Kommentar: Brauchen wir diese neue "Loveparade"?
Nachdem am Montag die Pläne zu einem neuen Techno-Umzug nach dem Vorbild der Loveparade bekannt wurden, distanzierten sich Reclaim Club Culture von dem Vorhaben. An einer Zusammenarbeit sei man derzeit nicht interessiert. Auch sonst schaut man nicht nur mit Wohlwollen auf den "Neuen" auf der Straße.
Rave The Planet heißt das medienwirksame Projekt, angeführt von Urgestein Dr. Motte, und möchte mittels einer Crowdfunding-Aktion eine Neuauflage der 1989 erstmals in Berlin stattgefundenen und 2010 in Duisburg tragisch geendeten Loveparade ins Leben rufen. Man wolle "Eine Initiative [sein], die elektronische Tanzmusik- und Clubkultur ins Licht der Weltöffentlichkeit stellt, gemeinnützige Projekte fördert und ein sinnstiftendes Element der elektronischen Tanzmusikkultur neu definiert".
Um diese Ziele umzusetzen, werde man unter anderem auch mit allen club- und szenepolitischen Instanzen in Berlin zusammenarbeiten, namentlich nannte Dr. Motte dazu auf der Pressekonferenz die Berliner Clubcommission und Reclaim Club Culture (im Video ab Minute 33:00).
Nun widersprachen Reclaim Club Culture – die selbst in den letzten Jahren unter anderem mit Demonstrationszügen gegen die AfD und für klima- und sozialgerechte Politik auf den Straßen Berlins politisch aktiv waren und dazu große Mengen versammeln konnten – allerdings dieser Darstellung, veröffentlichten auf Facebook ein Statement und stellten darin generell die Sinnhaftigkeit der "Loveparade 2.0" infrage: Die verlautete Zusammenarbeit sei so nicht abgesprochen, auch gäbe es momentan keine Pläne mit dem Projekt oder der gGmbH (gemeinnützige GmbH) zu kooperieren.
Vielmehr nehme man die gesetzten Inhalte noch als zu diffus wahr, aktuelle Probleme der Berliner Szene wie Verdrängung, Kommerzialisierung und Kriminalisierung würden nicht einbezogen, stattdessen hohle Phrasen verlautet. Der politische Charakter wird Dr. Mottes neuem Projekt damit abgesprochen. Auch die Nutzung der Berlin Mall als Ausstellungsort der Miniatur-Loveparade sei in Anbetracht der beim Bau des Shopping Centers umstrittenen Arbeitsbedingungen kritisch zu sehen. Das volle Statement seht ihr hier:
https://www.facebook.com/reclaimclubculture/posts/2732289283532900?__xts__[0]=68.ARC0T2r5W9aakmjarKME6tZ9HArxqyJuMY8vFmZcmrcIK_pKQJDOogPi0Tg3vVvSwhSA2Ts4uatPpQQgYIIfiy2QNmNBz-i-shKfvt-Cjwswsz775h7VQ6o0CLha1CcMLGs97auP__IjBOIMa_Tiu3ERL5ljD056scBnAoPIfReNlkP0OolNSzTPwUqd9vhPgBYrH06amnU-3dgSZ2POmZY2xmTTf-8R_MjCkOkEdp2llCIQQ64x8ofjhgiDsVUO6zQSc_2ewXfk8y_p0rnojFah-9CGHyydec24ux3HTSvrU7ahuPXyUeNarhF9CkKQV_-KRhVUR5ObXUOuTME_vwLL1nQi&__tn__=-R
Den Plänen von Dr. Motte und Team steht auch The Clubmap, ein Termin- und Location-Portal für elektronische Musik in Berlin mit angeschlossenem Blog, eher kritisch gegenüber: Die via "Fundrave" erhoffte Summe von 7,5 Millionen Euro sei für die Ausrichtung einer solchen Demonstration sehr hoch, auch die Handhabung von Spendenquittungen erst ab 200 EUR und des internen Geldflusses bei Nichterreichen des Spendenziels seien "unschön" geregelt. Hauptaugenmerk liegt hier jedoch ebenfalls auf dem fehlenden sozialen und politischen Fundament: Im Gegensatz zum seit 2015 stattfindenden und sich sozial engagierenden Zug der Liebe, sei die geplante "Loveparade 2.0" in ihren Zielen einfach noch nicht greifbar genug, auch wäre sie ohne soziale Message ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen von Duisburg. Denn einfach wiederholen kann und soll man nicht.
Interessant an dieser Stelle ist, dass The Clubmap ein Mitorganisator des Zug der Liebe ist und der Autor des Beitrags sowohl Mitbegründer der Initiative als auch deren Pressesprecher ist und damit wohl auch im Interesse des Protestzuges auftritt. Dass zwei der größeren mit Techno bespielten Demonstrationsumzüge in Berlin sich derart direkt gegen das Auftauchen und die Art des Auftritts eines potenziell sehr großen “Neuen” abgrenzen wollen, lässt vermuten, dass die Veranstalter:innen der Umzüge Konkurrenz und damit verbundenen Bedeutungsverlust fürchten. Diese Sorge ist berechtigt. Bei mehr Veranstaltungen dieser Art verliert jede einzelne schließlich an Momentum und wird damit womöglich auch weniger Besucher:innen anziehen.
Problematisch wird das Ganze allerdings erst, wenn ein vermeintliches Schwergewicht wie Dr. Mottes Loveparade 2.0 (die übrigens so aufgrund fehlender Rechte am Namen nicht heißen wird) seine Absichten nicht gänzlich ausformuliert. Zwar scheint das größte Anliegen von Dr. Motte zu sein, Techno und die Kultur der elektronischen Musik salonfähiger zu machen und ihr Ansehen zu steigern, das Ziel der Aufnahme in das immaterielle Kulturerbe der UNESCO ist dabei auch schon ziemlich konkret.
Doch braucht man dazu eine riesig angelegte Parade auf den Straßen Berlins um, wie Rave The Planet es formuliert, "Öffentlichkeit und die Politik dafür [zu] sensibilisieren und über Inhalt und Wirklichkeit unserer Kultur auf[zu]klären"? Ist hier nicht vielmehr Arbeit hinter den Türen gefragt, wie sie beispielsweise die Clubcommission in Berlin oder das Clubkombinat in Hamburg nun schon seit Jahren erfolgreich betreiben? Sollten die Straßen nicht denjenigen vorbehalten bleiben, die für dringlichere Anliegen einstehen und Protestzüge als Form des Widerstands gegen gesellschaftliche Missstände einsetzen?
Klar, die Tendenzen von Clubschließungen und Selbstausbeutung in unserer Szene sollen nicht verharmlost werden. Bei aktuellen gesellschaftlichen Themen wie zunehmendem Populismus, erstarkender Rechte und der Klimakatastrophe gibt es aber andere, unter Umständen auch wichtigere Dinge, für die es sich auf die Straße zu gehen lohnt. Gibt es nicht bereits mit den Reclaim Club Culture Demonstrationen, Zug der Liebe, Fuckparade und so weiter schon genügend wirklich protestierende, diskursive und damit sinnvolle Technoparaden? Brauchen wir da eine, die, wie es bei Dr. Mottes neuem Vorschlag scheint, viel mehr aus Nostalgie und vielleicht sogar ein wenig Geltungsbedarf geboren ist und die anderen damit zu überstrahlen droht?
Eine Gefahr davon ist, dass die momentan noch wohlwollende Rezeption schnell kippen kann, wenn ein neuer großer Umzug dazu beiträgt, ein weiteres Ärgernis bspw. der Anwohner:innen zu werden. Im schlimmsten Fall aber verliert diese Art des Protestes ihre politische, soziale und kulturelle Strahlkraft und nutzt sich schlussendlich ab. Mit beidem ist dem Image von elektronischer Musik und insbesondere der Durchsetzung gemeinsamer Werte und Interessen dann auch nicht geholfen. Brauchen wir diese "Loveparade"?
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