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Buchrezension: Assembling A Black Counter Culture

Buchrezension: Assembling A Black Counter Culture

Allgemein. 18. Januar 2023 | 5,0 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Man soll ein Buch nicht nach seinem Cover judgen. Im Fall von 'Assembling A Black Counter Culture’ von DeForrest Brown Jr. mache ich eine Ausnahme: Man sieht vier Schwarze Männer in grünen Arbeitsanzügen inmitten einer Comic-Welt, die so aussieht, als hätte man sie straight aus Fritz Langs Metropolis ins Weltall gebeamt. Die Männer tragen Kopfhörer und verspiegelte Brillen. Einer kurbelt an einer Schleuse, der andere zerrt am Hebel. Über ihnen glänzt ein leuchtender Ball, die Discokugel! Wer dieses Buch in die Hand nimmt, landet noch vor der ersten Seite in der Zukunft.

Das Cover von Abdul Qadim Haqq, der Artwork für Platten vieler Detroit-Künstler gezeichnet hat, bereitet uns auf sie vor, denn: DeForrest Brown Jr. will auf über 400 Seiten eine „alternative Sicht auf die Zukunft” entwerfen. Eine, die Techno auf der Geschichte von Schwarzen Sklaven gründet – beginnend mit dem transatlantischen Sklavenhandel und dem europäischen Kolonialismus über Rassentrennung und Civil War bis zur Entwicklung des technologischen Bewusstseins in Detroiter Bedroom-Studios im späten 20. Jahrhundert.

Brown, 'Make Techno Great Again'-Aktivist und Musiker, möchte den Begriff „Techno“ von der elektronischen Dance-Music-Industrie lösen. Gleichzeitig wolle er Techno, vom „britisch-lexikalischen Standard des Hardcore-Continuums” befreien – um seine „Ursprünge in der Gemeinschaft von Detroit und den Kontext innerhalb der afroamerikanischen Geschichte” neu zu denken. Das kann man als Gegenentwurf zur deutschen Romantik in Lost and Soul oder Der Klang der Familie verstehen. Brown gräbt die abgenagten Wurzeln von Techno aus – und die liegen nicht in Berlin, Gent oder Rotterdam, sondern in den frühen 1980ern von Detroit.

Als Zeithistoriker bezeichnet sich Brown zwar nie. Mit den ersten Kapiteln von 'Assembling A Black Counter Culture' ging der Doktortitel aber locker aus. Brown schlägt Brücken vom Blues des „Black Bottom” über die „Hit Factory” von Motown bis hin zu jener Musik der 1970er und 80er Jahre, die schließlich Detroit Techno hervorbrachte. Damit spannt er einen Beat-Bogen, der sich nie auf einen einzelnen Mythos reduzieren lässt, sondern die Entstehung von Techno in einer kontinuierlichen Bewegung denkt. Eine, die sich über jahrhundertelange Diskriminierung und Rassismus in die Körper der Menschen einschrieb – und ab den 1980ern via Drum Machines und Synthesizer in die Gehörgänge rauschte.

Das ist der Unterschied zur deutschen Überlieferung. Man mag wissen, dass Techno aus Detroit stammt. Aber das Eierkuchen-Gebumse gilt immer noch als Urknalldynamit zwischen Ost und West. Brown mag dieses Narrativ nicht zerreißen, zwischen den Zeilen schwingt aber mit: Die Wiedervereinigung war nicht der Big Bang für Techno in Berlin. Es existierten bereits Formen von elektronischer Musik, bevor man in alten Tresorräumen zu Acid rumeierte. Sie kommen im deutschen Diskurs bloß selten vor.

Das Auslassen habe sichergestellt, dass die Protagonisten der Berliner Technoszene einen weißen Gründungsmythos etablieren konnten, sagte Alexander Ghedi Weheliye, Professor für African American Studies, im CTM-Gespräch mit DeForrest Brown Jr. Mit „Tekkno” haben einige Akteure der Berliner Szene sogar eine andere Schreibweise verwendet, um sich klar vom Sound aus Detroit abzugrenzen. Anders gesagt: Es etablierte sich ein „Lokalpatriotismus”, der als identitätsstiftendes Element der Wiedervereinigung diente.

Die Folge: Techno wurde in den 1990ern gewhitewasht, weil er der Beginn eines neuen Deutschlands war. Damit versuchte man, alle Spuren von Blackness aus der Musik zu löschen. Nicht, weil die Leute rassistische Arschlöcher gewesen wären, sondern weil sie Techno im Ecstasyrausch zum universellen Konsumartikel machen wollten. „White brothers with no soul”, nannte das Weheliye. Schließlich wollte Berlin seine Vergangenheit vergessen, vergaß dabei aber jene, die ihm den Beat der neuen Identität bescherte.

Dass Detroit Techno in Europa landete, ohne dass seine Erfinder die Credits bekamen, zieht DeForrest Brown Jr. in hunderten Interviewquellen nach. Die Fußzeilen sprengen zwar in manchen Fällen meine Aufmerksamkeitsspanne – Brown hat JEDES Detail, JEDEN Release, JEDE Anekdote aus Detroit rausgesucht –, manche Geschichten bohren sich aber in den Frontallappen, weil sie wirklich crazy sind. So erzählt Brown zum Beispiel die Story von einer Diskussionsrunde im Jahr 1990. Dabei waren neben Detroit-Produzenten Derrick May und Marshall Jefferson auch Tony Wilson von Factory Records sowie Schauspieler und „Drogenexperte“ Keith Allen. Thema: Aufstieg der globalen Techno-Industrie.

Nachdem sich Jefferson und May eine Menge rassistischen Bullshit anhören mussten („Listen Derick, I might have white skin, but I’m Black for fuck’s sake!“ hört sich neben den übrigen Zitaten wie der Titel eines Wokeness-Seminars an), verlassen beide Detroit-Artists angepisst die Bühne. Von den White-Privilege-Verbliebenen wollte niemand verstehen, warum man Techno weiterhin im Underground machen will, wenn sich der Sound in Europa so einfach verchecken lässt.

„Während sich das psychedelische Delirium der britischen, holländischen und deutschen Rave-Szenen zu einer weltweiten Freizeitkultur ausweitete”, schreibt Brown, „befanden sich die Produzenten aus Detroit auf unbekanntem Terrain – verwirrt durch den lockeren Drogenkonsum in Übersee und den religiösen Kult, den die elektronische Tanzmusik angenommen hatte.” Ein Satz, der die Aneignung zum Ausverkauf zusammenfasst wie Influencer ihren Tag auf TikTok.

Brown hat ein Buch geschrieben, in dem er die Technogeschichte aus Detroit dem globalisierten Dance-Music-Sellout nicht nur gegenüberstellt. Er zerschießt es durch Future Shockers wie Atkins, May und Saunderson, Genreausprägungen wie Jungle und Ghetto Tech oder Mythen um drexciyanische Unterwasserbabys. 'Assembling A Black Counter Culture' aktualisiert damit den bestehenden Technokanon. Egal ob man neu in der Szene unterwegs ist und erfahren will, wo das Gestampfe seinen Ursprung nahm, oder man sich zwischen Belleville Three und 'Netpunes Lair' einen Auffrischungskurs gönnt – das Buch gehört beim nächsten Rave an der Tür abgefragt.

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