Up and Coming: Agyena - über Identität, Safer Spaces und Eskapismus
Ich öffne Soundcloud. Was mich erwartet, ist vielseitig und überraschend. In Agyenas Sets begegnen mir Techno, House und Disko, Percussion-Sounds und waviger 80s-Vibe. Dabei schafft Dennis es, dass alles ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Trotz der offensichtlich vielfältigen Einflüsse auf seine Musik wirkt nichts zusammengewürfelt, die Sets transportieren etwas ganz Eigenes. Das hier soll kein Review werden, gleich zu Beginn aber eine Einladung, sich auf seine fantastischen Sets einzulassen – it’s a vibe!
In Leipzig lebt Dennis seit sechs Monaten, vorher hat er in Berlin gelebt, ursprünglich kommt er aus Nürnberg. In allen drei Städten hat er sehr unterschiedliche Erfahrungen in der Clubkultur gesammelt. Sein erstes Kollektiv war Musikverein, heute ist er Teil der Pulsår-Reihe, die Partys in verschiedenen Clubs in ganz Deutschland hostet und in Nürnberg jährlich ein Festival veranstaltet. Aktuell schreibt er außerdem seine Masterarbeit im Gebiet der kognitiven Neurowissenschaften. Wir sitzen auf meinem Balkon, essen Pizza, sprechen über die Musik, Clubkultur und ein bisschen über Psychologie. Dennis ist bedacht, lässt sich Zeit beim Formulieren der Antworten. So divers und experimentell seine Sets sind, so eng verknüpft ist seine Musik für ihn mit der eigenen Identität, die er als queere Schwarze Person stetig sortiert in einer heteronormativen, weißen Gesellschaft, in der marginalisierte Menschen nach wie vor unterrepräsentiert sind. Unser Gespräch ist sehr persönlich, er ist aufgeschlossen und gibt mir die Chance, den Menschen hinter Agyena kennenzulernen.
DJ LAB: Kannst du etwas über die Musik erzählen, die du machst?
Agyena: Ich spiele vor allem House und Elektro. Ich glaube, ich bin inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem ich meine diverse Musikauswahl mit meiner Identitätssuche connecte, das heißt, unterschiedliche musikalische Einflüsse verbinde – ich möchte mich deshalb gar nicht so sehr limitieren und das symbolisiert auch den Weg der Selbstfindung für mich. Ich habe das ganz lange nicht verstanden, aber ich hatte das Gefühl, ich sollte dies oder jenes spielen und tun, weil Leute das von mir erwarten, oft auch hinsichtlich meiner Hautfarbe. Da lief, denke ich, ganz automatisch eine Art Anpassungsversuch ab, was ich dann irgendwann, als mir das bewusst wurde, aktiv abgelehnt hab. Das ist aber nicht so einfach, als DJ wird man irgendwie immer mehr DienstleisterIn, sodass man sich da vielleicht auch ein bisschen assimiliert. Ich versuche das aktiver von mir zu weisen und einfach das zu machen, was ich machen will, aber der Zuspruch ist oft eben nicht so hoch, wie wenn man das spielt, was die Leute erwarten. Vor allem wenn man versucht, etwas cross-genre zu verbinden. Ich stehe zum Beispiel total auf 80s und New Wave – ich hab noch nie eine Schwarze Person gesehen, die New Wave spielt. Als Deutscher New Wave zu spielen ist nicht „merkwürdig“, als Schwarzer gefühlt aber schon, und ich bin beides, deswegen bewege ich mich da in so einem Spannungsfeld.
DJ LAB: Wie bist du zum Musikmachen gekommen?
Agyena: Ich hatte das Gefühl, ich müsste etwas zur Musikszene in Nürnberg beitragen. Nicht mit einem diversifizierenden Hintergedanken, diese Awareness kam erst später durch ein Kollektiv. An dieser Stelle ein Shout-Out an „Musikverein“ in Nürnberg, das ist ein freies Veranstaltungskollektiv, das Konzerte, Partys und andere Kulturveranstaltungen oft mit queerfeministischen Fokus organisiert.
DJ LAB: Also war deine erste Intention Musik zu machen vor allem mit dem Gedanken: „Da muss Genre-technisch mehr Diversität rein“?
Agyena: Genau. Vor allem, weil ich in der Zeit, 2014, so die ersten Male in Berlin feiern war und durch die Schwulenpartys gemerkt habe: Da fehlt irgendwas in Nürnberg. Ich habe so einen gewissen Vibe vermisst. Heute würde ich das der sichtbareren Diversität in Berlin zuschreiben, sowohl im Publikum als auch der Musik. Das hat mir in Nürnberg gefehlt und ich wollte das dahinbringen. Als ich angefangen habe, habe ich das größtenteils für mich allein gemacht. Ich habe hier und da mal in Bars aufgelegt und ging dabei oft in die 80s-/New-Wave-Richtung. Anfangs habe ich das Auflegen eigentlich gar nicht mit meiner schwarzen, queeren Identität verknüpft. Erst später, durch die theoretische Auseinandersetzung damit, habe ich verstanden, dass ich damit auch Diversität in die Clubkultur bringe und dass die Tatsache, dass ich anders aussehe, meine Position nicht weniger valid macht.
DJ LAB: Was sind musikalische Einflüsse, die dich geprägt haben?
Agyena: Also zum einen habe ich recht lange in einem Posaunenchor und in einer Percussiongruppe gespielt. Konkrete MusikerInnen, ProduzentInnen oder so gibt’s gerade nicht. Ich glaube, das ist aber auch teilweise ein strukturelles Problem. Mir kam nie der Gedanke: „Das, was die Person macht, da sehe ich mich auch“. Mittlerweile verstehe ich das besser, das ist aber eben auch ein Grund, warum das Musikmachen für mich so eng mit der Identitätsfindung verknüpft ist. Was ich mache und was mich abbildet, ist eine Mischung aus sehr vielen verschiedenen Dingen. Was das DJing an sich angeht, lag mein Fokus zu Beginn auf dem, was mir gefehlt hat. Ich bin anfangs stark in die 80s-/New-Wave-Richtung gegangen. Kraftwerk hat mich unglaublich fasziniert und während meiner Jugend stand ich sehr auf Synthie Pop, wie z. B. Depeche Mode und Bronski Beat. Ich hab mich stark mit Musik identifiziert, mit der sich – in meiner Wahrnehmung zumindest – People of Color sonst nicht so stark identifizieren. Dass die Musik letztendlich ja doch damit zusammenhängt, das hab ich erst später über den theoretischen Weg erfahren. Inzwischen habe ich auch viele andere musikalische Einflüsse, vor allem weil ich mittlerweile mehr House spiele. Ich hab mich mit Musik aus dem elektronischen Bereich auseinandergesetzt, die von People of Color gemacht wird, und inzwischen ist der Leitgedanke des Afrofuturismus für mich sehr wichtig [Anm. d. Red.: Entstanden als popkulturelle Strömung in den 90er Jahren entwickelte sich Afrofuturismus als Kulturästhetik, die rassistische Strukturen anhand futuristischer Elemente kritisiert und in Science Fiction eine Welt frei von Rassismus entwirft].
DJ LAB: Sich in der Musik selbst zu finden ohne Ankerpunkt gibt ja viel Freiheit, aber ich stelle mir trotzdem vor, dass es auch schwierig sein kann?
Agyena: Genau. Ich glaube, es ist für mich einfach ein längerer Weg zur Selbstfindung. Ich dachte: „Leute müssen doch konkret wissen, was du für Musik machst, damit sie dich buchen können, mit dir arbeiten können“ – aber ich habe jetzt für mich verstanden, dass dem eben nicht so sein muss, dass es valid ist, dass ich experimentieren möchte, dass ich verschiedene Einflüsse kombiniere. Und dass ich mich nicht über andere Identitäten rechtfertigen muss, sondern dass es genau so, wie ich es mache, auch seinen Platz hat. Ich merke gerade wieder, wie wichtig es ist, sowas auch mal laut auszusprechen.
DJ LAB: Was macht für dich, wenn du auflegst, einen richtig guten Abend aus?
Agyena: Ich mische gern komplexe Melodien und experimentiere, dadurch lege ich manchmal schon Sachen auf, die vielleicht nicht so tanzbar sind. Wenn ich experimentiere, etwas ausprobiere, von dem ich denke, das ist vielleicht nicht so, wie man es machen ‚sollte‘, wie es erwartet wird – und sich dann nur eine Person dafür bedankt. Dann hab ich das Gefühl, dass es verstanden und geschätzt wird. Das Gefühl, dass da jemand wirklich zugehört hat. Natürlich auch, wenn ich spüre, dass ich das Gefühl, was ich auf der Tanzfläche erlebe, diese Freiheit und Sorglosigkeit, an andere weitergeben kann.
DJ LAB: Hängt House als Musik, die du spielst, für dich auch mit der Verknüpfung der Ursprünge von House und deiner Identität zusammen?
Agyena: Ich glaube, das ist nicht mein ursprüngliches Interesse, das ist eher meine unglaubliche Leidenschaft zum Tanzen. Es gibt wenige Dinge, bei denen ich ein absolutes Flow-Erlebnis hab und mich sorglos fühle – das schaffe ich, wenn ich zu House tanze mehr als bei anderen Genres. Ich denke, das ist auch das, was ich mache, wenn ich auflege: Ich erinnere mich an meine besten Momente auf der Tanzfläche und versuche dieses Gefühl zu channeln. Wenn ich Musik mache, ist das stark mit Tanzen und dem körperlichen Gefühl verbunden, sich sorgenfrei im Körper bewegen zu können. Das, was um einen herum passiert, ausblenden zu können, vielleicht so ein bisschen Eskapismus. Ich bin mir nicht sicher, ob man alles ausblenden, alles ignorieren sollte – aber auf der Tanzfläche, zeitlich begrenzt, in einem Safer Space ist das wichtig. Deswegen finde ich es wichtig, Räume zu schaffen, in denen das möglich ist. „Orchid“ ist eine Partyreihe, die sehr wichtig für mich war. Sie wurde von der wunderbaren Eve Massacre aus dem bereits erwähnten Musikverein Kollektiv aus Nürnberg ins Leben gerufen. Das war der erste Safer Space im Clubkontext, in dem ich mich sicher gefühlt hab und in dem ich Awareness erlebt habe. Ich habe dort ZuhörerInnen gefunden, die teilweise meine Erfahrungen besser benennen konnten als ich. Ich glaube, wenn man emotional involviert ist, sieht man manche Dinge auch einfach nicht gleich so klar. Das war dann eigentlich auch der Punkt, an dem ich festgestellt habe, dass ich mich tiefer mit Marginalisierung und strukturellen Unterdrückungen und deren Auswirkungen auseinandersetzen muss.
DJ LAB: Was waren für dich Hürden? Ich meine, wir haben ja schon über die strukturellen Hürden gesprochen, die dir als Schwarzem, queerem Mann begegnen – was waren für dich individuell Herausforderungen, auch in der Auseinandersetzung mit Musik?
Agyena: Mir fallen als erste Hürde meine Selbstzweifel ein. Für mich sind die sehr offensichtlich. Ich meine, die ganzen strukturellen Hürden realisiere ich jetzt – zu Beginn waren die für mich nicht so klar benennbar und wurden von den Selbstzweifeln überlagert. Beispielsweise die Tatsache, dass ich in Nürnberg eigentlich nie einen Schwarzen DJ gesehen habe. Das ist die implizite, strukturelle rassistische Hürde, die sich dann bei mir als Selbstzweifel manifestiert hat: Will mich als Schwarzen DJ überhaupt jemand sehen? Bezüglich der Selbstzweifel würde ich deswegen auch jeder und jedem mitgeben, klar, dass man das machen sollte, worauf man Lust hat. Ich glaube aber, dass das nicht reicht. Es müssen auch Wege eingeleitet werden, dies zu ermöglichen. Und da bin ich wieder an dem Punkt zu sagen: Es geht nicht nur um mich, sondern auch darum, anderen Menschen, denen es so geht, wie es mir ging, einen einfacheren Einstieg zu ermöglichen. Deswegen bin ich auch großer Fan von Workshops, die für eine marginalisierte Gruppe angeboten werden. Manchmal wünsche ich mir, das hätte es damals für mich auch schon gegeben.
DJ LAB: Ich finde das total spannend, was du beschreibst – wenn man sich politisiert und feststellt, die eigenen Diskriminierungserfahrung ist eine strukturelle, und die Selbstzweifel wachsen aus einer gesellschaftspolitischen Problematik. Dass man es dann auch schafft, dagegen vorzugehen und versuchen kann, die Selbstzweifel unter diesem Blickpunkt zu betrachten. Wenn man sich nicht repräsentiert sieht, werden Barrieren in den Weg gestellt. Wenn man dann die Struktur dahinter versteht, sieht man die Hürden, muss sie bewältigen, aber bezieht sich nicht mehr individuell auf sich selbst.
Agyena: Genau. Man merkt, dass es nicht an einer und einem selbst liegt, sondern dass es strukturelle Hürden sind, die es zu bewältigen gilt – aber bestenfalls eben nicht allein, sondern unter solidarischem Support. Ich hätte mir gewünscht, konkretere und an die Situation angepasste Hilfestellungen zu erhalten. Konkretere Aufrufe von Veranstaltenden beispielsweise. Ich habe schon das Gefühl, dass dahingehend schon mehr passiert, gerade hier in Leipzig bin ich positiv überrascht. In Nürnberg sind gesellschaftspolitisch motivierte Partys eher am Rand der dortigen Clubkultur und es gibt wenig Interaktion mit anderen Veranstaltungen im Bereich elektronische Musik. Hier in Leipzig positionieren sich schon mehr Veranstaltungsorte politisch.
DJ LAB: Du hast ja selbst jetzt schon ein bisschen was bezüglich deiner eigenen queeren Identität gesagt. Was bedeutet Musik in dieser Hinsicht für dich?
Agyena: Ich denke, es ist tatsächlich so ein bisschen das Streben nach Freiheit in beiden Identitäten. Das habe ich auf der Tanzfläche und in der Musik gefunden und davon wollte ich immer mehr haben. Die Tanzfläche ist für mich heilig. Vor allem aufgrund der Erfahrungen und Emotionen, die man teilt – mit anderen (queeren) Menschen. Ich konnte dabei untergehen, sowohl in meiner queeren als auch in meiner Schwarzen Identität, und sogar in meiner deutschen Identität: Das ist auf der Tanzfläche alles sekundär. JedeR hört zu, fühlt. Was, wenn ich darüber nachdenke, im sonstigen Leben vermutlich auch mal ganz gut wäre: mal aufnehmen, zuhören, anstatt immer ausgeben. Aber natürlich ist das Gefühl von Freiheit, das man auf der Tanzfläche bekommt, auch begrenzt und man muss man sich mit den strukturellen Problemen auseinandersetzen. Eskapismus öffnet die Tür. Um die Mechanismen aber wirklich zu verstehen, sie zu überwinden und vielleicht potenzielle Chancen darin zu sehen, muss man sich hinsetzen, sich damit auseinandersetzen. Irgendwann muss man die Musik ausmachen und darüber sprechen. Denn es sind ja immer nur Safer Spaces, nie ein Safe Space.
DJ LAB: Bei all den Problemen, über die wir gerade gesprochen haben, sind gerade House und Techno ja genau die Musik, die eine Freiheit schaffen sollen. Wenn man sich beispielsweise die queere, vor allem die schwule Szene in den 90ern in Berlin anschaut, hat die die Clubkultur dahingehend ja unglaublich für sich nutzen können. Jetzt sind wir aber an einem Punkt, an dem wir feststellen: Es ist schön, dass wir diesen Freiraum haben, ihn nutzen können – aber damit hört es eben nicht auf. Die Chance und das Potenzial sind da, aber sie müssen sich stetig weiterentwickeln.
Agyena: Genau, das ist super wichtig. Als ich so 18, 20 war und Berlin für mich entdeckt habe, war die Clubszene natürlich DER Ort für mich. Ich war auf der Tanzfläche, Leuten war es letztendlich egal, wer ich bin, ich hab mich frei gefühlt. Das war so ein neues Gefühl für mich. Aber die Clubkultur ist sehr homogen, wodurch sich wiederum andere Probleme manifestieren, die angegangen werden müssen. Letztendlich komme ich dann jetzt eben auch am Punkt der Intersektionalität an. Ich bin in der Berliner Clubszene angekommen, habe gespürt, dass das Schwulsein dort keine Rolle gespielt hat – das Schwarzsein war dann eben aber doch wieder ein Ding. Sobald man merkt, dass man bezüglich der einen Diskriminierungsoberfläche für sich ein Handling gefunden hat, merkt man, dass die anderen aus dem Gleichgewicht gekommen sind.
DJ LAB: Vorhin sagtest du „auf der Tanzfläche hab ich das Gefühl, ich kann verschwinden“ – dass du in einem Schwulenclub vielleicht hinsichtlich der Queerness „verschwinden“ kannst, aber nicht hinsichtlich der Hautfarbe. Der Eskapismus über die Musik hat dann für dich ja nochmal eine ganz andere Qualität als für weiße Menschen, für Heteros, die feiern gehen. Das wird dann als Hedonismus bezeichnet und man könne sich befreien – der Akt der Befreiung für dich ist ja aber nochmal ein ganz anderes Level.
Agyena: Auf jeden Fall. Irgendwo ecke ich trotzdem immer an. Und allein dadurch, dass diese Freiheit immer einen Beigeschmack hat, ist es eine andere Erfahrung. Und es ist nochmal abzugrenzen davon, wie ich Musik erlebe, wenn ich sie selbst mache. Musikmachen ist für mich ein emotionaler Prozess, mit dem ich versuche, meine Gefühle auszudrücken und zu channeln. Da liegt für mich der Unterschied zwischen dem Tanzen im Club und dem Musikmachen und ich denke daher kommt auch der Drang, Musik zu machen, meine Emotionen, meine Erfahrungen, anderen Leuten mitzuteilen. Da ist die Message eher: Ich muss nicht verschwinden, ich bin hier, ich mache das hier, das ist genau richtig so. Ich als Person bin komplett, mit allen Teilen meiner Identität. Das Gesamtpaket Agyena macht jetzt hier die Musik und teilt sich mit.
DJ LAB: Menschen werden ja oft auf die Marginalisierung reduziert, aber die Identität eines Menschen hat so viele Facetten – deswegen finde ich schön, wie du das ausgedrückt hast: Du stehst da eben als Gesamtpaket hinter dem DJ-Pult.
Agyena: Ich glaube, es ist tatsächlich auch der Bereich, wo ich mich am wenigsten verstelle. Meine Mutter hat mir krass in die Wiege gelegt, dass ich mich sehr „deutsch“ benehmen und verhalten soll, um durchs Leben zu kommen. Auf der Tanzfläche und hinter dem Pult ist mir das alles komplett egal. Da lege ich nicht als Schwuler auf, bin nicht als Schwarzer da. Es ist ein Feld, in dem sich die verschiedenen Identitäten treffen. Wie gesagt, ich hab es schon immer geliebt, Ideen, Genres miteinander zu verbinden – weil sich in mir vieles verbindet und trifft. Und das ist was Schönes, da will ich keine Abstriche machen. Nicht sagen: Das spiele ich nicht, dies und jenes mache ich nicht. Generell sehe ich in der Intersektionalität auch eine Chance für Verbindung, beispielsweise in einem DJ-Set, so eine Art künstlerisches Narrativ. Aber es brauchte auch Zeit für mich, das zu verstehen, und viele Gespräche so wie dieses hier (lacht).
DJ LAB: Wenn wir in die Zukunft schauen könnten: Wo stehst du dann so in etwa fünf Jahren?
Agyena: Die Frage stelle ich mir auch oft. So aus dem Gefühl heraus, wo ich mich sehe: Ich bin weitergekommen in dem Selbstfindungsprozess. Ich sehe mich in einer Position, in der ich das Wissen, das ich gesammelt habe, weitergebe. Ich hoffe natürlich, dass das mit der Musik so weitergeht. Ich möchte zudem mein wissenschaftlich-experimentelles Arbeiten noch mehr mit dem Musikmachen vereinen. Ich habe da schon einige Ideen im Kopf, aber gerade fehlt mir dafür die Zeit. Außerdem hoffe ich, dass „herkömmliche“ Künstlerprofile immer mehr hinterfragt werden – dass die Profile diverser werden, um darüber auch den Zugang zu schaffen für die Personen, die sich bis dato nicht repräsentiert gefühlt haben. Ich sehe mich da selbst auch in der Verantwortung. Der Kampf, den ich kämpfen muss, um Möglichkeiten zu haben – ich kämpfe gemeinsam mit anderen, für andere. Mir kommt das alles noch so vage vor, aber das spiegelt letztlich ja auch die Unsicherheit darüber wider, wie wenige Ankerpunkte ich habe, zum einen durch meine eigene Familiengeschichte, zum anderen natürlich auch durch fehlende Repräsentation in der Gesellschaft. Ich glaube, das ist für mich das Wichtigste, dass ich in fünf Jahren das Gefühl habe, dass sich da etwas geändert hat. Das soll natürlich nicht heißen, dass Repräsentation ausreichend ist, um die strukturellen Probleme zu beheben. Aber durch Individualismus und das Fördern von Nischen, die dann eine Plattform bekommen, ändert sich ja schon etwas. Und da ist mir eine intergenerationale Vermittlung auch wichtig. Räume für diesen Erfahrungsaustausch zu schaffen ist nicht nur im Clubkontext wichtig. Menschen, die sich nicht repräsentiert fühlen, können nicht auf Erfahrungen anderer zurückgreifen. Diese Erfahrungen braucht man aber, um sich nicht so orientierungslos zu fühlen. Und da muss man in verschiedenen Bereichen arbeiten, im Bildungskontext zum Beispiel – wenn ich an mein Psychologiestudium denke, wie viel es für mich geändert hätte, wenn ich einen Schwarzen Dozenten gehabt hätte. Oder wenn ich im Club einen Schwarzen DJ gesehen hätte. Menschen brauchen die Möglichkeit, nach Erfahrungen zu fragen, die sie direkt auf sich übertragen können. Sonst muss man immer einen Filter benutzen. Schwarzen Menschen, Personen of Color, Menschen mit Migrationshintergrund, queeren Menschen… denen muss ein Erfahrungstransfer ermöglicht werden von anderen Menschen, die ihnen selbst ähnlich sind. Im Laufe der Zeit merkt man dann, dass man das nicht nur für sich tut, sondern auch für die Menschen, die einen sehen – und sich dann vielleicht auch repräsentiert fühlen. So kann man diesen Menschen den Weg wieder ein Stück ebnen.
Übrigens, drüben bei unseren FreundInnen von frohfroh gibt es einen exklusiven DJ-Mix von Agyena:
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