Berliner Techno als UNESCO Kulturerbe – Was plant Dr. Motte?

Berliner Techno als UNESCO Kulturerbe – Was plant Dr. Motte?

Features. 15. Dezember 2021 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Die Clubszene soll Kulturerbe werden, sagt Loveparade-Erfinder Dr. Motte seit 2019. Seine Initiative „Rave The Planet” will, dass Techno in die Liste der UNESCO für Immaterielles Kulturerbe aufgenommen wird. Deshalb erschien zuletzt ein Werbefilmchen, in dem Clubbetreiber:innen, DJs und Veranstalter:innen wie Ellen Allien, Dimitri Hegemann und Alan Oldham über den Sound von Berlin sprechen. Sie erklären, wieso die Stadt wie keine andere für den Techno lebt und durch Techno am Leben gehalten wird. In den Worten von Dr. Motte: „Hier geht’s nicht nur um Bumm-Bumm-Musik, der Club ist vielmehr eine Welterbestätte, an dem Menschen zusammenkommen.“

Friede, Freude und ein bisschen bröckeliger Eierkuchen, um das „Wissen der Feierkultur zu schützen“, wie Dr. Motte sagt? Der Berliner sieht große Chancen darin, die sogenannte Technokultur der Stadt als „legitime soziale Kraft mit historischem Wert und staatlicher Unterstützung zu etablieren.“ Anders gesagt: Techno soll offiziell zur gelebten Tradition werden, die Menschen über Generationen weitergeben. Wie zum Beispiel die Deutsche Brotkultur, das Flechthandwerk oder die Ostfriesische Teekultur sowie über 110 andere Kulturformen, die anerkannter Teil des Immateriellen Kulturerbes sind – um „kulturelle Traditionen und Ausdrucksformen, die in Deutschland praktiziert werden, sichtbar zu machen und sie zu erhalten“, wie es vonseiten der deutschen UNESCO-Kommission heißt.

Der lange Marsch

Deutschland ist dem UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes 2013 beigetreten. Seitdem wächst die Liste, neue Kulturformen bewerben sich. Gerade hat eine Initiative einen Antrag eingereicht, der dem Heidelberger Hip-Hop den Status als Immaterielles Kulturerbe einbringen soll. Etwas, das Rave The Planet mit Techno in Berlin vorhat. „Bis zur Anerkennung der Technoszene durch die UNESCO ist es allerdings noch ein weiter Weg“ sagt Peter Martin, stellvertretender Pressesprecher der Deutschen UNESCO-Kommission in Berlin, auf Anfrage von DJ LAB. Die Bewerbung von Rave The Planet beziehe sich, so Martin, zunächst auf einen Eintrag in Deutschlands Bundesweites Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes. „Soweit wir wissen, wurde der Antrag bei der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa gestellt, die nun darüber entscheidet, ob sie ihn im kommenden Jahr zur Bewertung an unser Expertenkomitee Immaterielles Kulturerbe weiterleitet.“

Um eine „kulturelle Ausdrucksform“ anerkennen zu lassen, muss man einen mehrstufigen Prozess durchlaufen, an dem die Bundesländer, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, das Auswärtige Amt und die Deutsche UNESCO-Kommission beteiligt sind. Das ist kompliziert und dauert: „Die Technoszene könnte frühestens im März oder April 2023 ins Bundesweite Verzeichnis aufgenommen werden“, so Peter Martin. Allerdings wäre diese Aufnahme die Voraussetzung für eine Nominierung für eine der internationalen UNESCO-Listen des Immateriellen Kulturerbes.

Viel Aufwand also für die „öffentlich sichtbare Anerkennung der kulturellen Ausdrucksform.“ Und eine Anerkennung, die weitere Fragen aufwirft: Wie verträgt sich die Idee des Sichtbarmachens und Erhaltens mit lebendigem Wissen einer Subkultur, die in den Köpfen von Menschen und nur mit ihnen existiert? Wer entscheidet in diesem Zusammenhang, was als Technokultur gilt? Und: Würde sich Techno durch einen Status als Kulturerbe nicht endgültig ins Museum verabschieden, weil die Musik mitsamt ihrer Kultur zur Tradition wird, die keine Veränderung mehr aufnimmt, sondern als Ritual in der Clubtoilette verschwindet?

Fragen, die DJ LAB auch an Rave The Planet gestellt und mit Dr. Motte besprochen hat. Schließlich braucht Techno Erneuerung und ständiges Verändern, um in der Wiederholung der Vierviertelkick aufzugehen. Als angewandte Kultur lässt sich Techno nicht im Standgas parken oder zu einem bestimmten Moment in der Geschichte festhalten. Was überleben will, muss sich bewegen, wandeln und in einem Diskurs existieren können. Denn das, was Menschen an kulturellen Ausdrucksformen entwickeln, ist nie natürlich, sondern immer Ergebnis von Aushandlungen und unterschiedlichen Auslegungen, die ohne damit verbundene Interessen und Machtkonstellationen undenkbar wären.

„Techno soll auf keinen Fall im Museum landen“, sagt Motte. „Es ist eine Entwicklung, die auf bestimmten Werten aufbaut, aber nie abgeschlossen sein wird.“ Außerdem sei eine Musealisierung weder im Sinne von Rave The Planet noch der UNESCO. Es gehe eher darum, die „Lebensfähigkeit kultureller Ausdrucksformen“ sicherzustellen – nicht aber Techno hinter einer Glasscheibe auszustellen. „Das wäre auch gar nicht möglich“, denn: „Clubs sind lebendige Orte, an denen moderne Bräuche stattfinden – Techno, Tanz und Trancezustände, um für ein paar Stunden aus der Realität auszusteigen und mit neuen Ideen in sie zurückzukehren.“

Die Gefahr einer Institutionalisierung der sogenannten Technokultur sehe Dr. Motte bei einer Eintragung ins Immaterielle Kulturerbe nicht. „Berlin ist das Zentrum von Techno. Was hier mit der Loveparade ihren Ausgang nahm, hat sich auf die ganze Welt ausgebreitet. Jetzt brauchen wir Anerkennung und Sichtbarkeit dieser gelebten Tradition.“ Schließlich gehe es auch ums Geld. Vor Corona habe die Clubszene allein in Berlin 1,5 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. „Das ist ein Wahnsinn, dem die Politik viel zu wenig Beachtung schenkt“, so Motte. Clubs ihren wirtschaftlichen Faktor abzusprechen, verkläre nicht nur ihr Potenzial, sondern auch die Realität.

Was Berlin von Zürich lernen kann

Kulturelle Praktiken seien untrennbar mit der Sphäre des Ökonomischen und des Tourismus verbunden, sagt wiederum Stefan Koslowski, Projektleiter der Liste lebendiger Traditionen in der Schweiz. „Feste hatten in der Vergangenheit und haben auch noch heute oftmals eine ökonomische Funktion.“ Es dürfe nicht vergessen werden, dass auch kommerzielle Komponenten einer Kulturform identitätsstiftend sein können. Die entscheidende Frage laute daher, ob rein kommerzielle Aspekte im Vordergrund der Praxis stehen oder ob sich Kulturpflege und wirtschaftliche Aspekte sinnvoll ergänzen.

In Zürich hat man diese Frage 2017 beantwortet. Seither ist die Technokultur offizielles Kulturerbe der Stadt. Die Szene habe das Image der Stadt über die Landesgrenzen hinaus geprägt, argumentierte man in der Begründung – in Vor-Corona-Zeiten tanzten jährlich über eine Million Menschen bei der Street Parade, einer Art Schweizer Loveparade. Stefan Koslowski kommentierte die Aufnahme ins Immaterielle Kulturerbe für Vice mal so: „Es geht nicht darum, etwas zu erhalten. Wir wollen nichts in Harz gießen, dass es für alle Ewigkeit so bleibt.“ Nachsatz: „Eine Tradition darf sich auch weiterentwickeln.“

Trotzdem sei die Aufnahme in die UNESCO-Liste eine „Liebeserklärung, aber kein Heiratsantrag“ gewesen, kommentierte zuletzt etwa Journalist Julian Riegel. Schließlich haben sich Politik und UNESCO zu nichts verpflichtet. Mit dem Eintrag als Kulturerbe sei keine finanzielle Anerkennung einhergegangen, die es auch zukünftig nicht geben werde. Das bestätigt auch Peter Martin von der Deutschen UNESCO-Kommission. Die Organisation schüttet kein Geld aus. Der Staat schießt nichts zu. Das Immaterielle Kulturerbe gilt nur als Zeichen der Anerkennung. Weshalb also der Zinnober?

Weil es sich dabei um eine kommunikative und symbolische Achtung handle, dass die Zürcher Technokultur Teil des Miteinanderlebens in der Schweiz sei, so Stefan Koslowski. Anders gesagt: Die Anerkennung als Kulturerbe schätzt das Engagement der Menschen, die Techno gelebt haben, aktuell leben und zukünftig weitergeben. Gleichzeitig sollen dadurch andere Menschen für die Kultur von Techno sensibilisiert werden, um die Tradition weiterzuführen. Damit hängt zusammen, dass die Strukturen, die Techno in der Vergangenheit ermöglicht haben, in Zukunft erhalten bleiben müssen.

Die Suche nach dem verlorenen Spirit

Rave The Planet argumentiert ähnlich – mit Brauchtumspflege und Handlungsdruck durch Aufmerksamkeit. Schließlich fördere der Status des Immateriellen Kulturerbes das Bewusstsein, dass Techno längst aus seiner Nische herausgetreten sei. Außerdem könne man dadurch den Bedrohungen der Berliner Clubszene entgegenwirken. „Steigende Mieten, Lärmschutz, Corona“ – all das gefährde das „freie, wilde, kreative Berlin“, so der “Underground Resistance”-Mitgründer Alan Oldham im Beitrag von Rave The Planet. Der „Schutz der UNESCO“ würde dazu beitragen, diesen alten Spirit zu erhalten, denn: „Veranstaltungsorte wie der Tresor oder das Berghain wären dann als Kulturdenkmäler geschützt.“

Das klingt zwar gut, ist aber nicht vollkommen richtig. Denn die UNESCO-Anerkennung ist keine Denkmalschutzbehörde und führt nicht dazu, dass Clubs automatisch zu Kulturdenkmälern werden. Ob es „Hürden und Auflagen bei der Neueröffnung und Erhaltung von Kulturstätten“ senkt, wie die Initiator:innen von Rave The Planet argumentieren, ist nicht garantiert. Wie in Zürich gebe es weder von der UNESCO-Kommission noch vom Staat finanzielle Unterstützung. Allein symbolisches Kapital käme der Berliner Technoszene zu – etwas, bei dem sich argumentieren ließe, dass es in der Hauptstadt zu finden sei wie THC im Blutkreislauf von FJAAK.

Das heißt nicht, dass es keine zusätzlichen Hilfen braucht. Die Gentrifizierung sind wir und sie schreitet voran. Mietpreise explodieren, Clubarbeiter:innen kämpfen um ihre Existenz. Allein: Die Aufmerksamkeit, die eine Aufnahme in die Liste der UNESCO mit sich bringt, kann Veränderungen hervorrufen, die sich nicht immer positiv auf die Kultur auswirken. Schon in Zürich gab es durchaus kritische Stimmen. Als „Zirkus“ bezeichnete der Pionier der Zürcher Partyszene, Oliver Stumm, das endgültige Ankommen im Kommerz. Ein „alter Spirit“ – wie auch immer dieser ausgesehen hat – wurde dort nicht bewahrt. Inzwischen wünschen sich manche aus der Szene, die nicht öffentlich genannt werden wollen, sogar in eine Zeit vor der Anerkennung zum Immateriellen Kulturerbe.

Dass es nicht darum gehe, ein romantisiertes Ideal der Vergangenheit festzuschreiben, betont Dr. Motte im Gespräch immer wieder. Techno müsse sich verändern, es brauche Entwicklung. Manch ein Stehsatz schleicht sich ein, aber man merkt, dass es ihm bei der Sache auch um seine Tradition geht. Eine, die nicht nur, aber vor allem durch die Anerkennung als Kulturerbe zu sichern sei. Schließlich sind sich die Strukturen, die einst dazu geführt haben, dass Techno in Berlin entstehen konnte, immer schwieriger zu halten. Ob es sich auszahlt, einen jahrelangen Prozess zu durchlaufen, um am Ende anerkennen zu lassen, was in Teilen bereits anerkannt ist, bleibt offen. Auch die Frage nach einer materiellen Subkulturförderung, die freischaffenden Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen eine Existenz frei von prekären Lebensverhältnissen zusichern würde, lässt sich nicht pauschal durch eine Anerkennung als Kulturerbe beantworten. Schlussendlich müssen viele Rädchen ineinandergreifen. Die UNESCO könnte eines davon sein.

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