Clubsterben in Berlin: Das Problem ist (auch) die Szene

Clubsterben in Berlin: Das Problem ist (auch) die Szene

Allgemein. 26. Oktober 2024 | 1,5 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Ich glaub, es geht schon wieder los: Berliner Clubs sperren zu, großes Clubsterben. In den Zeitungen steht von diesem Tod. Wohl um zu verdeutlichen, da war mal ein Leben, jetzt ist die Klappe zu und der Affe tot. Renate, Watergate, davor schon Re:mise, Loophole, noch früher die Rummelsbucht und das Mensch Meier – alle schließen oder sind schon weg. Und besorgte Kulturspalten fragen voller Sorge: "Ist die Party bald vorbei?"

Man hört den Kanon der sogenannten Clubkultur: Corona, Inflation, Gentrifizierung. Alles kostet mehr und die Jungen feiern anders. Dazu noch: Klimawandel und die Sache mit dem Baurecht. Im Hintergrund rollen außerdem schon Bagger an, denn die Autobahn muss her und der Bass soll weg.

Berlin verliert mit dem Clubsterben seine Identität, sagen manche und erzählen von früher. Weil damals, da war nicht alles schlecht. Und heute? Wiederholt die Clubcommission, was Clubkultur leiste: Arbeitsplätze, Tourismus, soziale Perspektiven – man hat das alles schon mal gehört, dann vergessen, und jetzt wieder in den präfrontalen Cortex reingestopft bekommen, denn ja: All das stimmt.

Die "Räume" verschwinden, während keine neuen entstehen. Zumindest nicht dort, wo sie waren. "Es gibt weniger Platz in Berlin", stellt auch die Journalistin Cristina Plett fest und meint: "Die Szene könnte schrumpfen und sich in weniger institutionalisierte Löcher verkriechen." 

Clubsterben: Schau, ein Raum!

Wir zoomen kurz raus, Österreich, wieder reingezoomt: Wien. Hier ist man gerade sehr begeistert in der sogenannten Szene. Vienna After Dark, eine "Konferenz für Clubkultur" passiert. Drei Tage will man reden, zuhören, noch mehr reden, feiern. Und ja, auch "schmerzhafte Selbstkritik" üben, wie Sandro Nicolussi, einer der Mitkuratoren, meinte.

Das ist ein stolzes Vorhaben und vielleicht sogar ehrlich, denn: Es ist ja nicht alles gut, nur weil jetzt bunte Armringe für Licht im Dunkeln sorgen. Die Nach-Corona-Euphorie ist längst verpufft. Manche sind älter geworden. Und wer nach Eintritt und Verpflegung noch Ressourcen für den Comedown hat, heult werktags beim Psychiater rum.

Eine Konferenz soll nun vieles ändern: Die Programmplaner:innen durften bereits vorab über "unsere Szene" nachdenken. "Die Räume fehlen", sagt der eine. Und alle nicken. Ja, Räume, das heißt: Clubs, die Keimzellen seien für sozialen Wandel. Vielleicht auch für den Stoffwechsel. Jedenfalls für Konsum, ob legal oder nicht. Denn um die Kohle geht es immer. Nur wo die landet, damit sind nicht alle einverstanden. 

Für mehr Politik?

"Die Politik" soll sich deshalb kümmern, schallt es von Wien bis Berlin. Dabei finden das die, die Clubs betreiben, gar nicht so gut: "Noch mehr staatliche Förderung ist keine Lösung", sagt zum Beispiel Watergate-Betreiber Uli Wombacher zur aktuellen Sterbekrankheit in Berlin.

Clubs ließen sich nämlich nicht in eine Planwirtschaft drängen, dafür sei die Kultur zu "schnell und individuell." Doch "die Politik" ruft abermals aus: Wir müssen die Berliner Clubkultur bewahren! Und erhofft sich wohl ein bisschen Glitzer von "der Szene". Die stellt zwar wiederholte Forderungen nach "nichtkommerziellen Räumen", weiß aber selbst nicht so genau, was sie dort will.

Denn wo, wenn nicht in der "Clubszene", findet man Leute, die keine politische Meinung haben, weil sie eine politische Meinung sind. Antisemitismus? Kein Problem, sagt zuletzt "unsere Szene". Und trägt gleich noch ein paar andere Konflikte in die Clubs, um dort einen Positionierungszwang zu erzwingen, der dazu führt, dass alle, die nicht der eigenen Meinung sind, zu unterdrückenden Gewaltausübern werden. Da leuchtet es schon ein, dass man da nach der nächsten Bahn Keta einen ganz persönlichen Befreiungskampf auf dem Dancefloor losbricht.

Bitte, alles politisch!

Man kann gerne "sichere" Räume und "leistbare" und solche "mit einem guten Soundsystem" fordern – und sollte das auch tun. Man kann außerdem seine persönliche Meinung haben und dafür eintreten und diskutieren und von mir aus auch kämpfen. Man darf aber gleichzeitig voraussetzen, dass reflektierte, progressive, links denkende Menschen ihre persönliche Überzeugung an den richtigen Orten und zur richtigen Zeit im richtigen Setting ausleben.

Der Club ist nicht der richtige Ort dafür. Tolle Festivals und Veranstalter und Kuratorinnen mögen uns zwar das Gegenteil erzählen, indem sie von der Tür über den Dancefloor bis hin zur Toilette jeden Quadratzentimeter politisieren. Man könnte aber eine gute Zeit frei von Diskriminierung in einem Club haben, ohne ständig dem diffusen Drang zu folgen, sich positionieren zu müssen. Oder sich in bester linker Manier so lange zu canceln, bis man nicht mehr erst darauf warten muss, dass der letzte Club unter einer mehrspurigen Autobahn verschwindet. 

Das alles setzt voraus, dass man wieder was erträgt – am besten mehrere Meinungen. Derweil übt man statt Selbstkritik aber lieber das Sterbelied: Corona, Inflation, Gentrifizierung! Der letzte Dreiklang, auf den sich eine vergiftete Clubkultur einigen kann, bevor sie irgendwann draufkommt: Man sollte zuerst sich selbst fordern, bevor man neue Räume für alte Probleme fordert.

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