Essentials: Die alternativ-prägenden Tracks des Drum and Bass
Drum and Bass – elektronische Musik für unruhige Beine, Ritalinrezepte und Energy-Drink-Werbungen – klabautert seit 30 Jahren durch Soundsystems. Dabei hatte man Anfang der 1990er Jahre noch nicht mal einen Namen für den Bums. Producer:innen aus England fütterten Funkbeats mit Speed und konterten zu Dub-Spliffs aus der Kolonialgeschichte. Der Rest krachte wie ein Amen ins Gebreak: Mittlerweile closen sogar humorbefreite Düsterdandys ihre Techno-Sets mit Tracks, die zwischen Jungle und Bass an der Verhaltensstörung therapieren.
Throwback in die 1970er: Der Begriff „Drum and Bass” kommt zum ersten Mal in Kingston auf. Manche Dub-Dudes ziehen am Spliff und labeln ihre Reggae-Songs so. Später, in den 1990ern, taucht die Bezeichnung in Pirate Radios in London auf. Drum and Bass stand plötzlich nicht mehr für Munchies und rote Augen, sondern für roughen Funk, den manche DJs „rare groove” nannten. Übrigens: Damals unterschied man nicht zwischen Jungle und Drum and Bass, man hörte „Bass”, war „Junglist”. Wer heute diese Diskussion anreißt, leidet an niedrigem Blutdruck. Schließlich hat Drum and Bass längst seine Roughness, die Ragga-Elemente und Drumbreaks früher Funk-Platten eingebüßt.
Zieht man sich Dokus über die Entstehung von Drum and Bass rein oder wagt sich an einschlägige Literatur von sogenannten Pionieren des Genres heran, hört man vor allem: Männer, die über Männer sprechen oder andere Männer kennen, die irgendwann in den frühen 90ern einen Drumcomputer zum Furzen brachten. Egal ob Fabio and Grooverider, LTJ Bukem, Doc Scott oder Goldie – der Kanon von Drum and Bass liest sich wie die Oberarmabteilung im örtlichen McFit. Weibliche Drum-and-Bass-DJs und MCs wie DJ Rap, Kemistry und Storm, Dark Phoenix oder Deeizm kommen dagegen selten in den Erzählungen vor.
Auf die Gefahr hin, dass vermeintliche OGs an Schnappatmung krepieren: Goldie hat Drum and Bass nicht erfunden. Er datete nur die richtige Frau. Kemistry nahm den Goldzahn 1991 mit auf einen Rave. Später gründete sie mit DJ-Kollegin Storm und Goldie das Label, das heute seine Rentenversicherung ist und für manche als heiliger Gral des Genres gilt: Metalheadz.
Über die Jahre zersplitterte sich D'n'B. Manche aus der Szene drängten in die Charts, andere wollten lieber in der Nische bleiben. Zwischen Hardstep und Liquid Funk liegen ideologische Welten, der Sound klemmte sich manchmal das Messer in die Zähne, schlabberte an Zuckerwatte oder rabimmelrabammelte mit Autodromgequietsche in den Mainstream. Ende der 90er rieselte das Speed aus den Falten, die Party war over. UK Garage hüpfte im dritten Gang ins Formatradio. Drum and Bass knipste vorerst das Licht aus.
Weil der Beat dem Menschen zumutbar ist, erinnern wir uns kurz zurück – und kramen ein paar Tracks raus, die nicht auf den schnarchigen All-Time-Listen des Drum and Bass zu finden sind.
The Invisible Man – On A Mission
1992, die early beginnings: Statt „Terminator” begeben wir uns ‘On A Mission’. Doctor G ist der unsichtbare Mann hinter einer Platte, die mit dem Hardcore-Sound der frühen D'n'B-Jahre alle Vorhänge zuzog. Bleeps kommunizieren mit dem Frontallappen, Breaks säbeln ihn auseinander.
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Am Ende war der Patient tot, die Beine zappelten weiter. Wer wissen will, warum man in den frühen Jahren des Genres keinen Unterschied zwischen Drum and Bass und Jungle machen konnte: Das ist die Antwort, eine Einstiegsdroge in die Dunkelheit, von der sich Drum and Bass nur deshalb entziehen konnte, weil es sich für den Sonnengruß im Yoga-Retreat entschied.
New Direction – Run To Me
Nur DJ Rap weiß, wann sich dieser Mix von ‘Run To Me’ das erste Mal auf einem Teller drehte. Discogs-Archäolog:innen mögen den ersten Fund auf 1993 datieren, weil die „Queen of D'n'B” und Producer Aston Harvey damals aber dermaßen viele Versionen des Tracks auf Dubplates verteilten, kennt sich heute trotzdem niemand aus.
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Fachkreise bestätigen nur, dass der Track aus einer Zeit stammt, in der Computer noch als Durchlauferhitzer für Altbauwohnungen herhielten. Soll heißen: Der Bums ist lange durch, passt mit Bravo-Hits-Gequietsche, Chupa-Chups-Vocals und Moby-Geklimper aber genau in die Playlists unserer Zeit.
M-Beat Featuring General Levy – Incredible
„Booyaka, Booyka!” Ali G war noch gar nicht Indahouse, als der Track 1994 aus Renault-Turbo-Kofferräumen bretterte. Weil man die wichtigste Zeile auch nach 24 Pints akzentbefreit mitgrölen konnte, landete das Ding trotzdem in den Charts.
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General Levy, der über die Amen Breaks von M-Beat manspreadete, trat im Nachmittagsprogramm der BBC auf und glaubte, er sei Gott. Für viele aus der Szene galt ‘Incredible’ deshalb als Kahlschlag von Ragga-induziertem Drum and Bass.
Alex Reece – Pulp Fiction
1995 dachte sich die Szene: Hey, vielleicht sollten wir zur Abwechslung mal das Licht aufdrehen. Alex Reece war der Erste, der in der Dunkelheit den Schalter fand. Er schmiss die Ragga-Vocals aus dem Warehouse-Fenster und entsorgte die düsteren Stabs auf der Clubtoilette.
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Dafür bleachte der Londoner Producer die filetierten Breaks mit Two-Step-Minimalismus und schnappte sich einen Jazztrompeter. Das Genre sei danach nie wieder dasselbe gewesen, sagen jene, die es wissen müssen: 45-jährige Sesselfurzer, die in den YouTube-Comments ihrer Jugend nachheulen.
Ed Rush & Optical – Bacteria
Ende der 1990er schob sich Drum and Bass mit Wattestäbchen-Vibes in die Charts. Producer:innen wie Ed Rush und Optical aus London hatten was dagegen. Sie züchteten ein Virus, der das Warehouse wieder in einen Drum-and-Bass-Hotspot verwandelte.
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Im Wire Magazin nannte man das Infektionsrisiko passenderweise „Neurofunk”. Damit gingen Symptome wie Schlafentzug oder akute Anfälle von Acid-ADHS einher. Dass man einen Techstep später an Wobbel-Dubstep laborierte, wissen heute nur noch Vollimmunisierte.
Squarepusher – Mind Rubbers
Was auch immer an den Synapsen von Tom Jenkinson vorging, als Squarepusher hat er das Game in den Nineties durchgezockt. Der Drumcomputer schwitzte nicht, er stand in Flammen. Die Basslines schnapsten sich mit Chop-Suey-Snares den Headfuck aus.
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Und der Notausgang entpuppte sich als Schleudersitz. In ‘Mind Rubbers’ geht auf, was Drum and Bass im Vorhof des 21. Jahrhunderts ausmachte: Beats, die so coked up waren, dass man sich heute fragt, wie viel Zeug man ballern muss, bis man dazu nicht mehr zappelt wie ein Fisch auf dem Fahrrad.
DJ Danny – On A Mountain
Das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom hatte sich DJ Danny schon in seiner Zeit bei PC Music eingefangen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis er sich an Drum and Bass vergreifen sollte. Das Ergebnis ist ein dreieinhalbminütiger Trip, der sich anfühlt, als würde man als Amen Break wiedergeboren werden.
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Der Track landete mit F1 22 auf der Playsi, der Traumprinz wusste Bescheid. Ob das die OGs des Fachs zufriedenstellt, ist eine andere Sache. Hauptsache wir können uns diesen Bliss von einem Track in Dauerrotation in die Gehörgänge streamen.
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