Krake Festival im Interview: "Die Szene ist immer noch genauso kommerziell wie vor Corona."

Krake Festival im Interview: "Die Szene ist immer noch genauso kommerziell wie vor Corona."

Features. 8. November 2021 | / 5,0

Geschrieben von:
Cristina Plett

Zum elften Mal findet vom 11. bis 14. November das Krake Festival statt. Was letztes Jahr noch ausschließlich online zu erleben war, kommt dieses Mal mit einer Mischung aus IRL-Clubnacht in Berlin und Streams und Online-Musikfernsehen daher. Killekill, das Label hinter dem Festival, setzt sich außerdem mit dem Projekt "Ick Mach Welle" aktiv für die Inklusion von Menschen mit Behinderung ein. Killekill- und Krake-Gründer Nico Deuster erklärt im Interview, warum es da in der Clubszene noch viel zu tun gibt und warum ein Teil des Festivals nun doch wieder online veranstaltet wird.

DJ LAB: Hast du als Veranstalter das Gefühl, dass Corona vorbei ist?

Nico Deuster: Ich persönlich überhaupt nicht, was auch mit meiner privaten Lebenssituation zu tun hat. Aber ich habe noch keine Veranstaltung organisiert, seitdem Corona quasi zu Ende ist – das ist jetzt mit dem Festival der erste Mal. Ich bin ganz aufgeregt, als wäre das etwas ganz Neues, dabei haben wir das früher jeden Monat oder teilweise jede Woche gemacht. Das kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, ich bin da richtig rausgepurzelt. Aber wenn ich mit anderen Leuten rede oder mich umschaue, scheint es schon, als ob die Krise vorbei ist. Alles wieder so, als wäre nichts gewesen.

Da fällt das Krake mit seinem Hybrid-Format aus Live-Veranstaltung und Stream etwas heraus. Warum habt ihr euch entschieden, das so zu machen, wenn es doch auch wieder "normal" ginge?

Wir haben das ganze Jahr damit gerechnet, dass wir das Festival nur digital realisieren können. Dann gab es im Sommer die Hoffnung, dass man vielleicht doch ein reales Festival machen könnte. Da dachten wir: Können wir uns darauf verlassen? Irgendwie müssen wir jetzt anfangen zu planen. Wir haben unheimlich lange Vorläufe und wir kriegen Fördergelder, die für ein Streaming-Festival eingeplant waren. Da kann man zwar einen Teil umwidmen, aber man kann kein reales Festival planen und am Ende findets nicht statt. Das muss schon stattfinden. Daher haben wir uns für eine Hybrid-Lösung entschieden.

Nico Deuster / Foto © Denise Nietze

Wie sind normalerweise eure Vorlaufzeiten?

Normalerweise planen wir ein Dreivierteljahr im Voraus. Das ging jetzt natürlich nicht. Zu Anfang des Sommers gab es immer weniger Fälle, es sah sehr gut aus und man rechnete damit, dass im Herbst genug Leute geimpft sind. Dann hieß es auf einmal: Der Fortschritt ist doch nicht da, die Zahlen gehen wieder hoch. Alles ist mit solchen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten behaftet. Es gibt niemanden, der sich auskennt, wo man fragen kann: Wie ist denn das üblicherweise in einer Pandemie? Wie kann man mit Künstler:innen Verträge schließen, wenn man nicht weiß, ob das Event stattfindet? Wer zahlt dann was – oder wird es einfach verschoben? Das sind alles Sachen, auf die man nicht vorbereitet ist, auch wenn wir bereits im letzten Jahr ähnliche Erfahrungen machen mussten. So richtig vergleichbar ist das allerdings nicht, denn letztes Jahr ging es schließlich gar nicht mit Publikum.

Was war im letzten Jahr anders?

Da haben wir viel Neues ausprobiert und neben DJ-Streams auch unser Format Krake TV ausgerollt. Das ist eine Art Musikfernsehen, so wie früher MTV, mit Musikvideos und Interviews mit Künstler:innen, die wir gut finden, und ein bisschen Comedy-Quatsch. Der DJ Wes Baggaley zum Beispiel ist außerdem noch Personal Trainer und hat ein lustiges Techno-Workout gemacht. Beim Planen unseres Festivals damals haben wir gemerkt: Wir müssen gar nicht wie sonst in Berlin denken, wir können jetzt wirklich international denken. Wir laden zum Krake Festival sonst immer andere Crews ein, die Floors hosten. Und jetzt können wir aus der ganzen Welt Crews fragen, ob die vielleicht einen Floor machen wollen. Letztes Jahr hatten wir am Ende zehn Floors gleichzeitig, die alle über unsere Website gestreamt wurden.

Was habt ihr aus dem letzten Jahr mitgenommen für dieses Jahr?

Genau dieses Konzept, dass wir in der Hauptnacht am Freitag mehrere Streams gleichzeitig haben. Wir haben vier Floors im Stream. Ein Experimental-Projekt aus Berlin, Transistors Of Mercy. Dann gibt es das Urban Boat aus Frankreich, den Fold Club in London und der Sameheads Club aus Berlin. Die Streams werden alle am Freitagabend stattfinden, während unser Festival hier in Berlin mit Publikum stattfindet. Das wird nicht gestreamt. Außerdem haben wir die Erfahrung mitgenommen, dass man bei Streams kuratorisch ganz anders denken kann. Es gibt Sachen, bei denen wir immer Schwierigkeiten hatten, sie in Berlin umzusetzen. So zum Beispiel Ambient oder experimentellere Sachen, die man sich vielleicht eher im Sitzen anhören will – das kann man mit Streams ziemlich gut umsetzen. Deshalb streamen wir am Sonntag tagsüber experimentellere Acts. Auch nach zwei Jahren probieren wir uns da weiter aus, entdecken neue Möglichkeiten und überlegen, was davon langfristig Sinn macht.

https://www.youtube.com/watch?v=2VxxeFaAaVI&t=2492s

Wollt ihr solche digitalen Formate beibehalten?

Eigentlich schon, aber leider ist es sehr viel Arbeit. Das war auch eine Erfahrung, die wir erst machen mussten. Ein Streaming-Event ist sehr viel mehr Arbeit als ein reales Event.

Interessant. Warum ist das so?

Der technische Aufwand ist relativ hoch und kostenintensiv. Dazu kommt, dass die Besucher:innen bei einem realen Event gewöhnt sind, Eintritt zu bezahlen. Das ist bei einem Stream anders. Letztes Jahr haben wir versucht, mit Flexibilität und Transparenz einen Kompromiss zu finden. Es gab verschiedene Tickets in verschiedenen Preisklassen. Das günstigste war ein Euro. Wir haben versucht, alles transparent aufzuführen, damit die Leute sehen, dass es eigentlich viel teurer ist, aber wir niemanden ausschließen wollen und auch sehen möchten, was es den Leuten wert ist. Da geht es auch um die Frage: Was ist Kultur wert? Soll jetzt alles umsonst sein? Wer soll das dann bezahlen? Trotzdem hat leider die überwiegende Mehrheit nur Ein-Euro-Tickets gekauft. Das fand ich krass. Ich hätte gedacht, dass die Leute bewusster sind und bereit sind, mehr zu zahlen. Aber das war leider nicht der Fall.

Wie gestaltet ihr die Preise dieses Jahr?

Dieses Jahr bieten wir die Streams kostenlos an. Wenn man Tickets verkauft, muss man auch die technische Lösung dafür haben, dass man den Stream nur nach Bezahlung anschauen kann – und das ist technisch relativ komplex. Da haben wir gesagt: Das ist uns zu stressig, wir machen das jetzt einfach umsonst.

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Wie hat sich Corona auf die Künstler:innen, die ihr bucht, ausgewirkt? Gab es da gravierende Folgen?

Total. Einige Booking-Agenturen gibt es nicht mehr, mindestens vier oder fünf. Allerdings gibt es auch viele neue Künstler:innen, die durch das Streaming Chancen bekommen haben, die sie sonst vielleicht nicht so schnell bekommen hätten. So etwas wie HÖR hat vielen jungen Künstler:innen schon extrem geholfen, weil sie dadurch Aufmerksamkeit bekommen haben. Von den Akteuren her hat sich also schon ein bisschen was verändert – von den Mechanismen her leider überhaupt nichts. Es ist noch immer genauso kommerziell.

Wie seid ihr das Booking angegangen?

Ehrlich gesagt haben wir beim Krake Festival nicht immer ein richtiges Konzept. Das ist immer sehr intuitiv. Wir reagieren auf die Szene und fragen uns, wo gerade etwas fehlt. Wir versuchen also eher etwas zu bieten, das sonst untergeht. Das entscheiden wir dann relativ spontan, wenn wir mit dem Booking anfangen.

Auf dem Krake Festival spielen ja auch zwei Musiker von Ick Mach Welle, eurem Projekt, bei dem Menschen mit Behinderung lernen, elektronische Musik zu machen. 2018 hatte es ein Crowdfunding gegeben, um die Workshops mehrere Monate lang zu finanzieren. Wie hat sich das Projekt seitdem entwickelt?

Total gut. Erst ist eine Art Band daraus entstanden, was eigentlich gar nicht unsere Absicht war. Wir hatten keinen festen Proberaum, waren immer zwei Stunden lang in einem Raum mit dem gesamten Equipment, wo alle Teilnehmer:innen kamen. Daraus hat sich erst eine Jam-Session und dann eine Art Band entwickelt. Die waren wirklich gut und hatten 2019 immerhin neun Auftritte. Aber wir wussten nicht, ob das auch das war, was die Teilnehmer:innen wirklich wollen. Dann kam Corona, das war zwangsläufig das Ende der großen Bandproben, weil viele von Ick Mach Welle in WGs mit Menschen aus der Risikogruppe wohnen. So gab es dann nur noch Einzeltreffen. Dadurch konnten wir noch mal genau verstehen, welche Musik sie eigentlich hören und machen wollen – daraufhin haben wir weitere Einzelprojekte initiiert. Zum Beispiel legt DJ Locati jetzt beim Krake Festival auf. Vorher hatte er schon zwei, drei kleine Auftritte und jetzt den ersten großen bei uns. Dann gibt es den Bläck Dävil, der hat in den anderthalb Jahren rund 80 Tracks geschrieben – darunter einige sehr gute. Der wird jetzt live auftreten mit seinem Projekt. Dieses Jahr war also schonmal ganz groß für uns, weil wir die ganzen Soloprojekte an den Start gebracht haben. Nächstes Jahr wollen wir einen ersten Release machen.

Ich habe den Eindruck, Inklusion ist in der Clubszene gar kein Thema. Hast du das Gefühl, ihr habt mit eurem Projekt etwas bewirkt und das Thema auf die Agenda gesetzt?

Der Hauptinitiator war das Musicboard. Die haben das Thema bei einem Jahrestreffen mal gesetzt und wollen nur noch Festivals fördern, die auch Künstler:innen mit Behinderung buchen. Da haben alle geklatscht. Ich habe aber gedacht: Wen gibt's da überhaupt? Mir ist fast niemand eingefallen, nur 21 Downbeat und Station 17. Ich dachte, es kann doch nicht sein, dass jetzt alle nur diese zwei Künstler buchen, das ist doch nicht spannend. Und so ist daraus die Idee für unseren Workshop entstanden. Wir wollten Menschen mit Behinderung die Möglichkeit geben, Künstler:in zu werden. Damit bin ich dann an das Musicboard herangetreten und die fördern uns jetzt dafür.

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Ick Mach Welle / Foto © Denise Nietze

Und diese Policy hat das Musicboard seitdem?

Genau. Aber es ist schwierig, weil es wirklich kaum Künstler:innen gibt und es schwer für sie ist, Anschluss an die Clubszene zu finden. Schon weil Menschen mit Behinderung meistens gar nicht erst in die Clubs reinkommen, weil sie nicht "cool" genug aussehen. Und 15 Euro Eintritt können sie auch nicht bezahlen, weil sie in Behindertenwerkstätten arbeiten und da 1,30 Euro die Stunde verdienen. Abgesehen davon brauchen sie oft noch Betreuung, die arbeitet aber nur bis 22 Uhr. Das ist total schade für die Szene. Sowohl Bläck Dävil als auch DJ Locati sind richtige musikalische Talente, die bisher ignoriert worden sind. Einfach nur, weil sie halt nicht die Möglichkeit haben wie andere. Da ist immer noch viel Handlungsbedarf.

Werden die Künstler von Ick Mach Welle denn auch gebucht?

Ja. Die meisten Anfragen, die wir kriegen, sind immer noch von Partys die inklusiv sind und den Anspruch haben, Menschen mit Behinderungen zu unterstützen – wie Spaceship im Mensch Meier. Aber aus dem regulären Club-Kontext sind Anfragen noch sehr selten. Daran arbeiten wir, DJ Locati soll zum Beispiel beim Krake Festival bei HÖR spielen, um das zu durchbrechen. Das ist auch für mich ein Lernprozess, wie ich die Künstler:innen – in Anführungsstrichen – "verkaufe", wenn ich mit jemandem rede und der Person einen DJ empfehlen möchte. Wenn ich sage, der ist aus unserem inklusiven Projekt, habe ich manchmal das Gefühl, es heißt dann gerne: Dann würde ich den mal buchen, um euch zu unterstützen. Aber darum geht es mir gar nicht, das soll ja kein Gefallen sein. Ich sage dir, dass es ein cooler Künstler ist. Der hat es verdient, dass man ihn auch als solchen wahrnimmt – wie jeden anderen DJ auch. Andererseits ist es natürlich auch so, dass es ein "Verkaufsargument" ist, in Anführungsstrichen. Wie ich damit umgehen will, muss ich noch herausfinden. Da geht es eben um die Frage, wie sehr man das in den Vordergrund stellen will oder nicht? Eigentlich geht es darum, sie als Künstler:innen aufzubauen, damit sie nur noch als Künstler:innen wahrgenommen werden. Das ist unser Ziel.

Du hattest Inklusion beim Publikum angesprochen. Eure Website gibt es auch in leichter Sprache, Tickets kann man auch per E-Mail kaufen. Wollt ihr nicht nur bei auftretenden DJs und Produzent:innen, sondern auch bei den Gäst:innen vom Krake Festival gezielt Menschen mit Behinderung ansprechen?

Genau, wir würden gerne allen Menschen die Möglichkeit geben, zu uns zu kommen.

Veröffentlicht in Features und getaggt mit 21 Downbeat , Berlin , Bläck Dävil , DJ Locati , Fold Club , HÖR , Ick Mach Welle , Killekill , Krake Festival , Krake TV , Mensch Meier , Nico Deuster , Sameheads , Station 17 , Transistors Of Mercy , Urban Boat , Wes Baggaley

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