Gummiboot-Demo 'Für die Kultur': Was für eine Kultur soll das bitte sein?
© Facebook/Rebellion der Träumer

Gummiboot-Demo 'Für die Kultur': Was für eine Kultur soll das bitte sein?

Features. 3. Juni 2020 | / 5,0

Geschrieben von:
Laura Aha

Der Pfingstsonntag war ein beschämender Tag für die Clubszene: Bei strahlendem Sonnenschein feierten Hunderte mitten auf dem Berliner Landwehrkanal geradezu demonstrativ vor dem Vivantes Krankenhaus sorglos eine als Demo deklarierte Party „Für die Kultur“ – während nur wenige Straßen weiter #BlackLivesMatter-DemonstrantInnen gegen Polizeigewalt gegenüber Schwarzen Menschen auf die Straße gingen. Wenn das der Status quo unserer Szene sein soll, können wir uns die Rettung derselben auch gleich sparen.

Zugegeben: Es war ein verlockender Gedanke, sich am Sonntagnachmittag bei 25 Grad mit einem Bier ans Ufer des Berliner Landwehrkanals zu fläzen und zu sommerlichen Technobeats das bunte Treiben auf dem Wasser zu beobachten. Nach fast drei Monaten Ausgangsbeschränkungen dürsten viele verständlicherweise nach sozialer Interaktion, Tanzen und ein bisschen Normalität. Die kehrt dank fortschreitender Lockerungsmaßnahmen nun ja auch nach und nach zurück – seit dem Wochenende sind in Berlin etwa wieder Demonstrationen ohne Beschränkung der Teilnehmendenzahl erlaubt. Das nahm ein „loses Bündnis von Kulturschaffenden“, wie es später hieß und zu dem unter anderem der Kater Blau und die Partyreihe Rebellion der Träumer gehörte, zum Anlass, um mit der Demonstration „Für die Kultur – Alle in einem Boot“ einen Rave auf dem Wasser zu veranstalten.

So weit, so gut: Die Kombination aus Rave und Demo kennt man seit den Anfängen der Loveparade und dass man mit Musik und Spaß mehr Leute für die gute Sache auf die Straße bringt und Aufmerksamkeit erzeugt, haben die farbenfrohen Klima- und Anti-AfD-Demos der letzten Jahre eindrücklich bewiesen. Und Aufmerksamkeit braucht das Thema der Demo am vergangenen Sonntag ohne Frage: Die Kulturbranche steht durch den Corona-Lockdown vor dem Kollaps, ohne weitere staatliche Hilfen werden viele AkteurInnen die Krise nicht überstehen. Die Clubszene ist davon mit besonderer Härte getroffen, sind sie doch die Ersten, die schließen mussten und voraussichtlich die Letzten, die wieder öffnen dürfen, da kaum ein Hygienekonzept denkbar ist, das eine Party im stickigen Clubraum nicht in ein Superspreader-Event verwandelt.

Aber trotz aller Lockerungen: Corona ist nunmal noch nicht vorbei, nur weil manche keine Lust mehr haben, Rücksicht zu nehmen. Mit ihrem Verhalten haben die „Demonstrierenden“ am Sonntag nicht nur sich und andere in Gefahr gebracht und zudem die gesamte Clubszene in ein schlechtes Licht gerückt. Sie haben dafür gesorgt, dass mögliche Lockerungen der Maßnahmen für Clubs sich nun noch schlechter rechtfertigen lassen, da man sich offenbar mitnichten auf das eigenverantwortliche Handeln aller verlassen kann. Dieses egoistische Handeln widerspricht dem solidarischen Grundgedanken von Rave.

Obwohl die VeranstalterInnen den Ort wohl bewusst gewählt hatten, damit sich die Leute am langen Ufer verteilen und auf den Booten in Kleingruppen sitzend die Abstandsregelungen einhalten können, hatten sie nach eigener Angabe nicht mit einem solchen Ansturm gerechnet – was naiv scheint, bei diesem Traumwetter und keiner konkurrierenden Party-Veranstaltungen in der ganzen Stadt. Schließlich standen hinter der Organisation der Veranstaltung keine unerfahrenen RaverInnen mit einem Soundsystem auf Pritschenwagen, sondern erfahrene PromoterInnen mit jahrzehntelanger Open-Air-Erfahrung. Auf diesen Zulauf hätte man sich schlicht einstellen müssen. Statt der angemeldeten 100 drängten sich also zeitweise 3000 Menschen dicht am Ufer, 300 bis 400 Boote schipperten über den Kanal. Sektflaschen machten die Runde und Mundschutz sah man kaum – übrigens auch nicht in den Insta-Stories einiger der veranstaltenden Kollektive, die nach Anschwellen der Kritik im Nachhinein eilig von den Kanälen gelöscht wurden.

„Diese Demonstration steht leider im völligen Kontrast zu unseren Bemühungen im Rahmen unserer United We Stream Kampagne, Bewusstsein zu schaffen und Social Distancing einzuhalten“, distanzierte sich auch die Clubcommission später von der Aktion, die offenbar nicht in die Planung involviert war. United We Stream hatte seit Beginn der Krise einen Rettungsfonds für notleidende Clubs eingerichtet, aus dem zudem acht Prozent an den Stiftungsfonds Zivile Seenotrettung fließen. So sieht solidarisches Handeln und Übernahme sozialer Verantwortung aus.

Wenn es ganz blöd läuft, wird sich in wenigen Tagen herausstellen, dass die „Demo“ eines ebenjener gefürchteten „Superspreader-Events“ war, mit zahlreichen Neuinfektionen. Denn ob sich die DemonstrantInnen nun tatsächlich in die empfohlene Quarantäne begeben, ist nach ihrem rücksichtslosen Verhalten am Wochenende durchaus zu bezweifeln. Schnellere Lockerungen seitens der Politik für die Clubs würden in der Folge in weite Ferne rücken – ein Umstand, der umso ungerechter ist, weil das demonstrativ unverantwortliche Verhalten einiger weniger nun negativ auf die ganze Szene ausstrahlt. Der Backlash aus den eigenen Reihen der Szene ist riesig. Sämtliche Prä-Corona-Bemühungen, Clubs endlich nicht mehr wie bislang rechtlich als Vergnügungsstätten zu verstehen, sondern sie als valide Kultureinrichtungen anzuerkennen, werden zudem durch diese gedankenlose Aktion in der öffentlichen Wahrnehmung lächerlich gemacht und delegitimiert.

Gedankenlos war obendrein auch die Route des Demozugs: Die abschließende Kundgebung fand direkt vor dem Vivantes Klinikum statt. Vor den Augen kranker Menschen, die häufig zur Corona-Risikogruppe gehören, eine Party zu feiern, ist an Zynismus kaum zu überbieten. Zwar entschuldigten sich sowohl der Kater Blau als auch die Rebellion der Träumer in öffentlichen Statements nachträglich für die Streckenführung. Generell blieben beide in ihren Stellungnahmen aber eher verhalten. Organisatorische Fehler wurde zwar eingeräumt und beteuert, man habe wiederholt auf die Abstandsregelungen hingewiesen, sei jedoch von der schieren Menge an Menschen überrannt worden. Generell läge die Verantwortung aber neben den Veranstaltern vor allem bei den Mitwirkenden. Verantwortung übernehmen sieht anders aus.

Und als ob das alles nicht schon schlimm genug wäre, fand die Rave-Demo auch noch zeitgleich zur #BlackLivesMatter-Demo in Gedenken an den mittlerweile als Mord klassifizierten Tod von George Floyd und als Protest gegen die strukturelle Polizeigewalt gegenüber Schwarzen Menschen statt. „Die zeitliche Überschneidung der gestrigen Aktion mit Demonstrationen anlässlich der Ermordung von George Floyd und strukturell-rassistischer Gewalt war falsch, da sie zu einem Wettbewerb der Aufmerksamkeit führte. Die Anliegen der Sub- und Clubkultur dürfen hier aber gerade nicht in eine Konkurrenz treten“, schrieb der Kater Blau dazu nachträglich – immerhin. Dass der parallel laufende Kampf einer ganzen Bevölkerungsgruppe auf das Recht, in Frieden und ohne diskriminierende, potenziell tödliche Gewalt zu leben der Rebellion der Träumer in ihren Statement jedoch nicht eine einzige Erwähnung wert schien, macht schlicht sprachlos.

Ebenso sprachlos wie ein Foto von der „Demo“, das man zum Beispiel auf dem Instagram-Account von Berlin Club Memes findet: An einem der Boote hing ernsthaft ein Banner mit der Aufschrift „I Can’t Breath (sic!)“, die letzten Worte von George Floyd, ehe er von den Polizisten brutal getötet wurde. Sprachlos blieben dazu auch die Veranstalter – bislang gab es keine Stellungnahme zu dem Banner. „White Silence is violence“ ist ein Slogan der #BlackLivesMatter-Bewegung. In diesem Fall scheint er so wahr wie nie. Nein, es reicht nicht, kein Rassist zu sein. Es ist an der Zeit, dass weiße Menschen sich als Verbündete aktiv am antirassistischen Kampf beteiligen. Gerade, wenn sie so sehr von einer Kultur wie der Clubkultur profitieren, die von Schwarzen Menschen geschaffen wurde.

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„Die Musik, die die Grundlage für eine Multi-Milliarden-Dollar-Industrie darstellt, entstand als Zufluchtsort und Ausweg aus dem Leid, das direkt damit verbunden ist, schwarz zu sein“, schreibt die Londoner DJ Kikelomo aus dem No-Shade-Kollektiv in einem offenen Brief an die Musikindustrie. „Hip-Hop, House, Techno, Dancehall, Jungle, Drum and Bass, Rock ’n’ Roll, Grime, Soul, Funk und eine Menge anderer Genres wurden von unterdrückten Schwarzen Menschen erfunden.“ Hip-Hop entstand in den US-amerikanischen Ghettos aus der Verbindung von afroamerikanischem Funk und Soul mit der jamaikanischen Tradition des Toastings, das so zum Rap wurde. Jungle, UK Garage, 2-Step und Grime sind britische, post-migrantische kulturelle Bewegungen. Und die Wurzeln von Techno und House liegen eben in der Disco-Subkultur queerer BIPoCs, die nach den Stonewall Riots 1969 in den neu eröffneten Schwulenbars tanzend Gay Pride zelebrierten und ihr neues Selbstbewusstsein feierten.

Es dauerte damals nicht lange, ehe Disco von Weißen aufgegriffen und im Mainstream populär gemacht wurde – man denke an Giorgio Moroder, die Bee Gees und John Travolta in „Saturday Night Fever“. Statt jedoch der schwarzen Kultur Respekt zu zollen, von der sie so sehr profitierten und den queeren ProtagonistInnen gesellschaftliche Anerkennung und Teilhabe zu ermöglichen, formierte sich unter dem homophoben Slogan „Disco Sucks“ eine weiße Anti-Disco-Bewegung, die 1979 in der „Disco Demolition Night“ gipfelte und die Szene zurück in den schwulen Underground zwang. Wenige Jahre später tauchte sie von dort als House Music wieder auf – als „Disco’s Revenge“, wie Frankie Knuckles das Genre einst bezeichnete.

„Don’t take the focus from the voices of the people who ‘built the house’“, schrieb in Anlehnung daran auch der ehemalige Panorama-Bar-Resident Prosumer auf Social Media nach der sonntäglichen Rave-Demo. Vor diesem historischen Hintergrund eine hedonistische Daydrinking-Bootparty weißer, privilegierter Menschen zur vermeintlichen Rettung „unserer Kultur“ zu veranstalten, während keine zwei Straßen weiter Schwarze Menschen für ihr pures Recht, in Frieden existieren zu dürfen, demonstrieren müssen, ist mehr als unsolidarisch oder ignorant. Es ist ein Schlag ins Gesicht dieser Communitys. Clubkultur beruht auf einer einfachen Formel, die mit dem Akronym PLUR ausgedrückt wird: Peace, Love, Unity, Respect. Peace und Love mag es am Sonntag auf dem Landwehrkanal im Überfluss gegeben haben. An Einheit und Respekt mangelte es dafür aber umso mehr.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit #BlackLivesMatter , Berlin Club Memes , Demonstration , George Floyd , Kater Blau , Kikelomo , Landwehrkanal , Rave-Demo , Rebellion der Träumer , Vivantes Krankenhaus

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