Hinter den Kulissen: O-Wells – reduzierte, zeitbefreite Ästhetik
© Pauline Schey

Hinter den Kulissen: O-Wells – reduzierte, zeitbefreite Ästhetik

Features. 9. Juli 2023 | 4,4 / 5,0

Geschrieben von:
Marius Pritzl

O-Wells aka Frankfurt Bass fka Orson Wells hat über die Jahre bereits auf einer illustren Auswahl an Labels veröffentlicht: Live At Robert Johnson, Innervisions, die Orakel, zuletzt Live From Earth, die Liste lässt sich auf diesem Level weiterführen. Grundlage dessen ist sein komplexer, doch aufs Wesentliche reduzierter Sound und ein Gefühl für zeitbefreite Ästhetik. Wie man so einen hochwertigen Output produziert, haben wir ihn für unsere Serie 'Hinter den Kulissen' befragt:

DJ LAB: Wie bist du zum Produzieren gekommen? Was waren dabei prägende Einflüsse und Orte für dich?

O-Wells: Der eigentliche Anstoß für mich war, dass ich komplett eigenständig Musik kreieren konnte. Ich kam damals als Bassist aus dem Bandkontext, was in der Form für mich häufig mit kreativen Kompromissen einhergeht. Die Erkenntnis, dass ich meine musikalischen Ideen unkompliziert auf meinem Laptop aufnehmen konnte, hat mich sehr geprägt. Genau in der Zeit habe ich mit Freunden zusammen angefangen, mich intensiv in elektronische Musik reinzudiggen. Somit war es ein logischer Schritt, in diese Richtung Musik zu produzieren. Gleichzeitig haben wir auch angefangen, Platten zu kaufen, bei Tactile Records. In dem Laden gibt es von jedem Genre die Essenz an Veröffentlichungen. Besonders dort habe ich sehr viel über Musik gelernt. Von daher würde ich sagen, dass Frankfurt als Ort mit der Musikgeschichte und mein Freundeskreis und der tagtägliche Austausch über Musik mich am meisten in dieser Zeit beeinflusst haben.

Was reizt dich am Musikmachen? Und drückst du dich auch über andere Formen als über die Musik aus?

O-Wells: Kreative Arbeit ist für mich etwas sehr Persönliches. Wenn sie authentisch ist, erkenne ich den Charakter der jeweiligen Person darin wieder. Ich glaube, der Reiz daran liegt für mich persönlich auf der einen Seite darin, handwerklich immer besser zu werden und andererseits zielgerichteter die Stimmung zu erreichen, auf die ich abziele. Wenn dann am Ende etwas da ist, was mich emotional erfüllt, während ich es mir anhöre … das Gefühl ist unbeschreiblich. Es geht mir weniger darum, wie potenziell erfolgreich sich die Musik verkaufen wird oder ob ich gerade einem angesagten Trend entspreche. Ich mache etwas, was ich in dem jeweiligen Moment fühlen will. Das ist eigentlich so eine Art Selbsttherapie für mich. Früher habe ich mich noch sehr viel mit Malerei und Grafik beschäftigt, eigentlich habe ich mit der Malerei angefangen, als ich noch klein war. Mittlerweile ist das irgendwie komplett verschwunden und wurde durch Musik ersetzt.

© Pauline Schey

Wie würdest du deinen Sound beschreiben? Welche Stimmungen sprechen dich an?

O-Wells: Am ehesten versuche ich, einen zeitlosen, edlen Sound anzustreben, wenn das Sinn macht. Ich mag es, wenn Musik eine starke Atmosphäre hat. Ich höre schon sehr lange sehr viel 2nd & 3rd Wave Detroit Techno, Metalheadz, DMZ, solche Sachen. Aber auch viel Jazz, Ambient, Soul, akustische Musik. Am Ende ist es, glaube ich, eine Mischung aus diesen Dingen. Das Gefühl, wenn man eine Photek, Source Direct, Robert Hood oder Loefah Nummer hört, das will ich bei mir haben. In diese Musik fließen so viele Einflüsse rein. Mich reizt, dass diese Tracks sehr subtil, zurückhaltend, aber auch ausdrucksstark sind. Ich hab mich schon immer stark für die Geschichte hinter der Musik interessiert. Deswegen versuche ich, die persönlichen Classics immer zu referieren, aber gleichzeitig meine eigene Handschrift reinzubringen. Auch Tracks zu machen, die für sich alleine stehen können, selbst wenn es objektiv ein Tool ist. Nicht nur für den Club sozusagen.

Erzähl uns etwas über deinen Workflow – wie fängst du an, wenn du an einem Track arbeitest und wie machst du weiter? Verfolgst du dabei von Anfang an eine Idee oder entwickelt sich diese im Laufe des Prozesses?

O-Wells: Häufig fange ich einfach an, die Idee entwickelt sich dann im Laufe des Prozesses. Früher habe ich immer mit Chords angefangen und bin dann relativ schnell zum Schluss gekommen. Die Methode hat mich dann aber schnell in die Enge getrieben. Mittlerweile resample ich mehrmals aufgenommene Elemente, lösche Parts heraus, ersetze sie durch neue. Mehr geben und nehmen. Ein bisschen wie im Schach, wo man versucht, Zug für Zug die Position der Figuren zu optimieren. Da passiert es häufig, dass der Anfang gar nichts mehr mit dem Ende zu tun hat. Ich weiß immer, dass ich auf der richtigen Spur bin, wenn ich das Gefühl habe, die Elemente aktiv zu formen, wie eine Skulptur. Das ist so ein inneres Kopfkino, klingt seltsam, aber das ist ein wichtiger Indikator für mich. Ich habe außerdem gelernt, den Prozess in zwei Parts aufzuteilen: einmal zum Ideen sammeln und einmal zum Arrangieren und Sounddesign. Wenn es gerade mal nicht so mit guten Ideen läuft, kann man sich immer ans Arrangieren setzen. Deswegen ist es wichtig, zu bemerken, wenn man in einem kreativen Mindset ist. Die Chance kann man dann nutzen und drei, vier Grundgerüste für Tracks schaffen, an denen man später weiterarbeiten kann.

Wie gehst du beim Arrangieren eines Tracks vor? Hast du ein eigenes, wenn auch je nach Track abwandelbares, Rezept entwickelt oder denkst du dir jedes Mal eine komplett neue Struktur aus?

O-Wells: Ich arbeite in Ableton und fange immer zuerst in der Loop-Ansicht an, sammele Elemente. Wenn ich dann der Meinung bin, ich hab genug, wechsele ich in die Arrangement-Ansicht, kopiere alle Elemente rein und fange an, eine grobe Struktur herauszufinden. Danach werde ich immer feiner, mit z. B. Automationen, Patternvarianten, kleine Earcandy-Samples hier und da. Das ist eigentlich der allgemeine Prozess. Wenn das Arrangement steht, gebe ich dem Projekt ein paar Tage Pause und höre dann wieder rein. Häufig fallen mir so Sachen auf, die ich verbessern kann. Es tut mir gut, immer wieder ein bisschen Abstand zum Projekt zu bekommen, um abgeklärter beurteilen zu können, welche Elemente wichtig sind und welche stören. Häufig gehen die Projekte dann durch mehrere Prüfrunden, in denen ich immer wieder Kleinigkeiten anpasse. Das zieht sich dann meist über mehrere Wochen bis Monate. Ich habe das große Glück, dass ein guter Freund von mir Engineer in einem Profi-Analog-Studio ist. Am Ende wird dann alles nochmal durchs SSL Pult für den finalen Schliff geschickt.

Mit welchem Equipment arbeitest du?

O-Wells: Ich arbeite digital und analog. Beide Welten haben ihre Vor- und Nachteile, ich versuche das für mich ideal zu kombinieren. Ich hatte das Glück, dass ich noch zu einer Zeit Analoggear gekauft habe, in der die Preise noch nicht so überteuert waren. Im Moment benutze ich analog: TR-909, TR-808, Juno 106, Virus 2, MonoPoly, Alpha Juno 1, Wavestation, X0Xbox, Mackie 1604VLZ, LA4C, Alesis Verb, Sherman Filterbank. Digital: Ableton, Omnisphere Spectatronics, Fabfilter, Soundtoys, Soothe 2, Gulfoss, Valhalla Verbs, Waves.

Welche Instrumente, Tools oder Signature-Moves sind charakteristisch für deinen Sound?

O-Wells: Ein wichtiger Move sind für mich Autofilter. Mehrere hintereinander auf ein Element, die Rates dabei sind unsynced. Außerdem LFO-Mapping auf Effektanteile. Ich finde, es ist wichtig, unregelmäßige Veränderung in Elemente zu bringen, damit sich das Gehör nicht daran gewöhnt und weiß, was es zu erwarten hat. Solche Sachen sind super darin, das unterbewusst zu erreichen. Generell versuche ich viel organische Veränderung innerhalb der Elemente zu erzielen, ohne dass dies zu sehr auffällt. Wenn man mit MIDI arbeitet, die Velocity randomizen, Lautstärkeautomationen, Panning, solche Sachen.

Wie gehst du vor, wenn du neue Hardware/Software kaufst und wie integrierst du sie in deinen Workflow?

O-Wells: Mittlerweile kaufe ich mir nur noch neue Sachen, wenn sie mir Arbeit bei etwas bestimmten abnehmen oder eine Lücke in meinem Workflow füllen. Dann beschäftige ich mich auch wirklich mit dem Programm und weiß, wie ich es einzusetzen habe.

Auf welche Weise eignest du dir neues Wissen zur Musikproduktion an?

O-Wells: Ich schaue auf YouTube viele Tutorials, auf Instagram gibt es auch sehr gute Kanäle mit Tipps. Ich lerne außerdem viel, wenn ich mit anderen Musik mache. Interviews zu lesen, ist ebenfalls häufig sehr hilfreich. Und auch das eigene Experimentieren bringt einen weiter. Ich finde, besonders dadurch definiert man den eigenen Sound.

Wenn du dir einen bestimmten Skill beim Produzieren wünschen könntest – welcher wäre das?

O-Wells: Ich hätte gerne Schlagzeug gelernt, einfach um beim Thema Rhythmik versierter zu sein. Ich habe das Gefühl, dass bei allen Leuten, die ich kenne und die das gelernt haben, die Elemente in den Tracks besser platziert sind. Das ist etwas, worüber ich mir immer noch viel den Kopf zerbreche. Auch ein besseres Gehör fürs Mixing wünsche ich mir dringend, bitte!

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Ab wann fühlt sich ein Track für dich fertig an? Wie lange brauchst du from start to finish für einen Track?

O-Wells: Mittlerweile geht ein Track bei mir durch mehrere Revisionen. Ich gebe den Projekten immer mehrere Wochen Pause, wenn sie nach dieser Zeit immer noch gut sind, dann arbeite ich an ihnen weiter. Das können von zwei Wochen bis zu einem Jahr sein, ich habe mir angewöhnt, den Dingen die Zeit zu geben, die sie brauchen.

Welche Tipps und Tricks würdest du Newcomer-Produzent:innen geben?

O-Wells: In eigene Ideen vertrauen, nicht nach Trends gehen, sich mit Musikgeschichte auseinandersetzen, mit anderen zusammenarbeiten, sich über Musik mit anderen austauschen. Man braucht kein aufwendiges Gear. Ich finde, was aber sehr hilfreich ist, ist sich ein analoges Mischpult zu holen, durch das man Sounds aus der DAW schleusen kann, um diesen einen saftigeren Klang zu geben. Eher in verrückte Outboard-Effekte investieren, als in noch einen Polysynth.

Woran arbeitest du derzeit als Produzent und DJ? Steht etwas in der Zukunft an, auf das du dich besonders freust?

O-Wells: Ich bin gerade dabei, an meinem eigenen Label zu arbeiten. Die ganze Sache ist schon seit drei, vier Jahren immer wieder ein Gedanke gewesen, jetzt konkretisiert sich das. Ich habe geplant, dieses Jahr die ersten Releases rausbringen zu können. Ich will unkompliziert Musik veröffentlichen und das geht am einfachsten, wenn ich das selber mache. Außerdem fange ich jetzt mit Live-Auftritten an. Dafür habe ich speziell Tracks geschrieben, die mehr Clubfokus haben. Ich bin gerade dabei, das Setup zu optimieren, ich will das in Zukunft gerne vermehrt machen. Bis jetzt gab es dazu super Feedback. Es ist spannend, mit so etwas mal wieder aus der Komfortzone zu kommen. Ansonsten mal schauen, was sich sonst noch so auftut.

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