das alles war und wie aufregend und unerklärt“, schreibt Ulf Poschardt im Jahr 2015 im Vorwort zur Neuauflage von DJ Culture: Diskjockeys und Popkultur. Unerklärt blieb bis zu dem kulturwissenschaftlichen Wälzer über den „Übergang des DJs vom Plattenaufleger zum Musiker“ tatsächlich einiges. Mit der zunehmenden Beliebtheit des DJing seit den frühen Achtzigern und spätestens der Ankunft von House und Techno im damals noch geteilten Deutschland wurde zwar viel über Praxis und Theorie in den sich neu um House und Techno formierenden Subkulturen geschrieben, dermaßen erschöpfend wie bei Poschardt bis zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht.

Der Porsche-Liebhaber, WELT-Chefredakteur und neoliberale Twitter-Unsympath glühte damals vor Leidenschaft für queere Underground-Musik und postmoderne Kulturproduktion. DJ Culture legte er als Dissertation bei Friedrich Kittler vor. Das ist dem Werk selbst anzumerken: Dessen rasanter, eigenwilliger Sound erinnert nicht selten an den Godfather der deutschen Kulturwissenschaften, sein Autor lässt keine Gelegenheit zur subjektiven Stellungnahme und dem einen oder anderen bissigen Kommentar verstreichen. Frei nach dem Motto „mittendrin statt nur dabei“ geht es in einem Gewaltritt über die ersten Radio-DJs hin zu Hip Hop und Acid House, Rainald Goetz’ Textproduktion und Überlegungen zum „Tod des Autors/Künstlers“.

In der Neuauflage aus dem Jahr 2015 versucht sich dann auch niemand anderes als WestBam an einer kurzen „DJ-Kultur-Geschichte der Neuzeit“. Drunter machen es schließlich weder er noch Poschardt. DJ Culture bietet bisweilen angestrengte akademische Exkurse und allzu lockere Auslassungen über Dance-Geschichte, hat sich aber als eine der frühen deutschsprachigen Veröffentlichungen zum Thema mehr als verdient gemacht.

Ulf Poschardt
DJ Culture. Diskjockeys und Popkultur
mit einem Nachwort von DJ WestBam
559 Seiten
26,95 €
ISBN: 978-3-608-50226-8
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Energy Flash: A Journey Through Rave Music and Dance Culture (1998) von Simon Reynolds

Energy Flash: A Journey Through Rave Music and Dance Culture (1998) von Simon Reynolds.

Was Ulf Poschardt Anfang der neunziger Jahre in Deutschland vertrat, das personifizierte Simon Reynolds im englischsprachigen Raum: In Anlehnung an AutorInnen wie Ian Penman versuchte sich der Musikjournalist an einer theoretischen Analyse und Kritik zeitgenössischer Bewegungen, die mit der schnelldrehenden Szene mithalten konnten. Der Blick zurück war dabei umso wichtiger und Ende des Jahrzehnts kam die große Bestandsaufnahme in Form eines Buches, das bis heute zu einem der besten in diesem Bereich gezählt wird.

Ursprünglich unter dem Titel Generation Ecstasy: Into the World of Techno and Rave Culture in den USA erschienen, ist Reynolds’ Meilenstein Energy Flash: A Journey Through Rave Music and Dance Culture zugleich ein Buch über Drogen, das sich selbst anhand einer Erzählung der Dance-Music-Geschichte entlanghangelt und den Zusammenhang zwischen den beiden zwei Treibstoffen der Rave-Community ermittelt: Ecstasy und Musik.

Der nach wie vor hochaktive Musikjournalist präsentiert eine sorgfältig recherchierte Bestandsaufnahme der Entwicklungen seit der Entdeckung von MDMA beziehungsweise der Ausprägung von Detroit Techno, Chicago House und New York Garage in den USA. Reynolds’ Geschichtsschreibung fällt entsprechend der Herkunft des Autors zugunsten der großbritannischen Szene-Entwicklungen seit der Ankunft von Acid House im UK aus, liefert aber genauso fundiertes Hintergrund- und Detailwissen sowie die eine oder andere lebhafte Anekdote zu allgemeiner oder von Reynolds am eigenen Leib erfahrener Rave-Historie und Post-Rave-Stilen wie IDM und Trip Hop. Im Jahr 2012 erschien eine überarbeitete Neuauflage.

Simon Reynolds
Energy Flash: A Journey Through Rave Music and Dance Culture
570 Seiten
19,99 €
ISBN: 978-1-593-76407-4
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Techno Rebels. The Renegades of Electronic Funk (1999) von Dan Sicko

Techno Rebels. The Renegades of Electronic Funk (1999) von Dan Sicko.

Dan Sicko stellte im selben Jahr der britischen Erstauflage von Energy Flash ein Gegengewicht dar. Der Brite war selbst noch ein Kind beziehungsweise junger Teenager, als Techno im Maschinenraum der Motor City zum Leben erwachte, und doch widmet sich Techno Rebels. The Renegades of Electronic Funk vor allem den Szene-Entwicklungen in Detroit seit Ende der siebziger Jahre. Anders als Reynolds will der im Jahr 2011 verstorbene Musikjournalist nicht viele Worte über die Rolle von Drogen verlieren, sich ebensowenig in Überlegungen zum Thema Rave ergehen oder minutiöse Auflistungen von wichtiger Hardware abliefern, sondern vorrangig über die Musik und ihre Wurzeln sprechen. Umso mehr, weil Sicko Ende der Neunziger gegen zahlreiche Missdeutungen und verpfuschte Geschichtsschreibungen antreten musste.

Sein im Jahr 2010 neu aufgelegtes, sorgsam aktualisiertes und mit einem Vorwort von Bill Brewster (siehe unten) versehenes Buch bietet seiner relativen Kürze zum Trotz einen fundierten Einblick in die Zahnräder, die seit Anfang der achtziger Jahre den Sound von Detroit vorangetrieben haben. Immer unter der Prämisse, dass es sich bei Techno eben nicht um tumbe Mainstream-Musik, sondern ein hyperspezifisches Genre handelt. „Techno ist der Ausdruck von komplizierten, paradoxen und bewusst abgewägten Ideen, die nicht immer an die Massen vermittelt werden können“, schreibt Sicko im ersten Kapitel.

In den folgenden stellt er dementsprechend all jene vor, die diese Ideen geprägt haben: Ob Pioniere wie A Number of Names, Cybotron und die Belleville Three oder Vorbilder wie Ken Collier, Kraftwerk und die Italo-Disco-Projekte, deren Musik auf den Dancefloors der Stadt mit offenen Ohren empfangen wurde – sie werden von ihm genauso gewürdigt wie Jeff Mills, Underground Resistance und andere Legenden. Techno Rebels ist nicht nur als musikalische Geschichtslektion zu verstehen, sondern zugleich als Liebeserklärung an ein regionales Phänomen, das von Anfang an auf globalen Austausch setzte und damit schon bald in Großbritannien und Deutschland andocken konnte.

Dan Sicko
Techno Rebels
mit einem Vorwort von Bill Brewster
176 Seiten
Ca. 24 €
ISBN: 978-0-814-33438-6
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Last Night a DJ Saved My Life. The History of the Disk Jockey (1999) von Bill Brewster und Frank Broughton

Last Night a DJ Saved My Life. The History of the Disk Jockey (1999) von Bill Brewster und Frank Broughton.

Während Poschardt eine theoretisch-akademische Perspektive im Handgemenge einnahm und Reynolds oder Sicko sich dezente regionale Beschränkungen auferlegten, versuchten die Betreiber der legendären Website DJhistory.com, Bill Brewster und Frank Broughton, zur Jahrtausendwende doch glatt an einer allumfassenden Erzählung. Last Night a DJ Saved My Life. The History of the Disk Jockey liefert noch wesentlich mehr als nur das, was der Untertitel des 448 Seiten dicken Büchleins verspricht. Es ist die definitive Geschichte der Dance Music überhaupt.

Angefangen mit Reginald Fessenden, der im Jahr 1906 ein Stück von Händel im Radio spielte und damit zum allerersten DJ avancierte, gelingt dem Autorenduo eine gleichermaßen lebendige wie fundierte Geschichtsschreibung von DJ-Kultur und den musikalischen, sozialen und geschichtlichen Verschiebungen, entlang derer sie sich entwickelte. Ob das merkwürdige Phänomen des Northern Souls, die transkulturellen Verbindungslinien zwischen jamaikanischer Soundsysteme und Hip Hop und natürlich die Entwicklung von Disco zu House und Techno hin zur Figur des Superstar-DJs Ende der neunziger Jahre: Das alles wird nicht immer unbedingt erschöpfend und dennoch konsequent in Zusammenhang gebracht. Das macht Last Night a DJ Saved My Life noch über zwei Jahrzehnte nach Erstveröffentlichung zum definitiven Standardwerk.

Als ergänzende Lektüre des Autorendoppels übrigens empfiehlt sich The Record Players: DJ Revolutionaries, ein im Jahr 2010 veröffentlichter Interviewband mit den wichtigsten DJs der vorangegangenen fünf Dekaden sowie How to DJ (Properly), dessen Titel mehr als selbsterklärend sein sollte. Mit Boys Own: The Complete Fanzines 1986-92 sind die beiden überdies Herausgeber des wohl wichtigsten Fanzines der Acid-House-Bewegung, in dem unter anderem Texte eines jungen Andrew Weatherall zu lesen waren. Brewster sollte darüber hinaus als fleißiger Compilation-Ersteller und Linernotes-Verfasser bekannt sein.

Bill Brewster und Frank Broughton
Last Night a DJ Saved My Life. The History of the Disk Jockey
448 Seiten
Ca. 17 €
ISBN: 978-0-802-14610-6
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Love Saves the Day. A History of American Dance Music Culture 1970-1979 (2004) von Tim Lawrence

Love Saves the Day. A History of American Dance Music Culture 1970-1979 (2004) von Tim Lawrence.

Auch Tim Lawrence ist ein unermüdlicher Chronist des DJ-Lifestyles und der Musik drum herum. Der US-Amerikaner hat unter anderem eine – in eigenen Worten – „Anti-Biografie-Biografie“ über Arthur Russell geschrieben und widmet sich ansonsten in seinem Schaffen vor allem dem Treiben auf den New Yorker Dancefloors der Disco-Ära und der frühen achtziger Jahre. Genau deswegen aber wäre keine Essentials-Liste ohne Love Saves the Day. A History of American Dance Music Culture 1970-1979 komplett.

Das 2004 beim Verlag der Duke University erschienene Buch nimmt seinen Anfang mit David Mancusos legendärem New Yorker Club Loft und folgt von dort aus den Entwicklungen der US-amerikanischen Disco-Szene, in der die Grundsteine für unser heutiges Verständnis von Clubkultur gelegt wurden. Anders als Albert Goldmans mittlerweile heiß begehrtes Buch Disco aus dem Jahr 1978 oder The Last Party von Anthony Haden-Guest, das Ende der neunziger Jahre erschien, wirft Lawrence in Love Saves the Day ein noch viel breiteres Licht auf die Szene außerhalb des weltbekannten Studio 54 und steckt außerdem die sozio-politischen Rahmenbedingungen ab, unter denen Disco vom Nischenphänomen zum gehassliebten Mainstream-Sound wurde.

Das Buch endet zwar 1979 und damit nach der internationalen Hochzeit von Disco beziehungsweise zum Peak der zahlreichen Backlash-Bewegungen wie der Disco Demolition Night in Chicago im Sommer des Jahres, doch hat Lawrence mit Life and Death on the New York Dance Floor 1980-1983 erst im Jahr 2016 für Nachschub gesorgt und in diesem Werk die Wechselwirkungen zwischen Disco, Hip Hop, Punk und dem kulturellen Übergang von dem einen ins nächste Jahrzehnt nachvollzogen.

Tim Lawrence
Love Saves the Day. A History of American Dance Music Culture 1970-1979
522 Seiten
Ca. 30 €
ISBN: 978-0-822-33198-8
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Turn the Beat Around. The Secret History of Disco (2005) von Peter Shapiro

Turn the Beat Around. The Secret History of Disco (2005) von Peter Shapiro.

Lawrence begann seine umfangreiche Recherche zu Love Saves the Day, als auch Brewster und Broughton gerade an Last Night a DJ Saved My Life arbeiteten. Er selbst nahm Peter Shapiro den Wind aus den Segeln, der sich ein Jahr später mit Turn the Beat Around. The Secret History of Disco ebenfalls als Chronist der Disco-Ära versuchte. Shapiro ist ein erfahrener Autor, der eine ganze Reihe von Titeln mit der Überschrift The Rough Guide to… vorweisen kann, darunter Monografien zu Rock, Soul und R&B, Hip-Hop und Drum’n’Bass, sowie Herausgeber des im Jahr 2000 parallel zum gleichnamigen Film erschienenen Buchs Modulations: A History of Electronic Music.

Turn the Beat Around nimmt sich ein regional wie chronologisch breiteres Feld vor als Love Saves the Day und darf nicht allein deswegen als wertvolle Ergänzung zum Kanon gewertet werden. Hi-NRG, Eurodisco und Italo, Roller Disco und die Überkreuzungen zwischen Punk und Disco nach dem großen Comedown der späten siebziger Jahre werden selbstverständlich verhandelt. Vor allem aber ist der Brite an der im Untertitel erwähnten geheimen Geschichte beziehungsweise Geschichtsschreibung von Disco interessiert und spricht über Ein- und Ausschlussmechanismen ebenso wie über schwule Subkultur und Sylvesters gender-bending, den „smiling faces trope“ des Siebziger-Souls oder Fragen der Klassenzugehörigkeit.

Turn the Beat Around setzt sich ein hehres und ambitioniertes Ziel: Disco-Geschichte soll hier nicht nur nachvollzogen, sondern ebenso von ihren Wirkungsmechanismen und sozialen Dynamiken her erklärt werden. Das gelingt Shapiro bravourös.

Peter Shapiro
Turn the Beat Around. The Secret History of Disco
350 Seiten
Ca. 14 €
ISBN: 978-3-608-50226-8
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Veröffentlicht in Features und getaggt mit A History of American Dance Music Culture 1970-1979 , Bill Brewster , DJ Culture: Diskjockeys und Popkultur , Energy Flash: A Journey Through Rave Music and Dance Culture , Last Night a DJ Saved My Life , Literatur-Essentials , Love Saves The Day , Peter Shapiro , Simon Reynolds , Techno Rebels , The History of the Disk Jockey , The Renegades of Electronic Funk , Tim Lawrence , Turn the Beat Around , ulf poschardt

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