Feiern ab 30: "Stehen Sie auch an?"

Feiern ab 30: "Stehen Sie auch an?"

Features. 23. März 2025 | 4,2 / 5,0

Geschrieben von:
Nastassja von der Weiden

Auf neonfarbenes Papier gedruckt: Ü30 Party. So großformatig wie Verkehrsschilder, plakatiert am Straßenrand einer Kleinstadt nähe Frankfurt. Das ist das, woran ich denke, wenn es um "Feiern ab 30" geht.

Mit 18 dachte ich mir dabei immer nur: Wtf. 30. Voll alt. Und dann habe ich mir eine Art Schlagerparty mit toupierten oder wahlweise gegelten, blond-gesträhnten, frechen Frisuren, viel Rouge und Hemden, die in Hosen gesteckt werden, vorgestellt. Heute bin ich sicher, ich habe mir damals 50-jährige Leute einer After-Deutsche-Bank-Aktionärs-Veranstaltung vorgestellt, wahrscheinlich. Das weiß ich, weil ich keine freche Frisur trage sowie keine Aktien, nicht mal eine einzige, besitze und mittlerweile 34 bin. Wtf. Voll alt. Oder? Nun ja – ja, irgendwie schon, irgendwie nein. 

Zum eigentlichen Thema: Clubkultur ist Gegenkultur. Und Jugendkultur. Eine Frage, die ich mir schon mit Ende 20 gestellt habe, ist: Kann man im Club überhaupt alt werden? Also, bleibt man vielleicht einfach für immer jung, wenn man in Clubs geht? Oder gehen Ältere einfach nicht mehr in Clubs, weil – ja, warum eigentlich? Weil sie "zu alt" sind? Wird ab einem bestimmten Alter einfach ein Schalter umgelegt und zack, hat man eine aufklappbare Handyhülle und hört nur noch Radio (am liebsten das Beste der 80, 90er und 2000er)? I don’t think so. 

Aber die Normalverteilungskurve in puncto Feiern und Alter zeigt, dass es natürlich an den Rändern ein paar wenige Menschen gibt, die entweder jünger als 18 oder älter als 50 sind. Gefeiert wird in Clubs aber vornehmlich von 18 bis 40 Jahren, zeigt eine Studie unter Berliner Clubs aus dem Jahr 2019. Das stimmt soweit auch mit meiner Beobachtung des Nachtlebens überein, ich würde es sogar auf einen Kernbereich von 18 bis 25, 26, 27 ziehen. Mit Mitte 30 und 40 darf man sich schon zu den Ausnahme-Ältesten zählen, manchmal. Und das ist okay, nur ist es auch, sagen wir, ungewohnt. Die Gemeinsamkeiten im Publikum konzentrieren sich damit viel eher auf den Moment, auf die Musik und weniger auf ein Gefühl von gemeinsamer Generation und Lebensumstände.

An der Tür: Bin ich zu alt für Techno?

Feiern gehen war und ist ein großer Teil meiner Freizeit. Ob nun wirklich physisch vor Ort im Club mit Freund:innen oder als entkoppelter, geistiger Vorgang auf der heimischen Couch. Ständig denke ich an "das Feiern", "die Clubkultur", "Clubsterben und Krise". Was passiert in meiner Stadt, in Leipzig, in Berlin, in Wuppertal; was eröffnet, nein, pardon, wohl eher: Was schließt wo, wie war’s denn überhaupt so, welche Anlage und welche Crew, wer weiß was über welchen Flurfunk? Das sind bequeme Gedanken, sie sind da und es lassen sich Texte und Beiträge darüber schreiben. Fein. Wenn es um das wirkliche Ausgehen geht, frage ich mich darüber hinaus: Was ziehe ich an, was nehme ich mit, wie lange kann ich bleiben, wer begleitet mich, brauche ich Gehörschutz? 

Und mit jedem Jahr weiter über der 30, frage ich mich: Bekomme ich aus irgendeiner verwinkelten Ecke noch Gästeliste? Denn: Komme ich sonst auch wirklich problemlos rein? Die Frage stellen sich etliche Menschen aus unterschiedlichen Gründen, natürlich. Bei einigen Clubs ist die Türpolitik weitgehend bekannt und man weiß, was man von den Türsteher:innen erwarten kann. Wünschenswerterweise keine Diskriminierung aufgrund von Herkunft, Queerness oder Alter; es kommt laut Selbstauskunft vieler Türsteher:innen eben auf den Vibe an. In einer idealen Welt wäre es so, nur leider ist diese Welt nicht ideal. Aufgrund äußerlicher Faktoren, die irgendwie herausstechen, abgewiesen zu werden, ist nie nie nie niemals schön. Aber es passiert eben, kann passieren, wird passieren. Wobei ich, sicher von der Couch aus, denken könnte: Dann soll es eben nicht sein, denn die Türsteher:innen wissen, was sie tun und kuratieren nach erprobten Kriterien.

In der Clubschlange selbst kann ich vielleicht noch Gedanken dieser Art reaktivieren, nur mischt sich Unwohlsein darunter. Und da bin ich einfach ehrlich, die mögliche Abweisung aufgrund des "Du-passt-nicht-mehr-hierher" ist schon nicht so geil, eher kleine Panik, minimal Krise. Sagen auch einige meiner Freund:innen, die bereits 30 sind. Mein bewährtes Gegenmittel: Mit einer kleinen Gruppe zusammen hingehen. Kein einsamer Walk of Shame, wenn es nicht klappen sollte, dann wird eben neu gedacht oder man geht in eine Bar. Und, das stimmt auch, in den meisten Clubs, die mich interessieren, ist die Sorge unbegründet, wegen des Alters nicht reinzukommen. Ich weiß aber, dass das Gedanken sind, die man haben kann und darf. Das gemeinsame Hingehen hat so oder so viele Vorteile und im Club darf auch gern jede und jeder stundenlang abtauchen, aber so ist es für mich ein Gedanke weniger, dem ich beim Schlangestehen Raum gebe; und damit eine echte Entlastung. Und das Anstehen ist auch nicht so schweigsam. Win-win also. 

Unausweichlich: Gesundheit und Verantwortung

Der 30. Geburtstag ist für viele etwas sehr Besonderes und wird groß gefeiert. Ein runder Geburtstag, mit dem man sich der fiktional oft absurd komisch verarbeiteten sogenannten "Midlife Crisis" (die es ja wirklich gibt) nähert. Mit 30 kommen dann auch Gesundheit und Verantwortung als riesige Buzzwords auf uns zu. Vielmehr werden sie freigelegt. Sie waren immer da, aber jetzt nehmen wir sie wahr. Es mag Menschen geben, die auch mit 30 keine schmerzenden Füße, empfindliche Nacken und Rückenschmerzen haben. Die Marathon laufen könnten, wenn sie wollten und nicht vorher mit dem Rauchen aufhören müssen. Die Verantwortung im Job, für ihre Freund:innen, für ihre Familie und den Party-Drogenlifestyle easy peasy lemonsqueezy unter einen Hut bringen. Spoiler: Ich zähle nicht dazu.

Und die Interessen verlagern sich, spätestens wer Kinder hat oder sich in Co-Parenting übt, wird das wissen. Die Gelüste sind andere. In Berlin scheint ein Eggdrop-Sandwich genauso viel Faszination auszulösen wie das stille Wasser aus der Berghain-Tränke. Vergleicht man die Länge der Schlange, Kosten und Zeit – Fine-Dining, Coffee-Barista-Cuisine und Töpferkurse, ja, das konkurriert ab einem gewissen Alter miteinander. Zu Recht, macht alles Spaß und Musik hören kann man ja immer noch, zu Hause, in der U-Bahn, unter dicken Kopfhörern mit Noise Cancelling. Oder? Na ja, ganz so einfach ist es eben nicht und das streckenweise Loslassen des Nachtlebens kann zu zynischen Bemerkungen und Selbst-Kommentierungen im Leben ab 30 führen. Habe ich gehört.

Wer es trotzdem ab und zu tut, das Feiern in Clubs, merkt, dass eine Nacht ohne Schlaf und mit viel Alkohol und Tabak, gegebenenfalls noch dem ein oder anderen Pülverchen, Spuren hinterlässt. Vor allem kostet das Feiern Zeit. Nicht nur in der Nacht, sondern danach. Nachgelagerte Erholungszeit, die womöglich gar nicht drin ist. Nicht mehr. Denn mit 30 ist man schon noch jung, aber auch richtig erwachsen. Viele haben in diesem Alter mehrjährige Erfahrungen gemacht: Studium, Beziehung, Beruf. Vielleicht haben manche auch schon eine Runde Therapie und intensive Reflexion hinter sich. Oder Negativität, Schicksalsschläge, Weltschmerz und Trennung aushalten müssen. 

Gesucht und gefunden: Weniger Drogenexperimente 

Apropos langjährige Erfahrung: Drogen wurden genommen, werden genommen, werden genommen worden sein; Drogen wurden getestet, besprochen, manche abgelehnt. Manche Stoffe ihrer Wirkung nach mit anderen kombiniert, intensiviert und auf den Krümel genau abgewogen, mit der Waage, kein Scherz. Die Zeiten von blindem Schniefen und Augenmaß sind größtenteils vorbei. Ausnahmen bestätigen die Regeln, aber mit der Zeit haben Raver:innen, die Feiererfahrung haben, ihre Drogen gesucht, gefunden; manche sogar den Konsum gänzlich abgelegt. Sobriety ab 30 ist a thing, das lässt sich kaum leugnen. Sei es zeitweise oder dauerhaft. 

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, sagt man. Das unberechenbar Neue, Schöne, Experimentelle, das ist zwar nicht auserzählt, aber es begegnet erfahrenen Feiermenschen weniger oft. Gegenüber mancher Standard-Droge ist sicher auch eine Toleranz aufgebaut worden. Das hat meiner Meinung nach, wenn es um Loslassen mit Substanzen geht, zwei Gründe: Zum einen aus sich selbst heraus. Die Grenzen sind gesteckt. Und zum anderen aus dem Umfeld heraus: Gesundheit und Verantwortung, wir erinnern uns.

Den vielen Interviews zufolge (unter anderem dieses über Sober Partys), die ich Anfang des Jahres mit Ex-Konsument:innen aus der Clubkultur zum Thema Nüchternheit geführt habe, hinterfragen einige Raver:innen ihren Drogenkonsum mit dem Älterwerden. Das Umfeld, das Drogen konsumiert, hat sich vielleicht mittlerweile umorientiert, man hat gesundheitliche oder psychische Folgen davon zu spüren bekommen – es gibt viele Gründe, sich über den Konsum illegaler und legaler Drogen Gedanken zu machen. Und das führt in vielen Fällen, ich vermute in den meisten, folgerichtig zu einem anderen Feierverhalten, einem anderen Erleben der Zeit im Club. Und das ist irgendwie auch okay, denn: Nichts bleibt, wie es ist. Zum Glück. Fragezeichen.

Was man (noch) machen kann: Sexpartys und Tagsüber-Feiern

Ja, und nun? Sollte ich den Plakaten, die unbeirrt seit 20 Jahren gehängt werden, mit den groß angekündigten Ü30-Partys in der nächstgelegenen Halle, mit DJs und Konfetti, eine Chance geben? Ich weiß ja nicht, eher nein. Die Anzahl an Sexparty-Einladungen in Technoclubs steigt übrigens im selben Maße, wie das Instagram-Werbe-Ausspiel für Ü30-Partys in meiner Stadt. Weder das eine noch das andere bewegt mich noch zum Ausgehen, ehrlicherweise. Soll aber wohl genau das Richtige "für mein Alter" sein.

Was ich dennoch als Tipp weitergeben kann, und das ist nichts Neues, aber es ist eben der ultimative Game-Changer: Tagsüber feiern. Denn tagsüber ist man wach und fit(ter) als in der Nacht, zumindest ohne Hilfsmittel. Konsum ist dann kein funktionales Muss, vielleicht Nice-to-have, vielleicht aber auch nicht. Der nächste Tag ist nicht "weg". Die Auswahl der Veranstaltungen minimiert sich zwar etwas, aber das kann auch positiv sein. Entweder Veranstaltungen gehen drei, vier Tage pausenlos durch, was selbst in Berlin nicht selbstverständlich ist, oder es sind extra Tagesveranstaltungen, die bewusst auch erfahrenes, älteres Publikum anziehen und eine Durchmischung möglich machen: Choose your fighter.

Worum es für mich immer ging und geht, neben der Musik, neben dem Techno, der auf einer gut eingestellten Anlage klingt, wie er eben nirgendwo anders klingt, war und ist das Dazugehören. Und die unverhofften, schönen, kleinen Momente beim Feiern, die ich nur in Clubs erlebt habe und erleben durfte, sogenannte "sweet little encounters”. Ein typisches Beispiel dafür ist die Toilettenschlange. "Stehen Sie an?", fragte mich vor nicht allzu langer Zeit eine sehr hippe, junge Person mit einer ausladend-großen dunkelgrau und rot bestickten GGL-Tasche unterm Arm in einem Club in Leipzig. Wie höflich, wie nett; aber für wie alt hält mich die Person?, fragte ich mich und sagte erstmal nichts, so tief saß der Schock des Gesiezt-werdens. "Wenn nicht, kann ich meine Tasche hier draußen lassen?" - "Klar", antwortete ich dann. 

Ich muss beim Gedanken daran tatsächlich ein bisschen grinsen: Ich gehörte – trotz Siezen – weiter dazu, in diesem Moment. Also: Habt Spaß beim Feiern, in Clubs, an der Musik – auch über 30. Bitte.

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