Minimal Techno: Die essentiellen Tracks des Genres

Minimal Techno: Die essentiellen Tracks des Genres

Features. 23. Januar 2024 | 4,8 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Minimal Techno: „Wie ein mikrobiotischer Virus ist Minimalismus heute überall“, schreibt der Journalist Philip Sherburne 2004. Von den Radiosendern über Galerien bis hin zu Underground-Clubs sei der akustische Minimalismus auf dem Vormarsch. Vor allem in House und Techno. Noch ein paar Jahre zuvor, Ende der 90er, musste alles „harder, faster, stronger“ knallen. In den ersten Jahren des neuen Millenniums änderte sich das plötzlich. In Berlin oder Köln. Aber auch in Frankfurt und Chemnitz hatte sich ein Teil des Techno zurück in den Keller gedrängt. Das neue Ziel: Nicht mehr in die Viva-Charts droppen, sondern subkulturelle Nische zocken.

Davor musste die deutsche Techno-Szene erst untergehen. 2001 verlor die Loveparade ihren Status als politische Demonstration – die Organisator:innen mussten für die Reinigung des Geländes und die Sicherheit der Leute selbst aufkommen. Damit war zu wenig Kohle da, das Konzept nicht mehr zu halten. Ehe man die Hardcore-Zeiten vor dem Brandenburger Tor verscharren konnte, waren die letzten Pillen geschluckt. Wer nach dem Come Down noch immer zu Eurodance oder Trance abging, hatte bei der Gegenbewegung nichts verloren. Minimal Techno war cool und neu. Aber vor allem – anders.

Die Musik veränderte sich aber nicht über die Dauer einer Klubnacht. Verbindungen zu Detroit bestanden bereits Mitte der 90er. Der Tresor promotete eine „Achse“ in den Mittleren Westen. Robert Hood veröffentlichte 1994 sein erstes Album „Internal Empire“ auf dem Label von Tresor. Das Hard Wax, damals wie heute einer der wichtigsten Plattenläden in Berlin, wehrte sich gegen Retortentechno – angetrieben durch Besitzer Mark Ernestus, der auch das Label Basic Channel gründete und mit Moritz von Oswald ein gleichnamiges Dub-Techno-Projekt betrieb.

Techno wurde reifer, wie Paul Kalkbrenner mit Rückblick auf das Gute-Laune-Geballer der Loveparade-Generation feststellte. Der Impuls zum Puristischen dafür kam aus Detroit. Als „elegant minimalistisch“ bezeichnete der Autor Simon Reynolds 1992 Detroit Techno von Derrick May oder Juan Atkins. Er grenzte Techno damit von jener Szene ab, die im UK der frühen 90er als „Ardkore Movement“ die Breaks zerschnipselte und mit Glitches in die digitale Revolution grätschte. Minimalismus war ein Statement dagegen. Eine Position, die nicht darauf aus war, die Leute mit Mickey-Maus-Samples zu verarschen, sondern den Maschinen-Funk der 70er zu revitalisieren, davor aber jede Schraube zu lösen, bis am Ende nur noch das Gerüst übrig blieb.

Schließlich machte man sich in Detroit und Chicago Anfang der 90er auf die Suche nach einer eigenen Ausdrucksform, die auf afroamerikanischer Musikgeschichte baute und in die Tropen des Techno übersetzte. Detroit Techno war Minimalismus. Er folgte einer Formensprache, die auf Drummachines von Roland gründet. Ihren Schaltkreisen entstammt. Und durch Plattenläden wie das Hard Wax in Berlin oder das Delirium in Frankfurt, aber auch durch Labels wie Rastermusik in Chemnitz oder Kompakt in Köln nach Deutschland rüberschwappte.

Trotzdem wurde Minimal Techno gerade in Berlin zum Sound der Nullerjahre. Labelbetreiber wie Frank Bretschneider und Carsten Nicolai (Raster Noton) sowie Marco Haas (Shitkatapult) zogen Ende der 90er in die Bundeshauptstadt. Produzenten wie Ricardo Villalobos und Richie Hawtin fanden dort eine leistbare Wohnung. Und eine Urberlinerin wie Ellen Allien fühlte den Minimal-Vibe, um ab 1999 mit der Gründung von BPitch Control unter anderem die Karrieren von Paul Kalkbrenner, Sascha Funke oder Modeselektor loszutreten.

„Minimal basierte auf einem Skelett“, sagte Autor Tobias Rapp. Man muss sich Zeit nehmen, auf die Langstrecke abbiegen, sich in den meditativen Sog gleiten lassen. „Einfach nur reinzuhören, macht keinen Sinn“, so Rapp. Deshalb präsentieren wir zehn Tracks des Minimal Techno – im Rückblick auf eine Zeit, in der die Vierviertelkick noch nicht mit blinkender Lichthupe über den linken Fahrstreifen donnern musste, um zur Eskalation zu führen. Es ging um den Groove in der Wiederholung, die einen, wie Tobias Rapp meint, „fertig machen kann und glücklich“.

Labgenerator – Tkatz [Shitkatapult] (1999)

Labgenerator, der Cosmick Sucker, veröffentlicht 1999 die erste und einzige EP auf Shitkatapult – dem Label von Marco Haas. Bis heute weiß nur er selbst, wer hinter dem Pseudonym Labgenerator steckt. Egal! Die vier Tracks hungern sich runter, bis von Techno nur noch die Hülle überbleibt.

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ick, Bass, Hi-Hat. Bäm! ‘Tkatz’ hat die Maße eines Junkies, der sich gerade den goldenen Schuss verpasst hat, stampft aber wie ein 120-Kilo-Monster in den Bunker, um die Stahlkappenschuhe in den Beton zu pflastern. Wer das Teil zur richtigen Zeit bringt, reißt alles nieder.

Isolée – Logiciel [Playhouse] (1998)

Playhouse aus Frankfurt spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Minimal Techno. Gegründet von Ata und M/S/O, führte man mit dem Delirium einen Plattenladen, der für die Szene am Main ebenso bedeutend war wie das Hard Wax in Berlin. Dort landeten via eigenem Label frühe Platten von Roman Flügel, Ricardo Villalobos – oder Rajko Müller aka Isolée.

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Letzterer hat mit seinem 2000 erschienenen Album ‘Rest’ das Genre des Minimals mitgeprägt. Bereits 1998 erschien mit ‘Beau Mot Page’ eine EP, für die man die Seifenblasenparty am Privatstrand sausen lässt, um mit ‘Keep on Dancin’ den Auffrischungskurs in Französisch zu belegen.

Thomas Brinkmann – Studio 1 Track 02 Variationen [Profan] (1997)

Profan, Halleluja! Das von Wolfgang Voigt 1993 ins Technoleben gerufene Label hat sich zwar nicht nur dem minimal Möglichen verschrieben. Als 1997 die Studio-1-Variationen in 50 Shades of Regenbogenfarben erschienen, wusste man aber: da schnüffelt jemand am richtigen Stoff.

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Thomas Brinkmann, der von Jaki Liebezeit zur Maschine gezüchtet wird, greift ab den späten 90ern aus Gründen der Bequemlichkeit zum Plattenspieler, zerkratzt Scheiben. Und remixt die Voigtsche Factory in seinen „Variationen“. Das Ergebnis: Techno fürs Zirkeltraining im U30-Kurs.

Magda – Lockjaw [M_nus] (2005)

Magda wurde in Polen geboren, wuchs in Detroit auf und arbeitete mit Richie Hawtin zusammen, bevor er auf Bootspartys Champagner schlürfte. Sie war Teil seines Labels M_nus und folgte ihm nach Berlin. Mittlerweile macht Magda seit 15 Jahren ihr eigenes Ding.

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Das Debüt von damals pickt trotzdem wie Speed am Toilettenboden. Dafür muss man sich nicht erst mit den anderen Tracks der EP Panna Cotta in die Augen schmieren oder den Arsch mit Bass aufreißen. ‘Lockjaw’ kommt auch so mit einem Termin zur Zahnprophylaxe.

Robert Hood – One Touch [Axis] (1994)

Robert Hoods erstes Album erschien 1994 auf Tresor. Im selben Jahr veröffentlichte das Mitglied von Detroits Underground Resistance mit „Minimal Nation“ ein Album via Jeff Mills Axis. Es war eine Platte, die den Diskurs über Minimal Techno aufriss. Keine Breaks, kein Geballer.

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Nur Groove. Und eine 303, die nach zweieinhalb Minuten mitschnattern darf. ‘One Touch’ ist Weltkulturerbe, das in drei Minuten fuffzig mehr Feeling rüberbringt als die gesamte Business-Techno-Fraktion zusammen.

Grenade – Performance Mode 3 [Cadeaux] (2001)

Hier kommt se, die Grenade! Auf strammen 130 Beats in der Minute stakst Paule Kalkbrenner im Performer-Modus auf die Tanzfläche und pumpt erstmal drei Kollegahs um. Nix mit Titten und Trompeten, nur Techno vor dem Tabernakel!

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Und dermaßen viel Bass, dass man mit Vergnügen in die Klangschale scheißt. Leider war der Grenade nur ein kurzes Leben beschieden. Nach einem Release war Sense. 2001 trotzdem ein Performer-Jahr!

Efdemin – Baumgartnerhöhe [Dial] (2005)

Philip Sollmann lebte Anfang der 2000er Jahre für einige Zeit in Wien. Er studierte elektroakustische Musik, wusste aber schon damals, wo an der Donau der Techno wächst. Seit 2004 veröffentlicht er weiter nördlich bei Dial. Unter seinem Pseudonym Efdemin erschien 2005 ‘Bruxelles’ – eine EP, die auf der B-Seite mit Bleeps zur Baumgartnerhöhe abbiegt.

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Damit landet man nicht in der belgischen Hauptstadt, sondern vor den Toren Wiens. Wer sich dorthin verirrt, hat entweder einen Huscher oder zu viel Tagesfreizeit, um sich den Otto-Wagner-Pomp der Jahrhundertwende reinzuziehen.

Ellen Allien – Shorty [BPitch Control] (2001)

Ellen Alliens Albumdebüt bläst 20 Kerzen vom Kuchen. Schließlich erscheint 2001 mit ‘Stadtkind’ ein Bekenntnis. Zu Berlin, der Bravo-Hits-Ästhetik und einem Spagat zwischen Peaktime-Bängern und Gaga-Minimalismus.

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‘Shorty’, der beste Track der Platte, humpelt ohne Hands-up-Momenten auf drei Rimshots über das Parkett, weil: Understatement-Getappse sticht Manspreader-Techno. Definitiv!

Mike Ink – Rosenkranz [Sähkö Recordings] (1994)

Man bringe das Weihwasser, Wolfgang Voigt schenkt seinen Segen auf Mika Vainios Sähkö Recordings! Als Mike Ink, eines der vielen Heilgebete des Kompakt-Kölners, knattert der Drumcomputer 1994 wie ein Pfarrer, der die Hostien mit LSD bestreicht.

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Nach dieser Messe glaubt niemand mehr an Gott, sondern nur noch an Chemie. Ist Mike Ink aber egal. Der lernt zum Runterkommen das Vaterunser auswendig, klettert auf den Altar und setzt zum Rosenkranz an.

Panasonic – Uranokemia [Blast First] (1996)

Apropos Mika Vainio. Der Finne mit dem Hau für Krachiges gründete Anfang der 90er ein Projekt mit dem Ziel, so zu klingen wie Strom. Man steckte Gabeln in Steckdosen und leckte an Verteilerkreisen.

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Nichts half. Bis man auf die Idee kam, sich auf den elektrischen Stuhl zu setzen und den Schalter umzulegen. ‘Osasto’, das 1996 auf einem Label für Noise-Rock erscheint, haut einem alle Sicherungen raus. So nah war die finnische Krawallerie danach nie mehr am Club.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit Axis , Blast First , BPitch Control , Cadeaux , Dial , Efdemin , Ellen Allien , Essentials , Grenade , Isolee , Labgenerator , M_nus , Magda , Mike Ink , Minimal , Panasonic , Playhouse , Profan , Robert Hood , Sähkö Recordings , Shitkatapult , Techno , Thomas Brinkmann

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