Bruchstelle: Der Traum vom grünen Raven - eine kritische Betrachtung
Artwork: Mayleth Warrior

Bruchstelle: Der Traum vom grünen Raven - eine kritische Betrachtung

Features. 22. September 2019 | / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

In der Rave-Szene macht sich ein neues ökologisches Bewusstsein bemerkbar. Verschiedene Projekte versuchen, durch und innerhalb der Szene etwas gegen die Klimakrise zu bewirken. Das wäre aber nur dann wirklich erfolgreich, wenn der Aktivismus das Problem nicht von der falschen Seite anpacken würde.

2017 gründete ein neuseeländischer Produzent ein Label, das seine Musik digital über Bandcamp anbietet, anstatt Vinyl, CDs oder Tapes zu produzieren. Soweit, so unscheinbar. Was es von anderen Digital-Only-Labels unterscheidet, ist, was mit den Einnahmen geschieht: Pro Kauf über die Plattform werden mindestens 40 Bäume gepflanzt. Ein ähnliches Ziel verfolgte vor Kurzem ein anderes Indie-Label mit einer Compilation (Anm. d. Red.: Wir verzichten bewusst auf eine namentliche Nennung, um diese Projekte exemplarisch aufzuführen und um sie nicht zu diskreditieren). Zwar erschien die durchaus auf Vinyl, die Einnahmen spendete das Non-Profit-Label allerdings an eine NGO, die sich der Sicherung des Regenwalds verschrieben hat. Ob digital oder physisch: Labels setzen sich langsam aber sicher immer mehr für Ziele ein, die über die Szene hinausgehen. Und nicht nur Labels.

Pünktlich zum Weltumwelttag rief ein Zusammenschluss von Szenemitgliedern eine neue Initiative ins Leben. Das erste Ziel dieser sei es, ein System zu entwickeln, mit denen vielfliegende DJs ihren CO2-Fußabdruck ausgleichen können. Eine eigentlich überfällige Idee, scheint es. CO²-Neutralität wird schließlich auch anderswo zum neuen Paradigma: Große Festival-Brands wie das DGTL mit all seinen weltweiten Dépendancen und auch kleinere Festivals positionieren sich bewusst auf der grünen Seite des Lebens: Kompostierbare Trinkbecher hier, CO²-Ausgleich für die Anreise zum Festival da.

All solche Aktionen sind erstmal begrüßenswert, weil sich in ihnen ein ökologisches Bewusstsein ausdrückt. Vor allem aber natürlich, weil ihr Aktivismus pragmatisch scheint. Bäume werden gepflanzt, dank der Einnahmen aus der Compilation wurden wohl immerhin dreistellige Beträge für den guten Zweck gesammelt und das Team hinter der neuen Öko-Initiative verspricht, sein erstes Ziel bis zum Ende des Sommers umzusetzen.

Raven gegen die Klimakrise, das klingt wie Traum. Das ist es auch. Denn all diese Projekte packen das Problem von der falschen Seite an.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, Bäume zu pflanzen. Bäume sind toll, Bäume wandeln CO² in Sauerstoff um. Doch scheint das Prinzip bei genauerem Hinsehen merkwürdig. Die Idee, Aktivismus an Konsum zu knüpfen, macht jedes Engagement zu einer individuellen Angelegenheit, die keinesfalls nachhaltig ist: Zwar wurde das erste Release verhältnismäßig oft gekauft, allerdings dürften seit Veröffentlichung und der anfänglichen Aufmerksamkeit darum nur wenige Einnahmen nachgekommen sein. Kurzum, die Aktion allein sorgt nicht langfristig für Wiederaufforstung und bewirkt damit auf lange Sicht recht wenig. Immerhin verschwendet das Label als solches kaum natürliche Ressourcen. Andere könnten sich davon eine Scheibe abschneiden.

Dazu gehört auch das andere genannte Label. So hehr es auch sein mag, mit einer tollen 12”-Compilation Geld für eine Klima-NGO zu sammeln, ergibt sich dennoch ein Widerspruch: Die Platten werden schließlich durch die Welt hinweg vertrieben, und mit dem Fahrrad werden sie dabei keineswegs ausgeliefert. Natürlich ist es müßig, solch wohlmeinenden Projekten ihre Widersprüchlichkeit unter die Nase zu reiben – es gibt schlicht keinen Kapitalismus ohne Widersprüche. Doch wie beim Baumpflanz-Label der ungute Beigeschmack eines Ablasshandels (Kauf etwas, damit du des Nachts besser schlafen kannst!) bleibt, so ist die Inkonsequenz des Spendensammel-Labels umso erschlagender. Predigt Klima-Aktivismus normalerweise Verzicht (Ernähr dich vegetarisch! Lass das Auto stehen! Es muss nicht immer Urlaub in Thailand sein!), so versuchen recht viele vermeintlich ökologisch bewusste Projekt augenscheinlich gar nicht mehr, ihre Käuferschaft auf performativer Ebene zum Umdenken anzustoßen, sondern weiterhin ihren ökologisch nicht vertretbaren Vinyl-Fetisch zu bedienen.

Die Idee, Aktivismus an Konsum zu knüpfen, macht jedes Engagement zu einer individuellen Angelegenheit, die keinesfalls nachhaltig ist.

Auch die genannte Initiative für eine klimafreundlichere Szene scheint in dieser Hinsicht bei genauerem Hinsehen allerhöchstens ein schickes Trostpflaster auf dem eigentlichen Problem. Zum einen werden die 1%-DJs, die mit Privatjet durch die Welt geflogen werden, damit wohl nicht aufhören. Zum anderen hilft es recht wenig, wenn pro DJ mit neutraler Ökobilanz auf jeden Billigflug quer durch Europa über hundert Mitreisende kommen, die sich womöglich gar nicht um ihre CO²-Bilanz kümmern. Nicht zuletzt aber wäre selbst der komplette Verzicht auf Flugreisen schätzungsweise nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, solange die Luftfahrt für nur 2 % des weltweiten Kohlendioxidausstoßs verantwortlich ist, von denen 80 % wiederum durch Langstreckenflüge aufkommen. In der Gesamtsicht macht der Flug zu einem Club in Mailand oder Paris kaum einen Unterschied.

Ja, wird es nun heißen, aber. Aber es ist doch ein Anfang! Aber es geht doch eigentlich darum, ein Bewusstsein zu schaffen!

Das ist nicht unrichtig und all diese Projekte machen es immerhin ein bisschen besser als die großen Player der Industrie, die sich in der Regel recht wenig mit solchen Themen befassen. Nur ist das dahinterliegende Bewusstsein dennoch ein falsches. Schon die genannte Vinyl-Compilation beweist, dass nicht jede Form von Aktivismus widerspruchslos ist. Dasselbe lässt sich von Festivals sagen, die sich öko-freundlich geben. Denn wenn diese wirklich und ernsthaft die Umwelt schonen wollen, müssten sie sich abschaffen, anstatt mit ihrem grünen Image Werbung zu betreiben. Und überhaupt: Auch wenn es schön sein mag, mit dem Kauf eines Albums ein paar Bäume zu pflanzen, wäre es doch wichtiger, die Brandrodung des Regenwalds weltweit zu stoppen, fossile Brennstoffe härter zu regulieren oder gleich zu verbieten und auch in Hinsicht auf die Luftfahrt (denn natürlich ist jedes Gramm Kohlendioxid eins zu viel!) strukturelle und globale Lösungen zu finden.

So richtig es ist, dass Veränderung auch auf Mikroebene angestoßen werden kann, so wichtig alle privaten Bemühungen für ein klimafreundlicheres Leben auch sind: Die Verantwortung aufs Individuum abzuwälzen, während sich am System nichts ändert, ist grundfalsch. Das Gros der aktuellen Projekte ist letztlich inkonsequent, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Denn ein paar Bandcamp-Käufe hier und ein paar CO²-neutrale Flüge haben keine nennenswerten Konsequenzen für den Lauf der Dinge. Die Welt wird sich so nicht grün raven lassen.

Aber was können wir denn sonst tun? Zuallererst wäre es wichtig, nicht individuellen Aktivismus zu fordern, sondern kollektive Organisation. Beides muss einander nicht ausschließen, natürlich kann persönliches Engagement mobilisierend wirken und selbstverständlich kann jede Initiative die Grundlage für eine großflächige Organisationsstruktur legen. Doch dazu muss zwangsläufig ans große Ganze gedacht werden und nicht allein an Schadensregulierung auf kleiner Ebene. Mit Reformen nämlich, allemal wenn diese nur vereinzelt auf persönlicher Ebene stattfinden, ist es nicht getan. Was es braucht, ist eine Revolution – eine globale, mit sozialpolitischen Folgen, vor allem aber Folgen für eine unregulierte Industrie, die hauptsächlich die Verantwortung für die Zuspitzung der Klimakrise trägt. Das Problem heißt Kapitalismus.

Die Verantwortung aufs Individuum abzuwälzen, während sich am System nichts ändert, ist grundfalsch.

Wenn sich in der Szene etwas ändern soll – und, nur um das deutlich zu machen, das sollte es durchaus – dann muss auch das auf struktureller Ebene geschehen. Die Tonträgerproduktion zu beenden wäre sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung. Doch auch Streaming verbraucht Energie und produziert damit CO²-Emissionen – weltweit aktuell mehr als die Herstellung von LPs und CDs, wie eine Studie der Universitäten Oslo und Glasgow vor Kurzem bewies. Wie können wir das wiederum umgehen? Oder lautet das eigentliche Problem in dieser Logik nicht schlussendlich, dass unser Musikkonsum egal in welcher Form nicht vertretbar ist? Sollten wir nicht auch in Hinsicht auf Festivals radikaler denken und sie also nicht zu grüneren Orten machen, sondern komplett absagen? Müssten wir sowieso nicht einfach aufhören, DJs durch die Welt fliegen zu lassen, damit sie für ein paar Stunden Musik abspielen? Sollten wir nicht unsere Szene von Grund auf revolutionieren – oder am besten noch größer denken? So wichtig die Fragen sind, von denen all die vier beschriebenen Projekte ausgehen: Antworten lassen sich darauf nur kollektiv finden, Lösungen werden nur global durchgesetzt werden können.

Artwork: Mayleth Warrior
Dieser Artikel ist der Teil unserer neuen Serie zur Nachhaltigkeit in der elektronischen Musik. Wir versuchen damit Impulse für eine grünere Szene zu geben, über den Status Quo zu berichten und neue Lösungsansätze vorzuschlagen. Nach und nach werden weitere Beiträge zu verschiedenen Aspekten wie bspw. klimaneutrale Festivals oder nachhaltige Produktion von Schallplatten veröffentlicht.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Bruchstelle , CO2 , Elektronische Musikszene , Klima , Klimakrise , Nachhaltigkeit

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