Das Beste aus 2022: Alben
Alben sind eine konzipierte Zusammenstellung, in der jedes Element bewusst platziert wird und in Wechselwirkung mit den anderen tritt. Der Fokus liegt im Gegensatz zu einem Mix vermehrt auf den einzelnen Stücken: Zwar kann auch das Album von Anfang bis Ende durchgehört werden, es funktioniert aber auch unabhängig von der so wichtigen Dramaturgie eines Sets. Auch wenn Tiktok, Spotify und Co. den Trend Richtung kurze Tracks und höhere Releasefrequenz schieben und dadurch das Album an sich weniger wichtig werden zu scheint, ist es doch aus elektronischer Musik nicht wegzudenken, wie unsere zehn liebsten LPs in 2022 klar verdeutlichen.
Fred Again – Actual Life 3 [Atlantic Records UK]
Christoph: "Fred Again ist Avicii für Leute, die Burial hören. Hat irgendwer mal geschrieben, find ich geil, because who doesn’t love Avicii? Jedenfalls penetriert mich das Hymnentagebuch von Fred zweimal täglich. Meistens öfter. Und jedes Mal denk ich mir: Wie kann man Mukke producen, bei der ich zum Müsli schon das Marschierpulver auspacken möchte."
Dead Melodies – Murken Hollow [Cryo Chamber]
Pia: "Die Wahl meines top Albums war schwer, weil ich nur selten elektronische Alben höre. Auf einer immer hektischer werdenden Suche bin ich schließlich über das Oregon-based Label Cryo Chamber gestolpert, das sich selber als Cinematic Dark Ambient Label beschreibt. Künstler wie Atrium Carceri, Fractalyst oder God Body Disconnect präsentieren hier bizarre Klangwelten, die mal düster und melancholisch, dann wieder statisch und energiegeladen verschiedenen Storylines folgen. Dead Melodies Album ‚Murken Hollow' ist ein musikalischer Thriller, in dem eine Reihe von Ermordungen unter mysteriösen Umständen den roten Faden knüpfen. Abstraktes Storytelling, eingebettet in sanftem Sounddesign – trifft wahrscheinlich nicht jeden Geschmack, für mich ein wahrer Glücksfund."
Mall Grab – What I Breathe [Looking For Trouble]
Ina: "Nach etlichen Erfolgen als Lofi-House-Produzent, DJ und Label-Manager in der Londoner Clubszene hat Mall Grab aka Jordon Alexander nun sein Debütalbum veröffentlicht: 'What I Breathe' ist für den Dancefloor gemacht und vereint durch eine sehr eigene Mischung von UK House, Elektro, Grime, Breakbeats und nostalgischen Synth-Sounds die vielfältigen musikalischen Einflüsse des Australiers in einem Album, das er selbst als Liebesbrief an das Vermächtnis der Londoner Dance-Musik beschreibt. Aus dem insgesamt recht melodischen Album heraus stechen die Vorab-Auskopplung 'Metaphysical' mit ihren Hardstyle-Anleihen sowie die rauen Vocals von Brendan Yates der US-amerikanischen Hardcore-Band Turnstile auf dem Track 'Understand'."
Dope Lemon – Rose Pink Cadillac [BMG Rights]
Mathias: "Dope Lemon erfindet sich mit seinem neuen Album nicht neu, sondern macht genau das, was man sich erhofft: Feelgood-Stimmung, egal wo man gerade ist. Es fühlt sich immer wie eine Reise in eine bessere Welt an, in der Harmonie und gute Absichten das Leben bestimmen. Das Live-Konzert in Hamburg hat sicher zu dieser Entscheidung beigetragen, denn selten habe ich mich nach einem Konzert so körperlich entspannt gefühlt. Kein Moshpit oder Gedränge, sondern nur fröhliches Treibenlassen."
Steffi – The Red Hunter [Candy Mountain]
Kristoffer: "Steffi ist natürlich eine Bank, das Problem an Bänken aber gemeinhin ihre mangelnde Flexibilität. 'The Red Hunter' jedoch überraschte als wandlungsfähiges, agiles und fortschrittliches Album von einer Produzentin, die sonst in den Grenzbereichen zwischen klassischem Electro und House zu Hause ist, sich hier aber weit herauswagt. Ein unerwartetes, überragendes musikalisches Statement."
Drake – Honestly, Nevermind [OVO]
Marius: "Ich weiß, dass Simon mich lynchen wird und er hat ja auch recht, aber irgendwie ist es dann doch dazu gekommen, dass ich dieses Jahr kein anderes Album mehr gehört habe als 'Honestly Nevermind'. Liegt vielleicht daran, dass ich es immer beim Sport gepumpt habe und dabei so richtig schön nicht hingehört habe. Weil sind wir mal ehrlich: Die Texte von Drake sind wirklich übel, wie sehr kann man mit Mitte Dreißig eigentlich noch in der Pubertät stecken? Aufgefangen wird das Ganze allerdings von exquisitem Pop-Dance aus der Feder von Rampa, Black Coffee und Co. und die machen es zum idealen Soundtrack beim Hantelschwingen."
Shygirl – Nymph [Because Music]
Nasti: "Nymph ist DAS Album 2022. Firefly könnte ich endlos auf Repeat hören, that's for sure. Seit ich erfahren habe, dass Shygirl 2018 beim "Balance Club Culture Festival" in Leipzig aufgetreten ist, damals noch als Geheimtipp und als Newcomerin der Szene, ist sie für mich vornehmlich eine Künstlerin der elektronischen Musik. Und seit sie vor kurzem mit VTSS und LSDXOXO hinter dem DJ Pult stand, ist die Verortung zum Glück glasklar und nur folgerichtig: Shygirl ist eine von uns. Und wir sind Shygirl. Amen."
Jacques Bon & Drux – A Long Way [Smallville]
Simon: "Zum Release des Albums legte ich mich fest, dass es dieses Jahr nicht mehr besser werden würde, und so war es dann wie schlussendlich auch. A Long Way sind einfach nur acht Techno-Kracher wie aus einem Guss, ohne ein zugrunde liegendes Konzept, Backstory oder Experimet. Die beiden Franzosen scheinen im Studio nur ein Ziel verfolgt zu haben: Sounddesign und Grooves so fein und geschmackvoll herzustellen, als kämen sie direkt aus der Küche von Paul Bocuse."
Sofie Royer – Harlequin [Stones Throw]
Tim: "In zunehmender Regelmäßigkeit hat man sich auch dieses Jahr wieder köstlich oft zum Obst gemacht, sodass es einem Wunder gleicht, es überhaupt bis hierhin geschafft zu haben. Dass dann plötzlich ein Album die persönliche Tragik, sich selbst stets ein Clown zu sein, griffig genug fassen konnte, war Anlass genug, ebenjene Platte immer und immer wieder zu hören. Selten standen Fatalismus und Selbstironie so dicht beieinander, und noch seltener hat man es so bereitwillig geschehen lassen, dazwischen keinen Unterschied mehr zu machen. Auf irgendeine abgefuckte Art ist über sich selbst zu lachen aber bestimmt auch Selbstaffirmation. Also hoffe ich jedenfalls."
Hüma Utku – The Psychologist [Editions Mego]
Nikta: "Excuse me, aber wer von euch hat aus den vergangenen Jahren keinen Schaden davongetragen? I need help und mein Psychologist kommt von Hüma Utku. Meine Strategie ist folgende: Musik, die mindestens so düster ist wie das weltpolitische Gesamtbild. 'The Psychologist', nach Gnosis das zweite Album, das unter dem Klarnamen der Produzentin erschienen ist, läuft demnach in Dauerschleife. Das Album ist so mächtig wie zerbrechlich, majestätische Drones wechseln sich ab mit Streichern, Bässen, gewähltem Vocal-Einsatz, mit Noise und knarzigem Industrial. Mal anstrengend, mal aufregend, mal Balsam fürs Gemüt."
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