Clubporträt: Gewölbe (Köln) – Ständige Evolution am selben Ort
Das Gewölbe prägt das Kölner Clubgeschehen schon je nach Zählweise seit gut einem Vierteljahrhundert. Doch obwohl der Bahnhof Köln West schon seit Ewigkeiten ein Anlaufpunkt für die Szene ist, ruht sich dort niemand auf den erworbenen Lorbeeren aus. Wie die vielgerühmte Anlage des Gewölbes befindet sich der Club als solcher konstant in der Weiterentwicklung. Und will in Zukunft wieder zurück zu den Wurzeln.
Das Gewölbe ist eine der zentralen Adressen der Kölner Clubszene, so viel ist sicher. Was nicht ganz so klar zu bestimmen ist: seit wann genau. Die ersten Partys am Hans-Böckler-Platz zumindest wurden vor etwa gut einem Vierteljahrhundert geschmissen. "Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei der Gegend um Gewerkschaftsgebiet – gegenüber vom Club befindet sich das Haus der Gewerkschaft", erklärt Shumi, Resident-DJ und Kreativdirektor die Lage des Clubs im Bahnhof West. "Als ich ein Teenager war, befand sich in einem Teil des Gebäudes ein gewerkschaftliches Jugendcafé." Als dieses Ende der Neunziger auszog, boten sich neue Möglichkeiten.
Eine Gruppe um den späteren Gewölbe-Geschäftsführer Michael Siemer entkernte diesen Teil des Gebäudes und eröffnete dort eine Bar namens Westpol, die mittlerweile vom Scheuen Reh abgelöst wurde. Der andere Teil stand nach dem Weggang eines dort vorher ansässigen Handyladens ebenfalls leer und bot so Platz für Ausstellung und begleitende Partys, die dort ab Anfang der Nullerjahre stattfanden. Der Name Gewölbe in Anspielung auf die Architektur des Raumes habe sich offiziell im Jahr 2005 durchgesetzt, als sich dort auch regelmäßig am Freitag- und Samstagabend stattfindende Clubveranstaltungen etablierten.
"Die Szene war damals noch wesentlich kleiner als heute", erinnert sich Shumi an diese Zeiten. Sukzessive wurde der Hans-Böckler-Platz als eine ihrer Anlaufstellen deshalb immer wichtiger. Spätestens nach dem Ende der legendären, von Michael Mayer und Tobias Thomas aus dem Kompakt-Umfeld heraus organisierten Total-Confusion-Partys im Studio 672 habe es ab Mitte der Nullerjahre eine Leerstelle gegeben. Den Club noch weiter zu institutionalisieren, um ihn als Umschlagplatz der Szene zu verstetigen, lag deshalb nahe. Nach der großen Silvestersause 2008/2009 schloss das Gewölbe für einen groß angelegten Umbau.
Zweieinhalb Jahre lang wurde gewerkelt. Es brauchte eine bessere Anlage, und nicht nur das. Unter anderem das ikonische Kassenhäuschen wurde eingebaut. Das Gewölbe in seiner jetzigen Form öffnete im Mai 2011 und wurde zur fixen Kulisse für weitreichende musikalische Umwälzungen innerhalb eines der wichtigsten Epizentren für die deutsche und internationale Clubszene. Der nur etwa 350 bis 400 Menschen Raum bietende und daher vergleichsweise kleine Club hat über seine unterschiedlichen Iterationen hinweg den Aufstieg und Fall der Ära Minimal made in Cologne begleitet und verschiedenen Generationen eine Heimat geboten.
Er selbst hat in den vergangenen Jahren sein Soundprofil immer wieder nachhaltig erweitert. Ein Blick auf die Line-ups des (Wieder-)Eröffnungsjahres 2011 zeigt, dass dereinst im Gewölbe keineswegs nur schnurgerade Techno- und House-Rhythmen zu hören waren. (Post-)Dubstep und Indietronica-Acts wie Gold Panda standen damals ebenso auf dem Programm. Auch das: typisch Köln, wie Shumi unterstreicht. "Hier ist es anders als etwa in Berlin, wo alle in ihrer Nische unter sich bleiben können", kommentiert er das Miteinander verschiedener Stile unter einem Dach. "Das hat Köln immer einzigartig gemacht, weil hier einander viel befruchtet."
Ständige Evolution …
Um die musikalische Vielseitigkeit klanglich konsequent abbilden zu können, setzt der Club auf eine hochqualitative Anlage, für die er mittlerweile berühmt ist. Weniger bekannt ist, dass es sich im Grunde um ein sich ständig wandelndes Hybridsystem handelt. Mit der (Wieder-)Eröffnung 2011 weihte der Club die neue Anlage von Martion mit ihren ikonischen weißen Hörnern ein. "Es wird immer gesagt, dass Ricardo Villalobos die auch in seinem Studio stehen hätte", lacht Shumi. Nur sind allerdings ein Studio und ein Club zwei verschiedene Paar Schuhe.
Die Anlage habe toll geklungen, zu toll eigentlich. "Wir haben schnell gemerkt, dass die Anlage in ihrer Wiedergabe so gut ist, dass sie nur das wiedergibt, was auf der Platte zu hören ist. Man konnte unheimlich viele Nebengeräusche hören, es war wie im Bienenstock", erinnert Shumi sich. Die Lösung? Die Subwoofer wurden mit denen von Funktion-One ausgetauscht. "Von einem Tag auf den nächsten wurde der Sound extrem gut – und dafür steht das Gewölbe bis heute!"
Zuständig für die Pflege ist Treibstoff-Mitbegründer und Gewölbe-Resident Marcel Janovsky, der das System quasi kontinuierlich weiterentwickelt – Shumi spricht von einer "ständigen Evolution". Eine solche durchlebt der Club selbst auch wie jeder andere hinter den Kulissen. Unter Mitbegründer Heiko Rühl, der nach dem unerwarteten Tod von Mitbegründer Michael Siemer im Frühling 2023 die Geschäfte alleine weiterleitet, arbeiten nicht mehr als 40 Personen, sagt die für das Programm mitverantwortliche Antonia Schumann. "Wir sind ein recht kleines Team."
Schumann selbst hat vor einigen Jahren an der Bar angefangen, machte im Club ihre Ausbildung zur Veranstaltungskauffrau und hält im Büro die Stellung. Allgemein würden die Angestellten die verschiedensten Aufgaben übernehmen. Obwohl die Rollen klar verteilt sind, versteht sich die Belegschaft als Kollektiv mit offenen Grenzen. Das ist auch eine Konsequenz der Geschichte des Clubs, wie Shumi unterstreicht. "Wir waren schon immer ein zusammengewürfelter Haufen! Viele der Veranstalter:innen aus den Anfangstagen sind immer noch dabei."
In diesem Sinne wird auch Externen ein Mitspracherecht eingeräumt. "Wir holen uns immer die Meinungen der anderen ein, ich bestimme zum Beispiel nicht einfach das Programm nur nach meinen Vorlieben", unterstreicht Shumi. Neben diesen Stimmen sind es vor allem die Perspektiven aus dem Clubbetrieb, auf die bei wöchentlichen Meetings gehört wird: Was sagen Tür, Bar und Nightmanagement über den Verlauf des Wochenendes? Was lief gut, was nicht? "Das ist Teil unseres Kollektivgedankens: Die Meinung von allen zählt, niemand steht über den anderen", so Schumann.
Das egalitäre Miteinander findet dennoch nicht in Plenarsitzungen statt und kann in produktiven Konflikten über die grundsätzliche Ausrichtung des Clubs resultieren, wie Shumi einräumt: "Es führt natürlich zu heißen Diskussionen: Ist das Programm divers genug? Wird es gerade zu kommerziell? Muss es gar kommerzieller sein, um die Wirtschaftlichkeit zu garantieren?"
… und noch mehr Veränderungen
Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit stellt sich heutzutage dringlicher denn je, die Gründe sind bekannt: Auf die große Wiedereröffnung nach zwei Jahren Lockdown-Hopping folgten verschiedentliche wirtschaftliche Krisen, die auch auf die Kaufkraft des Publikums drückten. Zusätzlich zu diesem Teufelskreis drehte sich die Gagenspirale genauso nach oben, wie der Konkurrenzdruck um die großen Namen zunahm. "Das Feld ist größer geworden. Wir konkurrieren mittlerweile mit Festivals aus Mexiko und Clubs anderswo, das war früher anders", sagt Shumi. Sie könnten sich schlicht nicht mehr alle Bookings leisten, fasst Schumann es zusammen.
Obwohl der Eintrittspreis seit Pandemiebeginn von vormals 15 auf 20 Euro angehoben wurde, müsse deshalb im Gewölbe weiterhin sparsam gehaushaltet werden – noch mehr Preiserhöhungen zur Kompensation der gestiegenen Ausgaben seien weder zu rechtfertigen noch würden sie sich langfristig rechnen. Shumi betont zwar, dass das Gewölbe weiterhin auf ein Stammpublikum zählen kann, das dem Club als solchen gegenüber Vertrauen hat. Doch haben die Älteren ihr Ausgehverhalten verändert und der Nachwuchs komme nicht automatisch nach. "Man merkt, dass bei uns einfach jüngeres Publikum fehlt, weil es anders feiert", bestätigt Schumann.
Um den veränderten Umständen gerecht zu werden, hat der Club eine erneute Evolution durchlaufen. "Wir haben uns nach Corona inhaltlich neu aufgestellt", berichtet Shumi. "Ich sage immer: Das Gewölbe ist jetzt ein Boutique-Club. Du musst schon vorher ins Programm schauen und gucken, wohin du am liebsten möchtest. Es ist selektiver geworden." Statt nur als Anlaufstelle für ein einziges Publikum zu dienen, spricht das Gewölbe nunmehr also verschiedene Zielgruppen an. Das funktioniere soweit sehr gut, berichtet Shumi. Voll sei der Club indes nicht immer, insbesondere ein gewagteres Booking mit unbekannteren Namen oder unkonventionellen Sounds ziehe nicht immer ein großes Publikum an.
Anders sind Abende, an denen weltbekannte, seit Jahrzehnten mit dem Umfeld des Clubs verbandelte DJs oder die Shooting-Stars der Szene, für die ein Set dort einen Pflichttermin darstellt, auflegen: Sie sorgen bisweilen für lange Schlangen vor dem Kassenhäuschen. Das ist gut fürs Geschäft, darum allein soll es jedoch bei der Programmierung der Clubnächte gehen, die immer auch eine soziale Dimension haben. "Wir müssen natürlich dafür sorgen, dass unsere Regulars trotzdem durch die Tür kommen", sagt Shumi. "Wir möchten allen eine Chance geben."
So befindet sich der Club neben der finanziellen auch auf einer programmatischen Ebene auf einer Gratwanderung, auf die das Publikum mitgenommen wird.
Tradition und Nachwuchspflege
Sich an den veränderten Interessen des Publikums anzupassen, gelingt dem Gewölbe deshalb, weil es dafür nur intensiver auf ein bewährtes Prinzip zurückgreifen muss. Die Arbeit mit externen Veranstalter:innen wie Treibstoff oder Rheinrhythmik prägt seit Jahrzehnten das Programm, mittlerweile sind viele neue dazu gekommen und bringen sich auf unterschiedliche Arten ein. Im Jahr 2024 gastierten verbandelte Clubs wie das FUSE oder das Robert Johnson im Rahmen ihrer Jubiläumsfeierlichkeiten im Gewölbe, dazu kommen unter anderem die Berliner Reihen STAUB oder Brutalism, dessen Betreiber auch der Initiator einer seit einiger Zeit laufenden Community-Party Research am Sonntag ist.
Was im Einzelfall eine Verjüngungskur für den Club darstellen kann, soll in der Breite auch den Dialog zwischen den Generationen einer heterogenen Szene befeuern. Sowieso ist das ein Anliegen des Gewölbes. "Es fehlt nach Corona immer noch am intergenerationellen Austausch, an dem ich damals teilgenommen habe, als ich zum ersten Mal ausging", sagt Schumann. Sie stellt heraus, dass in diesem Sinne Opening und Closing der hauseigenen Nächte von lokalen DJs bestritten werden und eine gerechte finanzielle Honorierung angestrebt wird. Auch die Zusammenarbeit mit jungen, aufstrebenden Kollektiven sei ein Teil dieses Ansatzes.
Als Teil seines Selbstverständnisses ist Community-Building das erklärte Ziel des Gewölbe-Clubs – über die Decks hinaus. Für die Zukunft werde an Formaten zum informellen Austausch jenseits der regulären Clubnächte gearbeitet, es sollen sich nicht nur während der Clubnächte alle "auf einer Wellenlänge" befinden. Eine Art Testballon dafür stellt die bereits genannte sonntägliche Veranstaltungsreihe Research dar, die von 14 Uhr bis Mitternacht läuft und im vorderen Barraum stattfindet, das heißt im intimen Rahmen zu moderaten Preisen unter Regulars. Eine sogenannte Community-Karte, die zum letzten Saisonbeginn käuflich zu erwerben war, erleichtert den Eintritt zu dem Format.
Das Prinzip ist ein altes, schon die frühen Disco-Clubs oder das Warehouse in Chicago, eine zentrale Wiege der House-Szene, funktionierten zeitweise auf Mitgliedschaftsbasis – deswegen werden Clubs schließlich Clubs genannt. Vor einem grundsätzlich anderen historischen Kontext soll dieses im Kern durchaus exklusive Prinzip im Gewölbe inklusive Effekte mit sich bringen, auch weil eine Mitgliedschaft nicht verpflichtend ist. Zu den Sonntagsveranstaltungen zeige sich das: "Da kennt jede jeden", so Shumi.
Wider die Monokultur
Derlei Formate und Bemühungen um den Aufbau einer echten Gemeinschaft stehen auch gegen eine vor allem in Köln spürbare Entwicklung ein. Kaum ein anderer Club steht dermaßen sinnbildlich für den TikTok-Techno-Hype der vergangenen Jahre wie das weiter nördlich auf der anderen Rheinseite gelegene Bootshaus, wo der Immer-schneller-immer-greller-Sound aufgelegt wird, der mittlerweile in der öffentlichen Wahrnehmung synonym für Rave steht. Musikalische Kompromisse an diesen Zeitgeist macht das Gewölbe nicht. Weiterhin gilt dort – noch so eine Säule des Selbstverständnisses – ebenso ein striktes Fotoverbot.
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Von Groll auf die jüngeren Entwicklungen ist im Gespräch mit der Gewölbe-Crew aber nichts zu spüren. Eher steht eine Sorge darüber im Raum, dass sich in der Breite eine "Monokultur" entwickeln könnte, wie Shumi es ausdrückt: Die Auseinandersetzung mit Musik, die zugänglicher ist als je zuvor, unterliege zunehmend dem Gatekeeping großer Plattformen, ob nun TikTok oder Spotify. Die streichen im Sinne der Durchhörbarkeit die Überraschungen aus der Formel und drängen ihr Publikum in eine passive Rolle. Das wirkt sich auch auf das Ausgehverhalten aus. "Früher habe ich die Namen auf dem Line-up gegoogelt und wenn ich deren Mucke gut fand, bin ich hingegangen. Heutzutage wird es allen algorithmisch vorgelebt", sagt Schumann. Das schaffe neue Barrieren.
Es erhöht in der Gesamtheit auch den Druck auf Clubs, die auf diese Dynamiken programmatisch reagieren müssen. In Diskussionen darum wird der Ton schnell apokalyptisch, Schumann hingegen sieht in den jüngeren Entwicklungen lediglich einen vergänglichen Trend. "Ich beobachte eine Gegenbewegung", sagt sie. "Unter den Endzwanzigern schreien viele nach einer Art Reset – ob es nun um die Entwicklung der Gagen oder die Musik geht. Ich habe das Gefühl, da brodelt etwas." Die Nachfrage nach den Research-Partys sowie weiteren Community-Angeboten, wie sie sich derzeit in Planung befinden, sei ein Beleg für die Existenz dieser neuerlichen Tendenz.
Schumann bleibt deshalb optimistisch: "Ich freue mich darauf, dass dieser Knoten eines Tages platzt. Wenn es so weiterginge wie bisher, könnte sich ein kleiner Club wie unserer ja in ein paar Jahren keine großen Namen mehr leisten", sagt sie. "Und das möchte ja niemand! Es bedarf einer gewissen Neuorientierung." Damit kennen sie sich im Gewölbe, diesem sich ständig in der Evolution befindlichen Ort, ja auch bestens aus – ob nun seit anderthalb Jahrzehnten oder doch einem Vierteljahrhundert.
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