Das Beste aus 2021: Tracks
An der richtigen Stelle platziert, bewirkt der Track einen kompletten Shift der Stimmung. Nach dem – in diesem Jahr leider wieder nicht richtig möglichen – Clubbesuch bleibt er für Tage im Ohr, noch nicht veröffentlichte Tracks sucht man oft verzweifelt und wochenlang, aber wenig ist so befriedigend, wie endlich einen solchen Schatz zu finden. Auch wenn die Bedeutung des Tracks in diesem Jahr durch Corona eingeschränkt war: Der Track bildet das Rückgrat der Szene, viel mehr noch als es bei den meisten anderen Genres der Fall ist: Manchmal funktioniert er auch als Trigger für Erinnerungen, ein spezieller Release aus einem speziellen Jahr befördert einen sofort zurück in das Gefühlsleben von damals. Durch welche Tracks wir uns in der Redaktion künftig an 2021 erinnern werden, haben wir hier zusammengestellt:
Specific Objects – 若者 (YOUTH) [Vienna Underground Traxx]
Christoph: "Kommt nach Wien. Geht in die Grelle Forelle. Bleibt bis zum Closing von Specific Objects. Der bei der Geburt versehentlich von seinem Zwillingsbruder Schacke getrennte Produer haut die Peaktime-Bängers raus. Jeder einzelne zieht dir drei Liter Wasser aus dem Körper. Du rauchst Zigaretten von der falschen Seite. So hast du Wien noch nie bei Nacht gesehen!"
Joy Orbison – bernard? [XL Recordings]
Cristina: "Von diesem Album wäre es ein Leichtes gewesen, gleich zehn Lieblingstracks auszuwählen – es war jedoch 'bernard?', das noch einen Extra-Eindruck hinterließ. Allein der Überraschung wegen. Denn: Joy O macht Trap! Oder zumindest vom Beat her, denn vom Fühlen her ist es ganz er: Die clubbige Abgeklärtheit, der Flow, der einen dabei mitnimmt, und am Ende spendiert uns Joy Orbison dann doch wie immer viel Zartheit."
T5UMUT5UMU – Tropical Biodiversity [Eco Futurism Corporation]
Ina: "Dieser Track nimmt mit in die Welt des futuristischen Dschungels: 'Tropical Biodiversity' plätschert leicht und fröhlich dahin, ohne eintönig zu werden. Der Track eröffnet die 'Roadside Picnic'-Compilation des australischen Labels Eco Futurism Corporation, Pioniere des Genres Eco Grime, dessen Releases irgendwo im Themen-Dreieck zwischen Naturästhetik, ökologischen Bedrohungen und Tech-Gläubigkeit hin- und herpendeln."
Rauschhaus – Chrom [Parquet Recordings]
Mathias: "Der Entzug von verschwitzten Dancefloors muss zumindest mit entsprechender Musik aus den Zimmerboxen kompensiert werden. Das geniale Arrangement bei 'Chrom' lässt dabei keinen Energieabfall zu. Ohne Pause zieht der Track an, baut sich geschickt auf. Kaum hört ein Element auf, kommt ein neues dazu. Es passiert einfach immer was."
DJ Lycox – Yoga [Príncipe]
Kristoffer: "Auf Príncipe erscheinen durchschnittlich zwei Platten pro Jahr, die das Game von hinten aufrollen. Heuer aber hielt sich das Lissaboner Label weitgehend zurück – bis dann kurz vor der Zielgeraden DJ Lycox mit der EP ‘Lycoxera’ auf die Spitze der Jahresbestenlisten hechtete, heißt das. Der in Paris lebende Produzent nimmt afrodiasporische Batida-Rhythmen als Grundlage für einen Minimalismus, der genauso understated wie aufreibend ist: Während Tracks wie ‘Wildin’ noch recht deutlich Afro-House-Blaupausen abpauschen, verschachteln sie doch zugleich simple Elemente zu komplexen Gebilden. Dass Lycox darüber allemal nicht der Groove verloren geht, beweist dann selbst eine Quasi-Dub-Bombe wie ‘Yoga’: Geschätzt ein halbes Dutzend rhythmische Figuren wirbeln durcheinander, was dieses 130-bpm-Stück den Eindruck erwecken lässt, es liefe zugleich bei 70 und 180. Ein verspäteter, unwahrscheinlicher Überhit."
Robert Dietz – Swallowing Tubes [Live At Robert Johnson]
Lukas: "Ein Track, der zuerst über die Visuals packt. Immerhin verantwortlich dafür: Claudia Rafael, die ihre schriftliche Interpretation von Dietz' 303-Arpeggios und saugenden Pads in ein Generative Adversarial Network (GAN) einspeiste und aus den derart künstlich erzeugten Bildern einen mystischen LSD-Trip animierte. Hat man dann erst einmal die anfängliche psychedelische Anspannung überwunden, zerlegt einen 'Swallowing Tubes' auch akustisch nochmal so richtig in alle Einzelteile."
Overmono – Bby [XL Recordings]
Marius: "Der Track geht mir eigentlich zu sehr in Richtung Bicep. Präzise Glätte trifft auf genau richtig abgewägte Prise Distortion und Nostalgia, die dem Sound Peaktime-Vibes und die Fähigkeit zum Hit mitgeben sollen. So berechnend diese Formel ist, so tief geht sie rein: Cheesy Pad, gepitchter Vocal, hin und weg bin ich und singe auf der imaginären Tanzfläche "irgendwas mit 'Baby'!"
Narciss – It Gets Easier [Lobster Theremin]
Nasti: "Diesen Track durfte ich schon vor Veröffentlichung hören. Damals schrieb ich: Der Vibe, die Emotion, das Arrangement, alles daran klingt nach Closing. Und nach dem ersten Hören wusste ich schon, dass 'It Get's Easier' einer meiner meistgehörtesten Tracks 2021 werden würde. Was soll ich sagen – ich sollte Recht behalten. Enjoy."
Lapalux – Total Reality, Total Chaos Pt.2
Simon: "Eigentlich auch mehr Album als Track, aber der große Hit blieb mir dieses Jahr verwehrt. Corona ließ die Tanzflächen wieder weitestgehend verwaist zurück und so suchte ich mein Seelenheil mal wieder im Ambient. 'Total Reality, Total Chaos Pt.2' (und eigentlich auch Pt.1) liefert alles, was es für den gepflegten Klang-Eskapismus braucht. Blubbernde Sounds, AI-Stimmen, die einem gut zureden, und Synthie-Flächen, die sich in teils sakrale Höhen schrauben. Ambient-Kitsch vom Feinsten."
Sam Gendel – Eternal Loop [Leaving Records]
Tim: "Nirgendwo wurde öfter auf Play gedrückt als bei 'Fresh Bread'. Das 52-Track-lange Stimmungs-Sammelsurium startet immer in dem perfekten Loop: eine Endlos-Acht aus einem stehenden Ton, komplementiert durch Schlagzeugbesen und Saxofon-Improvisationen. Das mag wie GEMA-freier Vernissage-Ambient für Kunstuniversitäten klingen, bereitet aber trotzdem viel Freude, wenn man erstmal damit aufgehört hat, über sowas nachzudenken."
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