Bruchstelle: Das Ende von Aslice – das Problem mit der Solidarität
Aslice wird eingestellt. Der Service zur Umverteilung von Geldern aus DJ-Gagen an Musiker:innen diente auch als soziales Experiment. Sein Scheitern ist sicherlich ambivalent, bietet aber auch eine Chance. Jetzt sind umso mehr die Verwertungsgesellschaften gefragt, kommentiert Kristoffer Cornils.
Aslice verkündete am Morgen des 3. September das sofortige und endgültige Aus des Services. Das überraschte in mehrerlei Hinsicht. Zum einen nannte die von FAQ begleitete Ankündigung keine dezidierten Gründe für das plötzliche Ende des Dienstes, mittels dessen DJs Teile ihrer Einnahmen an die Beteiligten der von ihnen im Club, auf Festivals oder in Online-Mixen gespielten Musik schicken konnten.
Zum anderen war es in den Monaten zuvor zumindest vordergründig gut gelaufen. Kooperationen mit Verwertungsgesellschaften und die Initiative Support The Sound konnte Aslice zuletzt ebenso auf der Habenseite verbuchen wie ein gesundes Wachstum. "Zwischen den Jahren 2022 und 2023 haben wir die Auszahlungen mehr als verdoppeln können – ein 160-prozentiges Wachstum", berichtete Aslice-CEO Ethan Holben noch vor wenigen Monaten gegenüber DJ Lab.
Tatsächlich vermeldete Aslice gut zweieinhalb Jahre nach dem offiziellen Launch des Dienstes in einer Pressemitteilung zum Ende des Angebots beeindruckende Zahlen: Rund 7.400 Playlists seien von insgesamt 935 DJs gemeldet worden. So konnten über 422.000 US-Dollar an mehr als 27.000 Musiker:innen verteilt werden. Wer das allerdings durchrechnet, ist vom Ende des Dienstes dann gar nicht mehr so überrascht.
Auf die eingesammelten Gelder erhob Aslice 15 Prozent Gebühren. In einem zusätzlich zum Abschiedsgruß veröffentlichten, von einer externen Firma angefertigten Bericht mit dem Titel 'A Slice of Fairness' wurden die Gesamteinnahmen des Unternehmens dementsprechend auf 63.404 US-Dollar beziffert – innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren, wohlgemerkt.
Dem werden jährliche Ausgaben von 250.000 US-Dollar entgegengehalten. In den vier Jahren seit Gründung hat das maßgeblich privat von Gründer DVS1 finanzierte Unternehmen also über 900.000 US-Dollar Verlust gemacht. Das muss im Start-up-Geschäft, zu dem Aslice gehörte, nichts heißen. Wichtiger noch als tatsächliche Profite ist dort konstantes Wachstum, das Investor:innen ins Boot lockt, die sich um die Finanzierung kümmern. Laut Holben war genau das für die Zukunft geplant.
Es ist wohl nicht gelungen. Das Problem wird weniger im Verlustgeschäft als solchem, als vielmehr in den limitierten Wachstumsperspektiven gelegen haben. Dabei adressierte der Dienst doch ein fundamentales Problem, das die gesamte internationale Clubszene betrifft.
Aslice: Die richtige Zeit
Nachdem der pandemiebedingte Stillstand die Wertschöpfungskrise der Macher:innen von Musik in den Fokus der szeneweiten Diskussionen gerückt hatte, schien die Zeit für ein Projekt wie Aslice günstig. Das Einkommensgefälle zwischen DJs und Produzent:innen ist real und sehr, sehr schief. Das zeigte sich umso mehr nach den Wiedereröffnungen, als DJ-Gagen in die Höhe schossen und sich für Produzent:innen die Dinge tendenziell zum Schlechteren wendeten.
Die Argumentation von DVS1 und Aslice, dass Verwertungsgesellschaften mit staatlichem Auftrag wie die GEMA aus unterschiedlichen Gründen derzeit schlicht nicht genug tun, um für die Produzent:innen von Clubmusik eine fairere Verteilung der von ihnen von Clubs und Festivals gesammelten Gelder zu sorgen, war stichhaltig. Eine Alternative, und sei es nur eine privatwirtschaftliche, zu schaffen, die dieses Problem anging – das schien dementsprechend begrüßenswert.
Denn die Menschen, deren Musik Nacht für Nacht in Clubs gespielt wird, sollten das Geld sofort erhalten und nicht erst nach langwierigen Reformen sehr alter und gründlich verstaubter Institutionen. Einige DJs unterstützten deshalb das Prinzip und leiteten Teile ihrer Gagen um. Anderen hingegen wollte das alles nicht ganz einleuchten: Warum sollten sie von ihren Einnahmen eine Art Trinkgeld abzwacken? Warum sollten sie auf freiwilliger Basis den Job erledigen, für den eigentlich die Verwertungsgesellschaften zuständig sind?
Aslice hatte anders als diese aufgrund der Rechtsform des Unternehmens als private Firma – die GEMA kann sich auf einen staatlichen Auftrag in Form des Urheberrechtswahrnehmungsgesetzes berufen – nie eine Handhabe und musste sehr viel Überzeugungsarbeit leisten. Das Unternehmen legte in seiner Rhetorik einen Fokus auf eherne Grundwerte der Szene: Peace, Love, Unity, Respect sollten in buchstäbliches Cash umgemünzt werden, die flüchtige Gemeinschaft auf dem Dancefloor industrieweit gestärkt werden.
Die Zweifel konnte Aslice offensichtlich aber so nicht aus dem Weg räumen oder zumindest nicht nachhaltig eine große Nutzerbasis für den Dienst aktivieren.
Die großen Zweifel
Die – allemal berechtigten Einwände – von vielen DJs nimmt der von Aslice veröffentlichte Bericht in einem Abschnitt unter der Überschrift "Herausforderungen und verpasste Gelegenheiten" auf. Von "Zynismus" und einer viel zu zögerlichen Annahme des Prinzips unter professionellen und vor allem den meistverdienenden DJs ist darin die Rede. Das klingt durchaus etwas anklagend.
Es ist indes nachvollziehbar. Obwohl laut dem Bericht ein großer Teil der DJ-Welt gar nicht auf die Angebote von Verwertungsgesellschaften wie der GEMA zurückgreife oder ihnen skeptisch gegenüberstünde, hätten sich die wenigsten für Aslice erwärmen lassen. Das heißt, dass die wenigsten überhaupt irgendetwas tun, um für mehr Fairness zu sorgen. Am ehesten haben nebenberuflich aktive DJs den Service genutzt. Sie brachten nicht viel Geld mit.
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Nicht nur der mangelnde Einsatz, auch die schlechten Finanzen scheinen maßgeblich zum Scheitern beigetragen zu haben. Dabei hätte wohl schon die regelmäßige Einbringung einiger weniger ausgereicht, um dem entgegenzuwirken. Laut dem Bericht wären die zehn größten DJs bei Aslice für 65 Prozent aller verteilten Einnahmen verantwortlich gewesen. Von den 1.199 laut Resident Advisor am meisten tourenden DJs machten allerdings nur 56 überhaupt den Geldbeutel auf und das wohl nur vereinzelt. Laut Abschlussbericht hätte es für die Rechnung des Unternehmens ausgereicht, wenn sich 40 der sogenannten Top-Tier-DJs regelmäßig beteiligt hätten.
Deren große Zweifel beziehungsweise Hemmungen sorgten also zusätzlich zu einer breiteren Skepsis für ein zu kleines Wachstum des Dienstes hinsichtlich der Anzahl zahlender Nutzer:innen beziehungsweise Einnahmen. Perspektivisch hätte sich das Unternehmen nicht tragen können, die möglichen Projektionen werden potenzielle Investor:innen nicht angelockt haben. Das ist bitter für ein Unternehmen, dessen Team zweifelsfrei mit den besten Intentionen, viel Herzblut und noch mehr Einsatz die Clubwelt ein kleines Bisschen besser machen wollte.
Es mag nun für Verfechter:innen des Services ebenso wie für seine Kritiker:innen verlockend sein, die Schuld auf der jeweils anderen Seite zu suchen – gut bezahlten DJs mangelnde Solidarität vorzuwerfen, dem Team hinter dem Dienst Naivität. Die eigentliche Lehre ist aber eine andere.
Die eigentliche Lehre aus Aslice
Aslice bewies zugleich, dass eine genauere Verteilung von Geldern aus dem Geschäft mit Clubmusik möglich ist und der bloße moralische Appell für eine flächendeckende Umsetzung nicht ausreicht. Das Scheitern ebenso wie die durchaus beeindruckenden Teilerfolge des Services unterstreichen nun umso mehr, dass eine Reform der Verwertungsgesellschaften notwendig ist. Sie verdienen von jetzt an die volle Aufmerksamkeit der Szene – einschließlich derjenigen, die dem Dienst ablehnend gegenüberstanden.
Denn weiterhin werden die Verwertungsgesellschaften Geld von Clubs und Festivals einsammeln und gemäß ihrer eigenen Verteilerschlüssel ausschütten, in der die Realität der Clubwelt nicht eingerechnet wird. Die von Aslice entwickelte Technologie – ein fast vollautomatisiertes System zur Zuordnung von auf Playlists verzeichneten Tracks zu den beteiligten Musiker:innen mit einer Identifikationsrate mit fast 100 Prozent Genauigkeit – könnte es ihnen ermöglichen, exakter denn je das Geld zu verteilen.
Eine Adaption des Services durch die Verwertungsgesellschaften – von denen immerhin zwei, SOCAN aus Kanada und BumaStemra aus den Niederlanden, Daten von dem Unternehmen bezogen – wäre im Sinne aller: Clubs und Festivals könnten sich einigermaßen sicher sein, dass die von ihnen getätigten Abgaben an die richtigen Leute gehen, so wie auch DJs ohne zusätzliche Ausgaben und mit nur wenig Aufwand etwas an die Produzent:innen verteilen würden, für die die Vorteile sowieso auf der Hand liegen.
Ja, im Aus von Aslice drückt sich aus, dass bei vielen in der Szene die Solidarität nur bis zur eigenen Brieftasche reicht – was im Einzelfall durchaus verständlich ist. Und ja, das Aus des Services legt zugleich Zeugnis davon ab, dass sich eine solche Solidarität weder mit warmen Worten noch mit sanften Zwängen in Form von Initiativen wie Support The Sound einfordern lässt. Sich auf diesen Einsichten allerdings auszuruhen, käme einem noch viel umfassenderen Scheitern gleich.
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