Ist Fentanyl auch in deutschen Partydrogen angekommen?
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Ist Fentanyl auch in deutschen Partydrogen angekommen?

Features. 23. Oktober 2024 | 4,7 / 5,0

Geschrieben von:
Nikta Vahid-Moghtada

Synthetische Opioide wie Fentanyl sind auch in Deutschland angekommen, das zeigt unter anderem ein Modellprojekt der Deutschen Aidshilfe. Dennoch warnen Expertinnen und Experten vor Panikmache und geben teilweise Entwarnung - zumindest für den Bereich der Upper-Drogen.

Es sind Zahlen, die zunächst für sich sprechen: Das Modellprojekt RaFT ("Rapid Fentanyl Tests") der Deutschen Aidshilfe hat im vergangenen Jahr über sechs Monate in 17 Drogenkonsumräumen in ganz Deutschland Heroin auf Beimischungen hin getestet. Das Ergebnis: 3,6 Prozent aller getesteten Proben waren durch Fentanyl verunreinigt.

Mitte Februar warnt Interpol vor einer Verbreitung von Fentanyl auch in Europa, egal ob in Form von Pulver, Tabletten, Pflastern oder Flüssigkeiten. Wenige Tage darauf nimmt die Polizei nach einer Durchsuchung im bayerischen Rosenheim zwei Menschen wegen des Verdachts auf Handel mit Fentanyl fest. Das zeigt: Synthetische Opioide wie Fentanyl sind in Deutschland angekommen.

Fachleute sehen die Beimischung synthetischer Opioide in Straßenheroin mit großer Besorgnis. Unerwartete Ursache dafür sind, so bizarr es zunächst klingen mag, die Taliban: Seit ihrer Machtübernahme in Afghanistan haben sie ein Verbot der Schlafmohn-Produktion verhängt. Dieser Mohn dient als Grundlage für die Heroinproduktion, die auch den deutschen Markt erreicht. Experten wie der Suchtforscher Daniel Deimel warnen, dass dieses Verbot den gesamten europäischen Drogenmarkt erheblich verändern könnte.

Und dass, sobald hierzulande Engpässe auftreten, Heroin mit synthetischen Opioiden gestreckt werden könnte. Das könne schnell tödlich enden, sagt Deimel. "Synthetische Opioide haben ein ähnliches Wirkspektrum wie Heroin, sind aber deutlich potenter und nicht gut dosierbar. Die Gefahr einer tödlichen Überdosierung ist deutlich größer." 

Was ist Fentanyl?

Fentanyl wird im medizinischen Bereich als hochwirksames Schmerzmittel eingesetzt, das auch Krebspatienten verabreicht wird. Das synthetische Opioid ist etwa 50 Mal stärker als Heroin und gelangt aufgrund seiner potenten Wirkung auch in den illegalen Handel.

Dennoch: Bilder wie solche aus den USA seien hier aber nicht zu befürchten, sagt Deimel. Zum einen seien die Grundvoraussetzungen andere: Die Opioidkrise in den USA habe sich über lange Jahre entwickelt. Ausgangspunkt der Krise in Nordamerika sei eine übermäßige und verharmlosende Verschreibung starker, opioidhaltiger Schmerzmittel gewesen, die viele Menschen unwissentlich in eine Abhängigkeit geführt habe.

Jährlich sterben dort mehr als 70.000 Menschen an einer Fentanyl-Überdosis. "Eine Opioid-Krise wie in den USA und Kanada wird sich bei uns nicht wiederholen, wir haben grundsätzlich andere, bessere Voraussetzungen", sagte auch jüngst der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert (SPD), der "Welt am Sonntag". 

Das sagt auch Daniel Deimel. Außerdem habe man den Vorteil, von den USA lernen zu können und durch gezielte Prävention das Schlimmste zu verhindern. Durch ein breites Netz an Testmöglichkeiten etwa, die Bereitstellung sicherer Drogenkonsumräume, Aufklärungsarbeit und Tests auch für den häuslichen Gebrauch.

Das Notfallmedikament Naloxon könne außerdem bei Überdosierungen eingesetzt werden. Es brauche jedoch eine entsprechende Infrastruktur und das Wissen über die Wirkung synthetischer Opioide, so Deimel. Dass Fentanyl auch im Upper-Bereich zum Problem werden könnte, glaubt Deimel nicht. 

Auch beim Drugchecking-Projekt Berlin ist bisher noch keine abgegebene Probe positiv auf Fentanyl oder andere synthetische Opioide getestet worden. Lediglich ein privater Test hatte bei einer als 3-MMC erworbenen Probe angeschlagen. Die Meldung verbreitete sich rasend schnell über Social Media - ein Anzeichen dafür, wie groß die Verunsicherung seitens der Partygänger:innen ist.

Tibor Harrach, pharmazeutischer Koordinator des Drugchecking Projekts in Berlin, hatte genau diese Probe in den Händen und gab bereits Entwarnung: Der Verdacht hatte sich im Nachhinein schnell als falsch positiv erwiesen. Auch er geht nicht davon aus, dass synthetische Opioide ein Problem im Bereich der Partydrogen werden können. 

Etwas Gutes hätte der falsche Verdacht jedoch gehabt, sagt er: Die Anlaufstellen des Berliner Drugchecking-Projekts seien anschließend so stark besucht worden, dass sogar Leute abgewiesen werden mussten. In der Szene herrsche glücklicherweise eine gewisse Awareness. "Die Konsumierenden haben mit Drugchecking Zugang zu qualitativ hochwertigen Testmöglichkeiten und sie nutzen sie auch", sagt Harrach und rät dazu, Proben immer professionell testen zu lassen, sofern das Angebot besteht. "Schnelltests oder instrumentelle Methoden, bei denen das Substanzgemisch vor der Detektion nicht aufgetrennt wird, können zu falsch positiven oder falsch negativen Ergebnissen mit großer Verunsicherung und fatalen Folgen für die Konsumierenden führen", warnt er.

Auch Andrea Piest von Safer Nightlife Berlin (SONAR) und vom Notdienst Berlin e.V. gibt Entwarnung - zumindest für den Bereich der Upper: "Es ergibt einfach keinen Sinn, zum Beispiel MDMA oder Kokain mit Fentanyl zu strecken. Wenn die Leute reihenweise wegsterben, hat keiner was davon, auch nicht die Dealer", sagt Piest. Außerdem gebe es bisher keine Hinweise in der Partydrogenszene.

Auf Begriffe wie "Zombiedroge", die derweil in den Medien kursieren, blicke sie kritisch, sagt Piest und warnt vor Panikmache. Mit größerer Sorge blicke sie auf den zunehmenden Gebrauch von Downer-Drogen wie Benzodiazepinen oder Xanax, vor allem bei Minderjährigen und Jugendlichen. 

"In den USA und Kanada gab es schon Fälle von Fentanyl-Beimischungen bei Downern", sagt Piest. Es sei günstiger und um ein Vielfaches potenter. "Wir warnen vor allem auch vor Fentanylderivaten. Man kann die Risiken einfach nicht einschätzen." Auch im Nachtleben nehme der Konsum zum Runterkommen zu – hier sei vor allem der Mischkonsum mit Alkohol und anderen Substanzen sehr riskant und könne im schlimmsten Fall zur Atemdepression führen, sagt Piest.

Anderer Trend, ähnlich besorgniserregend: "Monkey Dust" breite sich immer mehr aus, zwar nicht als "klassische" Partydroge, sondern vor allem im Chemsex-Bereich, sagt Andrea Piest. Die Substanz dahinter heißt Methylendioxypyrovaleron (MDPV) bzw. Derivate wie MDPHP und birgt ein enormes Abhängigkeitspotential. Der Stoff kursiert unter verschiedenen Namen: "Monkey Dust", "Cloud Nine", "Flex", "Super Coke", "Flakka" oder "Peevee" zum Beispiel. Sie alle eint eine Droge mit enormem Suchtpotenzial, starkem Craving und extrem hohem Nachlegeimpuls, deren Konsum nicht selten in Psychosen ende, sagt Piest.

Was im Stadtbild in Städten wie Berlin, Frankfurt am Main oder Köln außerdem auffällt: In der offenen Drogenszene wird in der jüngsten Zeit vermehrt Crack konsumiert. Das bestätigt auch Andrea Piest. In den Drogenkonsumräumen in Berlin werde immer häufiger nach Crackpfeifen oder auch Zutaten wie Natron zum Herstellen von Crack gefragt, sagt sie. Der Anstieg sei schon in den vergangenen fünf Jahren und im Verlauf der Pandemie zu beobachten gewesen.

"Crack ist eine klassische Elendsdroge, und es gibt einfach immer mehr soziale Verelendung", so Piest. "Es gibt immer weniger Angebote für Leute auf der Straße und vor allem wird der Weg weg von der Straße immer schwerer." Es mangele an Entgiftungsbetten, Therapieplätzen und bezahlbarem Wohnraum, kritisiert sie. Und in Anbetracht der aktuellen Kürzungen im Berliner Haushalt sei auch keine Verbesserung in Sicht.

Hinzu kommt: Seit etwa 2016 werde immer mehr hochreines Kokain nach Europa geschwemmt, erklärt der Suchtforscher Daniel Deimel. Das braucht es als Basis für die Herstellung von Crack. Und dass Cracksteine zunehmend selbst aufgekocht werden, beobachten sowohl Deimel als auch Andrea Piest. Das Problem: Im Gegensatz zu Drogen wie Heroin gibt es für das hochpotente Crack kein Substitut, also keinen medizinischen Ersatzstoff. Was bleibt, ist also einmal mehr der Blick in Richtung Politik, um nicht nur Infrastrukturen für Süchtige zu schaffen, sondern auch die Wege aus dem Elend heraus zu erleichtern.

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