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Review: Autechre - Sign [Warp]

Review: Autechre - Sign [Warp]

Features. 19. Oktober 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Autechre brechen erneut mit den Konventionen, indem sie nach einem Jahrzehnt der Superlative zum konventionellen Format zurückkehren: 'SIGN' hat den Umfang eines ganz normalen Albums, nachdem Rob Brown und Sean Booth zuletzt mit der fünfteiligen 'elseq'-Reihe und einer Reihe von Konzert- und Radio-Mitschnitten ihren Output dermaßen ankurbelten, dass nur noch Hardcore-Fans den Überblick behielten. Bedeutet 'SIGN' aber nun auch einen Rückschritt zu konventionelleren Sounds? Tatsächlich tut es das.

Schon bevor die Pandemie den europäischen Kontinent erreichte und die Dancefloors weltweit geschlossen wurden, zeichnete sich die Rückkehr eines Genres ab, dessen Name schon immer irreführend war: Intelligent Dance Music, kurz IDM, war einerseits nicht zwangsläufig intelligenter als andere Formen von Dance Music und tanzen ließ sich dazu selbst in den Anfangstagen des Stils nur schwerlich. Viel eher sind die darunter zusammengefassten Sounds so zu genießen, wie es der humanoide Roboter auf dem Cover der stilprägenden 'Artificial Intelligence'-Compilation tut, die im Jahr 1992 auf dem Label Warp erschien – im heimischen Wohnzimmer, auf dem Sessel, den Kopf zurückgelehnt. IDM war After-After-Hour-Musik, pulsierende Klangwolken, mit denen RaverInnen nach dem großen Exzess den Comedown einleiten konnten. Wie prädestiniert für Quarantäne-Marathon also.

Mit ihren frühen, im Jahrestakt zwischen 1993 und 1996 erschienenen Alben – 'Incunabula', 'Amber', 'Tri Repetae' und 'Chiastic Slide' – wurden Autechre zu den federführenden Stichwortgebern dieser futuristischen Musik, die durch Compilations wie 'Still In My Arms', Comebacks von The Fear Ratio, Squarepusher oder Locust und Neuinterpretationen der komplexen Rhythmen und futuristischen Sounds durch upsammy, His Master's Voice oder RX-101 in den vergangenen Monaten einen mittlerweile dritten Frühling erlebte. Nachdem sie die vergangene Dekade mit dem zu Unrecht unterschätzten 'Oversteps' einleiteten, verabschiedeten sie sich im Jahr 2013 nach der Veröffentlichung von 'Exai' und der EP 'L-Event' erstmal weitgehend von den Limitationen und Konventionen der Musikindustrie und legten nicht nur mit dem sich über fünf Teile erstreckenden Werk 'elseq' vier Stunden harsch-unterkühlte Hirnfolter vor, sondern schwemmten den Äther auch mit Dutzenden von Konzertmitschnitten und überbordenden Radio-Shows, die sie für den Online-Sender NTS eingespielt hatten.

Wenn das denn überhaupt der richtige Begriff ist. Denn vielmehr schien es, als würden Booth und Brown einfach nur ihre Rechner auf Autopilot heißlaufen lassen, als hätte der robotische Rezipient ihren Platz auf dem Sessel geräumt und ihren Job übernommen, damit sie selbst nach getaner Arbeit den Kopf auf die Lehne packen und ausatmen konnten. Der vollautomatisierte Tod des Musikautors schien sich zu vollziehen: Die beiden werden schließlich gerade deshalb als Genies gefeiert, weil sie den Geniebegriff in ihrer Arbeit dekonstruieren und das Gros der Komposition der CPU überlassen. Die zwölfstündigen (!) Livestreams aus Quarantänezeiten passten da ebenso ins Bild wie die Ankündigung, dass das Duo in diesem sich mittlerweile schon dem Ende neigenden Jahr zwei Alben veröffentlichen wollte. 'SIGN' ist das erste davon und klingt in den ersten Sekunden zwar wie eine Harsh-Noise-Platte mit einem Sprung, markiert im Gesamten aber einen Schritt zurück zu mehr Flächen und Harmonien sowie zwischendurch sogar recht konventionellen Rhythmen, die beinahe Grooves erahnen lassen und, o Schreck, sogar an stinknormalem Techno anknüpfen. Die vermeintlich so verkopfte Musik kehrt zu ihren Wurzeln zurück und nimmt ein Vollbad in Gefühligkeit, liefert den Soundtrack fürs Rumhängen nach dem großen Knall.

'F7' klingt wie eine sehnsüchtige Trance-Abstraktion von Labelmate Lorenzo Senni, 'si00' ist durchzogen von gläsernen Sounds und einem nervösen Beat, 'esc desc' könnte doch tatsächlich das Oneohtrix-Point-Never-Cover eines John-Carpenter-Stücks sein und 'au14' nutzt die Zentrifugalkraft eines pluckernden Rhythmus, um darüber verschiedene Klangereignisse im Mix zu verteilen: Schon in der ersten Hälfte zeigt sich dieses Album fast schon kompositorisch streng statt wie zuletzt ausufernd und haltlos, die Sequenzierung der Tracks ist auf ein dynamisches Auf und Ab angelegt. Die zweite Hälfte wird vom elegischen 'Metaz form8' eingeleitet, das mit orgelähnlichen Tönen mehr auf die Tränendrüse drückt als vermutlich jedes andere Stück in Autechres breitem Backkatalog. Doch schon das schlierige Electro-Derivat 'sch.mefd 2' lässt die Stimmung ins Ahnungsvolle kippen, bevor 'gr4' und 'th red a' mit launisch tastenden Synthesizer-Klängen die Herbstdepressionen antriggern. Diese Stimmung hält sich in 'psin AM', das erstaunlicherweise von einem tapsenden Vierviertel-Beat unterlegt wird und damit einmal mehr an das Frühwerk der beiden erinnert, an den Ursprung von sogenannter Intelligent Dance Music in anderen Formen von Dance Music, die nicht minder smart und nur etwas weniger komplex arrangiert waren. Es ist Techno.

'r cazt' beschließt das Album dann mit weiteren waberigen Synthie-Sounds und wohligen Flächen, welche die das Album durchziehende emotionale Ambivalenz als Coda meisterhaft neu aufbereiten. 'SIGN' nämlich bedeutet nicht nur eine Rückkehr zur konventionelleren Formen, sondern auch geläufigen Inhalten: Es ist Musik für den Comedown, als emotionale Stütze wie prädestiniert für den nächsten Quarantäne-Marathon. Und wer weiß: Vielleicht setzt das zweite für dieses Jahr angekündigte Autechre-Album dem wieder ratternde Beat-Abstraktionen entgegen, macht den kalten Hauch der Automatisierung spürbar. Solange bleibt diese Doppel-LP das menschlichste Lebenszeichen eines scheinbar so überlebensgroßen Duos.

Sign erschien am 16. Oktober auf Warp Records.

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