Clubs schließen. Manche brennen ab. Und wieder andere zersetzen sich selbst. Man sagt häufig Clubsterben dazu. Vor allem in Berlin, wo Clubs zur Identität der Stadt gehören wie der Kater zur Eskapade.
Allerdings gehört zum Sterben auch die Trauer. Und zur Trauer die Rede. Deshalb widmen wir dem Ableben acht Berliner Clubs tränenreiche, pathetische, zwinkernde Abschiedsworte – um sie ein letztes Mal zu feiern.
Watergate (* 2002; † 2024)
Geschätzte Gemeinde! Mit großer Trauer und einem Gefühl des unwiederbringlichen Verlustes verabschieden wir uns vom Watergate – einem Club, der nicht nur die Berliner CLUBLANDSCHAFT geprägt hat, sondern auch Herz und Seele einer, man muss es so sagen: internationalen GEMEINSCHAFT war.
Über zwanzig Jahre hinweg war das Watergate mehr als ein Ort des Feierns. Es war ein Hafen für Liebhaber:innen der elektronischen Musik, ein Zuhause für Menschen aus aller Welt. Und nicht zuletzt ein Symbol für die, äh, Offenheit dieser Stadt.
Am Ufer der Spree gelegen, mit unverstelltem Blick auf das sich in der Morgensonne spiegelnde Wasser, verströmte das Watergate eine Menge – manche meinen gar Magie. Die markanten, von LEDs überzogenen Decken, die Nächte durchdrangen und Tänzer:innen in eine hypnotische Atmosphäre tauchten, werden vielen in trauter Erinnerung bleiben.
Lasst uns also auf das Watergate anstoßen – auf die Erinnerungen, die es geschaffen hat, und die Gemeinschaft, die es genährt hat. Möge sein Geist weiterleben in allen Nächten, die es noch zu erleben gilt.
Loophole (* 2011; † 2024)
Manch eine:r behauptet, das Loophole sei eine Brutstätte des Chaos gewesen – eine Zuflucht für sogenannte schräge Vögel, solche, die sich verloren fühlten, und solche, die hofften, sich in einer staubigen Ecke einer Berliner Subkultur wiederzufinden. Und ja, verehrte Angehörige: Dem muss man vorbehaltlos zustimmen.
Denn das Loophole war der einzige Ort in Berlin, an dem es völlig normal war, dass die Anlage ausfiel, während ein, nun ja, Performancekünstler schreiend einen Laptop in der Ecke zertrümmerte. Oder dass Besucher:innen auf Matratzen saßen, die vermutlich das letzte Mal zum Fall der Berliner Mauer gewendet wurden, weil dies als "Teil der Ästhetik" gefeiert wurde.
Mit jedem klebrigen Flecken auf dem Boden und jeder Wand, die sich unter unzähligen Graffitis, den Kunstwerken, verbarg, schuf das Loophole seine ganz eigene Existenz. Irgendwo zwischen ranzigem Humana-Schick und visionärer Kunstinstallation – um es im letzten zerschossenen Lautsprecher wieder aufleben zu lassen.
Renate (geb. Zur wilden Renate; * 2007; † 2025)
Für Freund:innen von Autobahnen, Immobilienspekulationen und dem Futur II: Die Wilde Renate wird von uns gegangen sein. 2025 zwar erst, dann aber bestimmt. Sofern es nicht doch anders kommt und… der Club an seinem scheidenden Standort gewesen sein wird.
In einer verwinkelten Herausforderung für OCDler und Orientierungssinn bot die Renate jedenfalls eine andere Welt – vom mit Kronleuchtern geschmückten Helga-Baimer-Wohnzimmer bis zu unzähligen Ecken und Nischen, in denen man nie wusste, ob man gerade am Tresen stand. Oder ob hier einfach jemand sein Palettenbett vergessen hatte.
Viele Stammgäste sahen es zuletzt bereits kommen. Einige munkelten gar, dass steigender Mietzins und sinkende Feierfreude dieser INSTITUTION des Berliner Clublebens den Dolchstoß versetzten werde.
Wie auch immer man zu denken pflegt: Leb wohl, Renate! Dein Geisterhaus wird uns fehlen – ein letzter Rest aus der Zeit, als Berliner Clubs noch die seltsamen, geheimnisvollen Orte waren, die sich außerhalb von irgendwie allem bewegten.
Griessmuehle (* 2014; † 2020)
Mit tiefstem Bedauern erinnern wir uns an ein Berliner URGESTEIN, die alte Griessmuehle. Plötzlich und nach kurzer Krankheit wurde sie 2020 der Welt entrissen. Dabei balancierte dieser Betonbunker bis zu seinem Ableben vor ein paar Jahren bereits auf einigen Kippen – bedroht von Pawlow’schen Reflexen und ähnlich speichelnden Gesellen.
Doch die Griessmuehle hielt lange durch. Mit sturer Undergroundegalheit und einer Atmosphäre, die umhüllte wie Mischmasch aus Nebelmaschine und Einwegzigarettenrauch. Bis auch der irgendwann verzogen war. Und zur Schließung zwang. Dann zum Umzug drängte. Zu einer großen Reise verpflichtete.
Aber die traten nicht alle an. Und schon gar nicht jene, die Sätze mit der zersetzenden Wut des Wörtchens "früher" beginnen. Ja, die Griessmuehle war … einmal woanders. Und eigentlich will man sie dort in bescheidener Erinnerung bewahren. Aber: Sie lebt weiter. In unseren Köpfen und im Heute. Irgendwie. Nur eben ganz, ganz anders.
Mensch Meier (* 2014; † 2023)
Wir haben uns heute versammelt, um zu erinnern: an eine HERBERGE der Berliner Subkultur: das Mensch Meier. Ja, dieser Club war ein wahres Meisterwerk – und vermutlich der einzige Ort, an dem man sich fragen musste, ob der DJ eine Midlife-Crisis oder einen kreativen Durchbruch hatte, als er beschloss, das Set mit dreieinhalbstündigem Rauschen zu beginnen.
Hier, wo sonst nur wenige Meter entfernt die Allerkleinsten zu ostindischen Chai-Latte-Mischungen und veganem Lavendeleis ihre ersten Schritte machen, ja, hier stand diese Teststrecke für die menschliche Belastbarkeit. Und hier, im Woom-Bike-Bezirk, steht sie noch heute – nur ohne dem großen, dem mit Erinnerungen befleckten M.
Man sagt das allzu gern, allein, hier mag es stimmen: Das Mensch Meier war eine ERFAHRUNG. Und eigentlich meint man damit: die Toiletten, mehr Mutprobe als Rückzugsort, für manche gar eine ZUMUTUNG. Sogar die tollen Wochenzeitungen haben einst darüber geschrieben. Doch wer "sanitäre Anlagen" schreiben muss, um "Saver Use" zu sagen, hat die ein oder andere Lesereise zu viel intus.
Oh, Mensch Meier, wie oft ist man im Nebel deiner schummrigen Lichter und in den Armen der unendlichen Nacht verloren gegangen. Du warst der Ort, an dem niemand gefragt hat, wer du bist, was du machst oder warum du barfuß tanzt, während dein bester Freund eine Discokugel als Hut trägt. Ruhe also in Frieden, dein Geist lebt weiter in unseren verschwitzten Achselhöhlen, in den letzten Zügen des Morgenrauschens. Unserem feierlichen Chaos.
Rummels Bucht (* 2010; † 2020)
In Spiritus, Schampus! Wir gedenken der Rummels Bucht, einem liebevollen Biergartenbordell, das 2020 von uns ging. Eröffnet in einer Zeit, als alle dachten, man sei für immer jung und die Nacht ewig, war die Rummels Bucht ein monumentales Beispiel. Für was? Oder wofür? Na ja. Wie soll man das sagen, ohne eine Minderheit zu diskriminieren?
Vom Ex-Punker, der in seinen letzten Zügen als DJ das Pult übernahm, bis hin zu den Billigflugtourist:innen und den gar nicht mehr so originalen ORIGINALEN. Wer sich in die Rummels Bucht wagte, betrat ein PARALLELUNIVERSUM, wo alles optional war – außer die Garantie zur Selbsterkenntnis.
Heute entsteht auf deinen Planken ein Aquarium. Coole Korallen statt kaputte Kajüten. Manche fragen: Warum nicht gleich ein Palmenhain auf dem Alexanderplatz?
Nun, wo es nichts mehr gibt, das auf die wahren Farben dieser Stadt hinweist, bastelt man ein FREIZEITPARADIES. Weil die, die früher hier feierten, jetzt Kinderwägen schieben und Glaswände betatschen und "Boah, schau mal" sagen.
Ja, die Rummels Bucht war nie schön, zumindest nicht in dem, was FAZ-Leser:innen im KLASSISCHEN SINNE meinen. Aber sie war echt. Jetzt werden hier bald teure Eintrittskarten verkauft, wo die besten Dinge einst umsonst waren: die Nächte, die Freundschaften und die Erinnerungen an das, was Berlin immer war und nie wieder sein wird.
Re:mise (geb. Fiese Remise; * 2008; † 2023)
Als die New York Times kam, war alles noch so schön. Die alten Autos. Die flimmernden Fernseher. Du zeigtest dich auf zwei Etagen in voller Pracht. Heute ist das 10 Jahre her. Dazwischen hast du dich verändert – so genau wusste niemand, wieso. Doch alle haben es akzeptiert. Alle wollten dich behalten.
Allein, der Zahn der Zeit fraß sich durch deine Mauern, und irgendwann fletschten die IMMOBILIENHAIE ihre Zähne. Jetzt ist schon länger gewiss: Wo man einst mit vollem Körpereinsatz gegen die Gentrifizierung tanzte, wird bald irgendein Parkplatz stehen. Oder Büros. Und dann? Werden nur noch die Kaffeemaschinen der DIGITALNOMADEN im Takt rattern.
Da draußen wird Berlin glatter, gesitteter, berechenbarer. Und drinnen, ja drinnen, im Bauch der Re:mise, da zählte nur eins: Lärm, Dunkelheit und die Freiheit, die man sonst nur in den ZWISCHENRÄUMEN der Stadt fand.
Mögen die neuen Hochglanzmenschen dort arbeiten, während die GEISTER der Vergangenheit noch unter ihnen wummern. Wer weiß, vielleicht hören sie irgendwann doch noch ein Echo. Eines, das hier einmal alles andere verschluckte.
Ipse (* 2014; † 2020)
Bald fünf Jahre ist er nicht mehr, Berlins kleiner Garten Eden der Clubkultur. Abgebrannt, zuerst vor Leidenschaft. Später wegen der Versicherung. Und heute? Nur blass in Erinnerung – diese Oase für die Kaputten und Gezeichneten und Afterhourapologet:innen.
Ja, Ipse, du hast gelehrt, dass es völlig egal ist, woher man kommt und wohin man will. Hauptsache, man war kein:e Visionär:in. Schon gar nicht auf dem DANCEFLOOR. Dafür konnte man hier einfach SEIN. Klingelten ein paar Münzen in der Tasche, reichte es sogar zum Kumbaya-Kommunismus.
Auf dass dein Geist weiterflackert, in den Köpfen. Und in der zündenden Idee, alles und jeden Zentimeter mit brandbeschleunigenden Holzlatten und Holzplatten und Holzhaufen zu bedecken. Weil das ist, nein war: Berlin!
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