Der neue Streaming-Dienst Rokk: Ein kleines bisschen Revolution

Der neue Streaming-Dienst Rokk: Ein kleines bisschen Revolution

Features. 16. März 2024 | 4,2 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Mit Rokk geht ein neuer Streaming-Service an den Start. Er legt inhaltlich den Fokus auf Rock- und Metal-Musik, bietet aber denselben Katalog wie die meisten anderen Dienste an und verteilt das Geld ähnlich. Trotzdem wollen die beiden Gründer zwei- bis dreimal so hohe Ausschüttungen bieten wie anderswo. Wie bitteschön soll das gehen? Und wenn es funktioniert: Wäre das auch anderswo möglich?

Alexander Landenburg ist so jemand, der es augenscheinlich geschafft hat. Als Schlagzeuger ist er international gefragt, spielt seit dem Jahr 2015 bei Kamelot, echten Größen des sinfonischen Power Metals, und der schwedischen Groove-Metal-Band Cyhra, nachdem er zuvor bei zahlreichen anderen Gruppen hinter dem Kit saß. Landenberg tourt durch die Welt und hat Musik auf den größten Labels der Metal-Welt wie Napalm veröffentlicht. Einen goldenen Lamborghini kann er sich dennoch nicht leisten. "Es ist ein Opel Zafira, und der ist silbern", lacht er. "Eine richtige Familienkutsche." Vor Kurzem, berichtet er, ist er Vater von Zwillingen geworden. Obwohl sein Einkommen dank seiner diversen Einnahmequellen für ihn als Einzelperson reiche: Für die Familie wäre etwas mehr schon etwas besser.

Fans seiner Bands wird es wohl überraschen, das zu hören. Um einen Einzelfall handelt es sich dabei keineswegs: "Von älteren Kolleg:innen, deren Bands vergleichbar erfolgreich waren wie meine heute, höre ich, dass sie in der Vergangenheit mehr verdient haben. Bei jüngeren sehe ich, wie schwer es ihnen fällt, sich finanziell abzusichern." Mit Musik den Lebensunterhalt zu bestreiten, fällt vielen zunehmend schwerer. Laut einer repräsentativen Erhebung des Deutschen Musikinformationszentrums kann nur ein Drittel der Berufsmusiker:innen in Deutschland diesem Job überhaupt in Vollzeit nachgehen. Die Gründe dafür sind vielschichtig und komplex, im Einzelfall eröffnen sich individuelle Hürden.

Als Drummer etwa muss sich Landenburg nicht nur jede Menge Musikerwitze anhören, er bekommt auch selten Songwriting-Credits zugesprochen und erhält deshalb kaum Tantiemen als Urheber. Sein Geld verdient er hauptsächlich einerseits durch seine Beteiligung an Musikaufnahmen, das heißt aus sogenannten Master-Rechten, und andererseits über Tourneen. Weil letzteres durch die Pandemie verunmöglicht wurde, diskutierte er bei einem Besuch bei Peter Moog, Vollzeitgeschäftsmann und Teilzeit-Metalhead, über ersteres. "Wir haben überlegt, wie man denn die Musikwelt verändern oder sogar revolutionieren könnte und haben uns dann entschieden, das Übel an der Wurzel zu packen: Wir wollten Streaming angehen", erklärt Landenburg.

Die beiden, die sich seit Jugendtagen aus der saarländischen Metal-Szene kennen, telefonierten viel und rechneten noch mehr herum. Am Ende stand ein Geschäftsmodell, das eine Reihe von Investor:innen überzeugte und die beiden für langwierige Verhandlungen mit der Musikindustrie an einen Tisch brachte. Mittlerweile gibt es nicht nur ihre Firma FAIRMUSIC, sondern es steht auch ihr erstes fertiges Produkt in den Startlöchern: Mit Rokk haben die beiden gemeinsam mit einem kleinen Team einen Streamingdienst ausgearbeitet, der bald in Europa und Großbritannien ausgerollt wird. Mit ihm wollen sie Bands und Musiker:innen bis zu zwei- oder gar dreimal so hohe Ausschüttungen ermöglichen wie anderswo.

Dabei funktioniert Rokk an sich nicht grundlegend anders als andere Plattformen, nicht einmal das Ausschüttungsmodell für die Gelder unterscheidet sich sonderlich von dem bei Spotify und Co. Stattdessen soll der Fokus auf die Nische den entscheidenden Unterschied machen.

Mut zur Nische

Rokk richtet sich – der Name sagt es ja – an ein spezielles Publikum: Fans von Metal und Rock sollen dort besonders auf ihre Kosten kommen. Das heißt allerdings nicht, dass dort ausschließlich Gitarrenmusik erhältlich ist. Rokk hat einen vergleichbar großen Katalog wie andere Dienste, die Musik von Bad Bunny und Beyoncé ist dort genauso verfügbar wie die von Bathory und Black Sabbath. Doch soll der Fokus klar auf den Bedürfnissen der Rock- und Metal-Communitys liegen, deren Interessen von breiter aufgestellten Services nicht immer passgenau gedeckt werden. "Auf einer normalen Streaming-Plattform bekomme ich oft Musik aus unpassenden Genres empfohlen", erklärt Landeburg. "Wir haben das Gefühl, dass die Szene in diesem Umfeld nicht richtig repräsentiert wird."

Ein Beispiel dafür, wie die Gestaltung der App dem Hörverhalten von Fans entgegenkommen soll, ist der deutliche Fokus auf Alben statt auf Playlists. "Wir wollen ein Bewusstsein für das Album als Kunstform schaffen", erklärt Landenburg. Überhaupt soll Rokk für Fans noch zusätzliche Features bieten. In Form der sogenannten Rokkpedia bietet die Plattform Informationen über Bands und Künstler:innen, Inspiration kam dabei von der Encyclopaedia Metallum: The Metal Archives, einer gigantischen Online-Datenbank mit Release-Informationen, mit welcher der Service auch kooperieren wird. Auf Rokk soll der Fokus anders als dort auf biografischen Details liegen. Dazu sollen in Zukunft noch mehr genrespezifische Features kommen. Landenburg spricht etwa von einem Spiel und sozialen Funktionen zur Vernetzung der Nutzer:innen.

Mehr Kontext, mehr Community: Das macht Rokk letztlich zu einem Nischenprodukt, das eine sehr klar definierte Zielgruppe anspricht – und zwar nur die. Das eben soll der Vorteil des Systems sein, wie Landenburg erklärt. "Das muss man sich wie eine Metal-Kneipe vorstellen: Selbst wenn der Cocktail zwei Euro günstiger wäre, geht ein Nicht-Fan höchstens kurz rein und bald schnell wieder rückwärts raus", lacht er. Das Mainstream-Publikum wird nicht zu Rokk kommen. Das soll sich auf die Verteilung von Geldern insofern auswirken, als in der Breite mehr Musik von Rock- und Metal-Bands gestreamt wird als anderswo und diese somit mehr erhalten. Landenburg räumt ein, dass sich erst unter realen Bedingungen zeigen wird, ob die gewünschten zwei- bis dreifach hohen Ausschüttungen fließen werden.

Er ist jedoch zuversichtlich, dass der Plan aufgeht. Und er hat gute Gründe dafür. Fans von Rock und insbesondere Metal sind in der Regel älter und wählerischer als durchschnittliche Streaming-Nutzer:innen und obendrein engagierter beziehungsweise kaufkräftiger. Tonträger wie LPs und CDs sowie natürlich Merch – ob nun das Slayer-Shirt oder doch der Patch für die Metal-Kutte – zu erwerben, ist Teil des subkulturellen Selbstverständnisses. Und wo sich in anderen Genres Fans damit begnügen, "Come to Brazil"-Memes unter Social-Media-Postings zu kommentieren, buchen nicht wenige Flüge von Rio de Janeiro nach Norddeutschland, um sich bei Wacken im Schlamm wühlen zu können. Es ließe sich auch von sogenannten Superfans reden.

Dass sich der genrespezifische Einsatz wirtschaftlich bemessen lässt, bewies auch eine von Rokk gelaunchte Indiegogo-Kampagne: 10.000 Euro wollte das Team damit sammeln, um Aufmerksamkeit zu generieren und erste Nutzer:innen an Bord zu holen. Sie nahmen fast doppelt so viel ein. Das Interesse und die Zahlbereitschaft scheinen also da zu sein. Landeburg unterstreicht, dass ihn das beruhigt habe: "Die Frage war ja: Gibt es denn wirklich diesen Markt, den wir auch unseren Investor:innen gegenüber immer behauptet haben? Ja, gibt es!" Auch lobt er das direkte Feedback aus der Community. Die Aktion hat damit die Erwartungen der Rokk-Betreiber übertroffen.

Zahlende Kundschaft ist offenkundig da, doch fährt Rokk eine zu den großen Diensten vergleichbare Preispolitik. 10,99 Euro kostet ein reguläres Abo mit Zugriff auf Musik im Opal- und MP3-Qualität, für 19,99 Euro gibt es Musik im verlustfreien FLAC-Format, Studierende sowie Familien bekommen Ermäßigungen. Verteilt werden die Gelder aus den Abobeiträgen nach dem Industriestandard, doch will Rokk für Bands und Musiker:innen noch zusätzliche finanzielle Vorteile bieten.

Rokk verwendet das Pro-Rata-Modell

Die Verteilung von Geldern läuft bei Rokk nach demselben Prinzip ab wie auf Spotify und den meisten anderen Streaming-Plattformen. Das sogenannte Pro-Rata-Modell basiert auf einem simplen Prinzip: Alles Geld kommt in einen Topf, ausgeschüttet wird nach dem prozentualen Anteil des Streaming-Aufkommens der jeweiligen Musikstücke. Eine kurze und extrem vereinfachte Modellrechnung: Wenn auf Rokk in einem Monat eine Million Euro zur Verteilung eingesammelt werden und in diesem Zeitraum ebenso viele Streams generiert wurden, das heißt theoretisch ein Euro pro Stream ausgeschüttet werden könnte, die neue Metallica-Single aber eine halbe Million dieser Streams ausmachte, geht die Hälfte aller Einnahmen an die Rechteinhaber:innen dieses einen Songs.

Das System steht schon lange in der Kritik und auch Landenburg ist diesbezüglich skeptisch. Denn die Zahlen der großen Anbieter legen nahe, dass das System die viel gestreamten Acts übervorteilt. "Auf 0,8 Prozent aller Artists entfallen bei Spotify 90 Prozent aller Streams", erklärt er in Anspielung auf eine Rechnung Tim Inghams basierend auf Daten aus dem Jahr 2020. "Das bedeutet im Umkehrschluss, dass 10 Prozent aller Streams auf die restlichen 99,2 Prozent aller Acts entfallen. Es entsteht eine Verzerrung zugunsten von ganz wenigen Artists." Vorteile verschaffen sich etwa Pop-Künstler:innen, indem sie sehr kurze Stücke veröffentlichen, die vom Publikum öfter gestreamt werden und sich so einen größeren Anteil am Gesamtaufkommen der Streams, sprich mehr Geld sichern können.

Landenburg betont, dass dieses System auf den großen Diensten auch den Fans gegenüber unfair sei. "Weil alles in denselben Topf kommt, wird das Geld von Fans von Nischenmusik verwendet, um den Mainstream mitzufinanzieren!" Die neue Platte der Lieblingsband die Nacht lang über laufen zu lassen, macht da kaum einen Unterschied: Taylor Swift beispielsweise erhielt allein auf Spotify im Vorjahr 26,1 Milliarden Streams. Ebenfalls für verzerrend hält Landenburg es, dass aus den Abobeiträgen gleich viel ausgeschüttet wird, obwohl das Streaming-Aufkommen von Person zu Person unterschiedlich ist.

Auch Bands mit langen Songs haben im Rahmen des Pro-Rata-Modells potenziell das Nachsehen. Das ist ein Problem für Musik, die in die Breite geht, wie es im Rock und Metal traditionell der Fall ist. Das letzte Album der Funeral-Doom-Gruppe Bell Witch beispielsweise besteht aus einem einzigen, 83-minütigen Stück. Auf Streamingdiensten wird es zugleich zur Gänze und in fünf verschiedene Teile aufgegliedert angeboten – ein Beispiel dafür, wie wirtschaftliche Sachzwänge die Produktion von Kunst maßgeblich mitsteuern. Ein Play des gesamten Stücks entspräche übrigens rund 33 Streams von Songs mit zweieinhalb Minuten Länge, die im Pro-Rata-System damit per se profitabler sind.

Bell Witch würden auf Rokk vielleicht etwas mehr verdienen, weil sie sich dort eher kaum ihr Stück des Kuchens mit Taylor Swift oder White-Noise-Beruhigungsmitteln aufteilen müssen. Doch würden sie im Kontext des Pro-Rata-Modells weiterhin benachteiligt, auch wenn die von Landenburg kritisierte "Verzerrung" auf Rokk nicht stattfindet und sich alle Streams etwas gleichmäßiger auf einen engeren Pool von gestreamter Musik verteilen.

Warum eigentlich nicht gleich "user-centric"?

Dabei gäbe es doch eigentlich ein anderes System, von dem eine Band wie Bell Witch profitieren könnte: die sogenannte "user-centric", nutzerzentrierte Abrechnung. Dabei handelt es sich um kein klar definiertes Modell, sondern eine Vielzahl von verschiedenen Vorschlägen, von denen aktuell nur einer Anwendung findet – bei SoundCloud. Im Kern nimmt dieses System das Verhalten der Nutzer:innen zur Grundlage der Abrechnung. Wenn ich den Monat lang nur das Bell-Witch-Album in Dauerschleife höre, gehen die dafür vorgesehenen Beträge aus meinem Abo ausschließlich an die Band beziehungsweise die Rechteinhaber:innen der Aufnahme – in der Regel etwa das Label.

Wenn ich allerdings die neue Metallica-Single auch nicht schlecht finde (um das zu betonen: ein hypothetisches Szenario), gibt es verschiedene Möglichkeiten der Aufteilung. Die sogenannten "fan-powered royalties" von SoundCloud bemessen sich nach tatsächlicher Hörzeit: Angenommen, ich lasse jeden Tag das Bell-Witch-Album und die Metallica-Single einmal durchlaufen, wird mein Geld nicht – wie es auch durchaus von einigen Vorschlägen eines "user-centric"-Systems vorgesehen wird – zur Hälfte zwischen beiden aufgesplittet. Bell Witch bekämen stattdessen weitaus mehr, weil ich mehr Zeit mit ihrer Musik verbracht habe. Wäre das nicht für Rokk optimal?

Landenburg unterstreicht, dass er selbst erklärter Fan solcher Vorschläge ist und darin eine Zukunftsperspektive sieht. "Ich glaube aber auch, dass es leider auch noch ein bisschen länger dauern wird, als uns allen lieb ist", sagt er. Die Durchsetzung einer im Kern nutzerzentrierten Abrechnung gestaltete sich bisher in der Breite schwierig. Mit Ausnahme von SoundCloud hat noch kein anderer Dienst ein vergleichbares System umfänglich eingeführt, obwohl Unternehmen wie Deezer und TIDAL Schritte in diese Richtung unternommen hatten und selbst Spotify-CEO Daniel Ek sagte, trotz Skepsis potenziell offen für derlei Ideen zu sein.

Doch sind Plattformen, insbesondere kleinere, auch abhängig von denen, die ihnen große Teile der Musik bereitstellen und die deshalb bei der Gestaltung der Ausschüttungsmodalitäten mitreden können. Das schließt vor allem die großen Musikkonzerne wie die sogenannten Big Three – die Universal Music Group (UMG), Sony Music Entertainment (SME) und die Warner Music Group (WMG) – mit ein. Deren Labels und Artists, so lautet jedenfalls die weit verbreitete Annahme, profitieren am ehesten vom Pro-Rata-Modell, weshalb sie in Lizenzverhandlungen mit den Streamingdiensten auf dem System beharren. Sie sitzen dabei durchaus am längeren Hebel.

Aber: Mehr Geld durch "Direct Artist Support"

Es nimmt daher nicht wunder, dass Rokk trotz aller persönlichen Sympathien für ein "user-centric"-Prinzip das gängige Pro-Rata-System nutzt. Landenburg weist allerdings darauf hin, dass ihm Modellrechnungen bekannt seien, nach denen der Fokus auf die Nische vergleichbare Endresultate mit sich bringe. Noch wird sich das unter echten Bedingungen beweisen müssen, doch ist der Rokk-Mitbegründer diesbezüglich zuversichtlich. Außerdem verzichtet die Plattform selbst auf Einnahmen, um Bands und Künstler:innen finanzielle Boni zu garantieren. Fans können ihre Lieblings-Acts zusätzlich mit Geld unterstützen, ohne mehr zu bezahlen.

Das Prinzip des Direct Artist Support genannten Modells ist simpel: Wenn Fans dem Aufruf ihrer Lieblings-Acts folgen und sich bei Rokk registrieren, gehen im ersten Jahr monatlich zehn Prozent ihres Abobeitrags an ebenjene Band. "Im Grunde ist das Affiliate-Marketing", lacht Landenburg über diese Win-Win-Win-Situation: Die Userbase der Plattform wächst, während Bands sich ein zusätzliches und stabiles Nebeneinkommen generieren können und die Fans ohne weitere Kosten beständig Beträge an die eigenen Favoriten überweisen. "Wenn du als kleine Band 100 oder 150 Leute mobilisieren kannst, sieht das vielleicht nach nicht viel aus", sagt Landenburg. "Aber es deckt womöglich die Miete des Proberaums oder bezahlt in einem Jahr eine CD-Produktion."

Die Fans wiederum zahlen pro Jahr mehr Geld an eine Band, als die selbst durch den Verkauf eines Tonträgers verdienen könnte – etwa an eine Band mit überlangen Songs wie Bell Witch. Wenn sie sich nicht bereits im ersten Jahr aus triftigen Gründen entscheiden, das Geld anderen Artists oder einer Charity zukommen zu lassen, dürfen sie nach einem Jahr erneut auswählen, wer den nunmehr im Standard-Abo auf fünf Prozent gesenkten Betrag erhalten soll. "Von jedem Lossless-Abo werden wir hoffentlich durchgängig zehn Prozent abführen können", sagt Landenburg über das teurere HiFi-Angebot. Ob und wie der Direct Artist Support nach den ersten beiden Jahren etabliert werden kann, muss sich jedoch ebenfalls erst noch zeigen.

Ein vergleichbares Modell hatte schon TIDAL vor einer Weile für sein HiFi-Angebot eingeführt, aber nach nur kurzer Zeit wieder eingestellt. Das Feature birgt auch ein finanzielles Risiko für Rokk, weil die Firma in der kritischen Anfangszeit zugunsten der besseren Verteilung auf Einnahmen verzichtet: 70 Prozent der Abobeiträge gehen wie bei anderen Streamingplattformen auch für die Tantiemenverteilung ab, zehn Prozent verliert Rokk durch den Direct Artist Support von seiner eigenen Marge. Da bleibt am Ende nicht mehr viel für die Plattform und die dahinterstehende Firma übrig. "Das Ziel ist, so viel wie möglich auszuschütten", betont Landenburg. "Wenn wir aber Gefahr laufen, zu hohe Verluste zu machen, müssen wir nachjustieren."

Landenburg spricht ebenso freimütig über die Risiken und möglichen Nebenwirkungen der Pläne von Rokk, wie er mit großer Vorsicht darüber redet, was genau die Plattform leisten kann. Und doch klingt das alles nach einem kleinen Bisschen Revolution auf einem Markt, der zunehmend unter den großen Playern aufgeteilt scheint. Was wiederum die Frage aufwirft: Wenn Rokk Erfolg hat, könnte sich das Prinzip auch in anderen Genres anwenden lassen? Wäre es möglich, Dienste mit Namen wie Rapp oder Danze zu etablieren?

Ein Long Tail mit der passenden Breite?

Das Prinzip von Rokk erinnert sofort an die wohl umstrittenste Wirtschaftstheorie des 21. Jahrhunderts: den Long Tail. Verkürzt gesagt besagt diese, dass die Digitalisierung eine Diversifizierung des Angebots mit sich bringt, was es Anbieter:innen von etwa Musik bei gesunkenen Produktions- und Vertriebskosten ermöglicht, ein breiteres Publikum nachhaltig anzusprechen. Die Theorie des Long Tail besagt also, dass das Internet die Existenz von Nischen stärkt und sie profitabler denn je macht.

So einleuchtend das klingt, so wenig halten davon die Wirtschaftsweisen: "Obwohl es möglich ist, dass Musik eines Tages zu einem Nischenmarkt wird, ist das bisher nicht eingetreten", konstatierte etwa Alan B. Krueger, der ökonomische Berater von Barack Obama, in seinem Buch 'Rockonomics'. Allerdings spricht Rokk einerseits eine etwas breitere Nische und ein sehr spezielles Publikum an, das überdurchschnittlich viel Wert auf seine subkulturelle Identifikation legt und dem der Sinn eines solchen Angebots zweifelsfrei sofort einleuchten wird.

Andererseits könnte Rokk für eine Diversifizierung auf einem Markt sorgen, der zunehmend monopolisiert scheint. Spotify berichtet etwa, dass über 600 Millionen Nutzer:innen monatlich das eigene Produkt nutzen – ein nicht unerheblicher Anteil der Weltbevölkerung. Die Nische fehlt demnach nicht im musikalischen Angebot, das breiter ist als jemals in der Menschheitsgeschichte. Sondern vielmehr im Zugang zu ebenjener Musik, der sich zumindest auf dem Streamingmarkt nicht ausreichend verbreiten konnte, weshalb nur wenige von den Verteilungen profitieren können.

Was Rokk demnach bietet, ist nicht ein völlig neues System zur Ausschüttung von Geldern, sondern eine in der Gesamtsicht hochspezifische Erhebung und Verteilung derselben. Freilich ließe sich argumentieren, dass Rokk nicht unbedingt die erste Plattform mit einer spitzen Zielgruppe ist: Qobuz richtete sich von Anfang an an ein audiophiles Publikum, zuletzt rollte Apple Music einen separaten Dienst für klassische Musik aus. Doch Landenburg und sein Partner Moog gehören selbst zu der Community, die sie mit ihrem Produkt ansprechen wollen, und sind als Musiker bestens mit den Bedürfnissen derjenigen vertraut, denen sie fairere Bedingungen schaffen möchten.

Zudem ist die von Rokk bediente Nische nicht gerade klein. Mit seinen Wurzeln im Blues kann Rock auf eine mehr als hundertjährige Historie zurückblicken. Selbst wenn der Fokus vor allem auf Metal liegen sollte, wäre dann die Rede von mehr als einem halben Jahrhundert Musikgeschichte – und mehr Subgenres als Patches auf eine bis zu den Knöcheln reichende Metal-Kutte passen. Auch für andere primär auf die Gitarre setzende Subkulturen wie Punk und Hardcore, die eng mit Rock oder Metal verfilzt sind, wäre Rokk schätzungsweise attraktiver als die große Konkurrenz. Was eben heißt: Die bediente Nische – und damit vielleicht eben auch der lange Schwanz dieses Unternehmens – ist eigentlich sehr groß.

Das wiederum könnte, zumindest sollte eine kritische Masse an Nutzer:innen erreicht werden, allerdings auf lange Sicht zur Ausformung eines sogenannten "Superstar-Markts", wie ein Krueger es nennen würde, auf der Plattform führen. Denn selbst wenn Mainstream-Pop-Acts wie Taylor Swift oder auditive Einschlafhilfen nicht große Teile des vorhandenen Kuchens abzwacken: Was, wenn Queen und Metallica irgendwann dieselbe Rolle auf Rokk spielen, irgendwann auch bei Rokk 0,8 Prozent aller Artists 90 Prozent der Plays generieren?

Landenburg betont, dass derlei Szenarien diskutiert würden und die Plattform aktiv auf eine Diversifizierung des Hörverhaltens ausgerichtet sein soll. Solange Rokk als Service noch von wenigen Menschen genutzt wird, handelt es sich dabei sowieso um hypothetische Fragen. Die sollten aber jetzt gestellt werden. Und auch solche: Wohin soll die Reise gehen, und was könnte Rokk perspektivisch bieten?

Klein bleiben, große Veränderungen anstoßen?

Der Graswurzelcharakter von Rokk äußert sich in einem besseren Verständnis der Zielgruppe und der wirtschaftlichen Risiken eines solchen Unternehmens. Dazu passt es auch, dass Landenburg betont, dass die Plattform anders wachsen soll als herkömmliche Streamingdienste: Das rund 20-köpfige Team und die damit verbundenen Kosten sollen klein bleiben. Das Ziel sei nicht – wie sonst in der Tech-Branche – Wachstum um jeden Preis, sondern betriebswirtschaftliche Stabilität. "Es geht ja nicht darum, dass sich irgendwer den goldenen Lamborghini davon leisten kann", grinst Zafira-Fahrer Landenburg.

Die Ziele von Rokk wirken deshalb revolutionär, weil sie im Kern bescheiden sind. Fragt sich weiterhin, ob das Schule machen könnte. Denn nicht alle Subkulturen funktionieren so, in nicht allen Szenen finden sich dermaßen günstige demografische Vorbedingungen. Wenn es Rokk allerdings gelingen sollte, sich als echte Alternative auf dem Markt zu etablieren und die gewünschte Stabilität erreicht, könnte das ähnliche Projekte motivieren. Das würde insbesondere im jetzigen Moment ein sehr wichtiges Signal setzen. Denn die Nische wird zunehmend auf den großen Plattformen marginalisiert.

Ob auf Deezer oder Spotify, vermutlich bald ebenso auf Apple Music: Größere Plattformen beginnen aktiv damit, ihre Ausschüttungsmodalitäten neu zu justieren und übervorteilen dabei anscheinend vielgestreamte Artists beziehungsweise ihre Labels, die in den überwiegenden Fällen zu den Big Three gehören oder zumindest zu den größeren Indies gehören. Wenn Spotify etwa stolz betont, die Hälfte der im Jahr 2023 ausgeschütteten Tantiemen – stolze 4,5 Milliarden US-Dollar – an unabhängige Künstler:innen und Labels ausgeschüttet haben, wirkt das imposanter, als es eigentlich ist.

Denn einerseits sind viele der größeren Indie-Labels mit den Big Three verflochten. Landenburg hat in der Vergangenheit auch Musik über Nuclear Blast veröffentlicht, einem der größten Metal-Labels der Welt, das seine Musik allerdings über WMG vertreibt – welche wiederum an diesen 4,5 Milliarden mitverdient. Andererseits ist selbst ein formal unabhängiger Vertrieb wie [PIAS] mittlerweile de facto von UMG aufgekauft worden, weshalb Ähnliches in Hinblick auf Avant-Metal auf Ipecac oder Free-Jazz-Grindcore auf Tzadik gilt. Übrigens: Rokk plant, Bands den direkten Upload ihrer Musik zu ermöglichen, womit solcherlei Intermediäre aus der Gleichung gestrichen würden.

Nicht zuletzt signalisierte die – offenkundig massiv von entsprechenden Vorschlägen durch UMG-CEO Lucian Grainge inspirierte – Entscheidung Spotifys, Musiktitel erst ab einem Schwellenwert von 1.000 Plays pro Jahr überhaupt zu monetarisieren, dass auf den Underground so gar kein Wert gelegt mehr wird. Denn auch wenn bei so geringen Zahlen am Ende des Jahres wenig bis gar nichts ankäme: In der Regelung sehen viele auch eine kulturelle Abwertung von randständiger Musik. Dagegen möchte Landenburg ebenfalls ein Zeichen setzen: "Ich hoffe, wir können zeigen, dass es auch anders geht. Ich kann doch nicht jedes Thema einfach nur betriebswirtschaftlich angucken!"

Hinter Rokk steht der große Plan, klein zu bleiben und auf dieser Ebene etwas zu verändern. Wie gut das aufgehen wird, zeigt sich in den kommenden Monaten und Jahren. Es gilt, die Entwicklung der Plattform im Blick zu behalten: Sollte sich das Prinzip behaupten, könnte es wegweisend für eine Verbreiterung des Streamingangebots sein, das noch spezifischer auf die Nachfrage seitens der Fans reagieren kann. Und das sind letztlich diejenigen, mit denen alles steht und fällt – nicht nur bei Rokk.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit alexander landenburg , fairmusic , peter moog , Pro-Rata-Modell , Rokk , Soundcloud , spotify , streaming

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