Hinter den Kulissen: Wellen.Brecher – unbedingte Inklusion durch Musik
© Chris Hartl

Hinter den Kulissen: Wellen.Brecher – unbedingte Inklusion durch Musik

Features. 7. Juni 2023 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Redaktion

Wellen.Brecher hat zuletzt unter anderem mit 'Tierisch Verboten' einen Track veröffentlicht, der die alltäglichen Herausforderungen von Menschen mit Behinderung eindringlich ins Bewusstsein rückt und kraftvoll, ja eigentlich schon punkig die unbedingte Inklusion für alle fordert. Die Message wird dabei insbesondere über die grandiosen Vocals transportiert, nicht minder wichtig ist das ausgereifte, massive Sounddesign des Stücks. Für uns in der DJ LAB Redaktion gehört die Nummer damit schon jetzt zu einem der besten elektronischen Tracks des Jahres 2023. Deshalb und anlässlich ihrer neuen Veröffentlichung 'Hitmaschine' haben wir die als Live-Act auftretende Gruppe rund um Bläck Dävil, DJ Locati, Senator und Hanni Kruscha gefragt, wie sie produziert und arrangiert.

DJ LAB: Wie seid ihr zum Produzieren gekommen? Was waren dabei prägende Einflüsse und Orte für euch?

Bläck Dävil: Durch Killekill und Ick Mach Welle. Ich war zwar schon immer musikaffin, 1998 war meine erste Loveparade und ab da war ich Fan von elektronischer Musik. Aber das Produzieren habe ich erst durch Ick Mach Welle angefangen.

DJ Locati: Auch nur durch Ick Mach Welle. Markus von der Lebenshilfe hat mich damals angesprochen, ob ich nicht an einem der Workshops teilnehmen möchte. Vorher habe ich Musik immer nur gehört und gerne getanzt.

Senator: Ich bin richtig in die Produktion eingestiegen, nachdem ich mich vor etwa 20 Jahren in DJing verliebt habe. Ursprünglich wollte ich mehr aus der Musik machen, die ich gespielt habe. Aber als ich anfing, mehr über Sound zu lernen, öffnete sich mir ein ganz neues Universum, das mich letztendlich mehr ansprach. Produzieren ist die Kunst, zu versuchen, das ganze Chaos der Klangmöglichkeiten in etwas zu packen, aus dem andere Menschen neue Einblicke gewinnen können. Ich nehme an, meine früheren Einflüsse waren Künstler:innen, die Prozesse ein wenig losgelassen haben, um zu sehen, wo Dinge enden können.

Hanni: Ich bin diesbezüglich Quereinsteiger: Ich komme eigentlich aus dem Punk, da produziert man in der Regel eher weniger genau. Deswegen musste ich das Wort "produzieren" erst mal nachschlagen, als ich zum ersten Mal ins Studio gekommen bin. Allerdings bin ich u. a. durch meine Band und meine Synthesizer-Leidenschaft, zumindest im Bereich, ich nenne es mal frech Sounddesign, schon vorab damit in Berührung gewesen. Und hey, dann macht es natürlich auch Sinn, sich zumindest mit den groben Skills des Produzierens auszustatten. Wobei ich stark der Meinung bin: Wenn man es richtig wissen will, scheint Produktion von Musik auch eine Lebensaufgabe zu sein, auf die man richtig Bock haben muss. Also kurz: Ohne Killekill und das Studio von Ick Mach Welle hättest du mich mit der Frage definitiv überfordert.

Was reizt euch am Musikmachen? Und drückt ihr euch auch über andere Formen als über die Musik aus?

Bläck Dävil: Dass man seiner Kreativität freien Lauf lassen kann.

DJ Locati: Mir gefällt, dass ich es selber machen kann. Dann bin ich happy!

Senator: Es ist, als würde man eine Lokomotive starten, wenn man das Studio und die verschiedenen Instrumente einschaltet, obwohl es ja eigentlich eher aussieht wie ein Space Shuttle. In der ersten Minute einer Jam kommt die Inspiration langsam, baut sich aber dann so stark auf, dass sie ihre eigene Trägheit besitzt. Wenn man Teil davon ist und sich voll und ganz engagiert, dann ist es das Spannende, ab und zu einfach aus sich selbst herauszutreten und zu beobachten, wie alles gut zusammenpasst. Wenn wir so vorgehen, gibt es nur sehr wenig verbale Kommunikation, bis wir irgendwann merken, dass eine Idee oder ein Moment seinen Lauf genommen hat. Andere Ausdrucksformen wären Tanzen und superlange Antworten auf Fragen.

Hanni: Durch meine Prägung, in Bands zu spielen, nimmt das Musizieren einen hohen Stellenwert für mich ein. Wenn ich spüre, dass wir mit Wellen.Brecher beim Musizieren alle diesen Moment erreichen, an dem wir gut finden, was wir da gerade tun, dann gibt es, zumindest mir, so ein unfassbar gutes Gefühl. Das lässt alle Anstrengungen vergessen und sagt mir: "Es ist richtig, was du da tust!". Am Ende des Tages bin ich vielleicht ein Junkie und immer auf der Suche nach diesem Gefühl. Macht das Sinn?

Wellen.Brecher live.
© Michael Frank

Absolut. Wie würdet ihr euren Sound beschreiben? Welche Stimmungen sprechen euch an?

Alle: Experimentell. Offen.

Senator: Mein Sound? Senator- und Wellen.Brecher-Sound? Chaotischer Spaß. Das ist sowieso das Ziel. Nicht mehr Struktur als das nötige Minimum, um die Säfte zum Fließen zu bringen. Und dann greifen wir in die Energie des Ortes ein, an dem wir live auftreten, und hoffen, dass dabei die Drum Machine synchron bleibt.

Hanni: Ich mag unterschiedliche Timbres – mich können echt unterschiedlichste Sachen kicken – wichtig ist, dass sie es tun!

Erzählt uns etwas über euren Workflow – wie fangt ihr an, wenn ihr an einem Track arbeitet und wie macht ihr weiter? Verfolgt ihr dabei von Anfang an eine Idee oder entwickelt sich diese im Laufe des Prozesses?

Alle: Wir jammen eigentlich meistens und die Idee entwickelt sich dann im Workflow. Manchmal bringt aber auch der ein oder andere eine Idee mit, dann versuchen wir uns daran und gucken, wohin die Reise geht.

Senator: Dem gibt es kaum etwas hinzuzufügen, außer dass unser Setup darauf ausgelegt ist, dass wir alle unsere Ausgabe-Multitracks erfassen können, sodass sie zur erneuten Bearbeitung oder als gerenderte Spur arrangiert werden können. Das bedeutet auch, dass wir nur mit Audio arbeiten, keine Software-Synthesizer. Die sind zwar im Allgemeinen großartig, aber wir wollen uns auf der Bühne nicht auf einen Computer verlassen, also bleiben wir bei dem, was wir live machen können. Dies hat wiederum Einfluss auf den Arbeitsablauf.

Hanni: Werner kommt oft mit Textschnipseln Hals über Kopf ins Studio gerannt, das versuchen wir dann so schnell wie möglich, zum Beispiel auf dem Sampler, für die Nachwelt zu sichern – da brisant und wichtig! Irgendwer hat immer eine Bassline in der Tasche. Ich bin als Schlagzeuger sowieso etwas beataffiner und es dauert meist nicht lang, da haben wir einen Groove. DJ Locati ist einfach so einfühlsam und charmant, er findet immer etwas dazu. Und Senator, naja, Senator ist halt ein Buch mit sieben Siegeln und to be honest: Ohne ihn würden all diese Ideen irgendwo im Äther verschollen gehen.

© Maximilian Gödecke
Wellen.Brecher Gear mit TR-8 von Roland.
© Maximilian Gödecke
Wellen.Brecher Gear.
© Maximilian Gödecke

Wie geht ihr beim Arrangieren eines Tracks vor? Habt ihr ein eigenes, wenn auch je nach Track abwandelbares Rezept entwickelt oder denkt ihr euch jedes Mal eine komplett neue Struktur aus?

Senator: Die Ausgangsidee bestimmt die Herangehensweise. Auf der einen Seite gibt es die einfache Verfeinerung von etwas, das in diesem Moment mündlich ausgearbeitet und aufgezeichnet wurde. Auf der anderen Seite gibt es Tracks, die Teile von Sessions enthalten, die ein paar Jahre auseinander liegen, die einfach gut zusammenpassen und somit einen neuen Track darstellen, der keinerlei Einfluss auf das hat, was in den Aufnahmesessions passiert ist.

Hanni: Stimmt, genau das spiegelt wider, wie chaotisch und diffus, aber ebenso leidenschaftlich, empathisch sich die Tracks sowie die einzelnen Parts finden und fügen. Dass es eben kein Rezept gibt, hält uns fit.

Mit welchem Equipment arbeitet ihr?

Senator: Wir haben alles, was wir gerade auf unserem riesigen Tisch verwenden, an unseren Mixer angeschlossen, der gleichzeitig als Soundkarte dient. Wir haben ein paar analoge und VA-Drum-Machines, eine Reihe analoger Synthesizer und Keyboards von Herstellern wie Behringer, Yamaha und Korg – wir lieben den Minilogue XD so sehr, dass wir zwei davon haben. Für Gesang und Live-Sampling haben wir Vocoder, das Kaoss Pad von Korg und ein Roland SP-404 MK2, also viele Chancen, mit all dem verknüpft über Bord zu gehen.
Welche Instrumente, Tools oder Signature-Moves sind charakteristisch für euren Sound?

Senator: Werner aka Bläck Dävils Gesang. Er überrascht ständig und verknüpft alles, was er sieht, in seine "vocodierten Beobachtungen". DJ Locati hat die unheimliche Fähigkeit, jedes Instrument zu spielen, das er berührt, sodass es immer Spaß macht. Hanni kümmert sich einfach nicht um Konventionen, wie Techno klingen sollte, und erzeugt daher wunderbare, einzigartige Muster. Ich selbst gehe mit den Effekten zu weit. Ich weiß das, aber manchmal kann ich nicht anders. Sorry, Leute!

Wie geht ihr vor, wenn ihr neue Hardware/Software kauft und wie integriert ihr sie in euren Workflow?

DJ Locati & Bläck Dävil: Meistens bringt Senator etwas mit, dann schließen wir es an und probieren es aus. Wenn es uns gefällt, wird weiter daran experimentiert und das Gerät gegebenenfalls in unser Live- und Studioset integriert. Wenn es nicht gefällt, fliegt es raus.

Senator: Ich schaue unter anderem viele YouTube-Rezensionen und lese das Handbuch eines Geräts. Nico (Anm. d. Red.: Der Labelgründer von Killekill) taucht auch oft auf und sagt: "Schaut euch dieses neue Ding an." Es ist also eine Mischung. Erwähnenswert ist aber auch die große Unterstützung, die Ick Mach Welle von verschiedenen Herstellern durch Instrumentenspenden und Softwareunterstützung erhalten hat. Wir sind den verschiedenen Organisationen, die uns unterstützt haben oder vielleicht noch werden, zutiefst dankbar. Danke, Leute!

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Hanni: Ja – also es ist schon so, dass hier ein ganz klarer Fall von Gear-Sucht vorliegt. Senator oder ich, wir sind permanent am Rotieren oder auch am Verfolgen von Trends und Neuigkeiten auf dem Markt, was Hardware angeht. So bescheuert das klingt, aber es ist ein Teil der Arbeit, ein individuelles Setup zu finden, was nicht nur gut zusammenpasst, sondern dessen Hardware auch leicht zu bedienen und nachzuvollziehen ist. Nur dann nämlich macht Musizieren from scratch Spaß und motiviert uns, statt uns Steine in den Weg zu legen. Das Ganze ist ein Prozess, der nicht nur unheimlich viel Zeit frisst, sondern auch wichtig ist und an dem wir alle wachsen und unendlich viel lernen.

Gilt die Suche nach Neuigkeiten auch für das Produzieren selbst? Auf welche Weise eignet ihr euch neues Wissen zur Musikproduktion an?

DJ Locati & Bläck Dävil: Sowas macht eigentlich nur Senator. Er gibt dieses Wissen dann an uns weiter, falls nötig.

Senator: Warte, was? Eigentlich hat sich eher Hanni angewöhnt, mir viel mehr Links zu leckeren neuen Instrumenten und Geräten per SMS zu schicken, als ich ihm. Werner ist im Grunde ein Fachexperte für die Technics 1210 MK2. Also würde ich bei mir sagen: Ich frage die Jungs.

Hanni: Yes – wenn du früh am Morgen vor dem Computer aufwachst und da sind noch zehn offene Tabs von gestern Abend. Danke, Internet, du zerstörst mein Leben.

Wenn ihr euch einen bestimmten Skill beim Produzieren wünschen könntet – welcher wäre das?

Senator: Mehr Geduld. Ich denke, im Produktionskontext ist Geduld eher eine Fähigkeit, die entwickelt und geübt werden sollte, als eine Eigenschaft.

Hanni: Geduld trifft auf uns alle zu. Und Mut. Ist Zeitmanagement eigentlich auch ein Skill? Na ja, zumindest die vorhandene Zeit effizienter zu nutzen. Oh Gott, klingt das schrecklich.

Ab wann fühlt sich ein Track für euch fertig an? Wie lange braucht ihr from start to finish für einen Track?

Alle: In Bezug auf die Dauer gibt es sehr unterschiedliche Situationen, das kann von ein, zwei Stunden bis zu mehreren Wochen gehen. In Bezug auf die Frage, wann ein Track denn fertig ist, gibt es auch sehr unterschiedliche Vorstellungen innerhalb der Gruppe. Da muss man sich dann eben einigen, wenn mehrere Personen beteiligt sind.

Senator: Ein Track ist fertig, wenn nichts mehr irgendjemanden stört, er die richtige Länge hat, um seine Idee auszudrücken, alle einzelnen Sounds leicht genug herauszuhören sind und alle Teile sich wie ein Ganzes zusammenfügen. Wir verstehen uns jedoch in erster Linie als Live-Act, daher kann man mit Fug und Recht sagen, dass der Track normalerweise erst dann fertig ist, wenn wir ihn vor Publikum aufführen.

Hanni: Es kann aber auch Jahre dauern, manche Skizzen nehmen wir sicher mit ins Grab.

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Welche Tipps und Tricks würdet ihr Newcomer-Produzent:innen geben?

DJ Locati & Bläck Dävil: Probiere verschiedene Wege aus, digital, analog, Software-only, mit Freunden oder alleine, dann wirst du deinen Weg finden. Ansonsten: Nie den Mut verlieren. Verfolge dein Ziel, lass dich von den kritisierenden Nörglern nicht unterkriegen, dann wirst du es schaffen!

Senator: Am besten mit einer Groovebox wie Circuit Tracks oder Model:Cycles anfangen und lernen, mit deren Einschränkungen zu umgehen. Das ist viel einfacher zu handhaben, als mit einer komplexen professionellen Software zu beginnen, zumindest am Anfang. Der Kaninchenbau ist tief, daher ist es am besten, mit einer gewissen Struktur an die Sache heranzugehen; mit einer kleinen Welt anzufangen scheint in diesem Sinne am besten zu funktionieren. Wenn man gerade erst anfängt, sollte man sich außerdem so schnell wie möglich die Zeit nehmen, seine eigene Musiksammlung langfristig zu verwalten. Je mehr man lernt, desto mehr möchte man im Laufe des Lebens mit allen musikalischen Einflüssen in Kontakt bleiben, nicht nur mit den aktuellsten.

Hanni: Ich bin ja selbst Newcomer, ich gebe keine Tipps, ich brauche welche. Aber versucht niemals jemanden wie Senator zu treffen. (lacht)

Woran arbeitet ihr derzeit? Steht etwas in der Zukunft an, auf das ihr euch besonders freut?

Alle: Wir bringen ja gerade die Platte mit den Remixen von The Hacker und 21 Downbeat auf Killekill raus und haben einige Gigs anstehen. Gerade arbeiten wir daher vor allem am Live-Set, mit dem wir diesen Sommer auf mehreren Festivals wie zum Beispiel dem Krake Festival 2023 spielen werden. Das bedeutet, neue Songs oder Tracks schreiben, alte üben, Tracklist zusammenstellen und so weiter. Eventuell kommt da ja dann auch wieder Material für eine neue Platte bei raus.

Senator: Wir entwickeln ständig neue Ideen, Wege, Setups und Fragen. Ich wünsche mir immer längere Tage, was bedeutet, dass es keinen Mangel an Inspiration gibt.

Hanni: Mein eigenes kleines Nebenprojekt ist es, Wellen.Brecher-Shirts zu machen, weil: Der Sommer kommt und ohne uns wird er einfach nicht heiß genug – oder so ähnlich.

 

In den Sound von Wellen.Brecher könnt ihr unter anderem über ihren neuen Release 'Hitmaschine' reinhören, erschienen am 02.06.2023 via Killekill:

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