Italo Disco Essentials: Glitz, Glamour & La Dolce Vita
Italo Disco steht wie kaum ein anderes Genre für die schillernde Aufbruchsstimmung der frühen achtziger Jahre, für den naiven Optimismus eines ganzen Jahrzehnts. Dabei war der eigentlich angesichts der historischen Situation Italiens Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre schlicht unangebracht. In den anni di piombo kam es seit den Sechzigern in der Republik nicht nur zu verheerenden Wirtschaftskrisen, es flog auch jede Menge von dem titelgebenden Blei durch die Luft. 1978 wurde der Politiker Aldo Moro ermordet, 1980 starben 85 Menschen bei einem Bombenanschlag auf eine Bahnstation in Bologna.
Und doch: Italien tanzte zu den neuen, slicken Rhythmen, säuselte mit breitestem Akzent schiefe englische Sätze vor sich hin und eroberte damit die Welt. Das gleichermaßen von Kraftwerk, Synth Pop, elektronischem US-amerikanischen und europäischen Disco von jeweils Patrick Cowley oder Giorgio Moroder beeinflusste Italo Disco feierte zwischen 1980 und 1985 eine Hochphase, während derer vor allem der reiche Norden und weniger der geografisch ebenso wie ökonomisch abgeschnittene Süden eine Reihe von Hits hervorbrachte, die in luxuriös aufgemachten Clubs rauf und runter liefen. Vor allem in Deutschland wurde der neue Sound des beliebten Urlaubsorts mit offenen Armen empfangen. Bernhard Mikulski vom einflussreichen Label ZYX wird sogar die Autorschaft für den Begriff Italo Disco zugeschrieben. Doch auch anderswo trieb Italo Disco seine Blüten. Ob nun in den Niederlanden, in Nordamerika oder sogar in Japan, Brasilien und noch weiter entfernten Ecken der Welt: Italo Disco wurde nachhaltig zum internationalen Phänomen.
Eine Geschichtsschreibung von Italo Disco ist deshalb schwierig, weil in kürzester Zeit von einer Vielzahl von verschiedenen ProduzentInnen hunderte von Tracks veröffentlicht wurden. Da die Produktionsmittel – Drummachines, Synthesizer, Vocoder und so weiter – Anfang der achtziger Jahre erschwinglich geworden waren, wurde die Produktion des Chart-Hits aus dem Schlafzimmer heraus endlich eine Möglichkeit. Auch war Italo Disco vor allem Clubmusik und somit weniger als klassischer Pop an Personen gebunden. Valerie Dore zum Beispiel, die wohl bekannteste Italo-Ikone, hieß eigentlich Monica Stucchi – und Stucchi wiederum war auf den meisten ihrer frühen Songs gar nicht zu hören, sondern mimte nur für die Kameras die Sängerin. Zudem erstreckt sich das Erbe von Italo Disco, das immer wieder kleine Revivals erlebte und in den letzten Jahren dank Dokumentationen wie Italo Disco Legacy wieder verstärkt rezipiert wird, über viele Kulturen, Länder und Genres hinweg.
Doch wie entstand Italo Disco, wie gestaltete sich seine Transformation und wohin führte der Weg? Diese sechs essenziellen Tracks gehören nicht zu den Klassikern des Genres, die anderswo ausführlich dokumentiert sind. Stattdessen sind sie von den Italo-Disco-Vorläufern hin zur aktuellen Italo-Hommage eine kleine alternative Geschichtsschreibung von Glitz, Glamour und La Dolce Vita zu verstehen.
Marcella Bella – Nessuno Mai (1974)
Marcella Bellas 'Nessuno Mai' stellte die Blaupause für den 'rock elettronico', wie Italo Disco anfangs im eigenen Land genannt wurde. Der im Jahr 1974 auf ihrem Album Metamorfosi veröffentlichte Song setzt als einer der ersten im italienischen Raum auf eindeutige Disco-Elemente, schlägt aber dank Synthesizer-Einsatz und unnachgiebigen Drummings bereits deutlich den Kurs in Richtung Italo-Disco-Ära ein. Gemeinsam mit Raffaella Carràs 'Rumore' und Lucio Battistis 'Due mondi' oder später Loredana Bertè und vor allem Mina wurden so die Grundpfeiler für Italo Disco gelegt, bevor Drummachines und Synthesizer ihren Siegeszug antreten sollten und sich der Sound ausgehend von den Produktionen Giorgio Moroders – dem Pass nach auch ein Italiener, der allerdings nie als Italo-Disco-Produzent in Erscheinung trat – veränderte.
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Alan Sorrenti – Figli Delle Stelle (1977)
Zuerst formierte sich sowieso eine visuelle Ästhetik heraus. Seinen wirklichen Anfang fand Italo Disco der bisweilen widersprüchlichen Geschichtsschreibung zufolge im Jahr 1977. Neben Donatella Rettores 'Splendido splendente' war vor allem Alan Sorrentis 'Figli Delle Stelle' ein herausstechender Song – allein schon, weil er den später in Italo Disco so prominenten Konnex zwischen Liebe und dem Weltall nicht nur in seinen Lyrics konsequent zum Ausdruck brachte: Das Video zum Funk-orientierten Disco-Stück ist ein Paradebeispiel des Low-Budget-Romantizismus, der für Italo Disco so stilprägend werden sollte. Obwohl die Farben noch nicht ganz so grell leuchten wie in der ersten Hälfte des kommenden Jahrzehnts: Das ganze Pathos der Achtziger wird in knapp viereinhalb Minuten in Reinstform ausformuliert.
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Passengers – Midnight (1981)
Nachdem bereits das Duo La Bionda mit Proto-Italo-Disco-Elementen und der englischen Sprache experimentierten und in beiden Fällen zu durchaus ambivalenten Resultaten gelangte oder Projekte wie Kano sich einen Namen machten, blühte Italo Disco stilistisch im Jahr 1981 mit 'Midnight' von der Band Passengers endgültig auf – englische Vocals und ein eher ominöser Text inklusive. Im Vordergrund stand aber sowieso der hartnäckige Beat, die grellen Synthesizer-Flächen und die dröhnende Bassline. Dass hier noch Gitarren zu hören sind, liegt am Einfluss der wenige Jahre zuvor aufgekommenen New-Wave- und der aktuell zu diesem Zeitpunkt virulenten New-Romantic-Bewegung aus den USA beziehungsweise Großbritannien. Zugleich legten Passengers durch ihre Veröffentlichungen auf dem kanadischen Label Uniwave den Grundstein für die Italo-Rezeption bei Projekten wie dem Hi-NRG-Projekt Lime oder den eher wavigen Rational Youth.
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Koto – Champion’s Cue (1990)
Spätestens ab 1982, der Veröffentlichung von Gazebos 'Masterpiece' oder Klein & MBOs 'Dirty Talk' also war Italo auf dem absoluten Höhenflug. 1983 folgten mit etwa My Mines 'Hypnotic Tango' und Alexander Robotnicks 'Problèmes d’amour' oder Flagios 'Take a Chance' Stücke, welche die Ästhetik des Genres zur Vollendung bringen sollten. Wenige Jahre später schien das goldene Zeitalter zwar vorüber, doch näherte sich Italo Disco den neu aufkommenden House- und Techno-Sounds an, während in den USA das Genre seinerseits (wie im Falle von Jamie Principles, der sich für 'Your Love' relativ großzügig bei Electra feat. Tara Butlers 'Feels Good' bedient hatte) mit Interesse verfolgt wurde. Koto gründeten sich bereits 1982, hatten mit 'Chinese Revenge' einen veritablen Italo-Disco-Hit abgeliefert und 1986 mit 'Jabda' einen Beitrag zum Spacesynth-Hype gelegt, versuchten 1990 aber nochmal einen Crossover-Erfolg zu forcieren: 'Champion’s Cue' brachte Italo Disco, Spacesynth und House Music zusammen und garnierte das alles mit Billard-Sounds und ein bisschen Pub-Geplauder.
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Double You – Please Don’t Go (Club Mix) (1992)
Das Ende der Italo-Disco-Ära wird gemeinhin auf das Jahr 1991 datiert, als selbst das für Italo Disco führende deutsche Label ZYX seine erfolgreiche Boot Mix-Serie mit der 16. Ausgabe einstellte. Doch ebendort wurde im Januar des Folgejahres die vielleicht perfekte Coda auf das Italo-Disco-Jahrzehnt veröffentlicht: 'Please Don’t Go' lautete schließlich der Titel von Double Yous erster Single, ein KC-and-the-Sunshine-Band-Cover, das zu einem internationalen Eurodance-Hit mit besonderer Bedeutung für die italienische Leitkultur wurde. Es wurde der Signature Tune der populären Nachmittagssendung Non è la RAI, in der die Moderatorin Ambra in einer Folge aus dem Jahr 1994 verkündete, dass Gott höchstpersönlich für Berlusconi und nur der Teufel für seinen Konkurrenten in der kommenden Parlamentswahlen votieren würde. So oder so: Anders als klassischer Italo oder auch Dream House trug 'Please Don’t Go' den exuberanten Italo-Sound ein letztes Mal erfolgreich in die weltweiten Charts.
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The Hacker – You (2014)
Während Italien im Miteinander von zunehmender Neoliberalisierung und rechtskonservativer Politik während der neunziger Jahre zunehmend den Bach runterging, erlebte Italo Disco gegen Ende des Jahrzehnts immerhin ein kleines Revival. Verdanken war dies ausgerechnet Modern Talking, zumindest im Mainstream. Im Underground blieb Italo Disco ein beständiges Thema, vor allem in den Niederlanden und Frankreich, wo mit French Eurodisco sogar eine Art Regionalableger ein kurzes Leben geführt hatte. Während DJs wie I-F mit seinem Mixed Up in the Hague Vol. 1 Mix beziehungsweise sein Label Viewlexx von Den Haag weiterhin aus die Fahne für Italo Disco hochhielten, war es in Frankreich Michel Amato, besser bekannt als The Hacker. Der Electroclash-Sound, den er gemeinsam mit Miss Kittin populär machte, wäre ohne Italo nicht denkbar gewesen. Kein Wunder also, dass er selbst im Jahr 2014 auf dem Album Love/Kraft mit 'You' einen perfekten Italo-Disco-Smasher mit Spacesynth-Feeling nachlieferte. Fand auch das Label Private, welches das Stück 2017 auf den Soundtrack zur Dokumentation Italo Disco Legacy zwischen Klassikern von Wanexa und anderen aufnahm.
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Essential Clothing - Can't Decide
Was hörst du so für Musik? Eine kleine aber essentielle Frage, die oft als Gesprächsöffner dient und zumeist in langen Gesprächen endet. Denn die Liebe zur Musik ist Ausdruck unserer Persönlichkeit und verbindet uns mit anderen. Aline Piplies und Marvin Uhde nahmen diese Frage als Anlass und gründeten das Modelabel Can't Decide. Die beiden Designer aus Leipzig sind tief verwoben mit der elektronischen Musik und der dazugehörigen Subkultur und arbeiteten unter anderem mit Perel, dem Institut für Zukunft oder dem Nachtidigital Festival. Mit ihren handbestickten Pullovern, T-Shirts und Hoodies kann man die eigene Genrezugehörigkeit und Verbundenheit zur elektronischen Musik nach außen tragen. Techno, Gabber, Ambient oder direkt alles? Well, can't decide! Und deshalb gehört auch der Italo Disco Sweater in unsere Essentials:
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Mehr InformationenSpotify
Viele der Klassiker, die in unseren Essentials aufgeführt werden, lassen sich aufgrund ihres Alters oder Nischenstatus nur über YouTube finden, daher verwenden wir in unserer Auflistung überwiegend diese Plattform. Um aber auch mobil einen leichten Zugriff zu haben, tragen wir bei Spotify auffindbare Tracks in thematischen Playlists zusammen und ergänzen diese um weitere Beispiele aus dem jeweiligen Genre.
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