In Saudi-Arabien findet ein Musikfestival statt. Das „MDL Beast Soundstorm“, so der offizielle Name der Veranstaltung, lädt zwischen dem 16. und 19. Dezember zur „größten und lautesten Veranstaltung der Region“ ein. Gesponsert wird das Event von derselben Regierung, die für den Genozid im Jemen, die Ermordung kritischer Journalisten oder die Verfolgung von LGBTIQ-Personen verantwortlich ist. Problematisch, müsste man meinen. Trotzdem stellen sich die Superstars der elektronischen Musikszene an, um in Riad für eine „lifestyle and experience brand“ aufzulegen.
Das Line-Up des Soundstorm liest sich wie ein Querschnitt durch die DJ Mag Top 100 List: Loco Dice, Charlotte de Witte, Ricardo Villalobos, David Guetta, Amelie Lens, Carl Cox, Eric Prydz und Jeff Mills sollen neben 200 anderen Artists auftreten. Vor allem das Booking von Mills hat in den vergangenen Tagen für Aufregung auf sozialen Netzwerken gesorgt. Man sei überrascht, seinen Namen auf dem Line-up zu lesen. Nicht nur, weil der Mann aus Detroit als einer der OGs von Techno gilt und neben all den anderen Namen nichts zu suchen habe. Sondern auch, weil er wie alle anderen für ein Regime auftrete, dem Blut an den Händen klebe.
Die Diskussion um Jeff Mills lenkt allerdings von den eigentlichen Problemen mit der Veranstaltung ab. Schließlich gebe es in der Sache keine objektive Moral, sagt Boiler-Room-Host und CTM-Kurator Michail Stangl auf Twitter. „Aber wenn man Geld so gern mag, dass man es von einer Regierung nimmt, die Journalisten tötet und die Todesstrafe für Homosexualität vorsieht, sollte man sich ernsthafte Fragen stellen.“ Stangl hat mit dieser Aussage eine Diskussion losgetreten, die viel mit dem aktuellen Zustand der House-und-Techno-Szene zu tun hat – aber in ihr nicht diskutiert wird. Die reichweitenstarken Magazine Resident Advisor, DJ Mag oder Mixmag haben schließlich keine Zeile zu dem Event verloren.
Sure there is no objective morality and all, but if you like money so much that you take it from a government that kills journalists and has the death penalty for being gay, you really should ask yourself some serious questions. pic.twitter.com/zJtNxYycMV
— Michail / opiumhum.eth ?️??Ⓥ (@opiumhum) November 16, 2021
Dabei ist die Kritik an der Veranstaltung nicht überraschend. Bereits 2019 fand das MDL Beast Festival in Riad statt. Schon damals wurde die Veranstaltung von der neu eingerichteten Unterhaltungsbehörde des Königreichs organisiert. Sie ist Teil der PR-Strategie eines Landes, das kulturelle Veränderungen im Land präsentieren will. Kritiker:innen betonen aber, dass sie auch einem anderen Zweck diene: das beschädigte Image Saudi-Arabiens zu reparieren.
Zur Erinnerung: Jamal Khashoggi, der als Journalist der Washington Post kritisch über das Königreiche berichtete, wurde 2018 im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul getötet – mutmaßlich angeordnet durch den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Seither fährt das Land eine internationale Imagekampagne. Denn, so der Vorsatz: Im Rahmen der „Vision 2030“ wolle man unabhängig von Öl, der Haupteinnahmequelle des Landes, werden. Deshalb pulvert die saudi-arabische Regierung jedes Jahr Milliarden Dollar in Musik-, Literatur- und Kunstfestivals. Die Monarchie veranstaltet hoch dotierte Golfturniere, den spanischen (!) Fußballcup. Und seit 2018 sogar eine Fashion Week. Keine schlechte Entwicklung für einen Staat, der Frauen bis vor wenigen Jahren untersagte, ein Auto zu lenken – oder?
Beantworten wir die Frage mit Google: Dort finden sich fast zwei Millionen Ergebnisse zum Begriff „Saudi Arabien Whitewashing“. Denn: Immer wieder betonen Kritiker:innen, dass das Land von seinen systemischen Problemen ablenke, indem es Milliarden in eigene Öffentlichkeitsarbeit stecke. Dabei ist allein der Wikipedia-Artikel über die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien länger als das Kulturprogramm der deutschen Bundesregierung. Außerdem verantwortet das Land den Krieg im Jemen genauso mit wie die Inhaftierung und Folter von Frauenrechtlerinnen und die Enthauptungen von Homosexuellen.
Und doch schafft es die Regierung, internationale Stars und Influencer:innen ins Land zu locken. Sie steigen in Fünf-Sterne-Hotels ab, fliegen mit Helikoptern und schnorcheln im Roten Meer. Die Instagram-Schickeria schmückt sich mit All-inclusive im Scharia-Staat – um ein paar gut dotierte Promo-Postings ins Smartphone zu cracken und Millionen Follower:innen zu signalisieren, dass es in Saudi-Arabien nicht nur neue „Hotspots“ zu entdecken, sondern auch keine Menschenrechtsverletzungen zu befürchten gebe.
Schließlich findet Anfang Dezember der erste Formel-1-Grand-Prix in der Millionenmetropole Jeddah statt. Dort prusten nicht nur Boliden Tonnen an CO₂ in die Luft, sondern auch Superstars wie Justin Bieber von der Bühne. Damit ist er mit Sängerin Mariah Carey, der Band OneRepublic oder der K-Pop-Gruppe BTS – die allesamt in der Vergangenheit für das Königshaus aufgetreten sind – in einer Gesellschaft, die das „blood money“ des saudi-arabischen Regimes gegen internationale Promotion umwandelt.
Es stellen sich mehrere Fragen: Missbrauchen diese Menschen ihre Reichweite, um ein Regime reinzuwaschen? Oder ist es okay, dass sie mit ihrer Bekanntheit auf die Schönheiten eines Landes hinweisen, das sich scheinbar öffnet und liberalisiert? Können es DJs wie Jeff Mills oder Carl Cox verantworten, für ein politisches System aufzutreten, das Menschenrechte nicht nur verletzt, sondern missachtet? Oder hindert man mit einer Absage nur die Möglichkeit, eine Bevölkerung zu inspirieren, die unter der autoritären Führung leidet?
Wenn eine Regierung sechsstellige Beträge bezahlt, um in eine iPhone-Kamera zu lächeln oder eine Stunde lang den Sync-Button zu malträtieren, sollte die Antwort feststehen. Das Problem ist nicht, dass all diese DJs in Saudi-Arabien auftreten – niemand sollte den Menschen vor Ort ihren Techno verbieten. Das Problem ist vielmehr, dass die Künstler:innen zu einem Event beitragen, das von der saudischen Regierung als Teil ihrer milliardenschweren PR-Kampagne bezahlt wird. Treten Charlotte de Witte oder Amelie Lens auf, helfen sie nicht den Unterdrückten. Sie polieren das Image einer Regierung, die auf Kritik mit einer Knochensäge antwortet. Das ist kein kultureller Austausch. Sondern ein moralischer Sellout.
2 Kommentare zu "Der moralische Sellout: Superstar-DJs legen für Saudi-Arabien auf"
tja, Carl Cox, kannste ja froh sein, nicht Schwul zu sein.
Aber das dort ne Frau Auflegen darf. Vielleicht kommen sie ja alle zerstückelt im Sarg nach Hause zurück.
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guter Artikel!
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