Bruchstelle: Tag der Clubkultur – Berlin feiert sich selbst
Friede, Freude, Fördergelder: Die von Kultursenator Klaus Lederer ausgerufene Initiative Tag der Clubkultur erhielt 90 Bewerbungen, von denen 40 Berliner Clubs und Kollektive nun am 3. Oktober ihre Arbeit vorstellen. Dafür bekommen sie jeweils 10.000 Euro ausgeschüttet. Das ist ein schönes Zeichen und bedeutet auch fürs lokale Publikum eine kurze Rückkehr zu einer Art Club-Normalität. Was aber hat es mit der Einheit zu tun, die diesem Datum eingeschrieben ist, wenn Berlin alleine feiert?
Die Wiedervereinigung fand auf den Dancefloors Berlins statt und Techno war eine der treibenden Kräfte, die aus der geteilten Stadt eine vereinte machten. Das ist ein schöner Mythos, der auch zum 30. Jubiläum zum Tag der Deutschen Einheit von der Stadt Berlin aufgenommen wird. Dieser wird von einer durch Kultursenator Klaus Lederer (DIE LINKE) angestoßene Initiative zum 'Tag der Clubkultur' umgetauft. Das Prinzip: Clubs und Kollektive aus der Stadt konnten sich mit Konzepten bewerben, 40 davon wurden ausgewählt, mit jeweils 10.000 Euro prämiert und werden am 3. Oktober unter den geltenden Auflagen umgesetzt.
Eine schöne Geste, die obendrein mit einer Finanzspritze für eine Branche einhergeht, die von der Chefetage bis zu den RunnerInnen seit nunmehr über einem halben Jahr auf dem Trockenen sitzt und das vermutlich weiterhin tun wird, bis ein regulärer Betrieb wieder möglich ist. Wenn sie denn nicht zwischendurch schon Insolvenz anmelden muss, weil die VermieterInnen ihr im Nacken sitzen und alle Mietstundungen den Schuldenberg nur anwachsen lassen.
Der Tag der Clubkultur und das darin ausgeschriebene Preisgeld haben einen sonderbaren Beigeschmack und das nicht nur, weil sich subkulturelle Institutionen aus Existenznöten heraus für ein buchstäblich staatstragendes Ereignis einspannen lassen. Immerhin jedoch handelt es sich noch lange nicht um die einzige finanzielle Unterstützung, welche die Clubs und die in der Szene arbeitenden Personen – rund 30.000 Menschen laut Schätzungen – in den letzten Monaten erhalten haben. Finanzpakete für Solo-Selbstständige und kleinere Betriebe, eine Unterstützung speziell für eine Reihe von Clubs, die zwischen September und November aufgestockt wurde, die sogenannte Soforthilfe IV 2.0: All das wurde bereits in die Wege geleitet, verteilt und schätzungsweise aber weitgehend auch schon wieder aufgebraucht, noch bevor es auf dem Konto eintrudelte.
Vor diesem Hintergrund bedeutet die Initiative ein weiteres Entgegenkommen gegenüber einer ertragreichen Branche, die jährlich Hunderttausende TouristInnen in die Stadt lockt und somit auch zu einem wichtigen Standortfaktor für andere Wirtschaftszweige macht. Vor der Pandemie war jeder Tag ein Tag der Clubkultur, denn die ganze Stadt profitierte von ihr. Dass sich die Politik darum bemüht, ihr finanziell zumindest punktuell entgegenzukommen, ist deshalb folgerichtig, um nicht zu sagen selbstverständlich – ihr eigenes Schicksal ist an sie gebunden.
Doch warum einen Wettbewerb daraus machen? 90 Bewerbungen trudelten bei der Jury ein, das heißt, 50 Clubs und Kollektive gingen leer aus, wie schon nicht alle Clubs von der sogenannten Soforthilfe IV profitieren konnten. Was ist mit ihnen? Nein, bei genauerer Betrachtung wirkt die schöne Geste in ihrer Umsetzung etwas zynisch: Weitgehend privatwirtschaftlich agierende Unternehmen müssen sich nach den Regeln eines Wettbewerbs für das finanzielle Trostpflaster einer Förderlogik unterordnen, wie sie sonst nur bei Kulturinstitutionen greift. Und das, obwohl Clubs rechtlich immer noch nicht als Kulturstätten anerkannt werden, vom Gesetz immer noch mit Bordellen und Spielcasinos auf eine Stufe gestellt werden – ein entsprechender Antrag der Regierungskoalition zur Anerkennung von Clubs als 'Anlagen kultureller Zwecke' wurde erst im Juni gestellt.
Und was passiert eigentlich mit der stolzen Summe von 10.000 Euro, wenn die Organisation und die Performances erst einmal abbezahlt werden? 'Grundsätzlich steht das Geld zur freien Verwendung zur Verfügung, ein Verwendungsnachweis ist nicht erforderlich', steht dazu im FAQ auf der Website der Initiative zu lesen. 'Eine Möglichkeit wäre beispielsweise, das Geld für den Eigenanteil bei möglichen, zukünftigen Förderprogrammen zu nutzen.' Besteht der Nachhaltigkeitsanspruch dieser Einzelaktion also darin, die Clubs von Fördertopf zu Fördertopf herüberzuretten, solange es der Haushalt hergibt? Das wäre mindestens realpolitisch, wenn nicht sogar ziemlich hilflos. Doch wenn die Clubkultur als ganze wirklich gerettet werden soll, dann braucht es dazu umfangreichere politische Anstrengungen als nur ein fettes Förderpaket nach dem anderen mit Option auf mehr, sofern sich denn die Wirtschaftsprüfung oder eine Jury gnädig zeigt.
Und das weit über die Grenzen der Stadt hinaus. Es braucht länderübergreifende Lösungen wie beispielsweise die bereits vorgeschlagene deutschlandweite Gewerbemietpreisbremse und eine regelmäßige finanzielle Unterstützung für Venues, die immer mehr gestundete und damit nur aufgeschobenen Mietzahlungen vor sich auftürmen sehen. Es braucht neue Ideen und Konzepte für gleichermaßen gesundheitlich unbedenkliches und sozial verträgliches Raven, wenn nicht sogar innovative Konzepte dafür, wie die Clubs der Zukunft aussehen könnten, sollten sie von heute auf morgen doch nicht mehr da sein.
Zwischendurch mit aller gebotenen Vorsicht etwas zu feiern darf da durchaus erlaubt sein, dabei bleiben sollte es jedoch keinesfalls. Denn von außen muss es an diesem 3. Oktober ansonsten so aussehen, als würde ein Teil der Berliner Szene mit einem blauen Auge versehen wieder sein eigenes Süppchen kochen – während die Clubs in den (nach drei Jahrzehnten nicht mehr ganz so) neuen Bundesländern weitgehend mit ihrem Schicksal allein gelassen werden und auch anderswo in der Republik kein vergleichbares politisches Entgegenkommen zu erkennen ist.
So wichtig und richtig es ist, dass die Clubszene von der Stadt gefördert wird, und so schön es aus Publikumssicht ist, einen Tag lang neue und innovative, vielleicht sogar zukunftsweisende Konzepte für das sichere Raven in Pandemiezeiten erleben zu dürfen: Der Mythos von der Wiedervereinigung vor der DJ-Kanzel war immer schon nicht mehr als das, ein Mythos. Wenn der Rest der Bundesrepublik nun erfolgreich abgehängt wird, droht er endgültig zur Lüge zu werden. Politisch verordnete Trostpflaster werden es nicht tun, es braucht entschlossenes politisches Handeln auf Bundesebene und damit mehr Einheit in der Clubszene, die geschlossen für ihre Bedürfnisse einstehen sollte – weit über das vermeintlich historische Datum hinaus.
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