Während der Pandemie entstand in Wien eine Anlaufstelle für Clubkultur und ihre Akteur:innen. Die Vienna Club Commission (VCC) versteht sich seither als Vermittlungsstelle zwischen Interessen der Stadt, den Clubs, Veranstalter:innen und Anrainer:innen. Nachdem 2022 das Pilotprojekt ausgelaufen war, legte sich die Stadtregierung auf eine fixe Finanzierung fest. Über die kommenden vier Jahren erhält die VCC insgesamt 1,2 Millionen Euro. Die inhaltliche Leitung übernimmt Martina Brunner. Sie war Teil des Pilotprojekts und hatte zuvor die Initiative Nachtbürgermeister Wien gegründet. Warum es keine nicht-kommerziellen Raves gibt, was die VCC mit einem Callcenter gemein hat und womit Wien international hervorstechen könnte, erklärt Brunner bei einer Melange im Kaffeehaus.
DJ LAB: Die Club Commission in Wien existiert seit drei Jahren. Manchmal könnte man glauben, man kommt nicht über die Definition von Clubkultur hinaus.
Martina Brunner: Ja, man führt Grundsatzdiskussionen, die oft nicht weit führen. Wir haben deshalb schon überlegt, ob wir eine Kampagne starten, bei der Clubakteur:innen ihre Definition erklären.
Führt das weiter oder verhindert es sogar eine inhaltliche Diskussion zur Clubkultur in Wien?
Ich bin mir nicht sicher. Die Diskussion um Clubkultur läuft immer weiter. Vor drei Jahren haben wir zum Beispiel noch nicht über Safer Spaces gesprochen. Heute ist das selbstverständlich. Im Ausdefinieren des Begriffs Clubkultur schärft man also seine Struktur.
Gut, dass du das direkt ansprichst. Der Begriff entwickelt sich, wird schärfer.
Man muss sich nur anschauen, was sich in den letzten beiden Jahren im Bereich der Clubkultur getan hat. Inzwischen gibt es einen Code of Conduct für eine nachhaltigere Szene. Awareness-Teams sind nicht mehr aus Clubs wegzudenken. Die gesamtgesellschaftliche Bedeutung hat sich seit der Pandemie viel stärker entwickelt als davor.
Dadurch löst sich die sogenannte Clubkultur aus dem sogenannten Underground – sie wird institutionalisiert.
Als VCC bewegen wir uns in einem Spannungsverhältnis, klar. Wir achten aber darauf, dass die Clubkultur nicht zu sehr institutionalisiert wird. Als Beispiel: Vor fünf Jahren haben die Akteur:innen der Clubkultur gesagt, dass sie kaum Aufmerksamkeit und zu wenig Wertschätzung bekommen, während die Hochkultur durchfinanziert wurde. Inzwischen gibt es eine institutionalisierte Club Commission, die für Sichtbarkeit und Repräsentanz einsteht, aber: Weder die Clubkultur als solche noch die Veranstaltungsformate und ihre Akteur:innen sollen dadurch institutionalisiert werden.
Das heißt?
Dass der Freiraum bestehen bleibt, der Clubkultur in seiner Existenz ausmacht.
Wenn die Sperrstunde für die kommerziellen Clubs fällt, fällt sie auch für die niederschwelligen.
Lass uns konkret werden. Die Stadt Wien finanziert die VCC bis 2026 mit 1,2 Millionen Euro, das Budget kommt aus den Bereichen Bildung, Kultur und Wirtschaft. Wie lassen sich deren Interessen mit den Bedürfnissen der Szene vereinbaren?
Eine Geschäftsgruppe wie die der Wirtschaft schließt das Bedürfnis der Club-Akteur:innen nicht aus. Wenn die Sperrstunde für die kommerziellen Clubs fällt, fällt sie auch für die niederschwelligen. Als Club Commission wollen wir die Kultur nicht gegen die Wirtschaft ausspielen. Wir suchen vielmehr nach einem Spannungsbogen, der allen Akteur:innen im Nachtleben zugutekommt.
Das ist die diplomatische Aussage. Wen vertritt die VCC aber, wenn sich wirtschaftliche Interessen nicht mit den Bedürfnissen aus der Szene decken?
Die VCC ist keine Interessenvertretung, sondern eine Dialogplattform. Sie arbeitet deshalb immer im Interesse für, aber nie gegen jemanden.
Sie sei keine Interessenvertretung, arbeite aber im Interesse – für wen?
Bleiben wir bei meinem Beispiel. Wenn wirtschaftsgetriebenere Clubs eine Forderung haben, schauen wir uns an, für wen diese Forderung Vorteile mit sich bringt – nur für die Fordernden oder für eine breitere Gruppe an Akteur:innen? Das heißt: Wir können nicht sagen, dass Clubs 24 Stunden geöffnet haben sollen, um mehr Profit zu machen. Man muss gleichzeitig beachten, welche Veränderung welche Auswirkungen mit sich bringen. Zum Beispiel für Anrainer:innen oder Angestellte.
Du sprichst von der Forderung wirtschaftsgetriebener Clubs. Was ist mit anderen?
Natürlich existieren nicht-kommerzielle Veranstaltungsformate, aber: Die Clubkultur ist nie komplett nicht-kommerziell. Selbst wenn man einen illegalen Rave organisiert, kauft man die Getränke im Supermarkt – die Wirtschaftlichkeit begleitet die Clubkultur.
Wie profitiert die Clubkultur davon?
Zum Beispiel durch Förderungen, aktuelles Beispiel: Die klimafitte Kulturbetriebe-Förderung war zu Beginn nicht explizit für Clubs ausgeschrieben. Wir konnten vermitteln, dass Clubs Kultur sind. Im Förderkatalog steht nun, dass auch Clubs für Förderungen ansuchen können.
Das Geld landet – exakt wie bei der Clubkulturförderung – bei den Clubs, nicht bei Veranstalter:innen, DJs oder Kollektiven.
Dafür gibt es andere Fördermöglichkeiten – zum Beispiel über die Kulturabteilung der Stadt Wien. Mir fällt aber auf, dass viele nicht davon wissen, oder sich durch den Förderkatalog nicht angesprochen fühlen und keine Förderung einreichen. Es ist ein Bürokratie-Dschungel. Durch den muss man sich durchkämpfen, wenn man an Fördergelder kommen will. Als VCC arbeiten wir daran, dass Ausschreibungen zumindest zielgruppenspezifisch für Veranstalter:innen kommuniziert werden.
Aktuell profitieren manche Clubs mehr als andere. Was sagt die VCC dazu?
Langfristig muss man sich anschauen, wer wo wie viel bekommt. Transparenz ist wichtig, damit keine Doppelförderungen mehr stattfinden.
Lass uns über einen neuen Bestandteil der Club Commission sprechen: die VCC-Sessions. Dort können sich vom Klomann über Kollektive bis hin zur Kulturstadträtin alle austauschen. Wie funktioniert das bisher?
Wir sprechen auf einmal mit Clubmenschen und Veranstaltungspersonen, die wir während des Pilotprojekts nie erreicht haben. Das mag der Pandemie geschuldet sein …
Oder der Tatsache, dass während der Pandemie viele neue Kollektive und Veranstalter:innen begonnen haben?
Voll! Viele wollen Anschluss finden. Außerdem kommen Menschen aus den Clubs zu uns – weil wir die Sessions in wechselnden Wiener Clubkulturorten abhalten. Das ist wichtig, weil es den persönlichen Austausch braucht. Man muss wie im Callcenter zehnmal hinterherrufen und die Leute proaktiv einladen – ansonsten erreicht man niemanden.
Man kann nicht alle bezahlen, die sich involvieren wollen.
Innerhalb der VCC gibt es drei Fokusgruppen, in denen man aktuell zu Nachhaltigkeit, dem öffentlichen Raum und Awareness arbeitet.
Ja, bei den VCC-Sessions stellen wir drei Projekte im sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bereich vor, zu denen wir im Zeitraum von drei Monaten arbeiten. Für jeweils einen Bereich kann man sich als Lead-Manager:in aufstellen lassen. Wenn dich Clubkultur im öffentlichen Raum interessiert und du ein Know-how dazu hast, könntest du dich einbringen und bewerben. Wahlberechtigt sind alle, die bei der VCC-Session teilnehmen.
Die Position der Lead-Manager:in ist entlohnt. Wer in den Fokusgruppen arbeitet, bekommt kein Geld. Wie soll man gegen das Kulturprekariat kämpfen, wenn man mit Liebe und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft entlohnt wird?
Ich versteh den Gedanken, trotzdem gibt es den Wunsch, sich in diesen Themen zu involvieren und das Nachtleben mitzugestalten. Die VCC verfügt über ein begrenztes Budget von 300.000 Euro im Jahr. Damit kann man nicht alle bezahlen, die sich involvieren möchten. Wir mussten uns deshalb ein System überlegen, mit dem wir das Know-how verpflichtend und bezahlt aus der Szene einholen, während sich alle Interessierten weiterhin ohne Verpflichtung einbringen können.
Jemand, der zwei Jobs arbeitet, um die Miete zu zahlen, tut sich dabei wohl schwerer als die Person, die in der geerbten Altbauwohnung hockt und irgendwas mit Clubkultur machen will.
Deswegen gibt es eine Person aus der Szene, die dafür bezahlt wird.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass man es sich leisten können muss, sich zu involvieren.
Jede Person aus der Szene kann sich aufstellen lassen, um den Arbeitsaufwand für die Fokusgruppe bezahlt zu erledigen. Das richtet sich gerade an jene, die sonst nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, um sich zeitlich einzubringen.
Gut, bleiben wir beim Thema Fokusgruppen. Nach drei Monaten präsentieren sie ihr Ergebnis …
Es kann auch kein Ergebnis geben!
Wofür dann der Aufwand?
Na ja, es hat bisher alles das erste Mal stattgefunden. Und wir schärfen permanent am Konzept. Zum Beispiel können Lead-Manager:innen einmal wiedergewählt werden, bevor sie für ein Quartal pausieren müssen.
Das ist eine strukturelle Entwicklung. Was passiert mit den Ergebnissen, die die Fokusgruppen erarbeiten?
Konkretes Beispiel aus der Fokusgruppe Safer Party, Safer Nightlife: Die Lead-Managerin hat einen tollen Fragebogen designt, der am Ende des Quartals gelauncht werden soll. Unsere Aufgabe als VCC ist die Umsetzung. Dafür sprechen wir mit der Verwaltung, um mögliche Synergien abzuklären, Kofinanzierung zu erfragen und Partnerschaften mit anderen Servicestellen einzugehen. In der Strategieentwicklung definieren wir mögliche Strategien, die – basierend auf der Umfrage – umgesetzt werden können. Seien es Workshops für Securities oder zusätzliche Förderungen für Awareness-Teams.
Das klingt bereits nach konkreter Umsetzung. Lass uns aber einen Schritt früher ansetzen: Sind die Ergebnisse aus den Gruppen an eine Umsetzung gebunden?
Es gibt keine Verbindlichkeit, weder für uns noch für die Stadt Wien. Die Selbstverantwortung des Kernteams sichert aber, dass wir nicht nur lustig herumtun und fünf Jahre verstreichen lassen, ohne am Ende mit Ergebnissen dazustehen. Das wäre fatal für eine subventionierte Institution.
Das heißt: Die Stadt Wien müsste zum Beispiel keine Awareness-Teams fördern, selbst wenn das Ergebnis der Studie befände, dass das der Clubkultur förderlich wäre.
Jein! Es gibt Meilensteine, die wir im Konzept definiert haben – sechs Workshops und vier Podiumsdiskussionen zum Beispiel, die Neukonzeptionierung der Homepage oder das Aussenden eines monatlichen Newsletters. Außerdem legen wir die Themen der Fokusgruppen fest. Was dabei rauskommt, hat aber keine direkte Bindung.
Man tut nicht einfach herum, hat aber keine konkrete Verbindlichkeit.
Strategische Flexibilität fasst es gut zusammen.
Das klingt sehr wirtschaftlich.
Gar nicht! Man braucht eine Strategie, die man verfolgt – darüber steht der Anspruch, die Situation für alle Clubs und Veranstaltungsakteur:innen besser zu gestalten. Was dafür passieren muss, passiert im Alltag, den man nur begrenzt planen kann. Als Beispiel: Wir kommen aus der Pandemie, keiner kann mehr zwischenmenschlich und mit respektvollem Umgang feiern gehen. Wir als VCC rücken daraufhin das Thema Awareness in den Fokus. So reagieren wir auf das, was passiert.
Lutz Leichsenring, Sprecher der Berliner Clubcommission, ist Teil der neuen VCC – als „Organisationsentwicklungsberater”. Was bedeutet das?
Lutz bringt ein großes internationales Netzwerk im clubkulturellen Kontext mit. Nicht nur durch die Berliner Commission, sondern auch in seiner Arbeit bei Vibelab, so etwas wie der Dachorganisation von Nachtbürgermeister:innen und Club Commissions auf der ganzen Welt. Als VCC tauschen wir uns wöchentlich mit Lutz aus, bekommen über ihn aber auch Zugang zu Informationen, zum Beispiel zum Thema Safer Nightlife. Damit integrieren wir bestehendes Wissen, das wir in Wien anwenden können, um unsere Clubkultur weiterzuentwickeln.
Wohin soll sie sich entwickeln?
Das lege ich nicht fest. Ich trage nur zusammen, was ich aus der Szene mitbekomme. Darauf reagiere ich, um das Angebot entsprechend zu schärfen.
Du bist auch Teil der Szene. Mit welcher Entwicklung wärst du zufrieden?
Lass mich einige von vielen Punkten erwähnen: Wenn wir Flächen im öffentlichen Raum für Raves zugänglich machen könnten – und zwar nicht nur bis 22 Uhr! Wenn die Sperrstunde fallen würde. Wenn wir möglichst viele Wünsche aus der Szene umsetzen könnten. Dann wäre ich zufrieden!
Wien hätte Räume!
Wir haben über Awareness und öffentliche Räume gesprochen. Ich möchte noch ein Thema ansprechen: die aktuelle Preispolitik der Clubs.
Wir streben eine Kooperation mit Hunger auf Kunst und Kultur an – eine Servicestelle, die es Nichtverdiener:innen ermöglicht, eine Kulturveranstaltung zu besuchen.
Ein Kulturpass für den Club, meinst du?
Genau, das ist in der Pipeline. Mehr kann ich dazu aber noch nicht sagen.
Lass uns dafür zum Abschluss noch über die Nutzung von bestehenden Räumen reden.
Wien hat Räume. Wir müssen sie erheben, um mit dem Ist-Stand an die Stadt herantreten zu können und aufzuzeigen, was fehlt.
Oft hört man: Es gibt zu wenig Räume, in denen man veranstalten kann.
Wien hätte Räume, die einen speziellen Charakter für Wiener Clubkultur ausmachen könnten. Schau dir die Semmelweisklinik oder den Zukunftshof an. Das gibt es nur in Wien! Trotzdem muss von der Stadt immer wieder ein Plan her, wie diese Räume für etwas anderes genutzt werden. Dabei könnte man in ihnen Clubkultur mitdenken. Ein anderes Beispiel, das den Bund angeht: die Flaktürme. Stell dir darin einen Club vor. So etwas findest du in Berlin nicht! Deshalb muss es darum gehen, kulturelle Räume zu schaffen und für diesen Zweck zu erhalten. Dafür setze ich mich in der VCC ein.
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