Bandcamp und Epic Games: Ein halbes Jahr später – kritische Betrachtung

Bandcamp und Epic Games: Ein halbes Jahr später – kritische Betrachtung

Features. 2. September 2022 | 4,6 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Genau ein halbes Jahr ist es nun her, dass Bandcamp-CEO Ethan Diamond den Verkauf des Marktplatzes an den Videospielriesen Epic Games verkündete. Heute, am 2. September, startet auch der Bandcamp Friday in die nächste Runde. Angeblich, schließlich würde die Plattform weiterhin im Dienste und Sinne der Künstler:innen agieren, beteuerte Diamond damals. Dabei war das schon vor der Übernahme nur die halbe Wahrheit – und wird der Verkauf noch andere weitreichende Konsequenzen haben.

Als sich ein Beitrag in dieser Kolumne im September 2020 kritisch mit Bandcamp auseinandersetzte, zog das heftige Reaktionen nach sich – hauptsächlich negative. Das Unternehmen galt insbesondere im ersten Pandemiejahr als Rettungsanker für Künstler:innen und Labels, die durch den Wegbruch des Live- und DJ-Geschäfts noch dringender auf alternative Einnahmequellen angewiesen waren.

Während bei den großen Streaming-Services nach wie vor für Nicht-Major-Artists und kleine Labels maximal ein paar Centbeträge zu holen war, konnten bei Bandcamp pro Verkauf von Tonträgern, Merch oder Musikfiles harte Euros verdient werden. Umso mehr an jedem ersten Freitag des Monats, denn am sogenannten Bandcamp Friday verzichtete das Unternehmen auf seine übliche Gebühr von 15 Prozent pro Verkauf beziehungsweise zehn Prozent für alle jene, die im Vorjahr Verkäufe in Höhe von mehr als 5.000 US-Dollar hatten.

Das wurde positiv aufgenommen und zog tatsächlich positive Konsequenzen nach sich. Ein Anfang 2021 veröffentlichter Report des Kollektiv Components legte nahe, dass die Einnahmen von Anbieter:innen auf der Plattform an Bandcamp Fridays im Jahr 2020 mehr als acht Mal höher waren als an regulären Tagen. Und Spotify? Führte einen Spendenbutton ein. Na danke. Während also alle anderen augenscheinlich die jenseits der Major-Strukturen agierenden Szenen dieser Welt im Stich ließen, zeigte sich Bandcamp proaktiv um ihre Lebenssicherung besorgt und schien Hilfe zu leisten. Was sollte daran bitteschön verkehrt sein?

Der Kommentar zielte jedoch gar nicht darauf ab, Bandcamp im Gesamten schlechtzureden. Stattdessen sollte er bestimmte Probleme einerseits mit der unkritischen Darstellung Bandcamps als „anti-Spotify“ beleuchten und andererseits kritisch hinterfragen, ob der vom Unternehmen verfolgte Ansatz tatsächlich so sehr im Interesse der Künstler:innen stand wie gerne kolportiert. Bandcamp hat sich in den schlimmsten Krisenzeiten tatsächlich als hilfreich erwiesen und der Verkauf nur eines Downloads bringt de facto vielen mehr ein als eine monatliche Ausschüttung von den großen Streaming-Diensten. Aber nur weil es sich um die beste vorhandene Option handelt, muss es ja noch lange nicht die bestmögliche sein.

Rückblickend lässt sich zumindest sagen, dass der Bandcamp Friday in erster Linie ein genialer Marketing-Coup eines seit dem Jahr 2012 profitablen und seit Gründung vier Jahre zuvor konsequent profitorientierten Unternehmens war. Denn warum hat Bandcamp nicht einfach seine Gebühren dauerhaft gesenkt, um den Künstler:innen nachhaltig mehr Gewinne zu ermöglichen?

Der Weg in die Abhängigkeit

Sicherlich lässt sich argumentieren, dass die erhöhte Aufmerksamkeit an den Bandcamp Fridays den Artists und Labels selbst zugutekam, vor allem aber eben dem Unternehmen. Das verdiente zwar nicht wirklich an den Verkäufen an diesen Einzeltagen, aber konnte anderweitig davon profitieren: Der Bandcamp Friday und das damit verbundene Medienecho zogen massenhaft Artists und Labels sowie selbst größere Acts wie Björk auf den Marktplatz. Und also auch viele zahlende Kund:innen.

Wo aber mehr angeboten wird, nimmt der Kampf um Sichtbarkeit zu. Das wurde an jedem ersten Freitag des Monats deutlich, als die Posteingänge dieser Welt mit Abermillionen von Benachrichtigungen über dieses oder jenes neue Release geflutet wurden. Das wiederum zog auch Mehrarbeit für die Anbieter:innen dieser Musik nach sich. Zwar können auf Bandcamp aktive Künstler:innen auf Ausgaben für beziehungsweise Abgaben an beispielsweise Vertriebe oder Labels verzichten, tragen dort im Gegenzug aber die alleinige Verantwortung für Produktion, Distribution und Vermarktung der eigenen Musik und von Merchandise-Artikeln.

So entwickelte sich zunehmend eine strudelnde Dynamik, die nachgerade den Weg in die Abhängigkeit der vermeintlich unabhängigen Artists und Labels von der Plattform vorzuzeichnen schien. Spätestens seit der zweiten Jahreshälfte 2021 und vor allem ab Beginn des Folgejahres regte sich deshalb immer mehr Kritik an insbesondere den hin und wieder neu gestarteten Bandcamp Fridays. Aber es sollte noch schlimmer kommen.

Epic Games, WTF?!

Zwei Tage vor der Märzausgabe des Bandcamp Friday 2022 erlebte die Musikwelt eine faustdicke Überraschung, als Bandcamp-CEO Ethan Diamond sich am 2. März auf dem Blog des Unternehmens zu Wort meldete. Unter dem Titel ‘Bandcamp is Joining Epic Games’ verkündete er, ohne es direkt auszusprechen, dass das Tech-Unternehmen den Marktplatz aufgekauft habe.

Der knappe Text schien mit Formulierungen wie „we’ll continue to build Bandcamp around our artists-first revenue model“ indes zu versprechen, dass sich für die Anbieter:innen nicht viel ändern würde. Ein halbes Jahr später scheint sich tatsächlich wenig verändert zu haben. Am heutigen 2. September, ein halbes Jahr nach der Verkündung der Übernahme durch Epic Games, läuft der Bandcamp Friday wieder an. Aber ist wirklich alles business as usual?

Fest steht zumindest, dass die Übernahme einen Vertrauensverlust bei selbst der eingeschworensten Fanbase mit sich brachte. Viele Anbieter:innen und Nutzer:innen der Plattform empfanden den buchstäblichen Ausverkauf als Verrat an den Idealen, für die Bandcamp bis dahin einstand.

Warum, ist auch leicht nachzuvollziehen. 40 Prozent von Epic Games gehören dem Tech-Giganten Tencent, der wiederum nicht nur Anteilseigner von Spotify (9 Prozent), sondern auch von den Majors Universal (10 Prozent) und Warner (1,6 Prozent) ist, derweil das dritte große Label, Sony, selbst Anteile an Tencent besaß, nach einer weiteren Investition im April 2022 nunmehr in Höhe 4,9 Prozent. Und das alles ist nur die Spitze des Eisbergs sehr wirrer Verwicklungen in die Welt der großen Musikplattformen und Majors, in die sich Bandcamp mit dem Verkauf an Epic Games begeben hat.

Keine Frage: Mit dem bisherigen Image von Bandcamp schienen diese neuen direkten und indirekten Allianzen in einem krassen Widerspruch zu stehen. Nicht wenige wunderten sich allerdings ebenso, warum ein seit knapp zehn Jahren profitables Unternehmen, dessen Einnahmen sich über die Pandemie enorm vergrößert hatten, überhaupt verkauft wurde. Der von Components veröffentlichte Report schätzte den Gewinn des Unternehmens für das Jahr 2021 auf rund 21 Millionen US-Dollar, wobei darin Einnahmen aus dem Geschäft mit dem Anfang 2021 gestarteten Vinyl-Crowdfunding-Systems gar nicht eingerechnet wurden. Wer denkt angesichts solcher Zahlen ans Verkaufen?

Vor allem aber lag allen dieselbe Frage auf der Zunge: Epic Games, WTF?! Was bitteschön will ein Softwareunternehmen mit Schwerpunkt Videospielen, das unter anderem die Unreal Engine und mit Fortnite eines der beliebtesten Games aller Zeiten entwickelt hat, mit einem Online-Marktplatz für Musik?

Klagen über Klagen

Es gibt mehr als eine Antwort auf diese Frage. Zum einen gibt es eine deutliche Parallele zwischen Epic Games und Bandcamp: Beide Unternehmen trugen über die Zeit in ihren jeweiligen Bereichen dazu bei, dass sich der Verkauf von etwa Spielen oder Items hier und digitaler Musik dort wieder als Alternative zu den Abo- beziehungsweise Lizenzmodellen etablieren konnte. Anders formuliert: Beide haben dafür gesorgt, dass für die Produkte kreativer Arbeit wieder direkt bezahlt wurde.

Die Annäherung lag also auf ideologischer Ebene nahe, weil beide Unternehmen den Anbieter:innen obendrein ebenso augenscheinlich gute Konditionen bieten. Integres Unternehmen kauft anderes integres Unternehmen – das ergibt doch Sinn oder sieht zumindest nach außen hin gut aus. Dass Bandcamps vormals weitgehend sauberes Image über den buchstäblichen Sellout etwas gelitten hat, wird da kaum etwas wiegen. Doch stellte sich weiterhin die Frage, welchen konkreten Nutzen beide Unternehmen einander bringen. Oder eher noch, gegen welche anderen sie sich im Verbund miteinander stellen können.

Epic Games verlor nach dem Kauf von Bandcamp keine Zeit und ging schnurstracks im Namen der neuen Tochtergesellschaft gegen Google vor Gericht, um gegen die drohende Entfernung der Bandcamp-App aus dem Android-Store zu klagen. Eine Änderung der dortigen Geschäftsbedingungen schrieb vor, dass ab dem 1. Juni dieses Jahres alle über die Android-App getätigten Käufe für digitale Güter und Dienste mit Google Play Billing hätten bezahlt werden müssen. In einem Blog-Post dazu betonte Bandcamp-CEO Diamond, dass dies nicht im Sinne der Anbieter:innen sei, da diese sonst ihre Zahlungen aus den über Bandcamp erfolgten Verkäufen erst nach bis zu 45 Tagen statt wie zuvor innerhalb der folgenden 48 Stunden erhalten würden.

Mit den Anwaltskanzleien von Epic Games im Rücken konnte der David Bandcamp den Goliath Google tatsächlich in die Knie zwingen: Kaum einen Monat später legten Epic Games und Google dem Gericht eine gemeinsame Abmachung vor, laut derer Bandcamp weiterhin ausschließlich die zuvor verwendeten Kanäle – PayPal und Kreditkartenzahlung – für den Zahlungsverkehr verwenden können wird. In einem Update kündigte Diamond an, dass sein Unternehmen dafür zehn Prozent aller über Android-Geräte generierten Einnahmen treuhänderisch hinterlegt, „until Epic’s ongoing case against Google is resolved“.

Die Bemerkung war doppeldeutig, handelt es sich doch nicht um den einzigen Rechtsstreit zwischen den beiden Tech-Giganten. Denn das kleine rechtliche Scharmützel über den Zahlungsdienst der Bandcamp-Android-App ist nur ein Nebenschauplatz einer Gerichtsschlacht, die Epic Games seit bereits zwei Jahren gegen Google führt. Und nicht nur die. Denn Epic Games kämpft seit geraumer Zeit bereits an zwei Fronten. Das Unternehmen von Tim Sweeney liegt seit dem Vorjahr mit Apple bisher vergeblich wegen vermeintlich zu hoher App-Store-Gebühren von 30 Prozent im Zwist und hatte sowohl Google als auch Apple bereits im Jahr 2020 verklagt. Beide Male ging es um eine angebliche Monopolisierung des Vertriebs und des Zahlungssystems innerhalb dieser Vertriebsstrukturen.

Vor diesem Hintergrund ergibt dann auch der Kauf von Bandcamp in rechtlich-strategischer Hinsicht Sinn, wie Tim Ingham bei Music Business Worldwide kommentierte: „Epic kann jetzt auf Bandcamp verweisen als vermeintlichen Beweis für übermäßige Kommissionsgebühren bei Apple und Google. Zugleich können Apple und Google aber nicht Bandcamp dafür angreifen, ein kaputtes Modell zu verfolgen oder unprofitabel zu sein … denn dem ist ja nicht so.”

Auch wenn also Bandcamp das Wohl der Künstler:innen vorschiebt und sich Epic Games als Kämpfer der gerechten Sache gegen die Monopolisierung von Online-Vertriebsplattformen gerieren kann, sieht die Wahrheit anders aus. Für Epic Games ist der Kauf von Bandcamp ein Schachzug von vielen – in einem Spiel, in dem es um viel Größeres geht.

Auf dem Weg zum Streamingdienst …

Was Bandcamp im Gegenzug von Epic Games geboten bekommt, sollte ebenso auf der Hand liegen. Erstens ganz offensichtlich eine fähige Rechtsabteilung, die selbst einen Giganten wie Google schnell an den Verhandlungstisch und dann zum Einlenken bringen kann. Und natürlich Ressourcen, mittels derer der Marktplatz dringend notwendige technologische Updates umsetzen kann. Die nämlich sind nicht nur aus Sicht von Anbieter:innen und Nutzer:innen Bandcamps überfällig. Denn schon kurz vor der Übernahme zeigte sich, dass Diamond und sein Team für die Plattform große Pläne haben, die bestehende Probleme verschärfen werden.

Seitdem Bandcamp zu Epic Games gehört, hat sich auf den ersten Blick in der Funktionalität der Website kaum etwas geändert. Im Juli erschien ein Update zur Verbesserung der zuvor desaströsen Suchfunktion, ansonsten sieht Bandcamp weiterhin fast genauso aus wie noch im Jahr 2008. Doch wurde bereits im Februar dieses Jahres, kurz vor der Ankündigung der Übernahme durch Epic Games – und also schätzungsweise während oder gar nach den abgeschlossenen Verhandlungen dazu – ein neues Feature ausgerollt: die Queue-Funktion.

Das Queue-Prinzip ist simpel, um nicht zu sagen rudimentär: Nutzer:innen können Releases aus der eigenen Sammlung in Reihe streamen, also quasi als Playlist mit vollen Veröffentlichungen. Auch diese Änderung schien lange überfällig, weil die Nutzung von Bandcamp zum Streaming der gekauften Musik extrem umständlich war. Und zwar hätten sich viele User:innen noch mehr Optionen wie etwa die Möglichkeit, einzelne Tracks in Playlists anzuordnen, gewünscht. Doch schien es sich rundum um eine Besserung zu handeln, die mehr Bequemlichkeit versprach.

Sie offenbarte aber auch die Prioritäten Bandcamps bei der Verbesserung der Funktionsweisen des Marktplatzes. Denn warum sollte ausgerechnet so ein Feature Vorrang vor größeren Problemen haben, von denen es dem Alter der Website geschuldet eine ganze Reihe gibt? Die Antwort lautet, dass Bandcamp versucht, sich als alternativer Streamingdienst darzubieten, der finanziell nicht in die Verantwortung genommen werden kann.

… ein Streamingdienst, der keiner ist – und nichts bezahlen will

Im Juli dieses Jahres mehrten sich die Beschwerden von Künstler:innen und Labels, die von Bandcamp eine E-Mail erhalten hatten: Wer im Jahr 2022 auf der Plattform über 600 US-Dollar verdient hat oder voraussichtlich verdienen wird, musste nach geltenden US-amerikanischen Steuergesetzen dazu Angaben machen oder schlimmstenfalls Abgaben tätigen. Das schloss auch außerhalb der USA ansässige Anbieter:innen mit ein.

Für die ist das kein großes Problem, solange sie in Ländern leben, die entsprechende Steuerabkommen mit den USA geschlossen haben. Für Artists und Labels aus anderen Regionen dieser Welt und vor allem dem Globalen Süden beziehungsweise einer ganzen Reihe von nicht-westlichen Ländern bedeutete es jedoch, dass sie vom Finanzamt einer anderen Nation zur Kasse gebeten werden. Die Aufregung war dementsprechend groß, Bandcamp wurde als Sündenbock dargestellt – fälschlicherweise allerdings, das Unternehmen folgte damit doch nur geltendem Gesetz.

Während der hitzigen Diskussion meldete sich allerdings auch der US-amerikanische Techno-Produzent Adam X zu Wort, um ein ganz anderes Thema anzuschneiden. Er teilte die Wortmeldung einer anonymen Person, die darauf hinwies, dass Bandcamp anders als andere Dienste wie Spotify, SoundCloud und YouTube oder etwa auch Beatport keine Tantiemen für das Streamen von Musik bezahlte. „Sie zahlen keine Verlagsgebühren für Streams oder Downloads. Sie machen im Vergleich zu anderen Outlets zusätzlichen Gewinn“, hieß es darin. Das ist korrekt und sogar seit langem vom Unternehmen selbst verbrieft.

In seinen Nutzungsbedingungen hat Bandcamp seit über zehn Jahren eine Klausel stehen, die kaum anders als haarsträubend genannt werden kann:

If any agreement you have entered into with any third party, including, but not limited to a PRO, music publisher, union or guild, whether by law or contract, prohibits you from granting company the right and license set forth in this Agreement and making the representations and warranties set forth in the four paragraphs immediately above, then you are prohibited from uploading your music to the Service and shall be responsible for indemnifying and holding company harmless from and against any and all claims arising from the exploitation of your music on the Service, including all court costs and legal fees.

Das heißt verkürzt gesagt, dass Rechteinhaber:innen bei der Nutzung von Bandcamp indirekt zustimmen, keine Ansprüche auf beispielsweise durch Verwertungsgesellschaften wie im deutschen Raum GEMA und GVL, Verlage oder andere Verbände eingesammelte Tantiemen zu erheben.

In der Theorie mag das nicht wie ein Problem erscheinen, weil ja zumindest über Verkäufe etwas reinkommt. In der Praxis sieht es allerdings bisweilen so aus, als werde oft gestreamt und selten zugeschlagen – weshalb das auch von Diamond zur Übernahme von Epic Games wiederholte Bandcamp-Versprechen, die Einnahmen der Künstler:innen stünden an erster Stelle, mindestens hohl klingt.

Je bequemer, desto besser (für Bandcamp)

Eingeführt wurde der Passus von Bandcamp zu einer Zeit, als sich die rechtliche Lage um Streaming-Angebote wie bei Spotify zu konsolidieren begann. Es scheint zuerst wenig dagegen einzuwenden zu geben, dass das Unternehmen den Anbieter:innen diese Auflage mit auf den Weg gibt, ist doch Bandcamp nominell keine Streaming-Plattform, sondern ein Marktplatz. Dort wird Musik nicht über Abos beziehungsweise Lizenzen verfügbar gemacht, sondern in Warenform verkauft, die Serviceleistung des Unternehmens liegt in der Zusammenbringung beider Parteien.

Doch wurde die ständige, kostenlose und weitgehend barrierefreie Abrufbarkeit von Musik von Plattformen wie YouTube und Spotify seit Ende der Nullerjahre dermaßen normalisiert, dass dem Publikum schlicht abgewöhnt wurde, die Katze im Sack zu kaufen. Auch wenn sich der Kauf von digitaler Musik und Tonträgern zu einem gewissen Grad neu etabliert hat, wollen viele Fans vor der Kaufentscheidung ein Album gerne durchhören. Das ist verständlich und auch auf Bandcamp kommen Artists und Labels ihnen deshalb weitgehend entgegen, indem sie Veröffentlichungen in voller Länge zum Streamen bereitstellen.

Bandcamp bietet Artists Optionen zur Limitierung des Vorab-Streamings. In der Breite allerdings verzichten viele Künstler:innen und Labels aus den oben genannten Gründen darauf, nur einzelne Tracks freizuschalten. Ebenso ist selbst der Mechanismus, der nach mindestens drei Durchläufen per Pop-up-Benachrichtigung zum Kauf animieren soll, mangelhaft. Einerseits lässt sich der im Browser durch das Öffnen eines Inkognito-Fensters leicht umgehen – ein Problem immerhin, das schätzungsweise bald still und heimlich behoben wird, nun, da Bandcamp auf die Ressourcen von Epic Games zurückgreifen kann – und andererseits ist dafür ein Minimum von drei Durchläufen vorgeschrieben. Warum nicht schon nach dem ersten Hören die potenzielle Kundschaft in Richtung Warenkorb bugsieren?

Es hat fast den Anschein, als handle es sich dabei nicht um einen Fehler, sondern vielmehr ein Feature, das dem Unternehmen selbst nützt. Wie das Queue-Feature dafür sorgt, dass zahlende Kundschaft die App intensiver als zuvor als Streamingdienst nutzen kann, wird der Dienst auch für nicht-zahlende Kundschaft zunehmend bequemer. Und lockt also potenziell noch mehr Nutzer:innen mit einem Gratisangebot an, das heißt, er vergrößert seinen Marktanteil – was natürlich auch in die Hände von Epic Games spielen dürfte. Denn solange Bandcamp eine Erfolgsgeschichte bleibt, spielt das Tim Sweeneys Unternehmen im Kampf gegen die monolithische Konkurrenz in die Hände.

Der bloße geschäftlich-rechtliche Unterschied zwischen dem „anti-Spotify“ und dem tatsächlichen Spotify ist angesichts all dessen ein eher theoretischer. Denn natürlich wird Bandcamp als Streamingdienst verwendet. Und wer es möchte, kann sich darüber 24 Stunden am Stück kostenfrei mit Musik beschallen lassen, ohne dass jemals ein einziger Cent an deren Macher:innen geht.

Warum nicht beides?

Nun ließe sich zuerst einwenden, dass bei einem geglückten Verkauf ja doch Geld reinkommt und es die Tantiemenzahlungen also gar nicht braucht. Allerdings resultiert die bloße Verfügbarmachung von Musik zum Streamen auf Bandcamp nicht automatisch in Käufen. Und überdies stellt sich eben auch die Frage, warum nicht beides zugleich möglich sein sollte. Bei mittlerweile so ziemlich allen anderen Diensten werden schließlich auch Tantiemen ausgeschüttet. Wäre das nicht also nur fair, und sollte es bei Bandcamp nicht immer um Fairness gehen?

Es liegt selbstverständlich weiterhin im Interesse von Bandcamp und mittlerweile also Epic Games, dass Musik auf dem Marktplatz tatsächlich gekauft wird, weil das Geld einbringt. Das Queue-Feature steht ja eben auch nur denjenigen zur Verfügung, die Releases in ihrer Library und also dafür Geld auf die digitale Theke gelegt haben – ein Anreiz dafür, Geld für mehr Bequemlichkeit zu zahlen. Doch ist zugleich durch die Übernahme der Profitdruck endgültig vom sowieso profitablen Unternehmen gewichen und es kann sich noch mehr darauf konzentrieren, seine Marktanteile zu vergrößern. Wie gesagt: Der Bandcamp Friday läuft entgegen aller Kritik aus der Community weiter, denn das zieht immer mehr Menschen zur Plattform. Dass dies in der Ära Epic Games geschieht, verdeutlicht umso mehr, dass es sich dabei immer schon in erster Linie um eine Marketing-Aktion gehandelt hat.

So werden auch alle zukünftigen Änderungen an den Funktionsweisen der Plattform zu interpretieren sein. Denn auch wenn die Übernahme Bandcamps durch Epic Games Anlass zu Spekulationen über beispielsweise die Integration von Bandcamp in die Spielewelten beziehungsweise das Metaversum des Epic-Games-Imperiums, den etwaigen Verkauf von NFT über die Plattform oder sogar die Migration von den direkt oder indirekt mit Epic Games verbandelten Major Labels zum Marktplatz lieferte: In erster Linie scheint Bandcamp daran zu arbeiten, zusätzlich zum Kernangebot des Marktplatzes, der freilich immer Priorität haben dürfte, umso mehr mit Streamingdiensten in Konkurrenz zu treten.

Solcherlei Entwicklungen wären jedoch nicht etwa die Konsequenz aus dem Verkauf von Bandcamp an Epic Games, sie wurden durch ihn lediglich beschleunigt und können jetzt in geordnete Bahnen gelenkt werden. Der buchstäbliche Sellout hat nur ans Licht gebracht, was unter jeder Menge unkritischer Presse verschütt gegangen war. Die Musikwelt sollte eine Lehre daraus ziehen.

Alternativen gibt es schon

Dass insbesondere während der Pandemie das System Bandcamp von vielen Künstler:innen und Labels mit offenen Armen begrüßt wurde, ist nicht allein auf die Mängel der Streaming-Ökonomie zurückzuführen. Auch ist der tradierte Musikindustrielle für den Vertrieb und Verkauf von Musik und anderen Produkten in Warenform – digital oder physisch ebenso wie Merchandising – für sie kaum als vorteilhaft oder profitabel zu bezeichnen.

Doch hat sich spätestens mit dem Verkauf an Epic Games offenbart, dass die bequeme und vermeintlich fairere Alternative zumindest nicht die beste aller möglichen war. Zu Zeiten von Bandcamps Unabhängigkeit war es noch vorstellbar, dass sich Künstler:innen und Labels zusammenschließen, um Reformen der Plattformen zu ihren Gunsten zu fordern. Das scheint nun unwahrscheinlich, weil sich dort die Interessen und insgesamt die Machtverhältnisse verschoben haben: Unter der Ägide von Epic Games ist Bandcamp weniger denn je auf das Wohlwollen der Anbieter:innen angewiesen. Warum also Zugeständnisse machen?

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Es ist bedauerlich, dass es so weit gekommen ist. Obwohl Bandcamp laut einem weiteren, jüngst veröffentlichten Components-Bericht zur Einkommensverteilung auf dem Marktplatz im Jahr 2021 nur moderate Einnahmen verzeichnete und selbst von finanziellen Gefällen geprägt war – 213 US-Dollar verdiente dort jede:r Künstler:in im Durchschnitt, wobei die oberen 5 Prozent gut drei Viertel aller Einnahmen für sich einstreichen konnten –, hat das Prinzip als solches Potenzial. Eine zentrale Anlaufstelle für Anbieter:innen und Käufer:innen ist ja per se nichts Verkehrtes. Das Problem liegt eher darin, von wem sie nach welchen Kriterien geleitet wird. Aber sind Alternativen vorstellbar?

Nicht nur das, sie existieren sogar bereits. Die Plattform Ampled funktioniert wie eine Mischung aus Patreon und Bandcamp: Fans können per Abo ihre Lieblinge unterstützen und/oder Musik in verschiedenen Formaten sowie Merchandising darüber kaufen. Der zentrale Unterschied liegt in der Organisationsstruktur: Bei Ampled handelt es sich, wie auch beispielsweise beim Streamingdienst Resonate, um eine Genossenschaft.

Das heißt, dass die Plattform sowohl den dort vertretenen Artists als auch den Fans selbst gehört und sie dementsprechend gemeinsam deren Entwicklung steuern können. Nicht etwa mit Zwecke der Kapitalakkumulation (oder gar eines Verkaufs an ein größeres Unternehmen), sondern mit dem Ziel eines Community-Aufbaus, der auf Transparenz und faire Verteilung setzt. Darauf lässt sich weiter aufbauen und es könnte genauso aber ähnlich gelagerte, neue Formate inspirieren.

Wichtig scheint jetzt allemal, dass „Bandcamps neues Monopol“, wie auch der Text in dieser Kolumne aus dem Herbst 2020 unterschrieben war, nicht unangefochten bleibt. Sondern dass Maßnahmen zur weiteren Diversifizierung eines Markts ergriffen werden, die den Weg für handfeste Alternativen zum neuen Status quo ebnen.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Adam X , Ampled , Bandcamp , Bandcamp Friday , Components , Epic Games , Ethan Diamond , GEMA , google , GVL , Major Labels , Music Business Worldwide , Paypal , Resonate , Sony , spotify , streaming , tech , Tencent , Universal , Warner Music Group

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