Marie Montexier im Interview: "Es gibt keine Safe Spaces, nur Safer Spaces"
Vinyl only, Berghain-Gigs, HÖR, Boiler Room, eigenes Label und international auf Tour: An Marie Montexier kommt derzeit niemand vorbei. Sie ist fast jedes Wochenende in den interessantesten Clubs als DJ unterwegs – wie findet sie dabei noch Zeit für ihr Label Paryìa und ihre Residency im Gewölbe in Köln, wie wichtig ist Social Media für sie und was hätte sie sich als Künstlerin zum Start gewünscht, über den DJ-Beruf zu wissen? Unsere Autorin hat sich in Marie Montexiers neuer Wahlheimat Leipzig mit ihr zum Interview getroffen.
DJ LAB: Hallo Marie, schön, dass wir uns endlich begegnen. Zum Einstieg, ohne viele Umschweife: Wer bist du, was machst du?
Marie: Ich bin Marie Montexier und fühle mich als Künstlerin, aber auch die Bezeichnung DJ trifft zu; ich bin wohnhaft in Leipzig, Alter egal – und ich studiere nebenbei Soziologie. Und habe zu viele Hobbys, um sie alle aufzuzählen – Fußball im Park, Basketball spielen, klettern. Viel Sport einfach.
Typische Frage, aber interessant für alle, die noch nicht so viel über dich gelesen haben: Wie kamst du zum Auflegen?
Elektronische Musik hat mich schon immer interessiert, das erste Mal in Berührung damit kam ich im Jugendzentrum. Dann leider die alte Leier, zumindest bei weiblichen oder weiblich gelesenen Kunstschaffenden, dass man das Auflegen bei Männern gelernt hat – bei mir war das auch so, mein Ex-Freund hatte das Equipment und damit habe ich angefangen. Ich habe mir dann relativ schnell selbst Equipment gekauft und seitdem lege ich auf, schon immer mit Vinyl.
Du spielst auch weiterhin Vinyl only, oder? Ist das eine bewusste Entscheidung?
Vinyl only, ja. Und nein, gar nicht – es ist eine krasse Gewohnheitssache und hat eine andere Art von Extravaganz, weil fast alle digital spielen. Mir macht es einfach Spaß, mal nicht vorm Laptop zu sitzen, ich befasse mich damit dann auch ganz anders mit Musik, mit meiner Musik, die ich zu Hause habe. Und es ist leichtlebiger, aber nicht so schnelllebig. Man kann sagen, ich bin bei meinen Wurzeln geblieben, weil ich mit Vinyl angefangen habe.
Wie findest du neue Musik für deine Sets? Welche Musik hörst du privat?
Das hat sich tatsächlich verändert. Früher habe ich auch privat viel elektronische Musik gehört, das ist weniger geworden. Ich glaube, das hat auch etwas mit der Quantität der Gigs zu tun, die ich mittlerweile habe. Bevor ich elektronische Musik gehört habe, habe ich viel Hip-Hop gehört und das tue ich weiterhin. Mittlerweile höre ich auch wieder Bandmusik, RnB, Pop, Indie, Jazz – oder das, was gerade bei Deutschlandfunk läuft (lacht), denn es entspannt auch, wenn man mal nicht auswählen muss, was für Musik gespielt wird. Das muss ich am Wochenende ja schon immer tun.
Und Musik für den Club, wie findest du die?
Ich gehe richtig gerne in Plattenläden. Der Gang dorthin und die Zeit, die man dort verbringt, ist eben was ganz anderes, als vor Discogs zu hängen. In Leipzig bin ich gerne im Sleeve, im Vary oder im Inch by Inch. Außerhalb von Deutschland würde ich noch Libertine Records in Barcelona nennen, da habe ich viele tolle Platten gekauft, die meine Sammlung verändert haben. Ich versuche auch, so oft es geht, in neue Plattenläden zu gehen, wenn ich unterwegs bin. Dort kann man tolle lokale Musik kaufen, gerade im elektronischen Musikbereich.
Du bist kürzlich von Köln nach Leipzig gezogen. War das auch eine Karriere-Entscheidung?
Ich hatte Lust auf eine andere Stadt, Lust auf mein Studium. Ein Stadtwechsel ist auch gut für die persönliche Entwicklung, finde ich. Ich wollte einfach nochmal weiterziehen, weitermachen – dazu kommen günstige Mieten, auch wenn manche in Leipzig das nicht so gerne hören, ich weiß. Eine etwas ruhigere, kleinere und szenige Stadt passt mir da ganz gut, denn bei mir ist am Wochenende immer schon so viel los.
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Mehr InformationenUnd wie nimmst du Leipzig clubkulturpolitisch wahr, hast du vor hier auch etwas zu starten?
Ich kannte in Leipzig, bevor ich hergezogen bin, schon das Institut fuer Zukunft und das Mjut, vom Proberaum im Conne Island habe ich auch gehört. Und ja, ich werde eine Nacht in einem neuen Club in Leipzig kuratieren, im Neue Welt Club, gemeinsam mit Amy Woyth aka ttyfal. Darauf habe ich mega Lust, hoffentlich entsteht daraus mehr. Nur manchmal sehe ich den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, weil ich gerade echt viele Projekte mache (lacht).
Du bist Veranstalterin, Künstlerin, DJ – du kennst einen Abend aus vielen Perspektiven. Was sagst du, braucht es bei Veranstaltungen, um sich wohlzufühlen?
Ganz wichtig ist mir, auf die Bedürfnisse der Künstler:innen einzugehen, wenn ich Veranstalterin bin. Das heißt für mich, nicht zu viel anzubieten, also nicht "wir können das, das, das und das machen", denn das kenne ich aus eigener Erfahrung, dass es mich unter Druck setzt, vor dem Auftritt noch sozial aktiv zu sein. Der Empfang ist noch besonders wichtig, finde ich. Dass ich, wenn ich als DJ ankomme, direkt die Booker:in oder Promoter:in sehe, erkenne; dass er:sie vielleicht mit einem Schild wartet – denn mich stresst es sehr, Ansprechpersonen zu suchen und nicht genau zu wissen, wo sie sind. Und wenn der Anfang schon stressig ist, zieht sich das oft durch den ganzen Abend durch. Ein schöner Empfang, wie Sedef Adasi das macht – sie bringt zum Beispiel immer eine Blume mit, wenn sie Künstler:innen abholt –, ist mir einfach wichtig.
Gibt es für dich Unterschiede bei Veranstaltungen, bei denen kaum oder gar keine FLINTA*s im Line-Up und der Crew dabei sind, was den Vibe und das Wohlfühlen angeht?
Ja, das ist auf jeden Fall ein Unterschied. Ich habe schon sehr unangenehme Erfahrungen mit anderen DJs und männlichen Promotern gemacht. Man erfährt als Frau Sexismus im Alltag, von Gästen. Da werden Grenzen überschritten, die eigentlich festgesetzt und verständlich sind. Ich empfinde das als noch schlimmer, als noch negativer, wenn es mir in meinem Arbeitsumfeld passiert. Es gab öfter Situationen, in denen Promoter mich angemacht haben. Und ja, das passiert eben nicht nur außerhalb unserer Szene, sondern auch innerhalb der elektronischen Musikszene, auch wenn immer alle so tun, als gäbe es das dort nicht. Awareness, Rave, Safe Space – es gibt keine Safe Spaces, wenn dann nur Safer Spaces. Und wenn Clubstrukturen von Leuten getragen werden, die selbst übergriffig und sexistisch sind, ist das heuchlerisch. Ich fühle mich deshalb immer wohler, wenn ich von einer Frau abgeholt werde oder beim Dinner nicht nur mit Männern zusammensitze. Man gewöhnt sich aber auch in gewisser Art und Weise daran, wenn es mal wieder so ist, dass nur Männer da sind. Ich gehe dann häufig ins Gespräch und frage nach, wie aktiv der Club in dieser Frage ist.
Das Thema Sexismus teilst du auch bei Instagram mit deinen Followern. Welche Rolle spielt Social Media – Instagram, Facebook, Twitter, SoundCloud und Co. – für dich als Künstlerin?
Einerseits mag ich Instagram, denn es ist ein cooles Tool, um Leute kennenzulernen und man hat leichter Zugang, um mit Menschen aus der Szene zu connecten. Andererseits hasse ich es auch. Es ist eine Hassliebe. Ich habe das Gefühl, dass ich Content liefern muss, was mir manchmal Spaß macht und mich manchmal unheimlich stresst. Instagram hat auch so eine gewisse Schwere bekommen, weil es auch als politische Plattform genutzt wird und es nicht mehr nur darum geht, Fotos zu posten. Ich bin hier zweigeteilter Meinung – einerseits nutze ich Instagram auch für politische Inhalte, andererseits bin ich aber auch extrem vorsichtig, was ich teile, weil ich neben einer Reichweite auch eine Verantwortung habe. Menschen informieren sich zwar sehr stark über Instagram, aber für mich ist es genau dafür die falsche Plattform. Ich versuche hier einen guten Mittelweg für mich als Künstlerin zu finden, um etwas zu bewegen und meine Meinung zu teilen – aber komplexere Dinge können einfach nicht in zehn Slides erzählt werden. SoundCloud war immer eine coole Plattform, die leider immer weniger genutzt wird, weil viele doch eher über Spotify Musik streamen, was ich schade finde. Sets bekommen dadurch viel weniger Aufmerksamkeit und Anerkennung, als sie verdient hätten.
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Du hast ein volles, dichtes Leben: Studium, Aktivismus, Auflegen, Rumreisen, Label. Dazwischen eben immer wieder auch Insta-Postings und Gig-Ankündigungen, hier bekommt man eine gewisse Ahnung davon, wie viel bei dir immer ansteht. Wie gehst du mit diesem Stress um, wie hältst du dich mental fit?
Sport ist für mich super wichtig. Beim Sport versuche ich aber, mich nicht unter Druck zu setzen, denn Leistungsdruck findet eh schon in allen Bereichen unseres Lebens statt. Freundschaften sind super wichtig – meine Freund:innen sind meine Familie, meine Stütze. Und Ruhephasen, also eine Balance aus Freund:innen treffen und sich wirklich mal Zeit für sich zu nehmen. Für meinen Partner ist mein volles Leben auch echt eine Challenge, würde ich sagen. Den besten Weg habe ich noch nicht gefunden, um ehrlich zu sein. Aber einen Tipp habe ich: Arbeitshandy und Privathandy trennen. Das hat mir sehr geholfen. Denn es ist schwierig, die eigenen Grenzen auch einzuhalten. Man merkt oft erst spät, dass man zu viel gemacht hat und die Grenzen verschoben wurden.
Wo wir schon bei Tipps sind: Welche Tipps würdest du anderen DJs geben, die gerade mit dem Auflegen anfangen? Sollte man sich schon früh Gedanken um die eigene Belastbarkeit, die eigenen Grenzen machen?
Ich wünschte einfach, das Thema Mental Health wäre viel größer in unserer Szene. Obwohl so viel von Awareness gesprochen wird, wird so wenig von Mental Health gesprochen, das ist zumindest mein Gefühl. Denn DJ-sein ist ein Beruf, der krass anstrengend ist. Man wird richtig entkoppelt: Man fährt freitags los, alle anderen treffen sich in Bars oder sind feiern. Es macht auch psychisch etwas mit dir, wenn man immer wieder rausgerissen wird. Und es macht etwas mit dir, all diese Erfahrungen in deinem Job alleine zu machen und nicht teilen zu können. Ich hatte anfangs totale Schwierigkeiten damit. Mir ging es sonntagabends nicht gut, egal wie geil die Gigs waren. Ich bin alleine gereist, habe zwar viele Leute kennengelernt, habe aber sozial zu viel gegeben, dass ich letztlich das Gefühl hatte, völlig leer zu sein. Ich will als Künstlerin darauf hinweisen und darüber sprechen, dass es ein toller Beruf ist, DJ und Künstlerin zu sein, aber man gerade anfangs darauf achten sollte, aufgefangen zu werden – indem man sich zum Beispiel Sonntagabend mit einer Freundin verabredet oder zwischendurch mit Freunden telefoniert. Ich hätte mir gewünscht, dass ich auch auf die negativen Seiten vorbereitet gewesen wäre – das hätte mir wahrscheinlich sehr geholfen, anders mit dem Job umzugehen.
Letzte Frage: Wie geht es bei dir dieses Jahr noch weiter, worauf freust du dich besonders?
Ich freue mich besonders auf die nächsten zwei Releases auf meinem Label Paryìa mit Small Crab aus Dublin und DJ Overland aus Vancouver. Ich will mit meinem Label FLINTA*-Künstler:innen unterstützen und ich freue mich einfach, dass das jetzt passiert, dass ich die Plattform ausbauen kann und ich hoffe, dass sich immer mehr Künstler:innen melden und mir ihre Musik schicken. Und ich bin gespannt zu beobachten, wie wir alle – alle aus meinem Kollektiv und auch ich – weiter an unseren Projekten und Veranstaltungen wachsen.
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