Clubszene: “Mitte März muss alles offen sein, sonst gibt es uns nicht mehr”

Clubszene: “Mitte März muss alles offen sein, sonst gibt es uns nicht mehr”

Features. 20. Februar 2022 | / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

„Wann warst du das letzte Mal feiern?“ – eine Frage, die sich nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie nicht einfach beantworten lässt. Die Subwoofer schlummern, der Techno träumt. Auf den Dancefloors der Nation hat seit Monaten niemand mehr gestampft. Allein 80 Prozent der Berliner Clubs haben derzeit ihren Betrieb eingestellt, sagt die Clubcommission. Der Rest veranstaltet Ausstellungen oder stellt die Location als Impfzentrum zur Verfügung. In vielen anderen Städten ist die Situation ähnlich. Die letzten Monate hat man die gesellschaftlichen Einschränkungen mitgetragen, vielleicht drei Zoom-Meetings verschlafen und bestimmt über Bananenbrot geschwiegen. Denkt man an Deutschland in der Nacht, hört man … nichts. Der hedonistische Eskapismus fehle, das sagen viele. Die Befreiung, der Exzess, das Loslassen des Alltags, während man sich zu repetitiver Maschinenmusik verliert, es ist weit weg.

„In 22 Monaten hatten wir lediglich acht Wochen geöffnet“, sagt Peter Fleming, Geschäftsführer des Münchner Clubs Harry Klein. Im Sommer 2021 konnte man outdoor veranstalten. Im Herbst für einige Wochen auch drinnen tanzen. Im November war Schluss. Seitdem sind über 130 Streams auf YouTube gelandet. „Gerade fragt man sich aber öfter, was das gebracht hat – und das zeigt vielleicht eine gewisse Müdigkeit“, so Fleming, der sich über die aktuelle Situation konsterniert zeigt. „Blickt man auf die Meldungen aus den Kabinettssitzungen der Bayerischen Staatsregierung, findet man seit Wochen keinerlei Hinweise oder Erwähnungen bezüglich Clubszene. Man darf sich in Anbetracht dieser Missachtung schon die Frage stellen, ob die Regierung überhaupt ein Bewusstsein gegenüber der Clubkultur in Bayern hat.“

Dass das Bewusstsein für die Nachtkultur fehle, bestätigen alle, mit denen man über die derzeitige Lage spricht – oder die darüber sprechen wollen. Man werde nicht gesehen oder gehört, es gebe keine Wertschätzung oder man stoße auf generelles Unverständnis, lautet der Tenor, der aus der Clubszene kommt. Ein Tenor, der leise schwingt, weil alle müde sind und niemand mehr über das reden will, was seit Monaten die Arbeit verhindert. DJ LAB hat bei über 20 Clubs und DJs in ganz Deutschland angefragt, fast ausschließlich ohne Rückmeldung. Das wird seine Gründe haben. Keine Antwort ist trotzdem eine: Seit Beschluss des „Tanzverbots“ in Berlin im vergangenen Dezember ginge viele Clubs in den freiwilligen Lockdown. Manche Homepages wirken wie aus der Zeit gefallen – „Bis auf Weiteres geschlossen“, gepostet irgendwann im letzten Jahr. Daneben: ein Aufruf, die eigenen Kontakte einzuschränken.

Mittlerweile ist man in Deutschland weiter. Bisher haben sich knapp 75 Prozent der Bevölkerung „grundimmunisieren“ lassen, das heißt: Über 62 Millionen Menschen erhielten mindestens zwei Stiche, eine Mehrheit sogar die sogenannte Boosterimpfung. Weil auch die Sieben-Tage-Inzidenz fällt, hat der Bund zuletzt Lockerungsschritte in Aussicht gestellt. In Berlin soll es bis zum Frühlingsbeginn am 20. März zu einer schrittweisen Wiedereröffnung der Clubs kommen, wie mehrere Medien berichteten. „Wenn klar ist, dass die Intensivstationen nicht mehr am Limit sind und auch die Beschäftigten der kritischen Infrastruktur nicht mehr krankheitsbedingt ausfallen, müssen auch wir endlich wieder für unsere Gäste öffnen dürfen“, sagt Pamela Schobeß, erste Vorsitzende der Berliner Clubcommission. Deren Pressesprecher Lutz Leichsenring geht noch weiter: „ Mit der Schaffung von PCR-Testkapazitäten für Clubnächte wären sichere Veranstaltungen selbst bei zunehmendem Infektionsrisiko möglich. Die erneute Schließung der Clubs nur wenige Wochen nach Wiedereröffnung, wie im vergangenen Herbst, darf sich nicht wiederholen.“

Das sagt auch Marcel Weber, Geschäftsführer des Berliner SchwuZ. „Uns macht Sorge, dass wir im kommenden Herbst wieder mit großer Wahrscheinlichkeit vor einer Situation stehen werden, in der über Einschränkungen in bestimmten Bereichen gesprochen wird – vor allem dann, wenn nicht über den Frühling und Sommer daran gearbeitet wird.“ Man müsste gezielt gegensteuern, zum Beispiel mit Stufenmodellen für verschiedene Testverfahren wie Antigen- und PCR-Tests, die als Zugangsvoraussetzung gelten. Auch über eine allgemeine Impfpflicht müsse nachgedacht werden, so Weber. Schließlich gebe es aktuell keine Rahmenbedingungen, um das Weiterleben von Clubs zu sichern.

„Wir brauchen eine Perspektive zur Wiedereröffnung mit klaren Parametern, Wiederanschubfinanzierungen im Rahmen von Förderprogrammen oder eine Kreditübernahme durch die öffentliche Hand sowie die Sicherheit, dass man zukünftig ohne Einschränkungen arbeiten kann“, so der Geschäftsführer des SchwuZ. Aktuell lege er die Hoffnung in die Sommermonate. Auch wenn die nahe Zukunft ungewiss erscheine, so Weber. Die Zusammenarbeit innerhalb des Teams und der Communities sei noch solidarischer geworden – eine Aussage, die man auch von Jas Fullerton hört. Die gebürtige Londonerin lebt in Berlin und produziert unter dem Namen AUCO. Zuletzt hat sie im bekanntesten Badezimmer der Szene aufgelegt. “Die Unterstützung der Communities ist immer noch da”, sagt sie. “Vor allem bei Streams und Radioshows.”

Wandert der Blick über die Grenze nach Österreich, erkennt man eine ähnliche Situation. Auch wenn es offiziell nie ein "Tanzverbot" wie in Teilen Deutschlands gab, sind die Clubs im Vergleich zu Tschechien oder der Slowakei trotzdem geschlossen. Getanzt wird – wenn überhaupt – nur zum HÖR-Set, das aus der Bluetooth-Box in den eigenen vier Wänden ballert. Doch: „Die Clubkultur ist medial überhaupt nicht mehr präsent“, sagt Stefan Stürzer. Er ist Geschäftsführer von Das Werk, einer Wiener Location am Donaukanal und kann die fehlende Berichterstattung bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. „Etliche Komplexitätsforscher:innen und Virolog:innen hatten mit ihren Prognosen recht – wir waren Anfang Februar mit hohen Infektionszahlen konfrontiert. In so einer Situation wäre es unverantwortlich gewesen, einen Club zu öffnen.“ Allerdings sehe er wie viele andere Entwicklung im Pandemiegeschehen. „Viele Ärzt:innen sagen, dass der Peak erreicht sei. Deshalb müssen wir über erste Schritte der Öffnung nachdenken“, so Stürzer.

Seine Ansage klingt nicht ohne Grund wie ein Appell: „In anderen Teilen Europas fallen die Einschränkungen, wir haben de facto eine Impflicht in Österreich, über 80 Prozent der Menschen sind immunisiert – auf was warten wir?“ Dass er an die Entscheidungstragenden durchdringt, lässt sich bezweifeln. Stürzer habe noch nichts von der Bundesregierung gehört. Informationen, die die Zukunft des Clubs betreffen, erfahre er ausschließlich aus den Medien. „Mit den Menschen, die in den Clubs arbeiten, spricht niemand“, so Stürzer. Dabei sehe man, dass es auch anders geht. „Après-Ski ist bisher kein Problem gewesen. Da feiern hunderte Menschen auf kleinstem Raum – in Österreich geht das. Und das nervt – weil man merkt, dass mit zweierlei Maß gemessen wird.“

Das Werk in Wien hat in zwei Jahren Pandemie nicht einmal neun Monate offen gehabt. „Das ist nicht nur unter dem Strich zu wenig“, sagt Stürzer. Die Geldreserven seien aufgebraucht, die Polster verschwunden. Ein Problem, das man zuletzt hinter verschiedensten Clubtüren besprochen hat. Wenn der Frühling einzieht, die Corona-Maßnahmen greifen und eine 2G-Plus-Regel mit tagesaktueller Teststrategie eingeführt werden kann, besteht trotzdem Hoffnung für einen Neuanfang. Was passiert, wenn es anders kommt, fasst Stefan Stürzer von Das Werk zusammen: „Mitte März muss alles offen sein, sonst gibt es uns nicht mehr.“

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