Das Beste aus 2022: Tracks
An der richtigen Stelle platziert, bewirkt der Track einen kompletten Shift der Stimmung. Nach dem – in diesem Jahr endlich wieder richtig möglichen – Clubbesuch bleibt er für Tage im Ohr, noch nicht veröffentlichte Tracks sucht man oft verzweifelt und wochenlang, aber wenig ist so befriedigend, wie endlich einen solchen Schatz zu finden. Der Track bildet das Rückgrat der Szene, viel mehr noch als es bei den meisten anderen Genres der Fall ist: Manchmal funktioniert er auch als Trigger für Erinnerungen, ein spezieller Release aus einem speziellen Jahr befördert einen sofort zurück in das Gefühlsleben von damals. Durch welche Tracks wir uns in der Redaktion künftig an 2022 erinnern werden, haben wir hier zusammengestellt:
Fred Again – Delilah (Pull Me Out Of This) [Atlantic]
Christoph: "Für mich hatte jeder Sommer einen eigenen Geruch – 2021 roch nach Nagellackentferner, das Jahr zuvor nach feuchtem Moos und Tankstellen bei Nacht. Dieser Sommer war anders. Er klang wie eine Party, die niemals zu Ende geht, weil niemand das Licht anmacht und immer jemand Teile dabei hat. Das ist dieser Song, das ist diese Stimmung!"
CTAFAD – Desert (Polygonia Remix) [Sungate]
Pia: "Diesen Sommer hatte ich das große Vergnügen, Polygonia live spielen zu hören. Vorher schon habe ich mit wachsendem Interesse die musikalische Entwicklung der Künstlerin verfolgt, seit dem Gig kann ich mich offiziell als Fangirl outen. Im September wurde dann CTAFAD’s EP 'Consider Session' inklusive Polygonia Remix veröffentlicht. Ein Track, der seitdem fast täglich bei mir zu Hause läuft. Er fängt für mich den Spirit des endenden Sommers ein und macht die grauen Herbsttage etwas bunter."
Cameo Blush – Template [Unknown Untitled]
Ina: "In unsicheren Zeiten garantiert 'Template' einen träumerischen Höhenflug, der einen viele Dinge zumindest für knappe fünf Minuten lang vergessen lässt: Der Track des Londoner Produzenten John Dunk aka Cameo Blush schraubt sich mit hochgepitchten Vocals in breakigen Böen immer weiter nach oben Richtung Extase-Himmel und lässt uns durch seinen melodischen Raum schweben. 'Template' ist die erste digital-only Single des jungen UK-Konzeptlabels unknown – untitled, das Previews seiner Releases anonym veröffentlicht. Den Namen der:des DJ findet sich dann erst im Sleeve der Platte bzw. beim späteren digitalen Release. Beim starken, eingängigen Sound von Cameo Blush kann man jedoch davon ausgehen, seine zukünftigen Tracks trotz Anonymisierung wiedererkennen zu können."
Ben Kim – Somebody to Love (Gorgon City Remix) [Realm Records]
Mathias: "Das ist so ein Track, der eigenständig viel Spaß macht, beim Auflegen jedoch ein anderes Level erreicht. In der Kombination mit manchen basslastigen Techno-Tracks entfaltet sich hier ungeahntes Potenzial. Die Lyrics sind stimmig, der Reese-Bass gibt ordentlich Gas und der Aufbau verzückt. Sowohl am Dancefloor um 5 Uhr als auch im ICE Richtung Südpol, der Song weiß zu gefallen. Aja und um Liebe gehts auch noch, was will man mehr?"
Yeule – The Things They Did For Me Out of Love [Bayonet Records]
Kristoffer: "Nat Ćmiel macht als yeule die Musik, die ich mir von Grimes nach 'Visions' erhofft hatte. Das vierte Album 'Glitch Princess' schlug in dieselbe Kerbe, legte aber noch als Bonus ein fast fünfstündiges (!) Ambient-Stück obendrauf, das mich vollends begeisterte: Eine bessere Persiflage auf Lockdown-Album-typa-Musik und eine größere Verweigerungsgeste gegen (aufmerksamkeits-)ökonomische Verwertbarkeit im Streaming-Zeitalter ist gleichzeitig nicht drin."
DJ Daddy Trance – Day 'N' Night
Marius: "Für mich nicht nur der Track des Jahres 2022, sondern im Grunde die Hymne, die den Dammbruch nach der Corona-Pandemie und die komplette Eskalation, die damit auf den Dancefloors folgte, überhaupt mit auslöste. DJ Daddy Trance aka Marlon Hoffstadt hat hier mal eben locker flockig einen neuen Stil geprägt, über den manche die Nase rümpfen, die Richtigen sich aber in Amsterdam, Berlin und sonstwo beim Stagediving Tag und Nacht feiern lassen."
Domiziana – Ohne Benzin [Four Music Local]
Nasti: "Der Sommer-ohne-Ende-Tik-Tok-Hit von Domiziana muss in einem musikalischen Jahresrückblick zwingend dabei sein. Ja, auch bei DJ LAB, finde ich. Starker Beat und ein Text, den man mehrfach hören kann und muss, um ihn zu durchdringen; ja, gerade für Berlin, aber auch darüber hinaus, eine Hymne. Und nein, das meine ich (fast gar) nicht ironisch. Der Track ist seit Release in meiner Favoritenliste und jedes Mal, wenn ich ihn höre, will ich tanzen, tanken und Motorrad fahren."
Arctic Monkeys – There'd Better Be A Mirrorball [Domino]
Simon: "Die Arctic Monkeys meldeten sich dieses Jahr mit einem großartigen Album zurück. Das dachte man zumindest, als die erste Single erschien, die sich so unnachahmlich stilvoll zwischen Bondsong und Herzschmerz bewegt. Mit schweren Klavierakkorden schieben wir uns durch die von Matt Turner besungene Abschiedsszene, die dann in dem schmelzigsten Schmelzmoment des Pop-Jahres mündet. Bittersüße Dissonanzen über wunderschön arrangierte Streicher. I'm sure to have a heavy heart! Leider war das dazugehörige Album dann doch eine ziemliche Enttäuschung."
The Zenmenn & John Moods – Ordinary Time [Music From Memory]
Tim: "Nicht alles war schlimm, schlimm, schlimm in diesem Jahr. Obwohl viele Gewohnheiten zunehmend bedeutungsloser werden, sind es oft die absurd offensichtlichen Dinge des Alltags, die ihre Schönheit offenbaren. Entweder ist man mit der Zeit zu einem spirituellen Yogi-Heini geworden, der Energie daraus zieht, durch gelbes Herbstlaub zu stapfen, Aromakerzen gar nicht mehr so cringe findet und statt Bier auch mal einen Kakao trinken geht – oder man fängt langsam an, eine Sache zu kapieren: Das Leben ist gar nicht immer nur schwer, schwer, schwer. Normale Dinge zu tun ist am Ende des Tages auch gar kein Ausdruck von Leere, sondern endlos geil befriedigend."
Anthony Naples – Swerve [Running Back]
Nikta: "Der unprätentiöseste Banger des Jahres kommt von Anthony Naples. Der New Yorker räumt mit seiner im Juli bei Running Back erschienenen, gleichnamigen EP den Dancefloor auf und liefert straighten Tech-House. Das Prinzip ist so simpel wie gut: Eine catchy Bassline (130 pm auch nice in allmorgendlicher Dauerschleife zum Joggen) kommt Hand in Hand mit einem hier und da dezent gedroppten Piano und einem Hauch Melodie – aber gerade nur so viel, dass Swerve im Kopf bleibt, ohne auf die Nerven zu gehen."
0 Kommentare zu "Das Beste aus 2022: Tracks"