Feature: Nachhaltigkeit in der Clubszene? Feiern, als ob es ein Morgen gäbe!

Feature: Nachhaltigkeit in der Clubszene? Feiern, als ob es ein Morgen gäbe!

Features. 30. Mai 2021 | 1,0 / 5,0

Geschrieben von:
Laura Aha

Eine Rückkehr zur Normalität, „endlich wieder so wie früher“ – das sehnen sich mit dem Ende der Pandemie gerade viele herbei. Dass das “Höher, Schneller, Weiter” der Clubkultur in den letzten Jahren allerdings mitnichten ein zukunftsfähiges Konzept ist, darauf möchte das Berliner Projekt Clubtopia aufmerksam machen und ein Umdenken schaffen. Mit Clubbetreibenden aus ganz Deutschland arbeiten sie daher an einem Code of Conduct und einer Vision: Wie sieht das Feiern der Zukunft aus?

Es ist eine seltsame Zeit, um sich als Clubbetreiber:in Gedanken über eine nachhaltige Zukunft zu machen. Und vielleicht die beste überhaupt. Seit über einem Jahr ist es still in den Clubs. Hinter den Kulissen aber kann von Stillstand keine Rede sein. Bestes Beispiel: Die Berliner Griessmuehle. Anfang 2020 von ihrem Standort in Neukölln verdrängt und mittlerweile mit neuem Namen, hat der Club nach einigen temporären Zwischenstationen im Revier Südost in Niederschöneweide ein neues Zuhause gefunden. Dieses bauen die Betreibenden nun zu einem ganzheitlichen Kulturstandort aus.

„Wir haben beim Umzug von der Griessmuehle alles mitgenommen, was nicht niet- und nagelfest war“, erzählt Projektmanagerin Sandra Dersch. „Von Paletten über Blumenkübel bis zum Baumaterial. Das haben wir zum Teil für den Ausbau des Biergarten mitbenutzt oder für die Marktstände. Warum neu anschaffen, wenn schon Rohmaterial da ist?“ Das Thema Nachhaltigkeit hat nicht erst seit Fridays For Future Eingang in die Club- und Veranstaltungsbranche gehalten. Purer Hedonismus und Feiern, als ob es kein Morgen gäbe? 2021 definitiv keine Option mehr.

Wie es stattdessen gehen kann, darüber diskutieren seit März 2019 Clubbetreibende aus ganz Deutschland am „Runden Tisch für eine grüne Clubkultur“, an dem auch die Griessmuehle teilnimmt. Organisiert wird dieser von Clubtopia, einem Zusammenschluss der Berliner Clubcommission mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin, Clubmob.Berlin und dem Verein clubliebe, die sich selbst als „Freund:innen der musikalischen Weltrettung“ verstehen. Insbesondere Clubkultur könne bei dieser eine entscheidende Rolle als Botschafterin spielen, um nachhaltigen Wandel voranzutreiben, findet Hanna Mauksch, die gemeinsam mit Katrine Gregersen vom BUND Berlin als Projektkoordinatorin für Clubtopia arbeitet. „Wir nutzen die Clubkultur, um uns inspirieren zu lassen und gemeinsam mit Clubbetreibenden über Alternativen nachzudenken. Unser Ziel dabei ist, effektiven Klimaschutz kreativ und innovativ zu gestalten. Wirklich zu schauen: Wie können wir das anders machen? Weil so wie es jetzt gerade passiert, hat es keine Zukunft.“

Tatsächlich kommen an diesem Mittwochnachmittag Menschen aus den unterschiedlichsten musikalischen Ecken zum „Runden Tisch“ im Zoom-Call zusammen: Von einer Berliner Konzertvenue über ein Technofestival bis hin zu einer Vertreterin der Deutschen Jazz Union; vom Karlsruher Kulturort über einen Bremer Kellerclub bis hin zur Green-Event-Managerin aus Österreich. Einige kommen direkt aus dem vorangegangen Green Club Training, einer Online-Schulung, mit der Clubtopia seit Oktober 2020 Clubmitarbeitende regelmäßig und kostenlos über klimafreundliche Eventgestaltung weiterbildet und gemeinsam individuelle Konzepte für einen „grünen Neustart“ entwickelt, wie es auf der Website heißt.

„Wir werden gerade wirklich überrannt“, freut sich Hanna Mauksch von Clubtopia über das große Interesse. Bei allen existenziellen Problemen, mit denen besonders die Kulturbranche zu kämpfen hat, sieht sie die Pandemie auch als eine Art Beschleuniger, was das Thema Nachhaltigkeit betrifft. Durch die vielerorts geflossenen Fördergelder seien nachhaltige Investitionen nun vermehrt möglich. Außerdem hätten viele durch die erzwungene Vollbremsung erstmals wirklich die Zeit, sich die grundlegende Frage zu stellen: Wie kann es nachhaltig weitergehen – im wahrsten Sinne des Wortes?

© Clubtopia

Denn dass sich Clubkultur mit ihrem ökologischen Fußabdruck auseinandersetzt, ist kein nobler Weltverbesserung-Idealismus, sondern eine klare Notwendigkeit: Ein mittelgroßer Club verbraucht jährlich so viel Strom wie 33 Haushalte und produziert damit etwa 30 Tonnen CO₂ – und da sind die Emissionen aus Heizungswärme, Abfall, Wasser und Mobilität noch nicht eingerechnet. So steht es im Green Club Guide, mit dem Clubtopia als „virtueller Klimaberater“ Veranstaltenden Handlungsempfehlungen geben und Feiernde zum Umdenken bewegen will. Nachhaltigkeit, die im Green Club Guide durch ihre vier Dimensionen Ökologie, Ökonomie, Soziales und Kultur definiert wird, sei kein „Kuschelwort“, sondern die Verantwortung aller. Und Clubkultur ein entscheidender Hebel.

„Wir haben allein in Berlin mehr als 280 offizielle Clubs und Veranstalter:innen. Wenn die alle klimaneutral handeln, wird die Stadt schon viel nachhaltiger. Zudem wird eine große Menge an Leuten erreicht, die sich an diesen Orten ebenfalls klimaneutral verhalten können. Dies kann dann als Anregung oder Bestärkung dazu dienen, das auch außerhalb der Clubs zu tun“, hofft Hanna Mauksch. Auch Sandra Dresch von der Griessmuehle sieht die mögliche Vorbildfunktion der Clubs: „Klimaschutz geht uns alle an und es ist machbar. Dadurch, dass Clubkultur in Berlin als Kultur zählt, hat Berlin sicher eine Vorreiterfunktion, um zu zeigen: Auch wir in der Clubwelt können was machen, um noch mehr Anklang bundesweit oder weitergehend zu haben.“

Worauf Dresch hier anspielt, ist die Anerkennung der Berliner Clubs als Kulturorte. Nach zähen Verhandlungen seitens der Interessenverbände LiveKomm und Clubcommission hatte es die Debatte Anfange 2020 sogar in den Bundestag geschafft. Ende des Jahres wurde zunächst die steuerrechtliche Gleichstellung mit Kulturinstitutionen erreicht, kürzlich dann endlich die baurechtliche. Wurden Clubs bislang als „Vergnügungsstätten“ wie Bordelle und Spielhallen behandelt, werden sie zukünftig stadtplanerisch mit Opernhäusern, Museen und Konzerthallen gleichgestellt. Was nach behördlichem Kleinklein klingt, ist ein wichtiger Hebel, um Berliner Clubs zukünftig vor Verdrängung zu schützen – eine Erfahrung, die nicht nur die Griessmuehle in den letzten Jahren machen musste.

Denn „Nachhaltigkeit“ bedeutet immer auch „Langfristigkeit“, gerade wenn sie mit größeren Investitionen verbunden ist. Mit der Realität aus kurzfristigen, meist nur jährlich verlängerten Mietverträgen vieler Clubbetreibenden hat das jedoch wenig zu tun. Sandra Dresch von der Griessmuehle sieht das pragmatisch: „Wir versuchen mobil zu sein, so wie jetzt, alles Alte mitnehmen und am neuen Standort neu aufbauen. Nichts, was wir bauen, muss für die Ewigkeit sein.“ Ihr Zweckoptimismus scheint nach der Odyssee an Standortwechseln, die die Griessmuehle im letzten Jahr durchgemacht hat, verständlich. Trotz allem reicht es natürlich nicht, nur auf Strohhalme und Einwegpastikbecher zu verzichten und auf Mülltrennung und ökologisch abbaubare Putzmittel zu achten. Wer den eigenen Club auf stromsparende Kühlschränke und LED-Beleuchtung umrüstet oder in wasserlose Urinale investiert, wie es im Green Club Guide vorgeschlagen wird, muss langfristig planen können. Denn auch wenn man mit kleinen Verhaltensänderungen schon viel bewirken kann, ist klar: Echte Nachhaltigkeit gibt es nicht zum Nulltarif.

Über das Thema Kosten hat sich auch am Runden Tisch im Zoom-Call mittlerweile eine angeregte Diskussion entsponnen. Nach einem Impulsvortrag über CO2-Kompensationen geht es jetzt um die Fragen: Wie entgeht man Greenwashing bei der CO2-Kompensation und an wen soll man das Geld überhaupt spenden? Wie erkennt man eigentlich echte Ökostromanbieter? Und wie geht man als Clubbetreiber:in mit den entstehenden Kosten um, wenn die Künstler:innen etwa mit dem Flugzeug anreisen müssen? Erfahrungen werden ausgetauscht, Links geteilt und kritisch hinterfragt.

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Green Club Tutorials #1: Einführung from clubliebe e.V. on Vimeo.

Ein Musterbeispiel an „Best Practice“ wie aus dem BWL-Lehrbuch. Matthias Kümmel, Referent für Klimaschutzpolitik beim BUND Berlin e.V., der auch im Call ist, erklärt aber den Unterschied von Clubtopia zu anderen Nachhaltigkeitsprojekten: „Wir vertreten den Ansatz einer Graswurzelbewegung, quasi ,bottom up’, statt ,top down’. Das kommt alles von uns aus. Das sind unsere Nachhaltigkeitsansprüche, die wir uns setzen wollen.“ Damit es nicht bei leeren Versprechungen bleibt, haben die Teilnehmenden am Runden Tisch in den letzten Monaten ein ganz konkretes Tool entwickelt, mit dem sie „aus der Szene für die Szene“ echten Wandel bezwecken wollen: Einen Code of Conduct für eine Grüne Clubkultur.

„Wir haben zwar ausgewählte Handlungsbereiche definiert, die wir klar voranbringen wollen. Wie diese Bereiche jedoch konkret umgesetzt werden, ist den Clubs selbst überlassen. Wir bieten einen großen Pool an Beispielmaßnahmen an und zeigen detaillierte Wege auf. Mit welchen Maßnahmen die einzelnen Ziele letztendlich erreicht werden, ist aber nicht vorgeschrieben und kann von Club zu Club unterschiedlich sein“, erklärt Hanna Mauksch den Ansatz. Im Bereich Ressourcen hat man sich beispielsweise geeinigt, den Fokus auf das Thema Wasser zu legen. Durch umweltschonendes Putzen soll die Verunreinigung von Grundwasser vermieden werden, im Toiletten- und Barbereich soll kein Trinkwasser benutzt werden, stattdessen Leitungs- statt Flaschenwasser ausgeschenkt werden. Konkrete Handlungsvorschläge also, die jeder Club individuell umsetzen kann. Neben Themen wie Müllvermeidung und Zero Waste werden LED-Beleuchtung, stromsparende Kühlschränke, echter Ökostrom und energieeffiziente Klimatisierung im Code of Conduct festgeschrieben.

Einer der größten Faktoren, wenn es um die Ökobilanz in der Veranstaltungsbranche geht, wird jedoch oft vergessen: Mobilität. Aus einer Analyse der CO2-Bilanz im Kontext des Melt-Festivals ging hervor, dass der Faktor „Mobilität“ knapp 78 Prozent aller Emissionen ausmacht. „Musikfestivals haben den CO2-Fußabdruck einer Kleinstadt“, schreibt das Festival selbstkritisch auf seiner Website. Auch im Clubkontext wird das Thema Booking zukünftig eine der schwierigsten Stellschrauben werden. Wie soll kann man ein lokales Booking auf internationalem Niveau anbieten? Und schließt man damit nicht auch wieder DJs aus, die nicht in den Hype-Metropolen leben?

Erste Lösungsansätze für grüneres Touren gibt es im Green Touring Guide. „Green Touring soll nicht heißen, dass ab jetzt alle Strecken mit der Bahn zurückgelegt, sämtliche Verstärker ausgemustert, alle Mahlzeiten durch Dinkel-Müsli ersetzt und die Musiker in Zelten übernachten müssen“, heißt es dort etwas lapidar. Es gehe um bessere Alternativen, die teilweise sogar kostengünstiger seien. Aber auch hier wird klar: Man muss sich auf Veränderungen einstellen.

Die im März 2021 erschienene Studie „Last Night A DJ Took A Flight“ des Kollektivs Clean Scene beleuchtet zudem noch eine ganz andere Dimension dieses Problem. Darin werden unter anderem die CO2-Emissionen der Superstar-Jetset-DJs in Relation zum Rest der Weltbevölkerung gesetzt. Das Ergebnis: „Die ungleiche Verteilung der Emissionen unter professionellen DJs spiegelt die Ergebnisse einer Oxfam-Studie aus dem Jahr 2015 wider, wonach die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung etwa die Hälfte aller globalen Emissionen produzieren, die ärmsten 3,5 Milliarden jedoch nur ein Zehntel.“

Die wichtigste Dimension von Nachhaltigkeit ist folglich ihre soziale: Nachhaltigkeit heißt auch, dass die reichen Länder global Verantwortung für die ärmeren übernehmen, gerade hinsichtlich der ungleichen Emissionslast. Doch auch auf der Mikroebene der Clubkultur spielt soziale Nachhaltigkeit eine Rolle, wie Hanna Mauksch erklärt: „Wir müssen uns fragen: Wie kann man Hunger vermeiden? Indem wir keine Lebensmittel verschwenden oder beim Catering Monokulturen unterstützen, die dafür sorgen, dass Menschen in anderen Ländern hungern müssen. Oder: Wie können wir die Armutsgrenze in der Stadt senken? Zum Beispiel indem wir an der Clubtür darauf achten, dass es ermäßigten Eintritt und reduzierte Getränkepreise gibt für Menschen, die nicht die Möglichkeit haben, den vollen Preis zu zahlen können.“

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Als Positivbeispiel für soziale Nachhaltigkeit im Club ist das Berliner SchwuZ zu nennen. Als einer der wenigen Clubs in Berlin beteiligt sich das SchwuZ am berlinpass, der Menschen mit wenig Einkommen vergünstigte Eintrittspreise gewährt. Neben fairen Getränkepreisen unterstützt das SchwuZ zudem queere Beratungsangebote oder die Ausgabe von Freikarten an Geflüchtetenunterkünfte, damit alle partizipieren können. Themen wie Awareness und Diskriminierung spielen in diesem Kontext auch für die Griessmuehle eine Rolle. Für Sandra Dresch muss soziale Nachhaltigkeit aber auch in Bezug auf die Mitarbeitenden des Clubs gelten – gerade in unsicheren Zeiten wie der Pandemie: „Wir versuchen unsere Mitarbeitenden nachhaltig zu behalten, zu motivieren und irgendwo anders einzusetzen.“

Einen Code of Conduct für eine grünere Clubkultur findet Sandra Dresch sinnvoll, gerade wegen der darin enthaltenen konkreten Handlungsanweisungen: „Manchmal scheitern Dingen ganz banal daran, dass man nicht weiß, wie man es anpacken soll. Weil es kein Best Practice Beispiel gibt, das einem zeigt: Genau so geht es.“ Positive Hilfestellungen seien hier sinnvoller als starre Ökosiegel oder gar Sanktionen bei Nichterreichen der Ziele. Das Prinzip der Selbstverpflichtung stehe aus gutem Grund an oberster Stelle, erklärt Hanna Mauksch: „Wir wissen, dass erfolgreiche Nachhaltigkeitskonzepte und eine nachhaltige Entwicklung am besten funktionieren, wenn sie aus sich selbst heraus passieren. Wenn es also eine Herzenssache ist und nichts, was gemacht werden muss. Sobald man selbst eine Verantwortung spürt und weiß, warum, ist die Umsetzungschance viel größer. Natürlich müssen dafür auch die Rahmenbedingungen stimmen.“

Sandra Dresch von der Griessmuehle bleibt aber auch realistisch: Das Thema Nachhaltigkeit werde in der aktuellen Situation der Clubs nach wie vor Zukunftsmusik bleiben, solange es keine verlässliche Öffnungsperspektive gibt. „Es geht uns alle an und wir haben nur eine Welt. Es ist wichtig, dass wir was tun. Aber wir müssen da auch ehrlich sein: Es muss erstmal wieder Geld reinkommen, um das Ganze ins Laufen zu bringen. Und das kann für viele Clubbetreibende auch zur Hürde werden, weil das Überleben erstmal im Vordergrund steht.“

Veröffentlicht in Features und getaggt mit berlinpass , BUND , Clean Scene , Clubcommission , Clubkultur , Clubliebe , Clubmob.Berlin , Clubtopia , Code of Conduct , Green Club Guide , Green Club Training , Green Touring Guide , Griessmühle , Hanna Mauksch , Katrine Gregersen , Klimawandel , LiveKomm , Matthias Kümmel , Nachhaltigkeit , Sandra Dresch , SchwuZ

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