Die Vinylkrise: Eine Blase implodiert – Reportage (Teil 3)
Zum ersten Teil dieser Reportage geht es hier, zum zweiten hier.
Das Geschäft mit (und die Liebe zu) dem Boutique-Objekt
Von den nicht immer einleuchtend erscheinenden Veröffentlichungen zum Record Store Day angefangen bis hin zu einem regelrechten Reissue-Wahn der vergangenen Jahre hat sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts eine regelrechte Blase für Vinyl-Veröffentlichungen gebildet, die nicht mehr nur das vorige Kernpublikum des Mediums zu bedienen scheint. “Es gibt einerseits viel mit Substanz, andererseits aber auch Releases, bei denen wir uns fragen: Muss das denn sein?”, berichtet HHV-Einkäufer David Wetzel aus seinem Arbeitsalltag. “Es scheint einen Bedarf an Schallplatten zu geben, bei denen die Nerds abwinken würden, und also seit ein paar Jahren einen Mainstream-Markt von Leuten, die beliebig Schallplatten kaufen.”
Diese Beliebigkeit schlägt sich bisweilen auch in den Statistiken nieder: Im Jahr 2016 wurde eine Studie veröffentlicht, der zufolge 48 % aller Käufer:innen ihre Schallplatten gar nicht anhören würden, obwohl das Gros dieser Menschen einen Plattenspieler besitzt. “Die Platte ist zum Boutique-Objekt verkommen”, sagt Robert Schulze von Bis aufs Messer. “Die Leute wollen alles haben und am besten noch in tausend verschiedenen Varianten.” Tatsächlich zielt das Geschäft mit dem Vinyl bisweilen rein auf den Komplettierungsfimmel der Käuferschaft ab und reizt den Sammelwahn durch künstliche Verknappung. Denn selbst von einem Billie-Eilish-Release existieren mittlerweile verschiedenstene, mitunter angeblich streng limitierte Farbvarianten, weil mit der Kaufkraft sogenannter Superfans spekuliert wird: Menschen, die ein Album in jeder existenten Variante besitzen wollen.
Das Prinzip ist nicht neu, im Mainstream-Bereich wurde es im zweitgrößten Musikmarkt der Welt, in Japan, etabliert und findet dort vor allem im CD-Segment Anwendung. Das Album einer sechsköpfigen Boy-Band erscheint dort beispielsweise nicht in einer einzigen Fassung, sondern in verschiedenen Versionen, die etwa jeweils eines der Mitglieder auf dem Cover zeigt. Nur wer alle sechs kauft, hat die gesamte Gruppe zusammen. Dazu gesellen sich exklusive Gimmicks wie unter anderem nach Zufallsprinzip einigen CDs beigegebene Tickets für Meet & Greets mit den Stars oder ähnliche Anreize für Superfans, möglichst viele Exemplare ein und desselben Albums zu kaufen. Anwendung findet dieses Prinzip ebenfalls im K-Pop-Bereich und also in Südkorea, wo die CD-Verkäufe anders als anderswo in dieser Welt seit einigen Jahren steigen. Im Westen allerdings wird auf Vinyl gesetzt.
In den USA, wo im Jahr 2020 erstmals seit dem Jahr 1986 wieder mehr Schallplatten als CDs verkauft wurden, führen selbst große Supermarktketten wie Target, Wal-Mart oder Best Buy Vinyl, das exklusiv und nur dort erhältlich ist – in bestimmten Farbvarianten und mit exklusiven Gimmicks einhergehend, versteht sich. Auf kleinerer Skala haben vor allem international agierende Online-Shops wie Boomkat, Bleep oder im deutschen Raum HHV sukzessive ein ähnliches Konzept etabliert. So locken dann nicht nur die Labels allein, sondern auch gut organisierte Verkaufsstellen Fans mit dem Versprechen von Exklusivität und Seltenheit – ob die Platten nun allerdings zum Anhören, zum Anschauen oder doch als Wertanlage gedacht sind, scheint dabei nicht immer von Belang.
Der Trend hin zu farbigen Pressungen, die aufgrund des Pigmentmangels besonders von den Engpässen betroffen sind, hat aber genauso kleinere Szenen erfasst – wobei es dabei nicht immer unbedingt um den großen Reibach geht. Auch Robert Schulze bietet mit seinem um die Jahrtausendwende gegründetem Label Adagio830 seit geraumer Zeit für gewöhnlich neben einer Version auf schwarzem Vinyl auch eine farbige Option an – zähneknirschend und vor allem aus ökonomischen Gründen, wie er klarstellt: “Das leiert sofort Direktverkäufe an, weil Sammler:innen die limitierte Version haben. Damit ist auf einen Schlag ein Teil der Unkosten drin”, erklärt er. Wo andere also mit umfangreichen Pressungen den Profit vergrößern wollen, geht es in diesem Fall vor allem darum, die ersten Rechnungen aus dem Presswerk möglichst schnell begleichen zu können.
Wieder andere kleinere Akteur:innen entscheiden sich aus primär ästhetischen Gründen für aufwändige Aufmachungen. Irakli Kizirias Veröffentlichungen mit seinem ehemaligen Projekt I/Y, die Compilations zu der von ihm mitbetriebenem Veranstaltungsreihe STAUB sowie die Releases auf seinem Label Intergalactic Research Institute for Sound stechen allgemein durch außergewöhnliche Gestaltung ins Auge: vom auf der Innenseite bedruckten Sleeve bis hin zur Split- und Splatter-Ästhetik der einzelnen Schallplatten verfolgt der Grafikdesigner hinsichtlich der Aufmachung der Platten ein holistisches Konzept.
Dafür nimmt er Geld in die Hand, das er gerne in ein wertiges Produkt investiert, obwohl sich die Sache bestenfalls als Nullsummenspiel erweist. “Wir haben schon beim Vertrieb Geld verloren, weil wir nicht wollten, dass die Releases im Laden so teuer werden”, berichtet er. Doch dank zunehmend größerer Komplikationen bei den aufwändigen Pressungen und in Anbetracht längerer Wartezeiten sammelt sich der Frust: “Am Ende macht es keinen Spaß mehr.”
Noch mehr gilt das für diejenigen, die über die Produktion solcher aufwändigen Pressungen von Majors hier und Indies dort ihre eigenen, dezidiert schlicht konzipierten Aufträge komplett in Gefahr geraten sehen. “Das regt mich manchmal ein bisschen auf, weil der Platz im Presswerk blockiert wird”, sagt Cinthie Christl, deren eigene Releases maximal reduziert gestaltet sind, auf schwarzem Vinyl gepresst und bisweilen nur gestempelt werden. “Wir verkaufen Werkzeuge für DJs und die mögen’s am liebsten Schwarz!” So wird die vergleichsweise anspruchslose puristische Nische, die Schallplatten unter einer Funktionalitätsprämisse produziert, vom umfassenden Trend des Immer-bunter-immer-schriller-Vinyls noch weiter marginalisiert. Denn die gestalten sich für die Presswerke in der Produktion arbeitsintensiv: Zwischen der Abfertigung von zwei schwarzen Pressungen müssen Maschinen nicht gereinigt und neu eingestellt werden, von der Ultraclear-12" hin zur dreifarbigen LP in Splatteroptik allerdings schon.
Neue alte Dominanzstrukturen
Dass parallel dazu der hohen Nachfrage entsprechend von bestimmten Alben wie Adeles ‘30’ selbst von der klassischen schwarzen Doppel-LP weit mehr gepresst werden als noch vor zehn Jahren, sorgt allerdings umso mehr für eine Oligopolisierung der Kontingente in den Presswerken. “Es ist mittlerweile klar geworden, dass die großen Presswerke der Produktion von Major-Releases eine Priorität über die Aufträge von Independents geben”, bekräftigt Jon Berry von Kompakt. Es ist eine ironische Spitze: Hatten insbesondere die großen Plattenfirmen nach Einführung der CD Ende der achtziger Jahre alle Anstrengungen darauf gesetzt, Vinyl als Medium vom Markt zu verdrängen, um ihrer Kundschaft alte Releases im neuen Format ein zweites Mal zu verkaufen, dominieren sie heutzutage wieder erneut die Produktion eines Tonträgers, dessen Obsoleszenz sie einst selbst befördert hatten.
Die Presswerke selbst müssen derweil allerdings auch ökonomisch kalkulieren. “Ich kann es schon verstehen, dass wenn ein Major-Label 20.000 Exemplare bestellt und sich das mit einem Knopfdruck erledigen lässt, es als Kunde gegenüber denen bevorzugt wird, die Auflagen von 1.000 oder 3.000 Exemplaren wollen”, sagt Schulze. Ähnliches gilt auch im viel kleineren Maßstab bei intakt!, das im Jahr 2017 mit einem expliziten Ziel eröffnet wurde: “Unsere Absicht war es, Independent-Labels zu unterstützen, vor allem mit Kleinauflagen”, sagt Gössler. Doch angesichts der Krise müssen sein Team und er mittlerweile auch Grenzen ziehen. “Kleinauflagen in Höhe von 100 oder 200 Stück können wir aber derzeit nicht fertigen. Nicht, weil wir nicht wollen, sondern weil die Vielzahl an Aufträgen mit einem dermaßen großen Aufwand einhergeht, dass wir das nicht stemmen können.”
Mit Blick auf die prekäre Situation am unteren Ende der Skala offenbart sich so ein Problem, das im Einzelfall marginal, in der Breite aber durchaus eine schwerwiegende Rolle spielt. Denn während Zahlen wie die rund 500.000 Exemplare von Adeles ‘30’ sofort die Dimension des dahinterstehenden Aufwands verdeutlichen, fällt es ungleich schwerer, zu beziffern, was die vielen in den vergangenen Jahren am Vinylgeschäft ebenfalls mitverdienen wollenden Labels und Artists mit ihren zahlreichen aus Liebe zur Schallplatte heraus produzierten Klein- und Kleinstpressungen in der Gesamtsumme ausmachen. Die Vermutung liegt allerdings nahe, dass in Zeiten, in denen wohl mehr Musik denn je produziert wird und in denen die Nachfrage an die Presswerke höher scheint als jemals zuvor, sie zusammenaddiert einen nicht unwesentlichen Teil zur Misere beitragen.
Dabei ist es nicht einmal so, als würden sie immer davon profitieren. “Bei einer Prüfung fanden wir heraus, dass einige der von uns vertretenen Labels stattdessen Geld verloren”, berichtet Berry vom Distributionszweig von Kompakt. Das Unternehmen bietet vielen Labels einen sogenannten Production-and-Distribution-Deal an. Als Vertrieb erledigt Kompakt stellvertretend für sie die Koordination mit und Produktion durch die Presswerke sowie den anschließenden Versand an unter anderem Online-Shops und Plattenläden. “Wir sind auf all diese Labels zugegangen und haben versucht, sie davon zu überzeugen, auf Digital umzusteigen und nur in Ausnahmefällen Platten zu produzieren. Ein paar Labels haben wir darüber verloren, nicht wenige aber begrüßten den Gedanken.” Tatsächlich also hat es den Anschein, als wäre insbesondere angesichts der aktuellen Krise der Schritt in ein anderes Geschäft der finanziell sinnvollste.
Doch nicht nur auf wirtschaftlicher Seite ist die fragwürdige Verteilung der Presswerkkontingente von Nachteil. Auch spiegelt sich darin ein kultureller Missstand rund um die Schallplatte wider, der die Krise seinerseits verschärft. Denn zunehmend wird die Vergangenheit wieder und wieder neu aufgelegt – und anschließend zu doppelten und dreifachen Preisen weiterverkauft.
Das Geschäft mit der Vergangenheit
“Ich denke schon, dass das Problem vor allem eines der Lieferketten ist, doch wir wissen genauso, dass es seit geraumer Zeit noch ein anderes gibt: Retromanie”, sagt Jon Berry in Anspielung an einen vom Musikjournalisten Simon Reynolds geprägten Begriff. Chris Willmans zitiert beispielsweise in seinem Variety-Artikel über Adeles neues Album eine nicht namentlich genannte Quelle, die über die Reissue-Dominanz im Presswerkbereich spricht: “Ich habe Gerüchte gehört, dass es im Süden der USA ein Werk gibt, das quasi nur ‘Tusk’ produziert”, heißt es darin. Gemeint ist eine LP von Fleetwood Mac, eine Band, die in den vergangenen Jahren unter anderem durch ein virales TikTok-Video wieder zum Streaming-Hit und ergo auch zum Megaseller im Markt für Vinyl-Reissues wurde.
Quantität allerdings geht bisweilen über Qualität. Der Kompakt-Label-Manager Jon Berry berichtet, sich probeweise ein Exemplar von Fleetwood Macs LP ‘Rumours’ in einem Berliner Kulturkaufhaus gekauft zu haben. “Als ich die Platte zu Hause aufmachte, sah das Vinyl hauchdünn aus und klang dann auch eher wie ein Bootleg”, berichtet er. “Und das ist eine der meistverkauften Platten in diesem Geschäft!” Das Geschäft mit der Vergangenheit setzt eben nicht auf nachhaltige Hochwertigkeit, sondern in erster Linie auf die kurzfristige Wertschöpfung durch den Verkauf von Vinyl in den Geschäften und Online-Stores.
Auch das liegt in weitreichenderen Entwicklungen in der Musikbranche innerhalb des letzten Jahrzehnts begründet: Weite Teile der Rechte am Katalog von Fleetwood Mac befinden sich beispielsweise im Besitz der Investitionsfirma Hipgnosis, die gemeinsam mit ihren Investor:innen ein Interesse daran hat, jeden noch so kurzlebigen TikTok-Trend nicht nur im Streaming-Umfeld, sondern genauso in den Presswerken auszunutzen – am besten natürlich durch aufwändige, limitierte Pressungen, die einer Verknappungslogik sei dank schnell abgesetzt werden. Auch der Finanzkapitalismus steht also in der Schlange vor dem Presswerk, und zwar ganz weit vorne.
Spekuliert wird mit dem Wert dieser Platten allerdings über den bloßen Erstverkauf in Online-Shops und Plattenläden hinaus. So wie der Tag nach jeder Ausgabe des Record Store Day allemal als ‘Discogs Day’ bezeichnet werden könnte, an dem verzweifelte Sammler:innen nach den Exemplaren der von ihnen begehrten Platten suchen und dafür zum Teil ein Vielfaches des ursprünglichen Verkaufspreises auf die digitale Theke legen müssen, haben sich nicht wenige private oder professionelle Händler:innen ebendort oder auf anderen Plattformen darauf spezialisiert, limitierte Schallplatten schnell ein- und langsam wieder zu verkaufen, um den maximalen Gewinn daraus zu schlagen. So konkurriert dann in den Presswerken, genauso aber in den Plattenläden und dem Zweitmarkt neue Musik auf Vinyl mit dem Backstock vergangener Tage. Während das Budget der Fans umso mehr gemolken wird und womöglich gar nicht mehr in neue Produkte geht, versteht sich.
Das wirft umso mehr die Frage auf, wohin die Reise im Vinylgeschäft eigentlich gehen soll. Für nicht wenige Labels und Artists anscheinend direkt in eine Sackgasse. Manche aber nehmen auf ihrem Weg lieber gleich eine Abzweigung.
K(l)eine Alternativen
Vor allem für einzelne Artists scheint es sich angesichts der komplexen Gemengelage kaum mehr noch anzubieten, überhaupt mit Labels oder direkt mit den Presswerken zu arbeiten, sondern den gesamten Prozess auf andere Plattformen auszulagern. Das japanische Unternehmen Qrates bietet seit Mitte 2015 einen Crowdfunding-Service an, mit dem Künstler:innen und Bands ein geringes Risiko eingehen: Musik und Artwork kommen von ihnen, finanziert wird das Release durch die Gelder der Fans und um den Rest, das heißt die Produktion und Distribution, kümmert sich Qrates.
Einen sehr ähnlichen Service bietet seit Anfang 2021 auch die Plattform Bandcamp an. Derweil Qrates auf der eigenen Homepage nur vage von ‘vinyl pressing partners’ spricht und in der Datenbank Vinyl Pressing Plants sogar selbst als Broker gelistet wird, arbeitete Bandcamp in der Vergangenheit mit dem US-amerikanischen Broker Pirates Press zusammen und ließ die crowdfinanzierten Platten in der tschechischen Republik bei GZ Media pressen.
Derartige Angebote sind aufgrund ihrer offenkundigen Flexibilität und Risikolosigkeit für insbesondere unabhängig agierende Musiker:innen zweifelsohne attraktiv. Tradierte Institutionen wie Labels allerdings haben darüber genauso das Nachsehen, wie andere Zweige der herkömmlichen Vinylproduktion und -distribution übergangen werden. Ob das zwangsläufig eine Entwicklung hin zum Negativen ist, sei dahingestellt – sicher ist allemal, dass es im Gesamten dazu beiträgt, den Konkurrenzdruck um die Slots in den Presswerken zu erhöhen. Qrates oder Bandcamp beziehungsweise Broker wie Pirates Press haben als große Kundschaft, die beständig und zusammengerechnet in großen Kapazitäten bestellt, denen gegenüber nämlich bessere Argumente vorzuweisen als ein Label, das alle vier Monate eine Pressung von 300 Exemplaren in Auftrag geben möchte.
Es verwundert daher nicht, dass sich einige Labels und Artists zunehmend komplett auf andere Formate verlagern. Im Sommer 2021 kündigte John Brien über Twitter an, mit seinem Label Important in Zukunft primär auf die Veröffentlichung von CDs und Kassetten zu setzen. Der Grund: die langen Wartezeiten. Vor allem die CD wisse er zu schätzen, schreibt der US-Amerikaner per E-Mail.
“Der Vorteil ist, dass du ein Produkt mit toller Klangqualität verkaufen kannst”, sagt er. Der Nachteil aber? Dass sie sich nicht zwangsläufig so gut verkaufen, weil das Geschäft mit der Schallplatte von einer ähnlichen Retromanie getrieben wird wie das Reissue-Business. Er bekomme ständig E-Mails von Menschen, die statt zu einer CD zu greifen doch lieber auf die Vinylversion warten würden, berichtet Brien. Wenn die aber nicht kommt, bleiben wohl aber auch die Einnahmen aus.
Größerer Beliebtheit erfreuen sich seit geraumer Zeit Kassetten. Das Format überlebte über die neunziger und Nullerjahre hinweg in Nischen wie den Szenen für Punk, Hardcore oder Metal und genauso im Hip-Hop, erfreut sich mittlerweile aber auch großer Beliebtheit im Mainstream. Nachdem in ‘Guardians of the Galaxy’ ein Walkman mit dem dazugehörigen Mixtape eine tragende Rolle spielte, konnte sich der Soundtrack des Marvel-Films im Jahr 2014 satte 11.000 Mal verkaufen. Es sind Absatzzahlen in einer Größenordnung, wie sie mittlerweile auch von den ebenfalls auf Tape erhältlichen aktuellen Alben von Billie Eilish oder eben einer Adele kolportiert werden.
Der zwar moderate, aber wieder stetig wachsende Anstieg von Kassettenverkäufen kommt jedoch vor allem unabhängigen Labels und Artists zugute, die so in Zeiten der Vinylkrise damit Einkommensausfälle zumindest teilweise kompensieren können. Doch wirft das neuerliche Interesse der Majors die Frage auf, ob sich die Geschichte des Schallplatten-Booms nicht etwa wiederholt – und zwar als Farce. “Sollte die Produktionsnachfrage nach CDs und Kassetten schlagartig anspringen, könnte das zu Problem führen”, meint auch Brien.
Dass dem bald schon so sein könnte, legt nicht nur der neuerliche Fokus von sowohl Underground- als auch Mainstream-Artists nahe, sondern genauso auch die Tatsache, dass selbst Qrates im Dezember nun Tapes in sein Portfolio aufgenommen hat. Derweil sowohl die CD- als auch die Tape-Produktion bislang noch weitgehend von Materialengpässen und Störungen der Lieferketten verschont geblieben sind, könnte eine erhöhte Nachfrage bald ähnliche Konsequenzen nach sich ziehen.
Die sich anbahnende Übersaturierung der Märkte für Alternativprodukte wirft umso mehr die Frage auf, ob angesichts der aktuellen Krise das Zeitalter des physischen Tonträgers besiegelt ist. Oder besser noch: besiegelt sein sollte. Ein Umdenken zeichnet sich schließlich schon seit geraumer Zeit ab. Vom Doppeldildo, den SOPHIE einst verkaufte, hin zu den Flashdrives, die die Flaming Lips einst in menschliche Schädel einsetzten, um in dieser Form ihr Album ‘7 Skies H3’ zu verkaufen: Über die vergangenen zehn Jahre hinweg wurde die Fetischisierung physischer Tonträger oder Objekte, die an ihre Stelle treten, oftmals persifliert oder komplett ins Absurde gezogen. Mittlerweile gibt es Musikveröffentlichungen sogar als Duft und zuletzt veröffentlichte die Produzentin aya ihr Debütalbum auf Hyperdub statt als Tonträger gleich als Buch. Es sind kleine Alternativen in einer Ära, in der Vinyl weiterhin als alternativlos gehandelt wird.
Keine Perspektiven
Ein umfassender Blick auf die implodierende Blase der Vinylproduktion zeigt allemal, dass die auf physischen Formaten aufbauende Krise nicht ausschließlich von internationalen Betriebsstörungen abhängig ist, für die die Pandemie als Brandbeschleuniger wirkte und die sie doch keinesfalls alleine auslöste. Zugleich offenbart sich, dass die gesteigerte Nachfragen in allen Schichten der Musikwelt, vom Indie-Label hin zu Adele, das System zusätzlich in die Knie zwingt und allen Beteiligten schadet – wenngleich einigen mehr und anderen weniger.
Darüber ist genauso klar, dass nicht allein durch die Produktion und den Verbrauch von Rohstoffen, sondern insbesondere durch den internationalen Handel mit dem Fetischobjekt Vinyl ein ökologischer Fußabdruck entsteht, der nicht zu unterschätzen ist – auch wenn er im Vergleich zu denjenigen anderer Industrien geradezu winzig ausfällt. So wie ein Ausbau der internationalen Presskapazitäten auf kurze oder sogar lange Sicht nicht unbedingt eine Verringerung der Wartezeiten oder gar Minderung der gestiegenen Kosten nach sich ziehen würde, könnten auch ökologische(re) Ansätze der Vinylproduktion nichts an der Krise ändern – selbst für die Produktion komplett recycelter Schallplatten, mit denen aktuell experimentiert wird, ist man auf die Kapazitäten im Presswerk angewiesen.
Sinnvoller schiene da schon eher, komplett neue Formate mit ganz anderen Herstellungsprozessen zu erfinden, wobei die sich – der Nostalgiefaktor ist und bleibt eines der Hauptverkaufsargumente von Vinyl – womöglich weder durchsetzen noch rentieren könnten. Denn eine halbe Million gepresste LPs von Adeles ‘30’ sind eben auch ein Indiz dafür, dass sich Vinyl im kollektiven Bewusstsein wieder dermaßen als Nonplusultra unter den physischen Tonträgern konsolidiert hat, dass ein plötzlicher Umschwung des Publikums auf alternative Formate unwahrscheinlich scheint. Dasselbe könnte über den ebenfalls umweltunverträglichen Hype um die Kassette gesagt werden: Als Tonträger mag diese kompakter sein, hinterlässt allerdings einen vergleichbar großen ökologischen Fußabdruck.
Im Großen und Ganzen tragen die Vinylkrise und die langsam implodierende Blase des Schallplattengeschäfts immer weiter zu einer Wertschöpfungskrise der Musikbranche bei, von der vor allem kleinere Labels und insbesondere unabhängig agierende Künstler:innen betroffen sind. Für viele von ihnen war während der ersten Pandemiemonate Vinyl ein Rettungsanker im finanziellen Strudel, den der Ausfall fast sämtlicher Einnahmen aus dem Live-Geschäft nach sich zog, welche wiederum nur schwerlich aus Einnahmen aus Download-Verkäufen oder mit Streaming-Tantiemen aufgefangen werden konnten.
Das unterstreicht aber umso mehr, dass die Schallplatte als in technologischer Hinsicht obsoletes Medium weniger kulturelle und ökonomische Aufmerksamkeit verdient hat als die Suche nach neuen Wertschöpfungsmöglichkeit im Geschäft mit der Musik. Ob nun aus Liebe zum Objekt an sich oder zu den Profiten, die es abwirft: Es scheint aus der derzeitigen Situation heraus betrachtet mittelfristig unwahrscheinlich, dass Vinyl für kleine Labels und Artists weiterhin eine rettende Einnahmequelle darstellen können wird.
Zusätzliche Recherche: Thaddeus Herrmann
2 Kommentare zu "Die Vinylkrise: Eine Blase implodiert – Reportage (Teil 3)"
Die aktuelle Situation der Vinyl-Industrie zeigt sich als ein zweischneidiges Schwert. Einerseits erlebt Vinyl eine Renaissance, was auf eine gesteigerte Nachfrage zurückzuführen ist. Andererseits führt dies zu einer Oligopolisierung der Kontingente in den Presswerken und einer Priorisierung von Großaufträgen von Major-Labels gegenüber Kleinauflagen von Independent-Labels. Mein Bruder hatte vor einigen Jahren versucht, eine limitierte Auflage seiner Band auf Vinyl zu produzieren, aber es war sehr schwierig, einen Auftrag bei einem Presswerk zu erhalten, da seine Band als Independent-Label nur eine sehr kleine Auflage bestellen konnte. Die Presswerke mussten ökonomisch kalkulieren und bevorzugten größere Aufträge. Es ist schade, dass die Schallplatte, die als Medium so viel kulturellen Wert hat, aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen vernachlässigt wird. Es wäre schön, wenn die Presswerke einen Weg finden könnten, um sowohl größere als auch kleinere Auflagen zu produzieren, damit auch Independent-Künstler eine Chance haben, ihre Musik auf Vinyl zu veröffentlichen. Letztendlich sollte man aber auch bedenken, dass es in der heutigen Zeit durchaus sinnvoll sein kann, auf digitale Formate umzusteigen, wie auch mein Bruder und seine Band es schließlich getan haben, um wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Dennoch werde ich weiterhin Vinyl kaufen, da ich die einzigartige Klangqualität und das haptische Erlebnis schätze.
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Großartiger Artikel! Vielen herzlichen Dank!
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