Dokus über Clubkultur und Feiern: Unsere Essentials

Dokus über Clubkultur und Feiern: Unsere Essentials

Allgemein. 11. Oktober 2024 | 4,8 / 5,0

Geschrieben von:
Kristoffer Cornils

Musik-Dokus gibt es wie Sand am Meer und in ein paar Jahrzehnten haben sich auch einige von ihnen zum Thema Dance Music angesammelt. Ob sie die Geschichten einzelner Genres wie Disco, House, Techno, Jungle oder Gabber beleuchten, legendäre Clubs wie das Loft in New York zu ihren Protagonisten machen, Figuren wie Richie Hawtin und anderen folgen, die Szenen bestimmter Städte oder Länder präsentieren, Labels wie Metalheadz oder Sähkö in den Fokus nehmen oder, oder, oder: Wer sich zu diesem oder jenem Aspekt unserer Szene informieren möchte, wird meistens schnell auf den einschlägigen Streaming-Plattformen fündig.

Was aber macht eine gute Dokumentation aus? Darüber lässt sich nicht nur in Hinsicht auf Musik und Subkultur trefflich streiten. Unsere Auswahl von sechs essenziellen Dokumentationen zum Thema House, Techno, Ricardo Villalobos, belgischer Dance Music, Gabber-Mode und elektronischer Musik im Allgemeinen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wohl aber ist ihnen eins gemeinsam: Sie wissen die Leidenschaft zu vermitteln, von der Musik und Kultur angetrieben wird. Und weil es mit nur sechs Dokumentationen zum Thema Rave und allem drumherum niemals getan wäre, wird jeder Eintrag von ein paar weiteren Empfehlungen abgerundet.

Modulations: Cinema for the Ear (1998)

"Die Welt ist Chaos", lässt Genesis P. Orridge das Publikum von Iara Lees Dokumentation 'Modulations: Cinema for the Ear' schon am Anfang wissen und das darf gerne als programmatisches Motto für die folgenden 80 Minuten genommen werden. Der Film hat die Aufbruchstimmung und die Zukunftsängste einer Welt kurz vor dem Eintritt ins nächste Jahrtausend in sich aufgesogen. Dementsprechend sprunghaft und heterogen ist er: Hier sinniert Robert Moog über ein Thema, dort Autechre übers nächste und dazwischen sind verwackelte Videos von Noise-Konzerten oder Großraum-Raves zu sehen. Und zwischendurch brät Squarepusher ein Spiegelei mit Speck.

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Das macht 'Modulations' nicht unbedingt zu einer lehrreichen Dokumentation, selbst wenn sie zwischendurch lose die Geschichte von Disco zu Techno und anderen Stilen zusammenfasst. Doch spiegelt dieser dichte Flickenteppich aus Gedanken, Bildern und Tönen in seiner Form eindrücklich das wieder, was es darstellen soll: Eine Welt im Umbruch, ungezügelt und voller Leidenschaft für all die neuen, aufregenden Sounds und Farben. Ein begleitendes Buch dazu wurde übrigens im Jahr 2000 veröffentlicht. 'Modulations: A History of Electronic Music: Throbbing Words on Sound' wurde von Peter Shapiro herausgegeben und versammelte Texte von unter anderem Kodwo Eshun und Simon Reynolds.

Ähnlich wild geht es im Film 'Better Living Through Circuitry' zu, der ein Jahr später erschien und einen noch deutlicheren Fokus auf die Rave-Szene der neunziger Jahre legte.

Pump up the Volume: A History of House Music (2001)

Geordneter geht es da beim Mammutprojekt 'Pump up the Volume: A History of House Music' zu. Die dreiteilige Serie des britischen Senders Channel 4 hat eine Gesamtlänge von stolzen zweieinhalb Stunden und erzählt in den Worten vieler wichtiger Szenefiguren von Jamie Principle hin zu Carl Cox minutiös die Geschichte davon nach, wie House als 'Disco’s Revenge' erst in den Clubs von Chicago geschmiedet wurde, in England den "Second Summer of Love" lostrat und dann langsam aber sicher den internationalen Mainstream für sich vereinnahmte.

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'Pump up the Volume' vollzieht nicht allein die Genese eines Genres nach, sondern präsentiert auch einen Moment in der Musikgeschichte, in dem DJs zu Superstars wurden. Das macht diese umfassende Doku-Serie zu einer wichtigen Intervention, die an die Vorgeschichte und die Wurzeln von House erinnert: die queere Community der New Yorker Disco-Szene, die schwarze Bevölkerung Chicagos. Da es sich um eine britische Produktion handelt, nimmt die Serie jedoch vor allem den transatlantischen Austausch und den britischen Anteil an der House Nation in den Fokus. Dennoch: Wer nach einer erschöpfenden Einführung in die House-Geschichte sucht, kommt an 'Pump up the Volume' nicht vorbei.

Noch nicht genug? 'I Was There When House Took Over the World' sollte Abhilfe verschaffen, genauso wie 'Maestro' oder 'From Jack to Juke' ein paar Lücken vor und nach diesen beiden Dokumentationen füllen sollten.

High Tech Soul: the Creation of Techno Music (2006)

Dasselbe lässt sich von der fünf Jahre später veröffentlichten Dokumentation 'High Tech Soul: the Creation of Techno Music' sagen. Nur ist das Genre ein anderes und seine Entstehungsgeschichte etwas weniger unübersichtlich, als es bei House der Fall ist. Die Dokumentation von Gary Bredow ist mit nur einer Stunde Laufzeit recht kurz, lässt aber dennoch einen Englischprofessor wie die Crème de la Crème der Techno-Szene zu Wort kommen, um vor allem über die Stadt zu reden, in der Techno seinen Anfang nahm. Die politischen, sozialen und ökonomischen Umstände, unter denen die Motor City zur Techno City wurde, werden ausführlich diskutiert – ausführlicher fast als die Musik, die dabei entstand. Fast. Denn natürlich geht es ebenso um die Belleville Three, um Underground Resistance, Richie Hawtin und die Bindung zu Berlin.

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Was 'High Tech Soul' jedoch zu einer besonderen und besonders exzellenten Dokumentation macht, ist, dass sie eben nicht nur Daten aneinanderreiht, sich von diesem zu jenem Release hangelt. Sondern dass sie Techno als kulturelle Bewegung in ihren regionalen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext stellt. Wobei sie allerdings, nebenbei gesagt, auch einen fantastischen Job damit erledigt, die wichtigsten Informationen zur Entwicklung der Szene, der Meilensteine des Genres und Einflüsse in kürzester Zeit konzise vorzustellen. Selbst The Electrifying Mojo, eine Stifterfigur für die erste Techno-Generation, hat einen Auftritt – hinter einer Schattenwand, versteht sich allerdings.

So viel zu Techno made in Detroit. Aber was ist mit Berlin und Deutschland? Dazu seien 'Sub Berlin – The Story of Tresor' und 'We Call It Techno' empfohlen.

Villalobos (2009)

Wie lässt sich das Geschehen einer Clubnacht aus der Perspektive eines DJs darstellen? Einfach nur ein Meer aus Köpfen und empor gerissenen Armen tut es schlicht nicht. Im Jahr 2009 fand Romuald Karmakar eine ebenso simple wie geniale Antwort auf diese knifflige Frage: Es geht gar nicht so sehr darum, was die ZuschauerInnen sehen – sondern um das, was sie hören. Dass der Regisseur von 'Der Totmacher' einen Auftritt Ricardo Villalobos‘ in der Panorama Bar des Berghains mitschneiden durfte, war bereits spektakulär genug. Dass er allerdings in der Tonspur das laufen ließ, was über die Kopfhörer Villalobos‘ zu hören war, gab der Dokumentation über den chilenischstämmigen Star der Berliner Marathon-Rave-Szene das gewisse Etwas mit: Hören, was Ricardo hört – ohne Kommentare und Einordnungen aus dem Off.

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Nicht nur sein Ohr, sondern ebenso seinen Blick für Clubkultur hatte Karmakar bereits im Jahr 2003 mit dem Film '196 bpm' bewiesen, in dem DJ Hell als einer der Stars auftauchte. Mit 'Villalobos' untermauerte er seinen markanten Stil mit noch längeren Einstellungen, die bisweilen gar nichts erzählen sollen, sondern das Geschehen vielmehr erlebbar machen wollen. Acht Jahre nach Veröffentlichung von 'Villalobos' anno 2006 traf Karmkar übrigens erneut auf den DJ, den er gemeinsam mit Sonja Moonear, Ata, Roman Flügel und Move D in 'Denk ich an Deutschland in der Nacht' vor die Kamera holte. David Moufang stahl dabei mit einem schrägen philosophischen Monolog an einem Apfelbaum allen die Show. Das kann auch nur in einem Karmakar passieren.

Noch nicht verballert genug? Dann solltet ihr unbedingt mal bei 'Feiern – Don’t Forget to Go Home' reinschauen oder in der Bar 25 ein paar 'Tage außerhalb der Zeit' verbringen.

The Sound of Belgium (2012)

Worum geht es beim Tanzen? Um die Freiheit natürlich. Mit seiner Dokumentation 'The Sound of Belgium' aus dem Jahr 2012 fängt Regisseur Jozef Deville deshalb bei der Schlacht von Waterloo an, in der sich Europa von Napoleon befreite, und macht dann mit dem Aufbau des Verkehrsnetzes eines kleinen Landes weiter. Warum? Weil das den Beginn einer neuen belgischen Bewegungsfreiheit markierte. Bald reihten sich die ersten Tanzlokale entlang der Autobahn, der Weg für die spätere Rave-Szene des Staates war damit buchstäblich geebnet.

In weniger als anderthalb Stunden geht es in 'The Sound of Belgium' aber natürlich vor allem um die Musik der achtziger und neunziger Jahre. Um EBM also und den Aufstieg und Fall des Eurodance-Vorläufers New Beat, um belgischen Techno und wie die Freiheit der Tanzenden abrupt von einer konservativen Regierung beschnitten wurde, als die Raves aus dem Ruder liefen. Es geht, kurz gesagt, ums Ganze in 'The Sound of Belgium'.

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Die gerne in den gängigen Geschichtsschreibungen der Dance Music übersehene Relevanz des Landes wird umso mehr von drei an Devilles Dokumentation angelehnte, umfassende Compilations auf dem Label La Musique Fait la Force weiter unterstrichen.

Und was ist mit anderen Ländern und regionalen Szene? In 'Italo Disco Legacy' wird einem maßgeblichen Genre der achtziger Jahre (und seinen Verbindungslinien nach Dänemark) gehuldigt, 'The Summer of Rave 1989' und 'Everybody in the Place – An Incomplete History of Britain 1984 -1992' werfen einen Blick auf den Acid-House-Craze in Großbritannien. Und weil’s nicht immer nur Europa sein muss, empfehlen wir noch 'Raving Iran' und 'Woza Taxi', letzteres über die Gqom-Szene Südafrikas.

Uniform – The Dress Code of the Dutch Hardcore Cult (2017)

Von Belgien ist es nicht weit bis in die Niederlande und auch zwischen belgischem Techno und dem Sound von Rotterdam liegt nicht gerade eine Welt. Doch stellt Gabber in der Geschichte der Dance Music eine Anomalie dar: Kaum eine andere Subkultur wird dermaßen universell verachtet und verlacht. Vielen Dokumentationen über die Szene ist das anzumerken. Gerne führen sie Gabber-Fans und ihre Leidenschaft genüsslich vor, anstatt sich inhaltlich oder kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.

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Der Dokumentation 'Uniform – The Dress Code of the Dutch Hardcore Cult' gelingt es in nur rund 34 Minuten, die Geschichte eines Genres zu erzählen und sich dabei ihrer Essenz über eine scheinbare Nebensache zu nähern: den szenetypischen Klamotten, vor allem Trainingsanzüge und Sneaker. Davon ausgehend entfaltet sich das Bild einer nerdigen und liebevollen Subkultur, die in der Arbeiterklasse einer Industriestadt ihren Anfang nahm und seitdem um die ihr zustehende Anerkennung kämpft. 'Uniform' bietet ein differenziertes Bild auf eine Szene, die keineswegs zu Unrecht gerne ihres Testosteronüberschusses wegen aufs Korn genommen wird und die doch komplexer ist, als viele meinen.

Uniform ist somit eine mehr als spannende Ergänzung zu der essenziellen Lola-da-Musica-Dokumentation 'Gabber' von 1995 oder 'Gabbers!' aus dem Jahr 2013.

Veröffentlicht in Allgemein und getaggt mit A History of House Music , Ata , Bar 25 , Clubkultur , DJ Hell , Dokumentation , Elektronische Musik , High Tech Soul , Jozef Deville , Modulations: Cinema for the Ear , Move D , Pump up the Volume , Roman Flügel , Romuald Karmakar , Sonja Moonear , the Creation of Techno Music , The Dress Code of the Dutch Hardcore Cult , The Sound of Belgium , Uniform , Villalobos

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