
Clubporträt: Weltspiele (Hannover) – Viele Ambitionen, viele Rückschläge
Update 17.02.2025: Mittlerweile wurde bekannt, dass die Weltspiele tatsächlich schließen werden. Die letzte Party unter dem Namen Endspiele findet am 21. Februar 2025 statt.
Die Weltspiele sollten die reichhaltige Tradition elektronischer Musik in Hannover wiederbeleben und dabei viele Dinge anders machen als andere Clubs. Die Pandemie und in der Folge weitere Krisen beschwerten den Betrieb und immer wieder standen die Weltspiele vor dem Aus. Doch obwohl das Schlimmste noch nicht überstanden ist: Der Wille von Betreiber Philip "Friso" Hoeksma bleibt ungebrochen. Unser Clubporträt.
Zum Zeitpunkt des DJ-LAB-Interviews kann Philip "Friso" Hoeksma noch nicht genau sagen, ob sein Club zum Erscheinen dieses Artikels noch existieren wird. Gewissermaßen ist die Unsicherheit nicht ungewöhnlich für ihn und sein Team: "Wir waren schon oft in dieser Situation", sagt er mit einem Schulterzucken. Tatsächlich ist die Geschichte der Weltspiele, wie der im Herbst 2021 eröffnete Hannoveraner Club heißt, eine voller großer Ambitionen und ebenso großer Rückschläge. Wer sie erzählen will, muss sehr weit in die Vergangenheit zurückgehen.
Den Namen leiht sich der Club am Weidendamm 8 nämlich von dem im Jahr 1924 eröffneten Lichtspielhaus Weltspiele in der Georgstraße. Das Kino ist ein Symbol des Glamours der sogenannten Goldenen Zwanziger, hinter dem sich wirtschaftliche Krisen und eine politische Instabilität verbargen, die dem Aufkommen des Nationalsozialismus den Weg ebnen sollten. Die Weltspiele bedienten den Stummfilm-Hype dieser Tage und zeigten schließlich 1941 als erstes deutsches Kino einen Farbfilm, während die ersten jüdischen Menschen aus der Stadt in die östlichen Konzentrationslager deportiert wurden.
Das Gebäude überstand den Zweiten Weltkrieg nicht unbeschadet: Während eines Bombardements im Oktober 1943 wurden die Weltspiele bis auf die Grundmauern zerstört. Nach dem Wiederaufbau erlebten sie ihre größte Blütezeit zu Zeiten des sogenannten Wirtschaftswunders, wurden aber nach der Kinokrise der sechziger Jahre an eine Kaufhauskette verkauft. Der Kinobetrieb lief dennoch für Jahrzehnte weiter. "Ich habe dort als Kind meine ersten großen Filme gesehen. Sonntags hat sich meine Oma rausgeputzt und mich dorthin mitgenommen", erinnert sich Hoeksma. "Das hat mein Hirn geöffnet."
Prägender noch aber soll die Zeit der Zwischennutzung des Gebäudes werden, nachdem es im Jahr 1991 zum Abriss freigegeben wurde. "Dann fanden dort die ersten Raves statt. Dort habe ich als viel zu junges Kiddo meine ersten Cluberfahrungen gesammelt", lacht Hoeksma. Mit im Getümmel: Der in der Szene mittlerweile als DJ und Produzent unter dem Namen .VRIL bekannte Künstler, den Hoeksma erst zwanzig Jahre später kennenlernen sollte. Die beiden erleben eine entscheidende Phase der deutschen Techno-Geschichte hautnah: Im Stroboflackern herrscht wilde Anarchie, der Mainstream beobachtet das Treiben in den im Jahr 1994 geschlossenen Weltspielen noch mit einer Mischung aus Faszination und Skepsis.
Bevor ein Vierteljahrhundert später ein neuer Club den Esprit dieser Zeit rund 20 Gehminuten entfernt wieder in die Gegenwart holen sollte, machte sich dessen heutiger Betreiber als Gastronom einen Namen. Hoeksma betrieb lange Zeit das Bronco's am Schwarzen Bären im Hannoveraner Stadtteil Linden, wo unter anderem His Master's Voice und Lennart Wiehe erste DJ-Erfahrungen sammelten und die Reihe Elektronisches Tanzparkett eine Heimat fand. Nach einer Weile aber orientierte sich Hoeksma um, studierte Kunst in Braunschweig und ging nach Berlin. "Ich war froh, Gastronomie und Veranstaltungsbranche hinter mir gelassen zu haben", sagt er rückblickend.

Weltspiele: Die Wurzeln am Weidendamm
Bei einem Besuch in der alten Heimat zum Jahreswechsel 2019/2020 allerdings erhält Hoeksma einen Anruf vom DJ Q-Tip. "Ob ich nicht Lust hätte, den Club Weidendamm zu übernehmen, fragte er." Der im Jahr 2011 eröffnete Club "lag am Boden, das Gebäude war runtergekommen. 'Auf gar keinen Fall', sagte ich also!" Doch nur wenig später tut sich Hoeksma mit einer Gruppe von anderen Szenemitgliedern wie His Master's Voice, Wiehe und Henrike Hollander zusammen. Der Plan: Den Club Weidendamm neu zu eröffnen und damit einen zentralen Anlaufpunkt der regionalen Szene mit neuem Leben zu füllen.
Hoeksma bezeichnet sich als "Kind der zweiten elektronischen Szene in Hannover". Mit seinen Mitstreiter:innen wollte er durch den neuen Club die reichhaltige Tradition der Stadt wieder aufleben lassen. "Die Clubszene Hannovers ist klein und schmal geworden", sagt er. "Das war in den Neunzigern anders, wir hatten viele Clubs und auch allgemein eine große Underground- und Punk-Szene. Die Chaostage werden vielen noch etwas sagen." Punkig war auch der Ansatz der Crew um ihn; chaotisch wurden die Anfänge des Clubs, dessen Gründung mit hohen Ambitionen angegangen wurde.
Der Ort ist ein anderer als das schließlich namensgebende Kino, historisch ist er aber allemal. "Im Gebäudekomplex Weidendamm haben viele ihre Wurzeln", erklärt Hoeksma. Er grinst: "Da haben Leute wie Martin Buttrich und Mousse T., als der noch cool war, ihre Karriere gestartet." Das Label Peppermint Jam war in der Hausnummer 8 ebenso beheimatet wie später die zuvor von Hoeskma mit aufgebaute Bar International. Noch heute findet sich dort der Mood Club und selbst Konny Kowalski, früherer Veranstalter der Partys in den alten Weltspielen, organisiert an dieser Adresse gelegentlich Events. Das neue Clubprojekt sollte all das ergänzen und weitere Impulse liefern.
Doch das Timing der Crew um Hoeksma ist prekär. Nachdem im Januar und Februar 2020 erste Pläne geschmiedet und Investitionsgelder organisiert werden, macht die Pandemie dem Projekt einen Strich durch die Rechnung. "Alle Geldgeber:innen froren ihre Zahlungen ein. Es wusste ja niemand, was kommen würde", seufzt Hoeksma. Er selbst schläft in seinem Hannoveraner Atelier, während sich alle Beteiligten darum kümmern, genug finanzielle Mittel für die Miete der von ihnen übernommenen Gebäudeteile zusammenzukratzen. Und aber auch, es mit Ideen zu füllen.

Große Pläne statt kleiner Schritte
Der erste Lockdown gibt dem losen, etwa sieben- bis zehnköpfigen Team viel Zeit, um sich Gedanken über die konkrete Gestaltung ihres Projekts zu machen. "Wir waren ein Haufen Nerds und wahnsinnige Künstler:innen", lacht Hoeksma. "Wir hatten große Pläne und sind die ersten kleinen Schritte nicht gegangen." Statt einfach nur einen Club zu reanimieren, will die Crew doch lieber einen neuen aufbauen – die Idee der Weltspiele wird geboren. Aus dem Club Weidendamm wird "alles rausgerissen und eine Art White Cube gebaut", berichtet Hoeksma. Der Club nimmt also Form an, doch alles andere zieht sich hin. "Wir lebten in der ständigen Erwartung, bald aufmachen zu können."
Dazu kommt es erst nach mehr als anderthalb Jahren, am 16. Oktober 2021. Neben Panorama-Bar-Resident Roi Perez und AGY3NA ist das Line-up vor allem von Locals geprägt. His Master's Voice und Lennart Wiehe sind als eng mit dem Club verflochtene DJs dabei, mit Mariami spielt eine Hannoveraner DJ an diesem Abend einen ihrer ersten Gigs überhaupt. "Die Weltspiele sollten ein Ort für junge Künstler:innen sein, die keine große Plattform haben, die nicht bei dicken Labels veröffentlichen", erklärt Hoeksma den Gedanken dahinter. Die Philosophie: "Lieber den jungen DJs etwas mehr geben und auf die großen Namen verzichten."
Doch die hehren Ziele treffen erneut auf Hindernisse. Zur Eröffnungsparty ist das elaborierte Soundsystem des Clubs noch nicht fertig und dann muss dieser nach nur sechs Veranstaltungen wieder schließen: Das Land Niedersachsen geht in einen schier endlosen Lockdown. Erst im Juni 2022 ist die Wiedereröffnung möglich, lange Zeit befinden sich die Weltspiele im Leerlauf. "Wir waren ständig am Rand der Insolvenz, immer wieder schien das Ende gekommen zu sein", seufzt Hoeksma. Die Schulden häufen sich, er selbst muss sein Atelier verlassen und verbringt den Winter 2021/2022 ohne Strom und Heizung.
All das zerrt nicht nur an den Nerven, es zerreibt auch das vergleichsweise kleine Team. "Wir haben eine wahnsinnige Menge von Rückschlägen erlebt", erklärt Hoeksma. Für vieles sei er persönlich verantwortlich gemacht worden, fügt er hinzu und zeigt sich während des Gesprächs aber auch immer wieder selbstkritisch. Doch hat der Club eben auch zu Krisenzeiten aufgemacht und musste sich in einer unübersichtlichen Gemengelage etablieren. Selbst die Wiedereröffnung im Sommer 2022 fällt in eine für die gesamte Szene schwierige Zeit.

Einander sehen können
Der russische Angriffskrieg in Ukraine treibt ab Februar 2022 die schwelende Inflation an und sorgt zugleich für eine handfeste Energiekrise. Technik- und Personalmangel sowie andere Probleme machen den Festival- und Clubbranchen zusätzlich zu schaffen. Das Publikum derweil hat weniger verfügbares Einkommen und sich obendrein gewandelt. Auch in den endlich wiedereröffneten Weltspielen schlagen sich ab Sommer des Jahres die neuen subkulturellen Konflikte nieder. "Es war eine schwierige musikalische Findungsphase", rekapituliert Hoeksma diese Zeit. "HÖR und Instagram hatten den Sound verändert. Wir aber haben uns vor diesem 140-BPM-Trend bewahrt."
Die Anfangszeiten der Weltspiele sind von geschmackvollen Bookings geprägt, mit Sedef Adasï, JakoJako und Sam Barker, Vincent Neumann oder dem Club-Resident Session Restore prägen DJs die Anfangszeiten, die unbedingt für musikalischen Fortschritt stehen. Während das Teilen des Publikums aber nicht zusagt, rührt auch die Gestaltung des Clubs an den konservativen Impulsen von anderen. "Alles ist ganz reduziert und künstlerisch gehalten. Daran haben sich anfangs viele gestört – ein Techno-Club muss doch schwarz und düster sein!", lacht Hoeksma. "Das wollten wir aber nicht mehr, wir möchten das aufbrechen. Raum, Sound, Licht, Erfahrung, einander sehen können – das war die Idee."
Immersion ist das Ziel des Gesamtkonzepts, unterstreicht der Clubbetreiber. Dafür bieten die Weltspiele allerhand Platz, handelt es sich doch quasi um drei Clubs in einem. "Der gesamte Gebäudekomplex Weidendamm hat eine Veranstaltungsfläche von knapp über 1.000 Quadratmetern", erklärt Hoeksma. "Das unterteilt sich in den Mood Club, einen Innenhof, den kleinen Saal 3, wo wir heute unsere Radiostation untergebracht haben, das als Garderobe und Keller dienende Basement sowie die Weltspiele als großer Saal." Im Vollbetrieb bieten die Weltspiele weit über 1.000 Menschen Platz, neben dem Radiosender gehört sogar ein – derzeit geschlossener – Plattenladen zum Ensemble.
Allem ästhetischen Minimalismus zum Trotz ist der mit Reklame aus den alten Weltspielen ausgestattete Club darüber hinaus ein Ort der visuellen Kunst: Eine im Innenhof stehende Skulptur von Jean-Robert Valentin dient als Referenz auf Rodins "Denker" und der Franzose steuert regelmäßig Videokunst zu den Clubnächten bei. Studierende von Hoeksmas Alma Mater, der HBK Braunschweig, lebten sich ebenso schon in den Räumlichkeiten aus, die wiederum unter anderem avancierten Tanzperformances Platz boten. Das Potenzial ist riesig, die Möglichkeiten schier unendlich. In der Breite wird das vom Publikum aber noch nicht angenommen.
Auf die Besucherzahlen der jüngeren Zeit angesprochen, zuckt Hoeksma mit den Schultern. "Das ist bis heute schwierig und wir sind alle ratlos, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln werden", heißt es. Das sei nicht allein ein Aspekt einer allgemeinen Krise, sondern durchaus regionalspezifisch: "Obwohl sie 500.000 Einwohner:innen hat, ist Hannover eine kleine Stadt – es gibt nur wenige Clubs und kein großes Publikum. Wenn drei von ihnen sich programmatisch annähern, wird das spürbar. Du merkst am Wochenende sofort, wenn ein anderer Club ein dickeres Line-up hat." Das macht jede Clubnacht zum potenziellen Verlustgeschäft, wirtschaftliche Planungssicherheit sei so nicht gegeben.

Für immer und ewig
Hoeksma will aber nicht nur klagen. "Es gibt so viele schöne Dinge, die einiges wettmachen", bekräftigt er. Tatsächlich hat die schiere Begeisterung für die Potenziale des Clubs diesen bereits vor dem endgültigen Aus bewahrt. Als im Jahr 2023 wieder einmal das Ende gekommen zu sein schien und der Geschäftsführer schon seinen Frieden mit dem Abschied geschlossen hatte, änderte sich alles mit dem großen Silvester-Rave am Jahresende. "Ich hatte einen jungen Mitarbeiter gefragt, ob er an meiner Stelle die Party organisieren möchte. In der Nacht kam ich also als Gast und war total geflasht: jung, queer, krasser Sound – eine irre Energie!", erinnert sich Hoeksma mit spürbarer Begeisterung.
Die erste Ausgabe des nunmehr als Veranstaltungsreihe etablierten Paradise Raves habe Bewegung in Club gebracht, sagt Hoeksma. "Es ist wieder sehr spannend geworden, weil ein neuer Sound Einzug gehalten hat. Wir haben außerdem ein junges, in der regionalen Szene sehr gut vernetztes Booking-Team." Das gut ein halbes Dutzend Menschen umfassende Kernteam des Clubs wird von einigen Minijobber:innen ergänzt, die Strukturen sind dynamisch. Als Geschäftsführer ist Hoeksma zwar alleinverantwortlich und hat rechtlich betrachtet das letzte Wort –, "Entscheidungen werden aber auch mal über meinen Kopf hinweg getroffen", lacht er. Das berge Konfliktpotenzial, gehört aber zum Learning-by-doing-Ansatz des Clubs.
Der gemeinschaftliche Spirit gibt Hoeksma in Krisenzeiten auch auf anderer Ebene Halt. Nachdem im Herbst 2024 Unbekannte in die Weltspiele einbrachen und wertvolles Equipment stahlen, stellte dies den nächsten Rückschlag dar. Moralische und finanzielle Unterstützung sind aber gegeben, weil die Weltspiele nicht allein auf weiter Flur mit den verschiedenen Krisen hadern. Insbesondere der Austausch mit anderen Clubbetreiber:innen sei wohltuend, so Hoeksma. "Manchmal weiß man ja nicht mehr, warum man das alles noch macht. Da ist es gut, Leidensgenoss:innen zu treffen." Förderinstitutionen wie zum Beispiel die Initiative Musik böten obendrein finanziellen Rückhalt von waghalsigen Unternehmen wie seinem.
Obwohl Hoeksma also zum Zeitpunkt des Gespräches noch nicht weiß, ob sein Club zwei Monate später noch offen sein wird: Er gibt alles dafür. In den vergangenen Monaten, berichtet er, habe er viele Pläne geschmiedet, um die Weltspiele wieder auf Kurs zu bringen – raus aus den Schulden, in Richtung einer besseren Zukunft. Warum das sein muss, weiß er ebenfalls: "Wir erleben dort fantastische Nächte, die unglaublich sind. Es passieren Dinge in diesem Raum, die …" Er stockt, findet die passenden Worte nicht. "Wahnsinn", seufzt er dann nur. "Wer diese Energie erlebt hat, sagt sich: Das muss für immer und ewig leben."

1 Kommentare zu "Clubporträt: Weltspiele (Hannover) – Viele Ambitionen, viele Rückschläge"
...so kann man sich das alles natürlich auch "schönreden", wenn man es als Betreiber gesamtheitlich verkackt und diverse Leute enttäuscht sowie geprellt hat! Wenn Herr Hoeksma das alles so akribisch korrekt gemacht und geleitet hat, dann solte man sich über klagende Vereinigungen wie die "Geldspiele" doch nur wundern!? Fakt ist, dass Herr Hoeksma sowohl wirtschaftlich als auch zwischenmenschlich total versagt hat!!! ... ist dies eine These oder doch ein Fakt!?
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