Filmrezension: Matthew Herbert in 'A Symphony of Noise'-Dokumentation

Filmrezension: Matthew Herbert in 'A Symphony of Noise'-Dokumentation

Features. 28. August 2021 | 2,0 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Eine frittierte Trompete und fünf Liter Schweineblut

Zehn Jahre lang begleitete Enrique Sánchez Lansch den Produzenten und Künstler Matthew Herbert von Projekt zu Projekt, von der Berghain-Bühne bis zum Fish-and-Chips-Imbiss. Der dabei entstandene Dokumentarfilm 'A Symphony of Noise' ist ebenso nahbar und exzellent produziert wie die Alben des Briten.

Alles wie immer beim Kinobesuch zu Pandemiezeiten: Ticket abreißen lassen, Impfzertifikat vorzeigen, ein Blatt Papier in die Hand gedrückt bekommen. Das aber dient nicht zur händischen Datenerfassung, denn Vorder- wie Rückseite sind leer. „Das brauchen Sie zum Geräuschemachen“, heißt es. Alles wie immer also, wenn Matthew Herbert wieder etwas ausgeheckt hat. Denn der stellt an diesem sonnigen Augusttag in Berlin nicht nur den Dokumentationsfilm 'A Symphony of Noise' vor, für den ihn Regisseur Enrique Sánchez Lansch zehn Jahre lang begleitet und interviewt hat, sondern will im selben Zug Musik für Bäume machen, genauer gesagt ein besonderes Exemplar in einem Wald in Bristol.

Gut drei Minuten lang soll das Publikum mit dem Papier wackeln, es zerknüllen und wieder glattstreichen, eine Hälfte in kleine Streifen zerreißen und eine Art Palme draus basteln, mit dem dann ebenfalls gewackelt wird. Herbert steht als Dirigent auf der Bühne, macht mit und freut sich über das Rauschen im Blätterwald. Während der Filmpremiere verzieht er sich hinter die Bühne und bastelt aus den Aufnahmen der partizipatorischen Performance sowie Recordings von besagtem Baum einen knapp fünfminütigen Track, der weniger nach Papierrascheln denn vielmehr nach leichtem Regenschauer klingt. Ob das dem pflanzlichen Adressaten gefällt, lässt sich nur schwer einschätzen.

Denn obwohl Herberts Absicht, auch mal für ein nicht-menschliches Publikum zu komponieren, ehrbar ist: Ebenso wie die Annahme, dass ein Baum ein dem Menschen vergleichbares Gehör hat, ist auch die Idee etwas skurril, dass dieser Baum dann tatsächlich auch ein paar hundert Leuten in einem Kinosaal zuhören möchte, wie sie mit Objekten herumrascheln, die aus den zerfetzten und zusammengepanschten Überresten seiner Artgenossen bestehen. Er sei an Ideen interessiert, betont Herbert nach der Premiere von 'A Symphony of Noise' im Gespräch mit dem Regisseur immer wieder. Nicht alle davon sind jedoch minutiös durchdacht. Genauso allerdings, so räumt er ebenso in der abendfüllenden Dokumentation ein, sei er auch ein „maker“ und fügt schelmisch grinsend hinzu: „hopefully of mischief“.

Der Film erfüllt diese Hoffnung wieder und wieder aufs Neue. Nach dem Brexit folgt das Publikum Herbert beispielsweise in die Küstenstadt Gimbsy, wo der überwiegende Teil der Bevölkerung beim Referendum im Jahr 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hatte. Er spricht mit den Leuten, nimmt aber auch Kartoffeln auf, die zum britischsten aller Fast Foods verarbeitet werden: Fish and Chips. Und weil er sowieso schon vor der Fritteuse steht, schmeißt er auch gleich noch eine Trompete hinein, um damit später kalorienreiche Klänge für sein Konzeptalbum über den Brexit aufzunehmen. Das alles ist nicht minder absurd als das Ad-hoc-Papierraschel-Orchester, das er bei der Vorstellung von der Bühne dirigiert, aber eben nur ein Beispiel dafür, warum der Brite einer der sympathischsten Klangkünstler:innen dieser Zeit ist.

Herbert ist eine Art Bertolt Brecht der elektronischen Musik, nur ohne den didaktischen Anspruch: Ob er sich selbst im Club mikrofonierte, eine Bombenexplosion als Sample-Grundlage nahm oder gleich den Lebenslauf eines Schweins per Field Recordings dokumentierte – die Alben des auch für Deep-House-Klassiker wie 'See You on Monday' bekannten Produzenten versuchen nicht selten das Banale zu überhöhen und somit für Verfremdungseffekte zu sorgen. Soll heißen, dass Herbert sie politisieren, also zumindest zur Diskussion stellen möchte. Das Publikum darf nicht einfach passiv konsumieren, sondern wird aktiv in die Produktion sozialer und musikalischer Prozesse eingebunden. Vor allem aber muss es daran Spaß haben, wie es im Gegenzug in reiner Dance Music bestimmte Kontexte erspüren, erleben und reflektieren soll.

Das beweisen auch immer wieder Aufnahmen des Films, der sich lose entlang einiger Passagen aus Herberts Buch 'The Music. A Novel Through Sound' – anstatt ein reales Album zu schreiben, beschreibt er darin stattdessen wortgewandt ein fiktives – bewegt und ihn über einen Zeitraum von zehn Jahren bei Projekten wie seinem Mahler-Remix-Album, der Arbeit an der LP 'One Pig' oder der Zusammenstellung seiner Brexit Big Band im Haus der Kulturen der Welt in Berlin verfolgt. Wir sehen, wie Herbert von der Bühne des Berghains aus die Crowd seiner 'The Shakes'-Tour vorspielt, wie ihm ein Zahn gezogen wird, wie er im Rahmen eines Workshops in der Volksbühne Teilnehmer:innen buchstäblich auf Eierschalen balancieren lässt und er einen noch anderen Baum aus einem Wald bei Hamburg erst zum Klangkunstprojekt und dann zur Ausruhgelegenheit für rüstige Wanderinnen transformiert.

'A Symphony of Noise' fließt von einem Projekt zum nächsten und unterfüttert die Aufnahmen nicht nur mit einem kongenialen Sounddesign, sondern auch ästhetisch mit in Szene gesetzten Bildern, die bisweilen von Drohnenaufnahmen dominiert werden. Die Küsten von Dover werden abgeflogen, über Bahnschienen geschwirrt und schließlich tief ins Gleisbett gezoomt. Auf visueller Ebene spiegelt sich so der Ansatz eines Künstlers, der selbst den Dingen minutiös auf den Grund geht und keine Mühen scheut, für ein paar kaum hörbare Töne eine Schwimmerin über den Ärmelkanal zu schicken oder eben eine Trompete zu frittieren – ein Mann, der bei schlechtem Wetter minutenlang auf der Suche nach dem Ursprung eines bestimmten Sounds durch die Gegend irrt und schließlich bemerkt, dass es sich lediglich um den auf seine Glatze tropfenden Regen handelt. Was er ganz toll findet, klar.

Er habe sich von Sánchez Lansch zu dem Projekt überreden lassen, weil es darin primär um seine Arbeit und weniger um seine Person ginge, gibt er im anschließenden Gespräch zu. Tatsächlich aber beweist der Film, wie schwer Matthew Herbert der Mensch und Matthew Herbert als künstlerischer „maker of mischief“ voneinander zu trennen sind. Denn wer seiner Umgebung dermaßen genau zuhört, kann sich aus seinem eigenen Schaffen nicht heraushalten. Er nimmt das Filmteam zu einem gigantischen Gewächshauskomplex in der Nähe seines britischen Heimatorts mit, reflektiert darüber, dass in jeder seiner Vinyl-Veröffentlichungen Öl und somit der Horror der Irakkriege eingeschrieben ist und erzählt zwischendurch von seiner Abscheu gegenüber dem Mythos des leidenden Künstlers.

Dass er mit dieser Figur herzlich wenig gemein hat, beweist 'A Symphony of Noise' schließlich zur Genüge. Herbert ist ein Getriebener, ein neugieriger Geist und ein Menschen-Remixer, der sein Publikum mit demselben Respekt gegenübertritt wie seinen zahlreichen Kollaborateur:innen und seinem klanglichen Arbeitsmaterial. Von der Trompete habe er sich immer noch nicht getrennt, erzählt er, auch wenn diese mittlerweile ranzig geworden ist und stinkt. Genauso wie er noch fünf Liter Schweineblut in seinem Studio herumstehen habe aus der Zeit, in welcher er für 'One Pig' den Lebenslauf eines Schweins aus der Nähe von Kent nacherzählte und verdichtete.

Dieses Schwein taucht natürlich ebenfalls auf, vor und nach der Schlachtung, und in einem Interview-Ausschnitt berichtet er von seinem Stolz darüber, auch Jahre nach Release des 2011 veröffentlichten Albums noch auf das Tier angesprochen zu werden, das heißt, seinen Teil dazu beigetragen zu haben, es im kulturellen Bewusstsein zu verankern. Das schließlich, so erzählt der gut aufgelegte Komponist bei der Premiere, sei doch sein eigentliches Ziel: Das Gehör und damit das Bewusstsein der Menschen zu schärfen. Nicht als strenger Didaktiker, sondern als jemand, der ebenfalls tief in die Übel dieser Welt verstrickt ist. Und auch mal ein Kotlett auf dem Teller hat.

„Das mag jetzt naiv klingen, aber ich mache Musik, um die Welt zu verändern“, gibt Herbert nicht ohne Grinsen zu verstehen. Das ist noch so eine Idee, die groß und vielleicht nicht sonderlich gut durchdacht ist. Aber als „maker“, allemal von „mischief“, kommt er diesem Ziel zumindest im kleinen Rahmen immer wieder nahe. 'A Symphony of Noise' ist ein Puzzleteil in diesem Masterplan, gleichermaßen nahbar und exzellent produziert wie seine eigenen Alben. Das nächste übrigens ist schon seit zweieinhalb Jahren in der Mache, berichtet er. Es wird aus einem einzigen Ton bestehen, den er eine Milliarde Mal dupliziert. Er müsse ihn eben nur noch finden, diesen Ton. Es wird ihm schon noch gelingen.

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