Up and Coming – Peachlyfe: "Zu viele Routinen lassen die Zeit verschwinden"
Petra aka Peachlyfe ist eine der derzeit interessantesten Künstler:innen der Technoszene. Sie pendelt zwischen Berlin und Kopenhagen, produziert, legt auf, spielt live – und hebelt dabei track by track das "Cistem" aus. Trippy, heavy, schnell, auch mal melodiös, eigen und druckvoll, so lassen sich die Auftritte von Peachlyfe beschreiben. Mehr noch: Wie ein Auf- und Abtauchen bei Wellengang. Unsere Autorin hat Peachlyfe zu ihrer neuen EP, internationalen Gigs und 90er- und 2000er-Pop-Edits befragt.
Erst höre ich ein Maunzen, bevor die Verbindung auch visuell steht. Petra schaut über die Kamera hinweg und lacht, entschuldigt sich für eine Sekunde und es kruschelt. Miau. Petra ist zurück, es muss eine Katze sein, die im Off rumpelt, wahrscheinlich gegen die Tür. Dann lässt sich Peachlyfe gut gelaunt in ihren Stuhl fallen und begrüßt mich. Wir facetimen an diesem Tag von Leipzig nach Kopenhagen (und vice versa), überwinden knapp 600 km Strecke mit einem Klick.
Vor ein paar wenigen Monaten haben wir uns in Berlin gesehen, "in echt"; damals legte Petra zur Bottom Toppixx im RSO auf, eine mittlerweile fast schon klassische Sonntagseventreihe in Berlin, die gut kuratierte Tage und anschließende Nächte verspricht. Das Versprechen wurde an jenem Sonntag eingelöst, von allen Acts – aber besonders im Kopf blieb mir Peachlyfe, die durch ihre ruhige, unprätentiöse Gestalt auf der Bühne und ihr erzählerisches Peaktime-Set auffiel.
Von Jazz zu Techno
Als Künstler:in beschäftigt sich Petra vornehmlich audio-, seltener auch textbasiert mit der Übersetzung von Emotionen in Musik. Einiges zirkuliere um die Themen Identität und Gender, denn "obviously", wie Petra sagt, hinterfrage sie diese Konzepte, das "Cistem" und Binarität. Das Projekt Peachlyfe sei genau daraus entstanden, aus einem Impuls des Hinterfragens heraus, da Petra ihre Gefühle und ihren Körper erforschen und verstehen wollte. Den Prozess verarbeitete sie in ihrer Musik, in ihren Texten und mit ihrer Kunst, sagt sie.
Sich selbst mit Musik zu entschlüsseln, war naheliegend. Petra war lange Berufsmusiker:in und spielte am Bass und am Piano Jazz, Improvisationsmusik, Rock und Pop in vielen Gruppen, manchmal in bis zu zehn verschiedenen Projekten parallel. "Ich spielte fast jeden Tag auf anderen Bühnen und fuhr durch die ganze Stadt, ständig gehetzt und gestresst, immer im Wechsel von Proben zu Auftritten. Viel Geld habe ich damit auch nicht verdient, das kam dazu. Das war nicht nachhaltig, das habe ich mit der Zeit gemerkt", erzählt Petra.
Zwischen Berlin und Kopenhagen
Dann kam der Cut im Jahr 2016 – Schluss mit Bandprojekten in Kopenhagen, Zelte abbrechen und ab nach Berlin. Dort kam Techno in Petras Leben, eher ungeplant: "Ich fing an, elektronische Musik zu entdecken. Ich hatte anfangs gar nicht vor, Techno zu spielen oder zu produzieren. Aber ich musste etwas Neues machen, in eine Stadt ziehen, in der mich zu dieser Zeit nicht viele kannten. Dort wollte ich mit Sound experimentieren und landete bei Techno." Berlin sollte für knapp vier Jahre das neue Zuhause von Petra werden. Gerade ist sie wieder nach Kopenhagen gezogen – "aber ich weiß nicht, wie lange ich hierbleiben werde", sagt sie. Derzeit genießt sie aber das Zurücksein, ihr Studio und das Gestalten der Szene in der eigenen, überschaubaren Stadt.
Die Szene in Kopenhagen beschreibt Peachlyfe als vielfältig, liebenswert; gerade habe ein neuer Club namens Den Anden Side aufgemacht. Das ist bemerkenswert, denn die Kopenhagener Szene struggelt genau wie viele Städte in Deutschland mit dem gebotenen Freiraum für kulturpolitische Orte. Petra ist Teil des Kollektivs und der Agentur Fast Forward Productions und Endurance. Gerade die Partys mit den Residents DJ Nah Care, Ezy und Nene H. von Endurance sind gefragt: "Es ist einerseits schwer, Veranstaltungen ohne kommerzielle Partnerschaften zu machen, da die Venues auf Sponsoren und Marken angewiesen sind. Gleichzeitig kommen mehr und mehr Leute zu Technopartys, um zu feiern und zu tanzen. Mit Endurance schaffen wir es aber bisher, einen guten, schönen Raum zu kreieren und regelmäßig Partys zu veranstalten."
DJing in Spanien, Vietnam und Georgien
Von Berlin zurück nach Kopenhagen und weiter in die Welt, so in etwa liest sich das Resident-Advisor-Profil von Peachlyfe, auf dem die kommenden Auftritte gelistet sind. Viele unterschiedliche Landesflaggen wechseln sich dort in runden, untereinander stehenden Bubbles ab. Die nächsten Gigs sind in Rotterdam, Madrid, Vietnam, Georgien. Sie trifft musikalisch einen Zeitgeist und ist dennoch sehr autark und speziell in ihren Sets. Eine Metapher, mit der Petra ihren Stil beschreibt, sind ineinanderfließende, krachende, klatschende Wellen: "Bei Wellen mischen sich Wasserpartikel zusammen. Das Wasser wird zu einer Kraft, einer großen Wucht. Dabei ist keine Welle wie eine andere, niemals. Und das mache ich in meinen Sets: Ich mische zwar vieles miteinander, aber lasse es zu einem Ganzen zusammenkommen und schaue, in welche Richtung mich die Strömung treibt. Dieses Bild gefällt mir und passt zu mir."
Speziell auf das Bassiani in Georgien freut sich Petra, denn die Stimmung, die Menschen auf den Partys und die Veranstalter:innen seien allesamt großartig. In Georgien sei eine wahnsinnige Lust auf Subkultur und Räume der Gegenkultur zu spüren, erzählt sie weiter. Es ist ihr dritter Besuch in Georgien, von dort geht es weiter, weiter, weiter – aber ohne Stress, dafür mit viel Hingabe und Dankbarkeit: "Ich bin extrem aufgeregt und freue mich auf die World Tour." Auch wenn touren bedeutet, vornehmlich DJ-Sets zu spielen. Eine längere Live Tour ist angedacht, in ein oder zwei Jahren soll es soweit sein.
Weirdness ist wichtig
Live aufzutreten und zu produzieren sind dennoch der Kern von Peachlyfes Arbeit. In ihrem kreativen Prozess fängt sie oft an, einen Sound, den sie entdeckt, mit ihren Maschinen nachzubauen. Und dabei entstehen neue Sounds, die oft ein "Element of Weirdness" beinhalten. Mit diesem Element arbeitet sie dann – um tanzbare, technoide und trancige Tracks zu produzieren. Musikproduktion findet bei Petra in einem klassischen Hybrid-Set-up mit Maschinen, Synthies und Ableton statt. Die aktuelle EP, die einen Einblick in die Musikwelt und Gedanken von Petra gibt, heißt Boi ¯\_(ツ)_/¯ und wurde beim Berliner Label Akronym veröffentlicht.
Die Tracks der EP handeln von vier verschiedenen Jungs, Dirt Boi, Hot Boi, Fly Boi und Cry Boi, die jeweils für die vier Elemente Erde, Feuer, Wind und Wasser stehen. "Die vier sind für mich trans masc Superhelden und damit vier spannende Charaktere. Es geht in der EP um meine Gefühle zu Transition und De-Transition. Und das Emoticon sagt: I don’t know."
Und als wir uns während des Interviews über Set-ups, DJing und Live-Spielen abseits der Fragenliste unterhalten, verrät Petra noch, dass sie bei Live-Auftritten nur mit Maschinen spielt. "Maschinen lassen dich nicht hängen. Ich traue Computern auf der Bühne einfach nicht", lacht sie. Ableton aka "Computermusik" ist also den Produktionen wie ihrer EP vorbehalten.
Routinen einhalten – und durchbrechen
Eine andere Eigenheit und Routine von Petra – es ist ihre liebste, aber auch am wenigsten geliebte Sache – ist vor Gigs zu schlafen. "Es ist so wichtig zu schlafen. Mit 34 fühlst du die Anstrengung anders als mit 24. Und es ist zwar echt hart, sich hinzulegen und ein paar Stunden später schon wieder aufzustehen. Aber jedes Mal spüre ich, dass diese wenigen Stunden Schlaf mir helfen." Beim privaten Ausgehen versucht sie so gut wie keine Routinen zu haben: "Ich habe das Gefühl, zu viele Routinen lassen die Zeit verschwinden. Dann ist auf einmal ein Jahr vorüber und du hast es nicht gemerkt." Also: Routinen ja, aber nicht zu viele.
Und dann war da noch die Instagram-Debatte um einen Post von Dr. Rubinstein, auf den Petra in ihrer Story öffentlich antwortete. Dr. Rubinstein schrieb, ebenfalls in einer Insta-Story, dass der Dancefloor ein "healing place" sei und DJs eben diesen und auch die feiernde Crowd mit Respekt behandeln sollten. Betrunkene würden vielleicht 2000er MTV-Hits abfeiern, aber es sei der Job von DJs ihnen "bessere Musik" zu zeigen. Unterzeichnet mit "Love, your fav doctor with some harsh meds".
Peachlyfe antwortete, ob Dr. Rubinstein sich aus ihren Sets raushalten würde, wenn sie jeden Tag einen Apfel äße. Denn dann würde auch Petra sich nicht in die Sets von altgedienten DJs einmischen, versprochen.
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Mehr InformationenPetra erklärt dazu: "Ich weiß nicht, ob Dr. Rubinstein meinen Post überhaupt gesehen hat, wahrscheinlich nicht. Aber die Story von ihr hat mich irgendwie provoziert, weil es so oft geteilt wurde. Gerade die Idee von Heilung, die hier beschrieben wird, finde ich schwierig. Und von vielen queeren Menschen bekam ich die Rückmeldung, dass gerade 90er und 2000er Edits sehr heilend sind. Denn diese Songs sind Songs, die sie zu dieser Zeit nicht genießen konnten, weil sie ausgeschlossen oder gemobbt wurden. Diese Art von ‘So ist es und so wird es gemacht, habt Respekt’, gefiel mir nicht. Es macht für mich keinen Sinn. Der Part, in dem betrunkene Kids angesprochen werden, finde ich auch komisch. Es stigmatisiert und generalisiert – einmal jene, die konsumieren und diejenigen, die die Musik gerne hören."
Peachlyfe selbst benutzt Pop-Edits inmitten von hypnotischen Sets im größten Moment des Loslassens, aber nur wohldosiert. Mal mit Mariah Carey, mal mit den Sugar Babes. Feiern, sich fallen lassen, gemeinsame Momente in der Musik und auf dem Dancefloor spüren – und um im Bild der Wellenverschmelzung zu bleiben: schwimmen und überrascht werden – damit soll es weitergehen, unbedingt: "Ich mache keine langfristigen Pläne, aber ich möchte, dass es weitergeht, mit dem Reisen, dem Auflegen, dem Musik machen – und ich möchte ein Album produzieren. Für Clubs, aber auch außerhalb dieser Räume. Vielleicht auch mit etwas mehr Text als in den letzten Arbeiten. Und das wird nächstes Jahr passieren, da bin ich sicher."
Für DJ LAB hat Peachlyfe ein aktuelles, exklusives Set ausgesucht:
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