Bruchstelle: 2G-Regel für Berlin – Moralische Dilemmata, zweifelhafte Perspektiven

Bruchstelle: 2G-Regel für Berlin – Moralische Dilemmata, zweifelhafte Perspektiven

Allgemein. 4. September 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Nach den Hamburger dürfen nun auch die Berliner Clubs unter Anwendung der sogenannten 2G-Regel wieder den Betrieb aufnehmen. Das vermeintliche politische Zugeständnis an die Szene übergeht aber nicht nur alternative, von der Clubcommission entwickelte Strategien, sondern könnte für die Clubs – ob sie öffnen wollen oder nicht – auf lange Sicht viele Nachteile mit sich bringen.

Berlins Clublandschaft ist zweigeteilt: Die einen krempeln freudestrahlend die Ärmel hoch, die anderen verschränken mit verdunkelter Miene die Arme vor der Brust. Die am Dienstag vom Senat beschlossene 2G-Regel für Clubs folgt einem Entscheid des Verwaltungsgerichts, mit dem das allgemeine Tanzverbot gekippt wurde und stellt für einige die Hoffnung auf Normalität nach anderthalb Jahren Ausnahmezustand, für andere indes eine Vielzahl von Problemen dar.

Das Prinzip der 2G-Regel ist simpel: Geimpfte und Genesene dürfen ohne weitere Nachweise Zugang zu “Tanzlustbarkeiten”, wie es im Behördensprech heißt, erhalten. Menschen, die jedoch ungeimpft sind und keine Genesung vorweisen können, darf selbst mit einem tagesaktuellen negativen Test kein Einlass gewährt werden. Einfach all jene kategorisch abweisen zu müssen, die sich nicht haben impfen lassen, klingt nach einer Art von Selektion, die selbst an dem härtesten Clubtüren überzogen wirkt.

Die 2G-Regel wird deshalb auch als ein Ansporn, wenn nicht sogar als sanfter Zwang für ein bisher impfunwilliges Publikum gedeutet. Obwohl von den rund 35 % bislang ungeimpften Menschen dieser Stadt wohl nur wenige wirklich stichhaltige Gründe dafür anführen werden können, das breite Impfangebot bisher noch nicht angenommen zu haben: Es gibt freilich auch einen Restsatz von Personen, denen aus medizinisch abgesicherten Gründen von einer Impfung abgeraten wurde. Auch für die heißt es demnach ebenfalls kategorisch: Heute leider nicht. Wollen sozialbewusste Clubs das wirklich unterstützen?

Das allerdings ist nur eines der moralischen Dilemmata, mit denen sich die Clubs derzeit konfrontiert sehen. Denn die Politik hat sich in ihrer Entscheidung über die expliziten Forderungen und Wünsche der Interessenvertretung der Berliner Clublandschaft, der Clubcommission, hinweggesetzt. Es ist höchste Zeit, diesem geschenkten Gaul genauer ins Maul zu schauen. Tatsächlich nämlich könnte das Glück der Clubs von lediglich kurzer Dauer und langfristig sogar für sie schädlich sein.

Öffnungsorgien und Inzidenzraten

Es herrscht bei nicht wenigen die Sorge vor, dass eine Öffnung der Clubs unter der 2G-Regel das Infektionsgeschehen antreiben wird, und das zurecht. Es ist mittlerweile wissenschaftlich gesichert, dass es auch bei Geimpften zu sogenannten Durchbruchsinfektionen kommen kann und sie in diesem Fall ähnlich infektiös sind wie Ungeimpfte. Es ist demnach mehr als denkbar, dass asymptomatisch erkrankte Geimpfte und Genese sich nichts ahnend in Clubs begeben, zu denen sie ohne Test Eintritt erhalten, mit anderen in der Klokabine die Berliner Delta-Plus-Variante ausbrüten und sie weitertragen – ob nun in den eigenen Kiez oder in ganz andere Teile dieser Welt hinaus.

Auch wenn das sicherlich der schlimmste anzunehmende Ausgang wäre: In Israel, den Niederlanden, Großbritannien und den USA ließ sich bereits beobachten, dass verfrühte und bisweilen komplett unüberlegte Öffnungsorgien die Inzidenzen und also auch langfristig die Hospitalisierungen in die Höhe schnellen ließen. Was wiederum beispielsweise in den Niederlanden und Israel dazu führte, dass die Clubs wieder so schnell geschlossen wurden, wie sie wiedereröffnet worden waren – eine Perspektive, die allen politischen Versprechen vor der Bundestagswahl, es werden keine weiteren Einschränkungen zu erwarten sein, zum Trotz nicht völlig ausgeschlossen ist.

Daran mitzuwirken kann nicht im Interesse der Clubs liegen, die bereits im Frühjahr 2020 als Pandemietreiber identifiziert und bisweilen auch medial verteufelt wurden. Ob nun aus Solidarität oder aus Sorge um den eigenen Ruf: Langfristig betrachtet scheint es mindestens riskant, unter diesen Bedingungen wieder uneingeschränkt die Pforten zu öffnen.

Doch was führt eigentlich der Senat mit dieser Entscheidung im Schilde?

Die Glück-im-Unglück-Strategie

Ein Vorteil der Öffnung von Clubs zu diesem Zeitpunkt liegt sicherlich in der besseren Nachverfolgung von Superspreading-Events, sollte es denn zu ihnen kommen. Derweil sich die zahlreichen illegalen Raves überall in der Stadt mit dem schlechter werdenden Wetter in die Innenräume zurückziehen und so das Infektionsgeschehen noch weiter zuspitzen könnten, bietet der legale Clubbetrieb dank der Registrierungspflicht zumindest nachträglich die Möglichkeit, Infektionsketten zu identifizieren und zu intervenieren, um einer weiteren Ausbreitung vorzubeugen.

Es handelt sich allerdings um eine Glück-im-Unglück-Strategie, wie sie weder der gebotenen Situation angemessen noch notwendig ist. Denn es gibt eine bereits erprobte Alternative, die aus der Szene selbst heraus entwickelt wurde. Die Clubcommission gab nach Verkündung der Entscheidung bekannt, dass sie für ein System auf Grundlage von PCR-Tests lobbyiert habe, wie es bereits vor einer Weile unter dem Titel “Reboot” experimentell in sechs Berliner Clubs ausprobiert wurde. Und zwar mit vollem Erfolg: 2.200 Menschen wurden vorab getestet und einige wenige Infektionen vorab festgestellt. Bei einer Nachtestung von rund 1.400 Teilnehmer:innen des Pilotprojekts wurden keine Neuinfektionen nachgewiesen.

Feiern ist in Berlin ab diesem Wochenende wieder so gut wie uneingeschränkt möglich – 2G vorausgesetzt.

Das ist es, das Rezept für eine wirklich sichere und verantwortungsvolle Neueröffnung. Dass der Vorschlag allerdings von der Politik dermaßen nonchalant übergangen wird, muss sich für die Mitglieder der Clubcommission, die seit anderthalb Jahren wahrscheinlich weniger schlafen als durchschnittliche Party-People während der Festivalsaison, wie ein Schlag ins Gesicht angefühlt haben. Umso mehr, weil sich bei genauerer Hinsicht der Gedanke aufdrängt, dass es mit der vermeintlichen Sorge der Politik um die Clubszene der Stadt nie so ernst bestellt war, wie seit Anfang der Pandemie wieder und wieder beteuert wurde.

Schnelles Cash statt langfristiger Sicherheit!

Wieso denn nicht das “Reboot”-Programm zum Vorbild einer berlinweiten Eröffnung der Clubs nehmen, wie es ganz offensichtlich von der Clubcommission von langer Hand und unter schätzungsweise erheblichen Mühen geplant war?

Das eine Argument gegen ein PCR-Modell, das auch häufig in den gängigen Kommentarspalten zu lesen ist, lautet schlicht: Die Dinger sind teuer. Mindestens einen mittleren zweistelligen Betrag kostet ein Test durchschnittlich, eine unverhältnismäßige Vorinvestition in eine einfache Clubnacht. Übergangen wird dabei jedoch zweierlei: Einerseits zeigt sich in Österreich, dass ein unkompliziertes und eben weitgehend kostenfreies Angebot von PCR-Tests möglich ist, sobald der politische Wille da ist und entsprechende Investitionen getätigt werden. Andererseits lässt sich argumentieren, dass solche Investitionen voll in der Verantwortung einer Politik liegen, die nicht nur die Sicherheit der Bevölkerung garantieren, sondern auch die Clubwirtschaft wieder ankurbeln möchte.

Doch könnte es eben – neben einem kleinen Beliebtheits-Boost bei noch unentschlossenen Raver:innen kurz vor den anstehenden Wahlen – im Kern lediglich darum gehen: den wirtschaftlichen Aufschwung dieser Stadt. Noch ist die Tourismussaison nicht vorbei und die Gelegenheit entsprechend günstig, mit chronisch unterraveten Menschen aus der Hauptstadt und anderswo schnell wieder Zaster zu machen. Der schließlich wird selbstverständlich auch den Kassen des Landes gut tun – die Studie zu den aus der Clublandschaft generierten Einnahmen im Jahr 2018 ist doch hinlänglich bekannt. Das möglichst unkompliziert und für sich selbst sparsam zu gestalten, lohnt sich eben für eine Politik mehr als der finanzielle Aufwand für ein breit angewandtes, sicheres Konzept mit Tests. Schnelles Cash statt langfristiger Sicherheit!

Ausgang? Ungewiss.

Bleibt die Frage, ob sich das auch de facto für die Clubs rechnen wird. Die nämlich haben über die letzten anderthalb Jahre oft genug angemahnt, dass ein Vollbetrieb nicht von heute auf morgen möglich sein wird, zumindest nicht ohne einen erhöhten personellen und organisatorischen Mehraufwand leisten zu müssen, das heißt jede Menge Überstunden mit ungewissen wirtschaftlichen Langzeitperspektiven einzuplanen.

Mehr noch: Was, wenn Clubs – wie es bereits von einigen angedeutet oder gar wie im Falle des ://about blank im eigenen Newsletter dezidiert ausgesprochen wurde – dieses moralisch wie epidemiologisch und wirtschaftlich fragwürdige Spiel nicht mitspielen wollen? Können sie dann überhaupt noch ohne Weiteres Anspruch auf die staatlichen Förderpakete und Rettungsfallschirme anmelden, die ihnen bisher so schnell und unkompliziert zur Verfügung gestellt wurden? Oder bekommen sie dann wieder die ewige Leier von der Eigenverantwortung zu hören? Wer die Öffnung des eigenen Clubs nicht verantworten möchte, ist selbst schuld und muss dementsprechend sehen, wo nun das Geld für die Miete herkommt!

Im selben Zug lässt sich genauso fragen, ob nicht mit Wiedereröffnungen einiger Clubs ein neues Ungleichgewicht in die Clubszene im Gesamten Einzug hält: Welche Auswirkungen wird es dauerhaft auf die Clublandschaft haben, wenn die Einführung der 2G-Regel sie in wirtschaftliche Gewinner und Verlierer spaltet? Was also, wenn diejenigen, die in dieser Situation aus Sorge vor einer Eskalation des Infektionsgeschehens das moralisch und epidemiologisch Ratsame zu tun versuchen, gegenüber der Konkurrenz abschmieren? Wie sähe danach die zuvor schon von Verdrängung und Kapitalinteressen verwüstete Szene aus?

Ja, die Aussicht auf vergnügte Clubnächte ohne Abstandsregelungen, Maske, vor Desinfektionsmittel klebrigen Händen und, viel wichtiger noch, Virus – sie ist eine uneingeschränkt schöne. Nur hätte sie von der Politik mittels eines Systems in die Tat umgesetzt werden können, das durch die Bemühungen aus der Szene heraus erfolgreich erprobt wurde. Stattdessen werden die Clubs durch den Senat nun dazu angeleitet, auf Basis eines äußerst prekären und wissenschaftlich zweifelhaften Prinzips Knall auf Fall in den Vollbetrieb zu gehen. Ausgang? Ungewiss.

Der vermeintlich frohen Kunde haftet deshalb ein Geschmäckle an: Vielleicht wird hier mal wieder des Geldes wegen über die Köpfe der Betroffenen hinweg Politik gemacht. Das indes, und da könnten sich sogar einmal alle Clubs der Stadt einig sein, hat der Szene noch niemals gut getan.

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