Nachruf: Florian Schneider - Ein stiller Riese der Popmusik

Nachruf: Florian Schneider - Ein stiller Riese der Popmusik

Features. 11. Mai 2020 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Simon Ackers

Das Wort „Endlos“, gesprochen von einer verzerrten Computerstimme legt sich über ein einfaches Synthesizer-Arpeggio und markiert das Ende von Kraftwerks Album ‘Trans Europa Express’. Die Schlusssekunden gehören dann allein dieser Stimme, die langsam verhallt und ausfaded. Es ist die Stimme von Florian Schneider, ein stiller Riese der Popmusik, die er mit seiner Band Kraftwerk über Generationen hinweg beeinflusste und in ihren Grundfesten veränderte.

Florian Schneider-Esleben, geboren 1947, war Zeit seines Lebens Kind der Avantgarde. Er studierte Querflöte in Düsseldorf am Robert-Schuhmann-Konservatorium, spielte in zahlreichen Jazz-Bands und fing schon früh in seiner Karriere an, sich dem klanglichen Experiment zu widmen. Gemeinsam mit Ralf Hütter, der ebenfalls am Schuhmann-Konservatorium, allerdings Klavier, studierte, gründete er 1970 Kraftwerk. Beide arbeiten in den folgenden Jahren daran, dem natürlichen Klang fast schon zu entkommen und suchen ihren musikalischen Ausdruck in dem Elektronischen, Synthetisierten, zu dieser Zeit, Fremden.

In wechselnder Besetzung entstehen bis 1973 ihre ersten drei Alben, auf denen ihre Vision zwar zum Vorschein kommt und auf denen sich Stücke wie Heimatklänge vorwegnehmen, was Brian Eno später in seiner Ambient Musik verarbeitet, doch noch werden die Düsseldorfer der „wilden“ Avantgarde des damaligen Krautrocks zugeordnet. Neben Bands wie Can oder Tangerine Dream stehen sie für eine neue Generation experimentierfreudiger Musiker, die für viel Aufmerksamkeit sorgte. Doch Florian Schneiders und Ralf Hütters Weg gingen von 1974 in eine radikal andere Richtung, die sie in den folgenden Jahren zu einer der größten Pop-Sensationen weltweit machten.

Technizismus und futuristische Utopie

Mit ihrem Album ‘Autobahn’ legte Kraftwerk endgültig alles Organische ab und bis auf einige wenige Klänge von Schneiders Querflöte dominierte der Klang von Synthesizern, elektronischen Straßengeräuschen und Vocoder-Stimmen. Der 22-minütige Titeltrack machte Kraftwerk auf der ganzen Welt bekannt und wurde in den USA zum Charterfolg. Autobahn ist der Beginn einer Wandlung hin zur „Entmenschlichung“ ihrer Protagonisten. Mit den in der Folge erschienen Alben ‘Radioaktivität’, ‘Trans Europa Express’, ‘Mensch-Maschine’ und ‘Computerwelt’ vollziehen sie Schritt für Schritt ihre Transformation, die sie 1978 wortwörtlich zu Robotern machte.

Bezeichnenderweise strich die Band auch die drei Alben vor Autobahn aus ihrem offiziellen Kanon, denn laut Schneider selbst seien diese schlicht nicht wichtig genug. Sie stehen für eine Phase von Kraftwerk, die sich nicht mehr mit der Idee ihres Roboter-Pops deckte. Die Band trennt sich ihn ihrer Darstellung und Äußerlichkeit penibel von in der Musikwelt üblichen Rock- und Pop-Posen, entzieht sich dem Starkult um ihre Personen, gibt sich in der Öffentlichkeit still und schweigsam.

Stattdessen gehen sie in einem Technizismus auf, der das Maschinelle und Künstliche zur obersten Maxime erhebt. So radikal wie sie in ihrer Darstellung waren und wie revolutionär ihre elektronische Klangästhetik auch war, liegt ihr großer Erfolg doch eben auch in einer Vertrautheit, die sie paradoxerweise trotz ihres befremdlichen Auftretens innehaben.

Auf dem Album ‘Radioaktivität’ hört man Schneider einmal in ‘Die Stimme Der Energie’ vollständig entmenschlicht, hier spricht er mit einer irritierenden Computerstimme, doch nur einige Tracks später löst sich dieselbe Stimme bei ‘Ohm Sweet Ohm’ in einer wohligen Wärme auf. Kraftwerks Werk ist von diesem Gegensatz geprägt, die maschinelle Kühle und ihr uniformiertes Auftreten mit einer vertrauten Harmonie zu verknüpfen.

Ihre Musik hat stets etwas Romantisches und Utopisches in sich, ihre Melodien und Harmonien sind kontrolliert, simpel und von Schönheit geprägt, statt sich gemäß Kraftwerks radikalem Stilbruchs anzupassen und etwa in Dissonanz und Befremdlichkeit zu äußern. Schneiders und Hütters Blick geht auf der musikalischen Ebene einerseits in klangliche Zukunftswelten, ist aber gleichzeitig doch ist von einer Harmonik der klassischen Musik geprägt.

Inhaltlich schlägt Kraftwerk ebenso utopische Töne an, denn Technik wird von ihnen nicht etwa als Untergang oder Verdrängung des Menschen gesehen, gleichwohl sie sich selbst zur Maschine machten, vielmehr ist der technologische Fortschritt mit globaler Aufbruchstimmung verknüpft, wie etwa durch den Trans Europa Express.

Die Faszination, die von dieser seltsamen Vertrautheit ausging, traf die Musik weltweit, Künstler wie David Bowie oder Depeche Mode verehrten Kraftwerk und zogen eigene Inspiration aus ihnen. Den wohl interessantesten Austausch gab es jedoch in den USA, wo sich afroamerikanische Musiker plötzlich in einer deutschen Band bestehend aus reserviert und uniformiert auftretenden Anzugträgern wiederfanden. Kraftwerks elektronische Klänge hallten so durch Africa Bambaataas ‘Planet Rock’ im Hip-Hop nach noch viel mehr prägten sie aber in Detroit den aufkommenden Techno.

Die gleiche Maschinen-Utopie und Techno-Romantik, die Kraftwerk in ihrem Werk besingen, drückt sich Anfang der 80er Jahre in Detroit-Techno-Tracks von Cybotron aus und startet eine musikalische Welle, die wiederum weltweit Anklang findet. Kraftwerk vollzieht damit eine Reise, die sie um den gesamten Globus trug und die für Florian Schneider mit seinem Tod nun traurigerweise endet. Sein musikalisches Erbe wird allerdings endlos weiterreisen.

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