Tech House: Die prägendsten Tracks des Genres

Tech House: Die prägendsten Tracks des Genres

Allgemein. 16. Februar 2024 | 4,4 / 5,0

Geschrieben von:
Christoph Benkeser

Tech House ist Techno im Yachtclub, House für den Handy-hoch-Hipster, eine Mischung zwischen vergangenem Erbe und gegenwärtiger Fremdscham. Etwas, auf das sich 25-jährige Segelschuh-Fetischisten genauso einigen können wie linke Demonstrationen zum 1. Mai oder Menschen mit Dachterrassen. Vierviertel-Hüpfen mit Sample-Packs – niemals deep wie House oder dark wie Techno, sondern deren mit Isolierband zusammengepappte Sollbruchstellen. Die solide Akkordarbeit aus Detroit, der entspannte Groove aus Chicago … Mensch und Maschine symbiotisch ver(n)eint?

Als der Sound Mitte der 1990er erfunden wurde, hieß Tech House noch nicht Tech House. Die Acid-Euphorie des zweiten Summer of Loves lag Jahre zurück. Jungle war gerade the big thing. Zwei junge Typen, Nathan Coles und Terry Francis, veranstalteten Partys in Süd-London. Einer ihrer DJs auf den mit Wiggle bezeichneten Events: Eddie Richards. Er zerhäckselte keine Amen-Breaks, sondern spielte eine Mischung aus House und Techno – hart im Nehmen, groovy im Geben. Bongos klapperten über 128 Beats in der Minute. Der Bass jackte die Wände hoch. Immer öfter fragten Leute in Plattenläden nach House mit Techno-Einfluss. Oder eben Techno mit House-Einfluss.

„Dann wurden die Journalisten darauf aufmerksam“, sagte Terry Francis 2014. Schließlich hatten die Promoter:innen einen Sound definiert. Ohne dass sie es wussten. Ohne dass dafür jemand einen Namen gehabt hätte. Wer auf die Idee kam, den Mix aus Techno und House … nun ja, Tech House zu nennen, ist ein Mythos, der bis heute in Erzählungen verwaschen wird. Klar ist: Tech House kam, um unter anderen Vorzeichen zu bleiben. Niemand aus der damaligen Szene spielt heute Plague Raves. Niemand vermarktet seinen Insta-Auftritt. Die einstigen Crews aus dem Süden Londons blieben im Underground, während Copycats mit Sample-Packs um die Welt jetteten.

Inzwischen ist Tech House überall. Im Club auf Ibiza. Am Strand in Mexiko. So weit die Bluetooth-Connection am Smartphone reicht. Die Kicks pumpen stärker als drei Huel-Mahlzeiten auf ex, der Bass brummt aus dem Souterrain, die Shaker haben ihr Ritalin vergessen. Man steppt von einem Fuß auf den anderen, grinst und nennt das Ganze Feiern, während die eine Hand in der Hosentasche klemmt und die andere das Smartphone in die Höhe streckt. Der untergründliche Vibe aus den 1990ern ist in Glitzer, Glanz und Gloria untergegangen. Die Tech-House-Charts auf Beatport sind so divers wie der Parteitag der CDU. Nichts anderes als Business-Tech-House in Slim-Fit-Polos. Der sogenannte Ausverkauf mit Ansage?

Aber Moment mal! Wer die Uhr zurückdreht, findet noch immer Gold für den Dancefloor. Kein Pauschalangebot, bei dem man vor Entsetzen die Finger in die Ohren bohrt. Sondern Sound, der – hach!– für die Ewigkeit gemacht ist. Den man also nur ausgraben muss, um die Sexiness im Techno und die Sinnlichkeit im House zu hören. Und der das Gegenteil von all der Kommerz-Kacke ist, die am Badestrand aus Boxen flötet. Weil der Rückblick gar nicht so leicht fällt, führen euch diese zehn Tracks zum Ursprung von Tech House zurück.

Asad Rizvi – Smiling At The Sun (2002)

Gitarren lecken an Hi-Hats, der Shaker streut Pfeffer in die Arschritze, es ist kurz vor halb sieben und die Sonne blinzelt ins Gesicht. Asad Rizvi treibt sich Mitte der 90er im Dunstkreis des Swag Record Shops in Croydon rum. Er spielt noch Drum ’n’ Bass, als er die Crew um die Wiggle-Partys kennenlernt – der Hotspot für einen neuen Sound.

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Kurze Zeit später rotieren statt Breaks nur noch Kopfnicker-Beats auf seinen Tellern. Tech House war der Sound, der einen smoothen Bogen aus der Nacht in den Tag spannen sollte. Ein Helferlein, um dem mahlenden Kiefer was zum Beißen zu geben. „Smiling At The Sun“ ist alles, was Tech House ausmacht. Das perfekte Intro für die Afterhour!

Paul dB+ – Crazyness of Myself (1999)

1999, Berlin. Ellen Allien gründet ihr Label BPitch Control und schafft damit das Fundament für die Mucke des neuen Jahrtausends. Bereits am Anfang dabei: Paul Kalkbrenner. Damals produziert er als Paul dB+, nur eine Handvoll Leute kennen ihn, seine Mucke pumpt bald zwischen Ostgut und Love Parade. Eine der ersten Platten, die er veröffentlicht, heißt „Friedrichshain“.

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Drei Tracks, die den BPitch-Sound der Nullerjahre vorwegnehmen. Und ein Banger, mit dessen Blaupause er später ganze Stadien füllen wird. „Crazyness of Myself“ spricht die Kalkbrenner-Sprache. Ein Loop, der funktioniert. Vier Sekunden, die hängenbleiben. Kein Wunder, dass er das Ding später nochmal als „Selber“ veröffentlichte.

Gui Boratto – Arquipélago (2005)

Gui Boratto war die brasilianische Bombe, die Kompakt in den Nullerjahren brauchte. Ein Produzent, der mit Melodien hantierte – und das zu einer Zeit, in der alle nur bleepten! „Arquipélago“ schlägt die Brücke zwischen Tech und Progressive House, zwischen Melodie und Bässe-Bouncen.

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Ein Track, der sich aus einem Kokon schält, immer gleißender zu glänzen beginnt und sich bis zur Entpuppung entblößt. Der Track ist in Musik gefasste Masturbation. Eine Offenbarung für alle, die im Sommer 2006 nicht Deutschlandfahnen schwenkend durch Berlin torkelten, sondern lieber in der Panorama Bar schwitzten.

Eddie Richards – Kode2 (1998)

Eddie Richards steht seit über 40 Jahren hinter den Decks. Er hat beide „Summer of Love“ mitgemacht, mindestens einen davon geprägt und kann sich an keinen mehr erinnern. Dabei hat der „Veterane“, der „evil“ bloke und eine der wirklichen „Godfathers“ von House und Techno im UK nie aufgehört, neue Muster zu verfolgen.

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Aus House wurde Rave, aus Rave irgendwann Tech House. Hauptsache das Teil drückte in der Magengrube wie zwei Fish Macs zum Katerfrühstück. „Kode2“ war die Schnittmenge zwischen Ibiza und Croydon. Strand-Feelings auf der A-Seite, Keller-Geschwitze auf der B!

Booka Shade – Silk (1996)

Mit Booka Shade war schon Mitte der 90er nicht gut Mandarinen schälen. Das Berliner Duo um Arno Kammermeier und Walter Merziger kippte lange vor seinem Durchbruch Habanero-Sauce über die Tanzfläche. Scharf musste er sein, der House, mit einem harten Abgang gesegnet und immer darauf aus, am nächsten Tag nochmal ordentlich nachzubrennen.

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Die Melodie ging schließlich schon vor den 2000ern durch den Magen. Auf „Silk“, das 1996 auf dem niederländischen Label Touché erschien, verteilen Booka Shade Hula-Hoop-Ringe, bevor ein durchtrainierter Testosteronbolzen die Willigen mit „Let’s Get Physical“-Geschrei aufscheucht.

Second-Hand Satellites – Orbit 1.3 (2000)

Alle ham’ se das Teil gespielt – Craig Richards, Lee Burridge, Doc Martin. Jedes Tech-House-Set, das um die Jahrtausendwende was von sich hielt, brauchte diesen Track: „Orbit 1.3“ von den Second-Hand Satellites. East-Coast-Realness aus den Divided States of America.

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Was Christopher Milo und Sean Cusick 2000 angriffen, wurde zum Klassiker. Zu dem, was Tech House ausmachte. Und immer noch ausmachen sollte. Heute ist die „Multiple Mirrors“-EP eine Rarität, ein Geheimtipp, ein gottverdammter Banger, den niemand mehr kennt. Deshalb: Technics anfeuern, Platte drauflegen und diese Sounds in die Umlaufbahn pumpen.

M.A.N.D.Y. – Tonite (2003)

Rein in die Siebenmeilen-Sneakers und gleich mal einen auf Forrest Gump machen – mit „Tonite“ von M.A.N.D.Y. fühlt sich selbst der Berliner Halbmarathon wie ein Sonntagsspaziergang mit den Schwiegereltern an. Die Kick prescht nach vorne, die Hats klatschen ins Gesicht, der Gebimmel-Synth zeigt den Weg. Klar, dass die Platte „No Stoppin“ heißt. 2003 kam das Teil raus. Vor Facebook.

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For Instagram. Für Patrick Bodmer und Philipp Jung war der Track die „letzte Ausfahrt vor Hartz IV“. Nach über 17 Jahren spendierte Get Physical dem Track zuletzt ein Remastering. Der Bass drückt seitdem mehr weg als Popeye auf Spinat-Kur. Und hebt sich damit in all der Zeit noch immer von der Bastelgruppe für angewandten Sample-Pack-Tech-House ab.

Ada – Blindhouse (2002)

So deep kann Tech House. Als die Kölner Produzentin Michaela Dippel 2002 ihr Debüt auf Areal Records veröffentlicht, grunzen Basslines unter Synthies, die einem die Ecstasy-Tränen in die Augen treiben. „Blindhouse“ ist Sex on the beach mit Sand in der Arschritze.

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„Wonder why you feel good“, haucht Ada. Was für eine Frage! Dieser Track. Diese Deepness. Wer wissen will, wie feucht der Dancefloor um halb sieben sein kann, muss diese Platte auflegen.

Ricardo Villalobos – Say That You Love Me (1996)

Hört ihr die Signale? Eine der ersten Villalobos-Veröffentlichungen crashte 1996 aufs Kasseler Label HØR|$PIEL|MUS!K. Der Chilene war damals keine 30 und schmierte zum Frühstück schon fleißig Nutella-Stullen im Herzen der BRD. Damals war Kassel noch was auf der Techno-Karte.

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Das Stammheim war eine Pilgerstätte und neben dem Tresor in Berlin und dem Dorian Gray einer der bekanntesten Clubs in Deutschland. Villalobos drehte dort regelmäßig Platten, bevor es ihn 1997 nach Ibiza zu Sven Väth zog. „Say That You Love Me“ ist ein Zeugnis dieser Zeit vor Strandpartys und Schampusflöten. Das Frühstück hat sich der Gute danach abgewöhnt.

Terry Francis – Reggae’s House (1997)

Eine Tech-House-Liste ohne Terry Francis ist keine Liste. Der Typ war Tech House. Ist Tech House! Einer, der die Grenzen zwischen Detroit und Chicago auslotete und sie nach Süd-London verfrachtete, um dort seine Cuts an Soundsystems zu verfüttern. Nichts anderes als eine Legende, die heute niemand mehr im Sinn hat, wenn Loco Dice auf Plague Raves seine USB-Sticks verglüht.

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„Reggae’s House“ erschien 1997 und grub sich einen Keller. Wenn nach zweieinhalb Minuten der Subbass einsetzt und das Teil auf den Kopf stellt, es in eine andere Dimension beamt und später die Dub-Akkorde auspackt, spielt das Raum-Zeit-Kontinuum verrückt. Wer nach Waffen für Closing-Sets sucht, ist hier genau richtig.

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