Mit einem fast leidenschaftlichen Ausruf beginnt der einstige Futurist seine neue Karriere. Thomas Bangalter möchte kein Roboter mehr sein, legt seinen Helm ab und soll künftig ganz als Mensch wahrgenommen werden. In Zeiten in denen KI auf dem Vormarsch und längst alles digitalisiert ist, ein nachvollziehbarer Schritt. Vielleicht war der Franzose aber auch zuletzt im Kino und sah, wie dort Lydia Tár ihre Mitmenschen als emotionslose Roboter bezeichnete. Während sie ihr vermeintliches Menschsein mit Musik von Mahler ausdrückt, geht es auch für Bangalter in die Klassik. Statt großen Symphonien, schreibt er jedoch Musik fürs Ballett. ‚Mythologies‘ macht eines ganz deutlich klar: Hier kommt der neue Thomas Bangalter.
Kleider machen bekanntlich Leute, oder in unserem Fall machen Namen die Musik. Man muss ehrlicherweise sagen, dass die Musik für ein Ballett im Normalfall die wenigsten Menschen hinterm Ofen hervorlockt. Wenn aber wie hier, der Name Thomas Bangalter auf dem Cover steht, dann ist ein großes Medienaufruhr garantiert. Schließlich ist es die erste Musik von einem der beiden berühmtesten Roboter der Welt, seit deren Trennung. Nur eben jetzt, fast pinocchiohaft, als richtiger, echter Mensch. Damit die Transformation gelingt, wurden die Synthesizer und Drummachines gegen das traditionelle Orchester eingetauscht. Nicht nur das, ‚Mythologies‘ ist darüber hinaus sogar so richtig klassische Klassik. Die tonale Sprache ist bekannt und verströmt fast durchweg hoch- und spätromantischen Flair. Hier und da scheint aber auch das Golden Age of Hollywood und amerikanischer Minimalismus der Marke Steve Reich durch, das große Experiment wird allerdings nicht gewagt.
90 Minuten umfasst das Ballet, was für einen Orchester-Neuling eine ambitionierte Aufgabe ist. Bangalter löst diese jedoch durchaus gut und die erste eigene Veröffentlichung seit seiner Filmmusik zu ‚Enter The Void‘ ist in weiten Teilen gelungen. Viele Ansätze und Passagen deuten auf das große Potenzial hin, das noch in dem einstigen Elektro-Pionier schlummern. Da wäre das zwischen Sehnsucht und Bedrohung changierende Adagio ‚L’Accouchement‘, in dem sich die Streicher mit langen Glissandi durch bittersüße Dissonanzen bewegen. Bei ‚Icare‘ fährt Bangalter beste Mediant-Harmonik auf und erzeugt eine spooky Atmosphäre, wie man es sonst nur von der Weirdo-Ikone Danny Elfman kennt. Auch der immer wiederkehrende, barock anmutende Trauerchoral, der gleich zu Beginn in ‚Premier Movement‘ eingeführt wird, erzeugt eine große dramatische Kraft und lässt uns mit seinem unaufgelösten Leitton ruhelos zurück. Größtes Highlight ist aber das tänzelnde ‚Treize Nuits‘, in dem es so klingt, als wäre Spaniens großer Maestro Manuel de Falla wieder auferstanden. Hier gelingt es Bangalter, dass sich das Orchester ganz mühelos und organisch aus motivischer Arbeit heraus entwickelt und dem Höhepunkt entgegen steigert.
Ansonsten ist der Dialog des Orchesters und der Stimmen untereinander nämlich die größte Schwäche von ‚Mythologies‘. Viel zu oft lässt Bangalter das Orchester im Gleichschritt in eine Richtung laufen, schwingt sich von Akkord zu Akkord und von Farbe zu Farbe. Das wird gerade da deutlich, wo es moderner wird und der Fokus auf Repetition und rhythmischen Figuren liegt. Stücke wie ‚Le Catch‘, ‚Zeus‘ oder ‚Circonvolutions‘ basieren auf Loop ähnlichen Strukturen, schaffen es aber nicht, das dramatische Potenzial völlig auszuschöpfen. Hier wirkt die Kompostion zumeist leer und die notwendige Verdichtung der Orchesterstimmen fehlt. Das berühmte Gespräch der Stimmen untereinander kommt nicht auf und es werden Löcher und Lücken im Klangbild aufgerissen. Wohlwollend kann man dies aber als Kinderkrankheit abstempeln, die durch ein paar Nachhilfestunden in Kontrapunkt, ein bisschen Beethoven-Analyse und vor allem Erfahrung in Zukunft besser werden sollte.
Ansonsten ist ‚Mythologies‘ ein gutes, wenn man es so nennen will, Debüt. Der Schritt zur rein orchestralen und klassischen Musik ist gewagt, aber auch äußerst klug, wenn nicht sogar notwendig. Man muss sich schon sehr anstrengen, wenn man in dem Werk parallelen zu Daft Punk hören möchte. Dadurch bekommt nicht nicht nur Thomas Bangalter, sondern auch wir als Hörende die Chance, seine Musik völlig frei von dem tonnenschweren Erbe seiner Vergangenheit zu hören. Die Ohren sind offen für einen neuen Thomas Bangalter. Auch wenn dieser Schritt bedeutet, dass dadurch ein Großteil der alten Fans nicht folgen werden.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Spotify. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
0 Kommentare zu "Musik zum Wochenende: Der neue Thomas Bangalter"