Künstler:innen und Musiker:innen, DJs und Designer:innen, die falschen Freund:innen und die Kaputten – sie alle kamen irgendwann nach Berlin. Und blieben. Zumindest manche. Über ein paar dieser Hängengebliebenen hat der Journalist und Podcaster Paul Hanford ein Buch geschrieben. ‘Coming To Berlin’ sei „keine Geschichte über elektronische Musik und Clubkultur“, sondern ein „Plädoyer für den respektvollen Umgang mit der Stadt.“ Eines, das sich in Begegnungen mit Menschen erzählt, die zwischen Moabit und Marzahn landeten, manchmal sieben Stunden vor dem Berghain anstehen und nur „heimkommen“ wollen.
Dabei hat Paul Hanford mit ‘Coming To Berlin’ ein Buch über „seine Geschichte“ geschrieben. Er erzählt von der Faszination, die für ihn, den „Engländer“, von „dieser einen Stadt“ ausging; von dem Moment, als er das erste Mal in Tegel aus einem Easyjet-Flieger stolperte und den Jahren, die er zwischen DJ-Booths und Dancefloors verbrachte. Seine Erzählungen kreisen um seine Erlebnisse als „Ausländer“ in Deutschland, die ersten Worte, die er in einer fremden Stadt aufschnappt („ein Vodka, bitte!“ …) und dem Berghain, eh klar!
Die Ehrfurcht, mit der Hanford stundenlang in der Schlange steht, schwingt in jenen Zeilen mit wie Freilandeier im Darkroom. Dann: die erste Abweisung, der Mythos … Stellenweise glaubt man einen Reisebericht in der aktuellen Lonely-Planets-Ausgabe in den Händen zu halten. Oder die Tagebucheinträge eines 18-jährigen Jura-Studenten, der gerade zwei Semester in der Stadt verbringt und an die falschen Leute geriet.
Allerdings ist ‘Coming To Berlin’ nicht nur die Geschichte eines 48-jährigen Podcasters, der in Berlin seine reflektierte Pubertät durchlebt. Hanford ist in der Clubszene vernetzt und fist-bumped sich für sein Buch durch Cafés, Dancefloors und Hotdog-Stände. Von Mark Reeder, dem Typen im Militärjanka, der Joy Division für ihr einziges Berlin-Konzert einflog, lässt er sich die 80er in Schöneberg erklären.
Mit DJ Fuckoff labert er in Prenzlauer Berg „sehr laut“ über Neukölln, Stripclubs und toxic masculinity. Man hat den Geruch von Latte Macchiato in der Nase, bevor KMRU, der kenianische Ambient-Artist, den Verkehr in Nairobi mit jenem in Berlin vergleicht. Dabei driftet Hanford immer wieder ab, Nostalgie bricht durch. Früher sei alles anders gewesen. In den Gebäuden waren zwar keine Toiletten, aber wie schön muss dieses „wonderful year of anarchy“ gewesen sein?
Das Buch ist eine Aneinanderreihung von Begegnungen, das sagt Hanford selbst. Große Teile davon sind Interviewfetzen, für die man sich ein Groove-Abo checkt, in Hanfords Podcast lauscht oder in der Vergangenheit wühlt. Wie spannend es ist, dass der Autor mit Ziúr denselben Späti teilt oder Alan Oldham zwischen Weihnachten und Neujahr alte Slowdive-Platten in einer Kellerdisse auflegt, muss aber jede:r für sich entscheiden. Dabei macht der Aufbau von ‘Coming To Berlin’ durchaus Sinn: Mit Leuten quatschen, die in Berlin leben, weil sie erzählen, warum sie kamen, weshalb sie geblieben oder wieder gegangen sind.
Wer auf Gossip steht, keine Sozialstudie erwartet und manche Umwege verzeiht – „der Kotti ist schließlich nicht nur eine Umgebung, der Kotti ist eine Stimmung“ –, lernt auf 180 Seiten zwar nichts über Berlin, aber ein paar Menschen kennen, die in der Stadt eine bezahlbare Wohnung gefunden haben. Und die tatsächlich Geschichten zu erzählen haben. Und manchmal sieben Stunden vor dem Berghain anstehen.
'Coming To Berlin' ist via Velocity Press für 11,99£ erhältlich.
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