Was ist nur los in der Techno-Szene.
Alles ist im Wachstum, die Szene boomt und trotzdem war das letzte Jahr gespickt mit Skandalen, Unmut und Umbruch. Mit strunzdummen Kommentaren über Frauen manövrierte Konstantin mit dem quasi ersten und einzigen Interview sein Label Giegling ins Abseits, Johannes Heil beschwert sich mit ebenfalls strunzdummer Wortwahl über die "Verweichlichung" des Technos und Radio Slave haute bei Facebook mal so richtig auf den Tisch. Der Kapitalismus streckt seine bösen Finger nach der Szene aus, alles scheint dominiert vom Marketing. Deshalb beerdigte Resident Advisor auch zum Jahreswechsel ihren wohl größten Klickmagneten, das Ende der RA Polls. Unter anderem taten sie dies auch aufgrund der Gender- und Race-Debatte, die auch den Techno seit 2017 vollends erreicht hat. Wie kann das nur sein? Techno, das ist doch Freiheit, Respekt und kollektives Glück auf den Tanzflächen der Welt. Ach, was ist nur passiert? Raven, das ist einfach nicht mehr wie früher.
Eine geht zwischen all dem Sturm allerdings ruhig ihren Weg. Seit Jahren beglückt Nina Kraviz die Szene mit ihrer Attitüde und Kreativität und scheint von Jahr zu Jahr erfolgreicher zu werden. Sieht man sich ihren Werdegang, die lang anhaltende Kritik an ihrer Person und ihren derzeitigen Einfluss auf neue DJs an, so kommt man zu dem Schluss, Kraviz ist trotz ihrer bereits langen Karriere nach wie vor ein Prototyp „Zukunfts-DJ“: Von Irkutsk über Moskau nach Berlin, Kraviz mauserte sich zur „Queen of Techno“ und zählt mittlerweile zu den bekanntesten Techno-Artists der Welt.
Doch auf dem Weg dahin musste Kraviz sich immer wieder großer Kritik stellen, die zumeist mit ihrer Person und weniger mit ihrer Musik zu tun hat. Seit Beginn ihrer Kariere sieht sich Kraviz mit Kritik konfrontiert, dessen Argumentationsstruktur stets denselben Mustern folgt und auch viele andere Künstlerinnen trifft. Da wäre zunächst der Vorwurf der Inszenierung. Ihr Auftreten sei „fake“ und aufgesetzt, ihre Bühnenshow zu selbstdarstellerisch. Natürlich besitzt Kraviz auf der Bühne eine körperliche Präsenz, welche bei ihren Shows auch durchaus zum Tragen kommt, schließlich ist der DJ-Auftritt wie jede andere öffentliche Kunstform an eine Stage Persona gekoppelt. Einem tanzenden Villalobos oder einem Konstantin Sibold mit freiem Oberkörper wird ein solches Auftreten erlaubt, beziehungsweise wird an dieser Stelle eine gewisse Inszenierung nicht hinterfragt. Bei Kraviz wiederum setzt man voraus, sie würde bewusst ihre „weiblichen Reize" einsetzen, um so Aufmerksamkeit zu generieren.
Den Höhepunkt erreichte diese Art von Kritik, als sie sich in ihrem Kurzporträt von Resident Advisor erst am Strand und später noch in einer Badewanne filmen ließ. Die Stimmen wurden prompt lauter, Kraviz wurde als Sell-out verschrien und DJ-Kollege Maceo Plex sprach ihr mit seinem sarkastischen Statement “I’m so happy blatant uses of sexuality and superficiality can take the place of hustling vinyl and spending countless hours in the studio” mal eben sämtliches künstlerisches Talent ab. Die Bubble-Bath-Posse zeigt deutlich, wie kontrovers das Thema Weiblichkeit in elektronischer Musik aufgenommenen wird. Allein die Tatsache, dass eine nahezu komplett verhüllte Nina Kraviz – in einer Szene, in dessen Clubs es durchaus freizügiger zugeht – als Provokation wahrgenommen wird, erscheint mehr als absurd. Auch wird die Inszenierung des weiblichen Körpers fast schon reflexartig als Marketing stigmatisiert.
Dieser Beißreflex führt schließlich zum zweiten Argument welches in jeder Debatte um Kraviz fällt: Sie ist nur so erfolgreich, weil sie so gut aussieht. Sätze wie diese sind keine Seltenheit und werden meist kritiklos abgenickt. Doch solche Argumente zeigen viel mehr, dass es für viele scheinbar unmöglich ist, Künstlerin und Körper voneinander zu trennen, als dass sie eine legitime Aussage über Kraviz' (oder die ihrer DJ-Kolleginnen) Kunst darstellen. Weiter entkräftet wird diese Argumentation durch die Einseitigkeit, mit der sie geführt wird. Es ist stets die Inszenierung von Weiblichkeit, die als reine Form der Selbstvermarktung dargestellt wird, eine Inszenierung von Männlichkeit gibt es im öffentlichen Diskurs gar nicht. Hier gelten harte Arbeit, Schweiß und Talent, um nach ganz oben zu kommen. Das z.B. ein Ben Klock, der uns mit seinen blauen Augen freundlich vom Groove-Cover aus grüßt, von höchstwahrscheinlich vielen Frauen und Männern als tierisch heiß empfunden wird, wird selbstverständlich weder negativ angemerkt, noch thematisiert.
All dieser Kritik zum Trotz gilt Nina Kraviz mittlerweile als einer der meist geschätzten Artists der Szene. Das liegt vor allem daran, dass der vermeintliche „sexy Blickfang“ mit einer Vielseitigkeit und einem Know-how aufwartet, die in der Szene ihresgleichen suchen. Vom anfänglich poppigen Minimalismus ihres Debütalbums entwickelte sie sich mit Trip Records zur Chefin eines der interessantesten und innovativsten Techno-Labels. Neben ihrer eigenen Musik wird Kraviz vor allem für ihre DJ-Sets verehrt. Von Breakbeat zu kitschigem Trance, von minimalistischem Techno zu 150-bpm-Acid. Statt ihre Sets wie viele andere DJs dem eigenen Musiker-Dasein zu unterwerfen und einer klarer Sound-Ästhetik zu folgen, gräbt sie sich hemmungslos durch die Geschichte der elektronischen Musik.
Ihr Stil aus Risikobereitschaft und einem fast schon pädagogischen Ansatz prägt deutlich den Sound vieler Newcomer. Trance flutet mehr und mehr die Sets, das Suchen nach alten Underground-Hits wird zum Sport. Mit Amelie Lens oder Charlotte de Witte stehen neue Künstlerinnen bereit, um den Weg, den Nina Kraviz ebnete, zu betreten, denn der von ihr geprägte Techno findet immer mehr Anklang. Es dürfte also mehr als wahrscheinlich sein, dass es in Zukunft nicht ruhiger um Nina Kraviz wird, denn ihr Einfluss wird noch lange in DJ-Sets zu hören sein und ihre Attitüde viele Künstlerinnen in der Szene bestärken. Zu Recht.
3 Kommentare zu "Bruchstelle: Nina Kraviz – Eine kritische Betrachtung"
Hallo Herr Ackers,
ich bin durch Zufall auf diesen Artikel hier gestoßen und musste gerade mal reflektieren. Wer sich ein wenig mit Techno auskennt, wird nur unschwer erkennen, dass es qualitative Unterschiede zwischen DJs gibt.
Möchte man Artists wie Seth Troxler glauben schenken, dann wusste Nina Kraviz beispielsweise nicht wie man CDJs richtig aufsetzt und das zu einem Zeitpunkt, an welchem Sie schon "berühmt" war.
Technisch gesehen ist sie keine gute DJ, Ihre Musikauswahl hingegen ist gut, sie spielt für die Masse und ich kann mir vorstellen, dass Menschen die mit Techno nicht vertraut sind eher Spaß an Nina Kraviz als an DJs mit vielen Dissonanzen wie Sleep Archive, Kr!z, oder Takaaki Itoh hätten. Man könnte sagen dass Ihre Musik zugänglich ist, was auch erklärt wieso sie von Anhängern der Szene verpöhnt wird.
Amelie Lens ist von einem ähnlichen Kaliber: Attraktiv und fleißig Social Media als Karrierekatapult am verwenden. Ich erinnere mich an eine Instagram-Story in welcher Sie einen Selfie aus dem Bett gepostet hat, mit verschlafenem Blick und "sexy Pose", welcher dann von Richie Hawtin hinterfragt wurde.
Es geht leider nicht mehr nur um die Musik. Wenn es so wäre, dann wären weibliche DJs wie Dasha Rush, Dinamite (Tresor DJ) bekannter und würden auf den großen Festivals spielen. Ich nenne speziell diese beiden DJs, da sie technisch besser spielen als Kraviz und Lens aber aus offensichtlichen Gründen nicht einmal annähernd denselben Bekanntheitsgrad haben. Sex sells, das war schon immer so und so wird es auch bleiben. Ich würde sogar behaupten, dass wenn Nina Kraviz das Aussehen von Angela Merkel hätten, dann würde sie niemand kennen.
Das Erfolgsrezept für Techno ist momentan recht einfach: Harte Musik mit Drops welche dem EDM-Genre nahe kommen, ein gutes Aussehen und eine aktive Social Media Präsenz. Das gilt nicht nur für Frauen, SNTS beispielsweise ist durch seine Präsenz und abrasive Musik bekannt geworden.
Ich hatte das Glück Techno noch begegnen zu dürfen, als es noch nicht zu mainstream war. Für mich ist guter Techno Musik wie gute klassiche Musik. Ich habe leider keine musikalische Ausbildung und kann deshalb nicht erläutern, was eine/n guten DJ ausmacht, aber ich bin mir sicher dass wirklich niemand, der etwas von dieser Musik versteht sagen würde, dass Amelie Lens, Kraviz oder de Witte auf dem Level von DJs wie Hawtin, Mills, Dettmann, Setaoc Mass, Surgeon, Planetary Assault Systems etc. sind.
Im Groben würde ich sagen dass die "Openness", welche Techno so einzigartig macht leider auch das Ende dieses Genres sein wird. Techno braucht Elitism um zu überleben und es ist wichtig Dinge zu hinterfragen, zu kritisieren und letztendlich auch bei vielen Leuten anzuecken. Berghain macht das schon richtig die ganzen Techno-Touristen umkehren zu lassen.
Beste Grüße,
Adrian
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Absolute Zustimmung!
War von Anfang an dabei?
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Als die elektronische Musik aus ihrer Nische kam und das Licht der Welt erblickte, war es eigentlich schon sein Tod. DJ´s und Veranstalter haben das Geld gerochen, es musste immer größer, bunter, schneller werden. LoveParade 1,1 Mio. Besucher, wow, cool, geil und der Abstieg, verkauf nach Duisburg und dort wurde sie auf dem Altar der Gier und Selbstdarstellung, am 24. Juli 2010 zu Grabe getragen. Jetzt fängt man auch noch an den Techno zu politisieren, Geschwätz über Gender und Co., was soll das? Er war und ist nie politisch gewesen, basta!! Es ging immer nur um die Party, der geile Sound, das Experimentieren und klar auch mit Drogen.
Heute ist das alles für mich eine reine Zwangsbespaßung geworden, in der die Musik nur noch eine untergeordnete Rolle spielt. Wer es nicht glauben mag, der sollte sich die wenigen Videos vom Omen, Dorian Gray, LoveParade aus den 90er anschauen und wie die Leute da abgegangen sind. Vergleiche diese mit den ganzen Getöse von heute. Ich sehe da nur noch Wackelköpfe, aber keine Party.
Was die Nina Kraviz angeht, die macht ihre Sache gut, verkauft sich gut. Was sollte man ansonsten erwarten?
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