Aus der Glosse: Clubkultur-Couture am Arsch
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Aus der Glosse: Clubkultur-Couture am Arsch

Features. 16. Februar 2025 | 3,0 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Willkommen zur Fashion Week des Wahnsinns, besser bekannt als unsere Clubkultur. Wer denkt, es gehe hier um Musik, hat im Bauhaus noch nie nach zwei Laufmetern Stahlkette gefragt. Denn, Hallihallo: Schon die Selektion an der Tür folgt bekanntlich einer streng codierten Zirkusshow: Wer aussieht wie ein Geografielehrer im Außendienst – heute nicht! Wer so viel Leben ausstrahlt wie ein Bestattungsunternehmen – rein mit dir. 

Clubs sind keine Tanzflächen, sondern Laufstege, nur ohne Bravo-Fotolovestory. Dabei fing das alles ganz harmlos an: Irgendwann waren da mal Lederwesten, die in dunklen Kellern nach Freiheitsdrang rochen. Dann kam Latex und bald darauf wurde aus validem Fetisch ein Fast-Fashion-Statement, das Motto: optische Unterwerfung als Einlasskriterium.

Heute laufen natürlich alle kinky rum. Nur in unterschiedlichen Stadien. Freilich, freilich: Es gibt Abstufungen. Die einen sehen aus wie eine Mischung aus Darth Vader und Gummiboot. Die anderen hängen sich wenigstens ein paar Piercings ins Gesicht. Was zählt, ist die Mühe – oder zumindest die Kreditkartenabrechnung nach dem Einkauf im Sadomasofachgeschäft.

Humana, geil!

Dazwischen reiht sich die sogenannte Streetwear oder urbaner Widerstand. Hauptsache, Charlie Lagerfeld rotiert im Mausoleum, weil: Das hier, das ist wahre Ironie – das rebellische Ich-kümmer-mich-doch-gar-nicht-um-Mode-Outfit kostet auf jeden Fall mehr als der Wocheneinkauf im Bioladen. Aber wer im limitierten Humana-Drop von gestern hinter der Klotür verschwindet, sieht dabei wenigstens sehr individuell aus.

Nicht fehlen dürfen: Sneaker, die aussehen wie aus der Altkleidersammlung. Oder Jogginghosen, für die man früher sogar auf dem Skateplatz aufs Maul bekommen hätte. Jetzt ist das alles Ausdruck subkultureller Avantgarde, solange irgendein DJ draufkritzelt und das dann so plusminus den Verstand kostet.

Ja, gut, die wahre Elite lässt sich von diesen Kommerzclowns sicher nicht beeindrucken – sie greift zum allerheiligsten Gral der Authentizität: der Obdachlosenoptik. So transportiert man das Marschierpulver unauffällig in der Alditüte in den Club und sammelt damit, drei Tage später, auf dem Heimweg das Pfand ein ("total praktisch!").

Sandalen, Socken, so!

Nebenbei schaut man gescheit aus der Wäsche, wenn man was von Techno und Kultur und gegen die Konvention sagt. Spätestens dann ist man der Hauptdarsteller in einer postmodernen Dreikanalvideoinstallationsperformance mit dem ehrlichen Titel einer Lanz-Sendung: "Modische Zwänge – haben wir die Kontrolle verloren?"

Wahrscheinlich nicht, sagt die Kleidertauschparty, auf der schon wieder alle Schwarz tragen. Diese unangefochtene Machtfarbe, eine Uniform, wie die Aufgeklärten gerne sagen, und dann den Club mit der Kirche verwechseln oder das Set mit der Messe. Aber, na ja, immerhin: In Schwarz gehört man dazu, zu den Unangepassten. Und eigentlich wollen wir das doch alle, dazugehörend unangepasst sein.

Dabei wären die wirklich Unangepassten eigentlich die, die frühmorgens den Hund an der Clubschlange vorbeizerren, in Funktionsjacken und Sandalensocken, und dabei immer ein bisschen nach Kleingarten oder Uckermark aussehen. Sie machen das ohne Angst vor der Schande. Sie machen es mit einer Eleganz, die uns allen längst abhandengekommen ist. Und greifen dann auch wirklich in die Scheiße.

Deshalb, Vorschlag: Könnte man ja mal ausprobieren. Karlheinz sein in der Berghainschlange. Oder Sabine kurz vor der Rente. Und dann einfach hoffen, dass alle so tolerant sind und solidarisch und so weiter, wie wir nach drei wachen Tagen immer sagen. Nicht?

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Authentizität , Clubkultur , Fast-Fashion , Fetisch , Ironie , Mode , Schwarz , Selektion , Sneaker , Streetwear

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