Review: Helena Hauff – Kern, Vol. 5 [Tresor]

Review: Helena Hauff – Kern, Vol. 5 [Tresor]

Features. 1. Juli 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Tim Tschentscher

Eigentlich ist das ja eine Selbstverständlichkeit, aber an dieser Stelle sollte es nochmal ausdrücklich betont sein: Die künstlerische Leistung eines Mixes liegt in der sinnvollen Verknüpfung unzusammenhängender Stücke, idealerweise in einer Form, die aus dem Material in seiner Lesart etwas Neues schaffen kann. Die fünfte Ausgabe der vom Berliner Club Tresor initiierten Mix-Reihe 'Kern' ist wieder so ein Mix: Höchst energetisch, elektrisierend, manchmal fast episch und trotz seiner vermeintlichen Hektik mehr eine Zurschaustellung der eigenen technischen Fertigkeiten als ein bloßer Dancefloor-Film. Die Grande Dame Helena Hauff hat mal wieder abgeliefert.

Das ist nach dem sehr guten Album 'Qualm' vielleicht gar nicht so selbstverständlich, allerdings liegt die Veröffentlichung auch schon wieder zwei Jahre zurück und in der Zwischenzeit war Hauff vor allem mit der Abarbeitung brechend voller Auftragsbücher beschäftigt. Spätestens während der pandemiebedingten Zwangspause war nun genügend Zeit vorhanden, mal wieder etwas mehr Musik zu hören, zu netzwerken und vor allem die nötige Lizenzierungsarbeit zu leisten. Herausgekommen ist 'Kern, Vol. 5’, ein zweieinviertel Stunden langer Mix zwischen Industrial, Acid, Noise und Gabber. 31 Stücke wurden dafür ausgewählt, fünf davon exklusiv für diese Gelegenheit. Die Raritäten und Neuerscheinungen finden sich in einem 3LP- bzw. Doppel-CD-Set wieder, interessanter ist hier aber tatsächlich der vollständige Continous-Mix.

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Hauff eröffnet mit einer Esoterik-B-Seite von 1996. 'Mayhem' startet zunächst noch recht beruhigt, entwickelt sich innerhalb weniger Minuten aber zum kleinen Acid-Warm-Up. Über Mononoms 'Shrinking' von 2006 erheben sich düstere Industrial-Wolken und intensive Klangkörper bauen sich auf. Alles piept und quietscht ein wenig. Das wird sich im weiteren Verlauf noch deutlich stärker artikulieren, manchmal sogar fast unangenehm. Kaum ist man wenige Minuten im Geschehen, ist es bereits extrem spannend zu beobachten, wie Hauff ein Gefühl des fließenden Zusammenhangs kreieren kann. Programmatisch inszenierend nutzt sie die Vocals aus dem Slaves-Of-Sinus-Track 'Chaos (And Me)'. Entsprechend wird um völlige Hemmungslosigkeit gebeten.

Ein wenig verliert man so auch an zeitlicher Orientierung. 'We Are The Cyborgs' fühlt sich durch seinen metallischen Klang nach dem Ende der Achtziger an, stammt in Wirklichkeit aber vom zweiten Volruptus-Album aus diesem Jahr. Ab 'Dance Yourself To Death' geschieht dann selbiges für eine gute Viertelstunde. Vor allem die Passagen um 'The General', 'Glasgow To Detroit' bis hin zu The Advents 'Work Dat' bleiben hier mental hängen. Auf 'Segment 3' wird Hauff dann selbst tätig. Das ist an dieser Stelle alles schon recht noisy, aufgeraut und verwirbelt. Manchmal gehen die Noise-Anteile sogar so weit, dass sie im Ohr kratzen. Zudem ist das alles auch sehr ausdauernd.

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Kurz nach der Halbzeit schafft Hauff einen Absatz. Nasenblutens 'Intellectual Killer' evoziert leicht verirrte Wu-Tang-Vibes über Industrial-Glitch gelegt. Verlängert durch Marc Acardipanes 'The Mob Rules' taumelt man hier bereits längst irgendwo zwischen Hardcore, Gabber und Techno. Ein Highlight-Moment nach dem anderen, wenn 'Data Move' die Aufmerksamkeit etwas zurückholt, um dann von Q.D.T. wieder in völlige Hypnose zurückgeworfen zu werden.

Erst etwa ab L.F.T.’s 'Nucleon' läutet Hauff die Abkühlphase ein. Shinras 'Pinwheel’ und Maarten van der Vleutens 'Internaut’ beenden das Set über Electro und Electronica. Mit Andrea Parkers und David Morleys 'After Dark' nimmt Hauff das Tempo zuletzt vollständig raus. Versöhnlich-entspannt fallen darin Wassertropfen in einen Kanal herab, darunter zittern trappige Hi-Hat-Blitze.

Das Schauspiel hat durchaus auch Service-Charakter. Peilt man hier einmal einen groben Gesamtwert der Trackauswahl als hypothetischen Plattenstapel an, kommen dabei schnell auch ein paar Sammlerwerte zusammen. Hauff hat mit ihrer Ausgabe von 'Kern' nicht nur ein Augenmerk auf Kohärenz, sondern, wenn man so will, auch auf Raritätenverwertung gelegt. Manchmal hat das Set auch seine Längen. Das kann gerade durch die hohe energetische Grundstimmung anstrengend wirken. Unterm Strich ist das aber eine der besten, weil technisch versiertesten Arbeiten dieses verrückten Jahres. Nach den zwei Stunden verbleibt man erschöpft aber zufrieden. Das haben wir echt mal wieder gebraucht.

’Kern, Vol. 5' erschien am 19. Juni auf Tresor.

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